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Horst Georg Pöhlmann Abriss der Dogmatik
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1973. 5., verbesserte und erweiterte Auflage(20-25. Tsd.) 1990.
Chun Chul
De Theologia S.26. Als Transmissionsriemen zwischen der exegetisch-historischen und der praktischen Theologie über die dogmatische Theologie in Bindung an die Heilige Schrift als ihrer einzigen Norm 1. eine existentielle, 2. eine reproduktive, 3. eine produktive und 4. eine rationale Funktion aus, so dass sie definiert werden könnte als kirchliche Wissenschaft von Gott, die die biblische Botschaft zusammenfassen und für unsere Zeit neufassen will. De Revelatione S.38. Derselbe Gott, der in der revelatio legis generalis et specialis seinen
Zorn bekundet, erschließt in der revelatio evangelii specialis seine Gnade und
damit sich selbst. Diese Geschichte, die die Offenbarung Gottes mit der
Menschheit und dem einzelnen macht, erreicht in der Offenbarung Gottes in
Christus ihr Ziel und ihre normierende Mitte. Die revelatio specialis findet in
der revelatio immediata der Inkarnationszeit ihren Abschluß, während sie sich
als revelatio mediata in der Kirche fortsetzt. De Scriptura sacra S. 54. Das Wort Gottes ist größer als die Bibel, es geht über sie als seiner
zweiten Gestalt nach rückwärts und vorwärts hinaus und nimmt in der Inkarnation
Christi seine erste und in der Verkündigung seine dritte Gestalt an. Sosehr das
Wort Gottes nicht einfach mit seiner zweiten Gestalt deckungsgleich ist, kann
es nur in ihr in seiner ersten und für seine dritte Gestalt erkannt werden.
Trotz ihrer Pluriformität hat die Bibel in ihrem Grundkerygma von der Heilstat
Gottes in Christus eine sie einigende Mitte. Von diesem Kanon im Kanon her übt
sie nicht nur eine autoritas causativa, sondern auch eine autoritas normativa
aus, an der sich alle nachapostolische Tradition allein messen lassen muß. Von
diesem ihrem Kanon im Kanon her gesehen eignet der Bibel eine gestufte, keine
flächenhafte Autorität. Die Bibel ist demnach nicht nur norma normans gegenüber
der norma normata der Bekenntnisse, sondern auch innerhalb der Bibel verhält
sich einerseits das NT zu AT und andererseits das neutestamentliche
Grundkerygma von der Heilstat Gottes in Christus zum NT wie die norma normans
zur norma normata. Eine Bibelkritik ist nur möglich als Selbstkritik der Bibel
von diesem ihrem Kanon her. Kriterien der Kanonizität sind die Christozentrik,
die Apostolizität und die Autopistie. De Fide S.71. Der Glaube hat eine objektive und eine subjektive Seite, er sit fides
quae creditur und fides qua creditur, fides generalis und fides specialis,
Einsicht und Zuversicht, Inhalt und Halt zugleich. Ist er fides quae, ohne
zugleich fides qua zu sein, oder ist die fides quae Veraussetzung der fides
qua, dann wird der Glaube zum äußerlichen Beweisglauben oder Autoritätsglauben.
Will er nur eine fides qua sein, ohne zugleich eine fides quae zu sein, dann
entartet er in die Schwärmerei. Die Zuversicht des Glaubens ist nie ohne
Einsicht, sosehr die Zuversicht zur Einsicht und nicht die Einsicht zur
Zuversicht führt. Glaube ist Wagnis, aber nicht grundloses Wagnis, sondern
begründetes Wagnis. Wenn der Glaube ein Vertrauen und ein Wissen zugleich ist,
ist er nicht abtrennbar vom Denken unserer Zeit, wenn er auch nicht mit ihm in
eins fällt. Theologie und modernes Denken leben nicht auf verschiedenen
Sternen, sondern sie stehen auf einem gemeinsamen Boden, auf dem sie für jenes
greifbar und angreifbar ist, sosehr diese Kritik der Vernunft an der Theologie
von ihrer Mitte her erfolgen muß, die für die Vernunft unangreifbar und
ungreifbar ist, weil durch sie Gott zur Sprache kommt. De Deo Es gibt keine Gottesbeweise, aber Gotteshinweise, mit deren Hilfe Gott in
unser säkularisierten Welt bewahrheitet werden kann. Wenn sich der moderne
Mensch einer anonymen transsubjektiven Macht verpflichtet weiß, begegnet er dem
deus abschonditus der revelatio generalis. Das wesen Gottes, das diese
revelatio generalis nicht erschließt, sondern verschließt, besteht in der
Liebe. Sie ist keine billige Gönnerlaune, sondern Liebe, die für uns in den Tod
geht. Die einzige Definition, die Gott einholt, ist seine Selbstdefinition, die
er sich in Jesus Christus, dem victor quika victima, gegeben hat. In Jesu neuer
Gottesanrede Abba hat er dieses Wesen Gottes, das Liebe ist, offenbar gemacht. In
Jesu Geschickt hat sich dieses Wesen endgültig erschlossen, ein Abba zu sein,
der ans Kreuz geht. Sein Wesen, die Liebe, erkennt man nur in seinen
Eigenschaften, nicht getrennt von ihnen, sosehr diese nur attributa operativa,
nicht attributa quiescentia sind. Obschon seine Wirksamkeit aus seiner
Wirklichkeit folgt, kann seine Wirklichkeit nur an seiner Wirksamkeit erfahren
werden. Als ein Gott, der ist, nur indem er handelt, ist er transzendent und
immanent zugleich, wobei seit der Inkarnation der Akzent auf seiner Immanenz
liegt. Er ist nicht über der Welt, er ist in ihr ihr gegenüber. Die Trinität
artikuliert diese Spannung zwischen der Transzendenz und Immanenz Gottes. Denn
Gott bleibt Gott, wenn er Mensch wird, er bleibt Geist, wenn er Fleisch wird,
er gewinnt sich, wenn er sich verliert, er bleibt mit sich selbst eins, wenn er
Fleisch wird, er gewinnt sich, wenn er sich verliert, er bleibt mit sich selbst
eins, wenn er sich von sich selbst entfremdet. Da Gott liebe tut, weil er Liebe
ist, da seine Liebe uns ewig voraus ist, ist die Trinität nicht nur ökonomisch,
sondern auch immanent zu verstehen. Der Atheismus wurde durch einen falschen
Transzendenz-Theismus provoziert. Der Gott des Christentums ist kein
extramundaner Hochgott, sondern die Mitte der Welt, in der er sich sub specie
contraria verbirgt. Von diesem weltgewordenen Gott kann nur weltlich geredet
werden. De Creatione S.172. Die Welt ist nicht Gott, ist nicht aus oder an Gott, aber Gott ist in
ihr. Verfehlt ist der Pan(en)theismus und Emanatismus, weil er übersieht, dass
die Welt Schöpfung Gottes ist. Falsch ist andererseits der Dualismus einer
pessimistischen ›Trümmertheologie‹, für die Gott und Welt feindliche Gegensätze
sind, weil sie vergisst, dass die Welt Schöpfung Gottes ist. Weil Gott in der
Welt ihr gegenüber ist, weil Gott mitten im Diesseits jenseitig ist, will Gott
sich in Christus insäkularisiert, ist die moderne Säkularisation eine legitime
Konsequenz aus dem christlichen Glauben und nicht-falls sie nicht zum
Säkularismus entartet – dessen Widerpart. Schöpfung und Erlösung schließen sich
nicht aus, sondern ein. Denn derselbe Gott schafft beide Werke und dieselbe
Welt, die er geschaffen hat, wird er einst erneuern. Trotzdem ist die neue Welt
von der alten und damit Wohl und Heil streng zu unterscheiden. Die Schöpfung
ist nicht die Erlösung, sie sehnt sich nach der Erlösung. Die Tatsache, dass
Schöpfung und Erlösung nicht zu scheiden, aber doch zu unterscheiden sind,
besagt für das Wunder: Es durchbricht nicht die Schöpfung, sondern es heilt die
gebrochene Schöpfung, weil es immer Auferstehungswunder ist. Im Unterschied zum
Mirakel führt das Wunder nicht zum Glauben, sondern es kommt aus dem Glauben
und wird für ihn zum verbum visibile, während es der Unglaube nicht als Wunder
versteht und so missversteht. Die providentia extraordinaria darf nicht einfach
in die providentia ordinaria als ihr Sonderfall eingeebnet oder als rein
innerliche Größe aus ihr herausgehalten werden. Das Wunder resultiert zwar aus
dem subjektiven Glauben, aber es bezieht sich trotzdem auf objektive Tatsachen.
Analog wie Schöpfung und Erlösung sind auch Schöpfung und Erhaltung nicht zu
scheiden, aber doch zu unterscheiden. Die Frage der Theodizee, wie das Böse in
der Welt mit Gottes Providenz zu vereinbaren sei, kann schwerlich mit den
herkömmlichen Lösungen beantwortet werden. Wenn es hier überhaupt eine Antwort
gibt, dann ist es der Victor quia victima, der unser Leid besiegt, indem er mit
uns mitleidet. Angesichts des gekreuzigten Gottes verstummt die Theodizeefrage.
* Die Frage der Theodizee, wie das Böse in der Welt mit Gottes Providenz zu
vereinbaren sein, kann schwerlich mit den herkömmlichen Lösungen beantwortet
werden. Sie scheitert an Gottes Transzendenz. (1970) De Homine S.185. Ich bin menschlich, weil und sofern ich für andere Menschen da bin.
Diese Bestimmung des Menschseins ist..., jedenfalls sofern sie die primäre
Bestimmung des menschseins sein will, zu bestreiten. Die Menschlichkeit des
menschlichen Ich besteht darin, einen anderen für mich da sein zu lassen. Erst
daraufhin kann ich dann auch für andere da sein ... Ich bin menschlich, indem
ich einen anderen für mich da sein lasse. Man kann das auch Vertrauen und muß
es dann im Blick auf den anderen, der sich uns als Gott selber zugesprochen
hat, Gottvertrauen nennen.(E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 1977, 2.A.,
S.243) S.194. Der Mensch kann nicht durch erschöpfende Definitionen eingeholt,
sondern nur annähernd umschrieben werden : Er ist wesentlich Abbild Gottes.
Seine durch die Sünde verlorengegangene image specialiter wird ihm in Christus,
der Imago Die par excellence, zurückgeschenkt, während ihm seine image
generaliter auch in statu corruptionis erhalten blieb. Die imago generaliter
des Menschen besteht in seiner differentia specifica von anderen Geschöpfen, in
seinem humanum, d.h. in seiner Personstruktur, näherhin in seinem
Wort-Antwort-Verhältnis zu Gott und dem Mitmenschen, in seiner Offenheit für
Gott und den Mitmenschen. Das Humanum des Menschen beschränkt sich nicht nur
auf das cogito, ergo sum, es muß umfassender verstanden werden als coexisto,
ergo sum. Das Lieben (Lev. 19, 17f.) und Loben (Jes. 38, 18f. ; Ps 6,6) ist
seine Wesensbestimmung. Ein anderes – in der gegenwärtigen Situation besonders
wichtiges – Wesensmerkmal des Menschen besteht in seinem dominium terrae. Der
Mensch ist nicht einfach nur ein Spitzentier, sondern etwas Ureigenes und
Unauswechselbares. Sein Humanum stammt nicht aus der Tierwelt, sondern nur sein
Animale, sosehr beides eine untrennbare Einheit darstellt und sein wollendes
und denkendes Ich nicht der wertvollere Teil des Menschen ist, der von seinem
minder wertvollen Teil, dem Körper, durch den Tod befreit wird. Das Humanum im
Menschen ist auch nicht ein neutraler, von Sünde und Schicksal ungerührter
Punkt in ihm, sondern der Mensch steht mit seiner ganzen Psychophysis auf
schwankendem Boden. Das Humanum des Menschen wird in Gegenwart und Zukunft
durch depersonalisierende Strukturen bedroht, so dass er in Gefahr steht, zum
Hirntier herabzusinken oder als Evolutionsschlacke zu enden. Umgekehrt bedroht
der Mensch die Schöpfung. Er ist nicht Despot, sondern Partner der Natur. De Peccato S.214. Die Sünde, die Karenz und Konkupiszenz ist, muß als peccatum
originale und peccatum actuale zugleich verstanden werden. Das peccatum
originale und das peccatum actuale sind nicht zwei Wirklichkeiten, sondern zwei
Seiten einer einzigen Wirklichkeit. Sünde ist ein Sein und ein Tun, Schicksal
und Schuld in einem. Die Erbsünde ist kein tragisches Erbe, von dem sich der
Mensch distanzieren könnte, als wäre sie von seiner Tatsünde abtrennbar. Wird
die Erbsünde – wie es oft in der Tradition geschehen ist – historisiert,
kausalisiert und biologisiert, dann beschuldigt sie nicht den Menschen, sondern
entschuldigt ihn. Der Erbsündebegriff will lediglich die Universalität, die
Transsubjektivität und damit die Unentrinnbarkeit der Sünde zur Sprache
bringen. Der Begriff Erbsünde besagt : Das Böse ist nicht nur etwas Intrapersonales,
sondern etwas Transpersonales, es kommt nicht nur aus dem Menschen, sondern
über den Menschen. Er tut nicht nur die Sünde, sondern er findet sich in ihr,
soweit er in seinem Leben zurückdenken kann, vor. Er ist nicht nur Subjekt,
sondern zugleich auch Objekt der Sünde. Er hat die Sünde in der Hand, zugleich
aber hat die Sünde auch ihn in der Hand. Und weil sie ihn in der Hand hat, hat
er es nicht in der Hand, sich von ihr zu befreien, muß er allein durch die
Gnade von ihr befreit werden. Das Extra me der Gnade setzt das Extra me der
Sünde voraus. Wäre die Sünde nur intra me, wäre sie nur meine Tat, wäre sie nur
Tatsünde, dann wäre die Erlösung auch meine Tat, dann wäre die Erlösung
Selbsterlösung. Die Sünde kann als solche auch vom außerchristlichen Menschen
auf Grund seiner revelatio generalis erkannt werden. Aber indem er sie erkennt,
verkennt er sie zugleich. Erst in der revelatio specialis wird die Sünde in
ihrer vollen Schärfe und Tiefendimension erkannt, erst im Spiegel Christi wird
ihr innerstes Wesen offenbar, dass sie nämlich ein Aufstand gegen Gott, nicht
nur ein Übertreten der Gebote oder die Unterlassung des Guten ist, dass sie
Unglaube und damit etwas Transmoralisches ist und nicht bloß moralisch
verstanden werden kann. Die banale Kehrseite dieser titanischen Hybris ist die
kleinkarierte Trägheit des Menschen. Gegen allen Anschein ahnt auch der moderne
Mensch das radikal Böse, so dass die Heilsbotschaft bei ihm eine Eingreifchance
hat. De Christo S.261. Christologie ist noetische Christologie von unten, ontisch
Christologie von oben, also Christologie von unten und von oben zugleich. Die
Kondeszendenz Gottes in Christus erfordert eine Christologie von unten, das
Sola gratia der Heilstat eine Christologie von oben. Diese Heilstat Gottes in
Christus geschieht Extra nos und Pro nobis. Ein Extra nos ohne Pro nobis führt
zu einem unverbindlichen Dokumentarismus und Historismus, ein Pro nobis ohne
Extra nos zum Pelagianismus. Das Extra nos der Heilstat Gottes in Christus
besteht nicht nur im Daß seines Gekommenseins, sondern in seinem Kreuz und in
seiner Auferstehung, die gleiches Gewicht habe, sich gegenseitig ausweisen und
untrennbar eins sind im Sinne der Formel : victor quia victima. Der
soteriologische Sinn dieses victor quia victima und der Verhüllung der Hoheit
Christi sub specie contraria ist das admirabile commercium. Gott ist im
Gekreuzigten der Versöhndende und der Versöhnte zugleich, Subjekt und Objekt
der Versöhnung in einem. Als der versöhnte Versöhner ist es sein Wille, dass
auch wir Menschen versöhnte Versöhner sind. Das leere Grab Jesu ist für den
Glaubenden eine historische Spur der Leiblichkeit der Auferstehung Jesu und unser
aller Auferstehung, denn Gott will nicht nur unsere Seele, sondern auch unseren
Leib erlösen. Als der gekreuzigte und auferstandene Heilbringer ist Jesus
Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Wäre er nicht Gott selbst,
sondern nur ein Mensch, dann hätte er uns nicht erlösen können, und seine
Heilstat wäre Selbsterlösung des Menschen. Daher ist seine Einheit mit Gott
nicht nur Willens-, Erscheinungs-, Offenbarungs-, und Worteinheit, sondern
Wesenseinheit. Die Hoheitschristologie vernachlässigt die Menschlichkeit und
Mitmenschlichkeit Jesu Christi. Nur eine Niedrigkeits-, und
Kondeszendenzchristologie, die in Christus das Inkognito Gottes und den victor
quia victima sieht, kann ihn dem modernen Menschen begreiflich machen. Einer
Theologie, der an der echten Menschlichkeit Jesu gelegen ist, wird die Frage
nach dem historischen Jesus nicht unwichtig sein. Sie hat für den Glauben keine
konstitutiv, aber doch eine koreektive Bedeutung. Durch den unerhörten
Vollmachtsanspruch des vorösterlichen Jesus ist eine Christologie impliziert,
die sich in der Gemeindetheologie dann mehr und mehr expliziert. Doch seine
Vollmacht verbirgt sich unter der species contraria seiner Ohnmacht am Kreuz,
sie muß gegen den Augenschein geglaubt werden. Der »gehenkte Gott« ist der
Konvergenz- und Divergenzpunkt aller christologischen und theologischen
Fragestellung. De Gratia Das Heil wird dem einzelnen durch den Hl. Geist sola gratia, sola fide,
solo Christo – als Evangelium im Widerspruch zum Gesetz – zugeeignet. Der
einzelne wird als Glied der Kirche und nicht von der Welt, sondern zusammen mit
der Welt erlöst. Die Gewissheit dieses Heils basiert auf der Prädestination und darauf, dass
Gott es alleine wirkt. Paradoxerweise ereignet sich aber das Heil sola gratia
non sine homine. In seiner ununterbietbaren Kondeszendenz schaltet die
Alleinwirksamkeit seiner Gnade die Personalität des Menschen nicht aus, sondern
ein. Die Gnade wird dem Menschen nicht ungefragt aufgezwungen, sondern ihm nur
geschenkt, wenn er sie (kraft ihrer) bejaht. Christus ist victor quia victima
nicht nur in der objektiven Heilstat, sondern auch in der subjektiven
Heilszueignung. Der Glaube allein rettet, aber der rettende Glaube ist nie
allein, nie ohne seine Werke. Das Heil kommt uns sola fide, aber nicht
solitaria fide zu. Der Glaube ist Realgrund, die Liebe Erkenntnisgrund des
Heils. Da der Glaube nie ohne Liebe ist, ist er auf Weltveränderung aus. Die
Werke des Glaubens werden belohnt, wenn auch nicht mit einem Schuldigkeits-,
sondern mit einem Gnadenlohn. Die Rechtfertigungsbotschaft ist nicht die Mitte
der Schrift, wenn sie auch in ihre Mitte trifft, die der Kanon im Kanon, die
Heilstat Gottes in Christus ist. Es gibt auch noch andere soteriologische Begriffe außer der Rechtfertigung
im NT, die wie sie diese Heilstat umschreiben. So sehr die Rechtfertigung nicht
der einzige und wohl auch nicht der wichtigste soteriologische Begriff des NT
ist, vermag er doch wie kaum ein andere die existentielle Zuspitzung des Heils auf
den einzelnen, dem es auf den Kopf zu gesagt wird, zu artikulieren. Die
Rechtfertigung, die ein synthetisches Urteil darstellt, ist forensischimputativ
und effektiv zu verstehen. Sie ist Gerechtsprechung und Gerechtmachung zuglich
und so ein einmaliger Akt und ein allmählicher Prozeß in einem. Das Simul
iustus et peccator will kein apriorischer Grundsatz, sondern nur ein
aposteriorischer Erfahrungssatz sein. Christus ist nicht nur der Heilsgraund,
sondern auch das Heilsgut. Der Hl. Geist ist der Christus praesens. De Mediis Salutis S.313. In seiner Kondeszendenz lässt sich Gott auf media salutis ein und
übermittelt seine Gnade nicht immediate. Nicht nur die Heilstat, auch die
Heilsvermittlung vollzieht sich nach dem christologischen Grundgesetz : victor
quia victima. Die media salutis exhibitiva von Verkündigung, Taufe, Abendmahl
und Absolution erfordern das medium apprehensivum des Glaubens. Das Heilsmittel
sucht, da es in seinem Wesen Wort Gottes ist, die Antwort des Menschen. Die
Heilsmittel von Verkündigung und Sakrament spenden dasselbe Heil, wenn auch in
verschiedener Gestalt. Es ist derselbe Christus, der sich in ihnen
verschiedenförmig mit-und austeilt. Sie haben denselben Effekt. Die
Verkündigung ist nicht ein schwächeres Heilsmittel als das Sakrament oder
umgekehrt. Das Proprium des Sakramentes gegenüber dem Wort besteht in seiner
größeren Sinnenhaftigkeit. Das Abendmahl ist sacrificium laudis, nicht aber
sacrificium propitiatorium, es ist Opfer, aber Dankopfer für das Sühneopfer
Jesu Christi und nicht selbst Sühneopfer. Im Abendmahl erscheint der victor als
victima. Christi Präsenz wie die Repräsenz einschließt. Sowohl die bloße
Spritualpräsenz wie die Transsubstanz macht mit der ununterbietbaren
Kondeszendenz Christi, in der sich seine Person unter der res verbirgt, nicht
Ernst. Die Taufe ist wie die anderen Heilsmittel Tat Gottes und Tat des
Menschen, Gabe und Aufgabe. Als Gabe kann auch der Säugling die Taufe
übernehmen, freilich nicht als Aufgabe, die die Eltern stellvertretend für ihn
übernehmen müssen. Da der Glaube zwar nicht Ursache, aber doch Voraussetzung
der Taufe und also auch der Säuglingstaufe ist, der Säugling aber noch nicht
glauben kann, ist für den Vollzug der Säuglingstaufe der stellvertretende
Elternglaube unerlässlich. In der Einzelbeichte kommt der existentielle Bezug
der Rechtfertigung besonders gut zum Ausdruck. De Ecclesia S.339. Eigentlich Nota und Wesenskostitutive der Kirche ist die
Apostolzität ihrer Heilsmedien, ist Christus, nicht ihre Mitgleider, deren
Rang, Qualität und Quantität. Die Kirche wird durch Christus konstituiert. Sie
ist als Leib Christus mit ihm eins und als Volk Gottes zu ihm unterwegs.
Obschon sie mit ihm verbunden ist, steht er ihr als ihr Haupt und Herr gegenüber.
Da sie primär eine vertikale Funktion hat, ist sie zu definieren als der Ort,
wo Christus den Heillosen das Heil im verbum invisible et visibile mittelt.
Weil sie wesentlich eine vertikale Größe ist, ist sie nur in ihrer äußeren
Gestalt, nicht in ihrem Wesens-Gehalt des verbum invisibile et visibile
demokratisierbar. Mit ihrer primären nota, der Verkündigung Christi als dem
einzigen Heilsgrund, steht und fällt nicht nur die Kirche, sondern auch die
Kircheneinheit. Nur wenn durch eine Kirche dieser einzige Heilsgrund in Frag
gestellt wird, ist eine Kirchengemeinschaft mit ihr unmöglich. Das geistliche
Amt hat nicht einen Selbstzweck, sondern den Fremdzweck, Christus zu
verkündigen im verbum invisibile et visibile. Es ist nicht etwas in sich
Wertvolles, sondern leeres Hindurch der vermittlung, nicht Rang, sondern
Dienst. Als Diener ist der Amtsträger Hirte. Er steht in der Gemeinde und
zugleich ihr gegenüber, von ihr bestellt, aber von Gott eingesetzt, ausgerüstet
mit einem besonderen Amts-Charisma, aber nichts Besonderes, ein Glied am Leibe
Christi unter anderen, wenn auch ein unverwechselbares Glied an ihm. Die
Ordination bevollmächtigt ihn zu diesem Amt durchs Gebet. Der coetus vere
credentium und der coetus vocatorum sind nicht zwei Kirchen, sondern zwei Aspekte
der einen Kirche. Der Unterschied zwischen der ecclesia invisibilis und der
ecclesi visibilis ist irrig, da nicht nur das corpus permixtum, sondern auch
und gerade das corpus vere credentium sichtbar ist und werden muß. Die
ausschließliche Sichtbarkeit der Kirche folgert aus Gottes Kondeszendenz in
Jesus Christus. Die latente und die manifeste Kirche sind nicht zwei Kirchen,
sondern zwei Hälften der ganzen Kirche, die sich verselbständigt haben, aber
eigentlich zusammengehören, damit die Kirche ganz kirche sei. Kirche und Staat,
das Reich zur Rechten und zur Linken sind nicht zu scheiden, aber zu
unterscheiden, nicht zu vermischen. De Novissimis S.374. Obwohl der moderne Mensch den eschatologischen Horizont abgeblendet
hat, kennt er eine profane Eschatologie, die der christlichen Eschatologie
Anknüpfungspunkte bietet und deren Bildmaterial sie übernehmen kann, um sich
neu zu artikulieren. Dabei muß man Bild und Abgebildetes, aspectum und
aspectatum in ihr unterscheiden. Das aspectatum, der unaufgebbare Kern
christlicher Eschatologie und das entscheidende Novissimum in allen novissima
ist die Tatsache : Christus kommt als Richter und Retter. Sein Reich besteht
einzig und allein darin, dass er kommt, Das Erschaton ist im Kern die
Gemeinschaft mit Christus, die der Christus schon jetzt erfährt und die ihm
einst in ungebrochener Weise geschenkt wird. Die Eschatologie ist – so gesehen
– präsentisch und futurisch, axiologisch und teleologisch, existentiell und
zeitlich zuglich zu verstehen. Da Gott in der Immanenz transzendent ist, baut
er sein Reich in der Geschichte und durch die Geschichte. Es liegt in der
Konsequenz seiner Kondeszendenz, dass das Erschaton nichts Übergeschichtliches
ist, sondern restlos und vorbehaltlos in die Geschichte eingeht, so sehr es in
ihr nicht untergeht und aufgeht. Die neue Welt, die Gott aus der alten Welt
schaffen wird, ist von der alten Welt streng zu unterscheiden, wenn auch nicht
zu scheiden. Ist doch seine neue Welt dieselbe Welt, die er einst geschaffen
hat, nicht eine Welt Nr. 2. und eine Überwelt, die auf diese Welt vertikal von
oben hereinplatzt. Das Reich der Freiheit, das sich schon jetzt vorwegereignet,
ist keine religiöse Seelenprovinz, sondern Weltenwende, es verwandelt nicht nur
die Herzen, sondern die Strukturen. Dieses Reich ist alleine Gottes Tat, sosehr
es den Menschen zu sozialem Engagement ermächtigt. Es verbirgt sich sub specie
contraria, bis es einst in Herrlichkeit offenbar wird. Da Gott sich selbst treu
ist und sein zweites Werk an sein erstes Werk anknüpft, ist die Auferstehung
keine creatio ex nihilo, sondern eine creatio ex creatione. Daher schließt die
Auferstehung die Unsterblichkeit der Seele nicht aus, sondern ein. Das Ich des
Menschen wird durch den Tot nicht vernichtet, sondern gerichtet. Der Tod ist 1.
Zerstörung des Leibes, 2. Strafe für die Sünde, 3. sozialer Gleichmacher, 4.
Einbahnstraße, d.h. Verendgültigung der menschlichen Entscheidung, 5. Erlösung,
d.h. Eröffnung der ungebrochenen Gemeinschaft mit Christus.
Rilke Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe? Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?) Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?) Bin dein Gewand und dein Gewerbe, mit mir verlierst du deinen Sinn. Nach mir hast du kein Haus, darin dich Worte, nah und warm, begrüßen. Es fällt von deinen müden Füßen, die Samtandale, die ich bin... |