Religion in Geschichte und Gegenwart

 

 

 

Schöpfung

 

 

 

 

I. Schöpfung und Weltentstehung, religionsgeschichtlich

 

    1. Wesen und Funktion des S.sglaubens

    2. S.smotive in mythologischer und philosophischer Ausgestaltung

    3. Lokale S.sberichte

 

    1. Gegenüber einer rein intellektualistischen Auslegung des S.sglaubens der Naturvölker, der alten Kulturvölker oder der heutigen Weltreligionen als einer einfacheren oder verwickelteren Spekulation über die Anfange der Welt und der Menschen ist hervorzuheben, daß diese Erzählungen grundsätzlich echter Mythos (: II, 3) sind, obgleich sie auch als  Sage oder Märchen auftreten können. »Das S.sbewußtsein oder das religiöse Kausalbewußtsein ist das mit tiefem, metaphysischem Erkenntnisgehalt erfüllte Erlebnis der Abhängigkeit des Menschen in seinem Sein und Sosein von einer transzendenten Tiefe, von unbegreiflichen, geheimen Wirkensmächten, es ist das Erlebnis des Gewirkt- und Getragenseins von einer überweltlichen Macht« (Scharbau 17). S.sglaube bedeutet also eine Wirklichkeitsschau, für die göttliches Gesetz, Gerechtigkeit und Ordnung nicht nur am Anfang entstanden sind, sondern immerfort walten oder neugeschaffen werden. Denn der Makrokosmos und Mikrokosmos ist stets vom Chaos bedroht (Drache) und bedarf der Wiederherstellung, Neu-S. oder Erlösung. Diesem Zweck dienen die religiösen Feste (: I) und deren Kultus und Liturgie. Die Kosmogonien bekommen also in diesen Zusammenhängen durch Rezitation oder dramatisches Vorführen (Drama) eine lebendige Funktion. Während die S.serzählungen früher als primitive Philosophie gewertet wurden, ist heute bisweilen die entgegengesetzte Tendenz vorhanden (Kultgeschichtliche Schule). Die Kosmogonien haben Beziehung zu jedem entscheidenden Moment im Leben der Gemeinschaft und des Individuums, nicht nur zum Kult des Neujahrs, wenn nicht diesem Wort eine sehr umfassende Bedeutung beigelegt wird. Sogar auf dem Gebiet der Magie begegnet diese Verknüpfung der Gegenwart mit der Urzeit: Der finnische Zauberer muß die Ursprungsrunen eines Dinges kennen, um Macht (: I) darüber zu bekommen. Wer die Herkunft eines Geschöpfes weiß, kennt dessen ganze Wirklichkeit und beherrscht es.

    Die berühmten Kosmogonien Polynesiens sind in ihren Maori-Varianten ausdrücklich von rituellen Vorschriften begleitet. Der Schöpfergott Io, der große Gott, der Bleibende, Allvater, Quell aller Weisheit, Ursprung aller Dinge, der Unwandelbare, der Gipfel der Himmel, der allein Befehlende, der mit dem verborgenen Gesicht, der Elternlose, der Lebensspender, in dem alle Götter sind und der ihnen ihren Platz anweist, besteht seit Unendlichkeit in der Urfinsternis, spricht aber, um nicht unwirksam zu bleiben: »Finsternis, werde eine lichtenthaltende Finsternis. Und sofort trat Licht hervor.« Es gibt eine dreifache Anwendung dieser Uraussage in den hl. Handlungen der Maori: a) im Ritual für Einpflanzung eines Kindes in einen unfruchtbaren Schoß; b) im Ritual für Erleuchtung des Körpers wie der Seele (z. B. um Alte, Schwache und Gebrechliche wiederzubeleben); c) im Ritual für so entscheidende Lebensmomente wie Taufe, Krieg, Tod (Handy 10 f.; vgl. Rites de passage, Initiation). Auch bei der Rezitation der Häuptlingsgenealogien, die vielfach mit der S. anfangen, wird die Bezogenheit auf die Urzeit nicht nur durch jene Tatsache selbst hervorgehoben, sondern deren Bedeutung wird auch direkt ausgesagt. So heißt es auf Tongareva: »Die Abstammung geht zurück bis auf den Himmel als Vater, die Abstammung geht zurück auf Atea. Binde sie, damit sie festhält; laß die Knüpfung fest sein..., damit sie hält« (Nevermann 99). Ethnologie und Religionsgeschichte werfen somit ein gewisses Licht auf die biblischen Genealogien. Die Stammtafeln auf Madagaskar, wo übrigens durch Einwanderung aus Malaya ein alter indirekter Zusammenhang mit Polynesien besteht, sind z. B. nach denselben Regeln (u. a. Auslassung bestimmter Ahnen) wie im AT und NT gestaltet (A. Parrot in: Fraternité évangélique, Paris, Févr. 1951, 2). Umgekehrt haben die biblischen Genealogien bei den Naturvölkern immer ein besonderes Interesse erregt. Auf altnordischem Gebiet ist es in dieser Hinsicht nicht viel anders als in Polynesien gewesen. So hat noch der letzte röm. Bischof von Hólar auf Island (, 2), Jón Arason († 1550), eine Stammtafel mit 85 Gliedern verfertigt, die zwar mit Adam begann, aber auch die klassische und die altnordische Götterwelt berücksichtigte.

 

    2. Nicht nur die Funktion der Kosmogonien (vgl. auch Feste: I, 2 und s. u.), sondern auch einzelne S.smotive und ganze S.sberichte mit ihrem »Sitz im Leben« sind von der neueren Forschung vergleichend oder für sich untersucht worden. Die Fülle des Materials ermöglicht eine bessere Würdigung der Eigenart wie der Gleichheit der Mythen (Babylonien: III, 3). Ältere Systematik, z. B. S. gegen Emanation oder des allmächtigen Gottes S. aus Nichts gegen Formung der Welt durch den Demiurgen aus einer Urmaterie, kann nicht immer aufrechterhalten werden. Kosmogonien und Theogonien gehen ineinander über oder sind verschiedene Aspekte desselben Geschehens. Die S. des Menschen (: I, 2) steht meist mit der Weltentstehung in mehr oder weniger unmittelbarem Zusammenhang (Himmel: I, 2b; Manichäismus, 3; Mythos: II, 3b). - Zur Systematik der S.smotive s.  Mythos: II, 3 (vgl. auch Ei). Hier sei noch ein konkretes Beispiel des sog. Ymir-Motivs (Makrokosmos, 2) erwähnt, das zugleich in der Ritualtötung verankert ist (Ackerbau: I, 2, Bauopfer, Erde, Fruchtbarkeit, Menschenopfer, 1, Opfer: I). Die Azteken (Mexiko: I, 3) erzählen u. a. über die S. folgendes: »Bevor die beiden Götter (sc. Quetzalcouatl und Tezcatlipoca) die Erdgöttin vom Himmel herunterbrachten, gab es schon das Wasser, von dem niemand weiß, wer es schuf. Auf diesem Wasser bewegte sich die Göttin, und als die Götter das sahen, sprachen sie zueinander: ›Es ist nötig, daß wir die Erde schaffen.‹ Dann verwandelten sich beide in große Schlangen, deren eine die Göttin an der rechten Hand und dem linken Fuß packte, die andere an der linken Hand und dem rechten Fuß; sie zerrten derart, daß sie mittendurch riß. Aus der Hälfte hinter den Schultern machten sie die Erde; die andere Hälfte brachten sie zum Himmel hinauf. Hierüber ergrimmten die übrigen Götter sehr. Um die Erdgöttin für den Verlust, den die beiden Götter ihr zugefügt hatten, zu entschädigen, stiegen alle Götter vom Himmel herab; sie trösteten sie und befahlen, daß aus ihr alle für die Erhaltung des Menschen notwendigen Lebensmittel hervorgehen sollten. Darum machten sie aus ihren Haaren Bäume, Blumen und Gräser, aus ihrer Haut die ganz zarten Kräuter und Blümchen, aus ihren Augen Brünnlein, Quellen und kleine Höhlen, aus ihrem. Munde Flüsse und große Höhlen, aus den Nasenlöchern Bergtäler, aus den Schultern Berge. Zuweilen schrie die Erdgöttin in der Nacht und verlangte nach Menschenherzen. Dann wollte sie sich nicht eher beruhigen, als bis man sie ihr gab, und wollte nicht wieder Frucht tragen, als bis sie mit Menschenblut getränkt wurde« (Krickeberg 5 f.).

    In der griechischen Naturphilosophie oder in der Gnosis (: I) schwankt die Bedeutung der Urprinzipien zwischen persönlich-unpersönlich (Personifikation). Aber das ist keine neue. Erscheinung, sondern dieses Oszillieren ist sehr alt. Ein moderner Forscher kann also den Inhalt der S.sberichte mehr philosophisch als mythologisch deuten, auch wenn beides in den alten Texten selbst steht. - Schon in der vedischen Literatur (Veden) taucht neben verschiedenen anderen S.smotiven das Substanzproblem auf: »Wer oder was ist Substanz? (Frage nach der transzendenten bewirkenden Ursache.) Wodurch, durch wen wird etwas gewirkt?... Woraus hat jemand... geformt?... Woraus, worin besteht etwas?... Woraus entsteht etwas? (Frage nach der Mater, dem Mutterschoß, dem Urquell.) Worauf steht etwas, worin gründet etwas?... Wodurch besteht etwas?... Worin ist etwas?« Hier kommen also die 4 Elemente und der Äther, die Zeit (Aion), das Leben (Prâna) und der Geist (Manas) in Frage, weiter das Problem der Einheit und der Vielheit mit der Sehnsucht des Einen nach Vielheit und den Göttern als Söhnen und Gehilfen des Schöpfers. Dieser selbst kann als Macher und Künstler oder als Ursetzer und Urordner auftreten, oder er ist Opferer bzw. Kraft- oder Lebensgeber. Die Wirklichkeit tritt als das ausgesprochene Wort Gottes in Erscheinung, aber die Vâc (Logos) wird auch als Urmutter und Gattin aufgefaßt. Oder die Vâc ist selbst Schöpfer oder dessen Sohn. Das Schaffen kommt durch Denken zustande, oder es ist Namen- und Gestaltgebung (Namenglaube: I). Die S. wird auch als Zauber und Mâyâ bezeichnet: durch Wort oder Ekstase wird geschaffen. Der Mensch ist Ziel der S., und Schöpfer und Heilsgott sind eins (Scharbau).

    3. Zu den Kosmogonien der verschiedenen Religionen vgl. die. Einzelartikel (z. B. Ägypten: II, 1; Altaische Religion, 3; Babylonien: II, 2. 14; Buddhismus: III, 2; Japan: II; Hinduismus: I, 2b; Konfuzius). Wie schon aus dem Obigen hervorgeht, können weder Funktion noch einzelne Motive aus dem Gesamtzusammenhang des Mythos losgerissen werden, sondern alles macht eine Einheit aus, die die ganze menschliche Existenz begründet und ihr Sinn und Bedeutung gibt. Das wird auch aus folgendem Dokument deutlich, das als Beispiel einer ausführlicheren S.sdarstellung lokaler Art dienen darf, weil es ein hohes, wirklich datierbares Alter hat: In einem jüngst edierten sumerischen Keilschrifttext von ca. 2000 v. Chr. (vgl. Bernhardt-Kramer) schildert der Verfasser, wie Enki, der Gott der Weisheit und des Kunsthandwerks, die »Befehle« des Schöpfergottes Enlil ausführt. Dieser Luftgott hatte nämlich zuerst Himmel und Erde, die vom Urmeer vereint erzeugt waren, voneinander getrennt und dann das ganze Weltall geplant: Sonne, Mond und Planeten, Wind, Sturm und Orkan (Gewitter), Fluß, Gebirge (Berge) und Flachland. Er hat die Erschaffung des Menschen ausgedacht, »Stadt und Staat, Kanal und Graben, Feld und Bauernhof«, und die lebensnotwendigen Werkzeuge wie Spitzhacke, Ziegelform und Pflug erfunden. Zum Schluß hat er die ganze kosmische Ordnung mit festen Gesetzen geregelt. Enlil hatte aber nur die »Namen« von der künftigen S. ausgesprochen. Erst Enki war es, »welcher von Sumer, Ur und Meluhha ›das Schicksal bestimmte‹; der alle Naturvorgänge und kulturellen Tätigkeiten, die für das Leben und Wohlergehen von Göttern und Menschen notwendig waren, mit Sorgfalt und Verständnis betreute und danach spezielle Gottheiten ernannte, denen die Verantwortung für ein ordnungsgemäßes Funktionieren dieser Dinge als Auftrag übergeben wurde.« Er war also ein wirklicher Kulturbringer, der Tempel und Heilige Stätten einsegnete und die Fruchtbarkeit der Erde beförderte, indem er den Tigris mit lebenspendendem Wasser füllte: als springender Stier (Stierdienst) paarte er sich mit dem Fluß als Wildkuh (Kuh). Seine S. wird bisweilen mit denselben Worten wie die S. Enlils geschildert. So »ruft« auch Enki das bebaute Feld ins Dasein. Schließlich richtet er die Grenzsteine (Grenze) auf, macht den Sonnengott Utu zum Aufseher des Weltalls und beauftragt die Göttin Uttu mit der Webekunst. Die Göttin der Liebe und des Krieges, Inanna, ist aber nicht zufrieden und erhält die Macht, »das Unzerstörbare zu zerstören« und »das Unvergängliche zu vernichten«.

    Im Lichte dieses Materials treten einige Züge des biblischen S.sberichtes hervor, die bei einer »urgeschichtlichen« Auslegung leicht übersehen werden können: die Beeinflussung des ganzen Menschenlebens durch die Urereignisse, die übrigens immer wiederholt werden, wie Ehe, Sündenfall und Tod des ersten Menschenpaares. Diese funktionelle Exegese ist bezeichnenderweise in der christlichen Liturgie aufbewahrt worden. In den Sakramenten und hl. Handlungen der Kirche wird auf die vorbildhafte Ausgestaltung des menschlichen Schicksals in der Urzeit ständig Bezug genommen, wie auf die Heilstatsachen durch Jesus Christus in der Zeit der Erlösung oder Neu-S. Diese lebendig erhaltene Glaubensinterpretation hat bei der neuerdings stärker in den Vordergrund getretenen typologischen Exegese (Hermeneutik, 2 g) an Gewicht gewonnen. Denn hier geht es eben um die Gegenwartsbeziehung der biblischen Berichte, bes. derjenigen über S. und Neu-S. - Vgl. Weltbild: I, Weltende, Weltperioden.

 

 II. Im AT

 

    1. Sprachgebrauch

    2. Gen 1-2

    3. Dtjes

    4. Hiob

    5. Verwandte Stellen und Sitz im Leben

 

    S. bezeichnet im AT ein Handeln Gottes: das Bilden des Universums inmitten der Chaoswasser, das Befestigen der leuchtenden Körper am Himmel und das Erschaffen von Flora und Fauna für die Erde. Im zeitgenössischen kanaanäischen und mesopotamischen Polytheismus war S. ein Kampf zwischen den Naturmächten, der mit der Besiegung des (der) Chaosdrachen endete. Die alleinige Souveränität Gottes in Israel (Monotheismus: II) bedeutete, daß andere Mächte radikal abgewertet und die Natur weitgehend entmythologisiert wurde, so daß die S. nichts als ein außerordentliches, ihm allein vorbehaltenes Handeln Gottes war. In den beiden S.sberichten der Gen (1, 1-2, 4a; 2, 4b-25) wird die S.stat ausführlicher entfaltet; Bezugnahmen sind häufig in Dtjes und Hi, sonst nur gelegentlich (in den Pss).

 

    1. Die Sprache der S.sberichte ist im allgemeinen anthropomorph. Gott erscheint als Baumeister, der in der Wassertiefe die Fundamente legt und auf ihnen das Bauwerk errichtet (bana, kun, jasad, qana; z. B. Ps 24, 2; Jes 45, 18; Am 9, 6; der gebräuchlichste Ausdruck ist einfach »machen«, 'asa); oder er »breitet aus« (nata) den Himmel über dem Erdkreis wie ein Zeit (Jes 40, 22). Man vergleicht Jahwe auch mit dem Töpfer, der den Ton formt (jasar Gen 2, 7; Am 4, 13), und - seltener - mit dem Vater, der Kinder zeugt (Hi 38, 28; Ps 90, 2), Mit dem terminus bara' (z. B. Gen 1, 1) kommt das AT der Abstraktion »schaffen« vielleicht am nächsten. Seine Verwendung ist auf Gott allein beschränkt, und sein Objekt ist immer ein ursprüngliches und machtvolles Werk. Aber auch dieses Wort erscheint häufig im poetischen Parallelismus mit anthropomorphen Ausdrücken und kann ohne sie nicht verstanden werden. Das Universum stellte man sich als ein inmitten des Chaos errichtetes und ständig von ihm bedrohtes Bauwerk vor. Erde und Himmelsgewölbe ruhen auf den kosmischen Gebirgen der Tiefe (Ps 24, 2). Beide zusammen bilden einen freien Bezirk für die Luft und das trockene Land, wo Leben existiert. Die S. im AT befaßt sich also nicht mit dem kosmischen Raum, sondern mit diesem »Bauwerk«.

 

    2. Die S.sberichte der Priesterschrift (P) und des Jahwisten (J) in Gen 1-2 beginnen in einer Art, die strukturell den ersten Zeilen des Enuma elis, des babylonischen S.sepos (Babylonien: II, 14; III, 3), gleicht. Den Anfang bildet ein abhängiger Temporalsatz, der die chaotische Lage beschreibt (Gen 1, 1-2; 2, 4b-5), während der Nachsatz eine kurze Angabe über das erste schöpferische Ereignis bietet. Diese und weitere Beobachtungen haben manche Forscher dazu veranlaßt, in Gen 1-2 eine »entmythologisierte« Version mesopotamischer Vorstellungen zu sehen, dargestellt in den Voraussetzungen der asiatischen Weltsicht des 2. und 1. Jt.s v. Chr.. Innerhalb der formalen Ähnlichkeiten erscheinen jedoch grundsätzliche Unterschiede des Standpunktes: a) Im polytheistischen Bericht entstehen die Götter aus dem Chaos, während für Israel Gott unabhängig existiert und das Chaos beherrscht. - b) In beiden Fällen wurde der Mensch als Diener geschaffen, dessen Leben im Dienste der Gottheit besteht. Aber in Israel wurde die Berufung des Menschen in königlichen Kategorien verstanden; sein Auftrag ist die verantwortliche Herrschaft über alles Erschaffene auf Erden (vgl. Ps 8). Er erhält also durch seinen Auftrag eine besondere Würde. - c) Die babylonische Erzählung schließt mit der Errichtung und Einweihung des großen Tempels, Esaglia, während der Bericht bei P mit der Heiligung des Sabbats abschließt (Gen 2, 1-3), d. h. die Zeit und die königliche Berufung des Menschen in der Zeit stehen im Mittelpunkt, nicht der Raum oder ein Gegenstand im Raum. - d) Der priesterliche Bericht in Gen 1, 1-2, 4a ist viel stärker kosmologisch interessiert und ausgerichtet als der des Jahwisten (Gen 2, 4b-25). Für beide ist jedoch die Erschaffung des Menschen Gottes wichtigste Tat (Mensch: II). Tatsächlich ist der jahwistische Bericht einfach Vorspiel zu dem zentralen Interesse des Verfassers, nämlich dem Problem des Menschen als Sünder und Rebell. Weder für P noch für J hat die S. ihren Zweck in sich selbst. Das Hauptanliegen ist, Gott als den Schöpfer zu bezeugen, weil er der Herr der Zeit und der Geschichte (: I) ist, und den Menschen als Sünder zu sehen (Sünde: II), für den die Verheißungen an Abraham (Gen 12) Gottes Antwort sind. So ist die S. kein kosmologisches oder »mythisches« Ereignis; sie ist Gottes erste machtvolle Tat in der Geschichte.

 

    3. Bei Dtjes (Jesajabuch, 2) ist die Natur als S. absichtlich eng auf Gottes Erlösungswerk in der Geschichte bezogen. Sie ist kein unabhängiges oder isoliertes Thema der prophetischen Botschaft, sondern ein integrierender Bestandteil der Heilsgeschichte (z. B. Jes 40, 27-31; 44, 24b-28). Der Schöpfer ist der, der Israel berief und nun Neues hervorbringen wird (42, 5-9), um Israel und die ganze Menschheit zu erlösen (z. B. 43, 15-21; 45, 12-13). Der Schöpfer ist Israels Ehegemahl, Israels Erlöser und der Gott der ganzen Erde (54, 5). S. ist hier eine der großen Taten Gottes von ehedem, für die er gepriesen wird; sie ist ein wesentlicher Teil der Soteriologie und wird als die Grundlage der Neu-S. Israels bezeugt. - Es sei noch vermerkt, daß die Doxologien in Am (4, 13; 5, 8; 9, 5-6) und in einigen Pss sich in ähnlicher Weise auf die S. beziehen (z. B. Ps 33; 65; 136; 146; 148). Von der S. reden heißt, den Herrn und Erhalter des Lebens erheben, der der Grund der gegenwärtigen Sicherheit und die Hoffnung für die Zukunft ist (z. B. Ps 102, 25-29).

 

    4. Im Hiobbuch wird nun freilich ohne soteriologischen Bezug von der S. gesprochen. Sie wird herangezogen, um das unvergleichliche Vermögen und Geheimnis Gottes anzuzeigen, vor dem sich der Mensch in Demut und Unwissenheit beugen muß (vgl. bes. Hi 38-41; auch 9, 5-12; 10, 8-9; 36, 24-33). Gottes machtvolles Werk von ehedem ist gerade die S. und nur sie, und die Weisheit ist der Weg zu ihr und gleichzeitig mit ihr da (Hi 28; Spr 8, 21-31). Von daher hat man argumentiert, daß Ps 8; 19 A und 104 (Psalmen: I, 4a), die das S.sthema ebenfalls unabhängig von der Heilsgeschichte verwenden, im Zusammenhang mit der »Weisheit« in Israel stehen, die diese Art des Denkens übernommen hat (vgl. Gen 14, 19 die letztlich kanaanäische Wendung »Schöpfer von Himmel und Erde«). Das mag allenfalls für Ps 19 A gelten, denn Ps 104 kann als erster Teil einer Trilogie angesehen werden, die Ps 105 und 106 mit umfaßt, und Ps 8 ist einfach eine poetische Wiedergabe, die Gen 1 bereits voraussetzt.

 

    5. Die Natur als S. gehörte nicht zu den Themen, auf die sich die Geschichtsschreiber und Propheten Israels vor Dtjes zur Begründung des Glaubens oder zur Auslegung der Geschichte bezogen. So entsteht das Problem, welchen Sitz im Leben das S.sthema zwischen der jahwistischen Erzählung (Gen 2, 4b-25) und der viel späteren Literatur der Exilsperiode hatte. Ein Leitfaden für die Lösung läßt sich wohl in den poetischen Anspielungen auf die kanaanäische S.sgeschichte finden, in denen Gott als Beherrscher des Chaos geschildert wird, weil er den Chaosdrachen (Leviathan, Rahab, Schlange) gebändigt oder erschlagen hat (vgl. Ps 74, 12 bis 17; 89, 10-11; Hi 3, 8; 26, 12; 41; Am 9, 3b; Jes 27, 1; 51, 9-10). Ps 74 und 89 lassen sich als Bestandteile der liturgischen Literatur des jerusalemischen Königshofes auslegen; mit diesen Pss können wir den Gebrauch des S.sthemas im Gesang der Hanna (1 Sam 2, 8 e-f) und in den Thronbesteigungs-Pss (z. B. 93; 96; vgl. auch 24, 1-2; 95, 4-5) verbinden. Jedoch ist an diesen Stellen der kanaanäische Mythos (: III, 2a. b) historisiert. Nur in Hi bleibt er deutlich in der Nähe seines kanaanäischen Hintergrundes, ohne Beziehung zur Heilsgeschichte. Vermutlich kam das S.sthema unter dem Einfluß der Kanaanäer im 10. Jh. in Israel in Gebrauch, wo es - außer in der Weisheit - sehr rasch historisiert wurde. Die Berichte von P und J in Gen 1 und 2 scheinen jedenfalls auf sehr viel älterer Tradition zu beruhen.

 

 III. Im NT

 

    1. Im Anschluß an das AT und Judentum steht auch das N T von Anfang an unter dem Bekenntnis zu dem in der S. lebendigen Vater und Herrn des Himmels und der Erde (Lk 10, 21 par). Er allein darf sich »Schöpfer« nennen, und er sorgt für jedes Glied der S. (Lk 12, 22-31). Aus der at. Überlieferung stammt auch der Satz, daß Gott die Welt durch sein Wort (: II) geschaffen hat, und daß er das Nichtseiende ins Sein ruft (Röm 4, 17; Hebr 11, 3). Gottes Wirken beschränkt sich aber niemals auf einen Akt der Vergangenheit, sondern setzt sich in der Gegenwart fort. Die S. wird so zur lebendigen Geschichte, in der sich Not und Rettung dieser S. Gottes offenbart (Röm 8, 18-23; Apk 5). Die apokalyptische Welt- und Geschichtsauffassung des Urchristentums (Geschichte: II A, Weltbild: III) stellt den altbiblischen S.sgedanken bes. kräftig heraus, und Eschatologie (: IV) ist dementsprechend auf Neuschaffung und Vollendung von Himmel und Erde ausgerichtet (Mt 19, 28; Apk 21).

 

    2. Die S. tut sich dem Menschen so kund, daß er auf den Willen des Vaters besser achten lernt; der griechische Begriff der »Natur« taucht erst im hellenistischen Denken auf. So hat Jesus in Gleichnissen und Parabeln auf Vorgänge in der S. hingewiesen, um das Geheimnis der Gottesherrschaft besser verständlich zu machen (Mk 4, 2 par). Zwischen dem täglichen Leben und dem jetzt auftretenden Wort und Zeichen liegt weder Bruch noch Übergang, sondern beides steht unter dem einheitlichen Wirken des Vaters, Gott nimmt die irdische Wirklichkeit noch ernster als der Mensch, lehrt sie daher aufs neue und andersartig zu verstehen. Alles Satanische und Dämonische ist unfähig, zu »schaffen«, es vermag allein zu gefährden und zu vernichten. Im Unterschied von Qumran ist die Verkündigung Jesu zwar von prädestinatianischen Motiven durchsetzt, aber nicht von dorther bestimmt. Daß Gott den Frevler zum Gericht geschaffen habe (1 QH 15, 17), begegnet in der Verkündigung Jesu nicht.

 

    3. Im Nachweis des göttlichen Zornes kann Paulus vom heidnischen Menschen behaupten, daß auch er unentschuldbar sei. Mit Hilfe hellenistischer Motive stellt er in Röm 1, 18-21; 2, 12-16 die Verantwortlichkeit des Heiden heraus: Gottes Gesetz ist in der S. auch dem Heiden erkennbar und weist ihn auf den Schöpfer zurück. In der an Qumran erinnernden Prädestinationslehre des Paulus setzt sich Gott als der Schöpfer jedem menschlichen Einwand gegenüber in seinem Eigenrecht durch. Da aber sein Heilsplan den allgemeinen Ungehorsam nur offenbart, um sich aller zu erbarmen, ist die S. - anders als in Qumran - diesem Ziel untergeordnet (Röm 9-11).

 

    4. In der Missionspredigt vor Heiden hat offenbar der Aufweis der S. und der Wohltaten Gottes eine besondere Rolle gespielt (Apg 14, 15 ff.; 17, 22 ff.). Vorausgesetzt wird auch hier, daß der in der S. wirkende und den Menschen durch Wohltaten verpflichtende Gott allen Menschen eine Möglichkeit zur Umkehr gesetzt hat, da das Gericht unmittelbar bevorsteht. Diese auf hellenistisch-jüdischen Voraussetzungen beruhende Verkündigung hat ihr Schwergewicht im gegenwärtigen Angebot der Umkehr; jener Aufweis steht nicht außerhalb der Umkehrpredigt, sondern macht sie bes. dringlich. In zahlreichen Gebeten und Hymnen wird in der Folgezeit die S. mit ihren Segnungen Anlaß zum Lobpreis der Kirche, sowohl im Juden- wie auch im Heidenchristentum (Did 10, 3; 1Clem 20; 33, 2 ff.; 59, 3, 60, 1). Dabei wird die at. und jüdische Tradition stark lebendig.

 

    5. Wichtig ist die Einbeziehung des urchristlichen Heiles in das S.swirken Gottes. Vom Geber aller guten Gaben, dem Vater der Lichter, stammt auch die Geburt des Menschen durch das Wort (Jak 1, 17 f.; 1Petr 1, 23). Aus alter Überlieferung der Täufertradition stammt der Lehrsatz des JohEv, daß der Mensch aus Wasser und Geist gezeugt werden soll (Joh 3, 5. 8). Verwandt ist die paulinische Kampfthese, daß durch Jesus Christus die Maßstäbe der alten Weltzeit ungültig geworden sind und der Christ Neu-S. Gottes sei (2Kor 5, 17; Gal 6, 15). In weiten Umkreis gehört die Vorstellung der Erleuchtung, die auf den entsprechenden S.sakt Gottes zurückweist (2Kor 4, 6; Eph 5, 13 f.). Offenbar sind dies alte Motive der Täufertheologie und der Apokalyptik, in denen das Heil als eschatologische Neu-S. gefeiert wird (vgl. 1QS 4, 25; 1 QH 11, 13 f.; 13, 11 f.). Vorstellung und Begriffsbildung weisen aufeinander hin.

 

    6. Schon früh hat man im Urchristentum die Begriffe vom S.swort und der göttlichen Weisheit haggadisch auf Jesus übertragen. Wo man dies exegetisch unternahm, wollte man das Verhältnis der Offenbarung zur irdischen S. und zur Ordnung des menschlichen Lebens neu bestimmen, vielleicht auch schwärmerische Auffassungen in der Gemeinde zurückdrängen. Wir haben also einen charismatischen »Weisen« und eine ihm entsprechende Chokma-Tradition im NT zu suchen (Mt 23, 34; Jak 3, 15 ff.). Selbstverständlich standen sie in enger Beziehung zur synagogalen Lehrtradition, vor allem auch hellenistischer Färbung. Für Paulus ist Jesus Christus der erhöhte Herr, den er nach 1 Kor 8, 6 und Kol 1, 15 ff. als S.smittler anerkennt und preist. In beiden Fällen kommt es ihm darauf an, daß Jesus Christus nicht Glied, sondern göttliche Voraussetzung der kosmischen S. ist. Allerdings ist auch diese Chokma-Tradition auf den geschichtlichen Heilsprozeß ausgerichtet, nicht von ihm losgelöst. Ganz ähnlich verarbeitet Hebr 1, 2 ff. eine bekenntnisartige Tradition, die Chokma-Züge hat; offenbar stammt sie aus der hellenistischen Synagoge (Weish 7, 25; Philo). Für das JohEv ist Jesus identisch mit dem Logos Gottes, aber dieser Logos trägt ebenfalls Züge der Chokma-Tradition (Joh 1, 1-18). Diese steht offenbar in der Auseinandersetzung mit der rabbinischen Überzeugung, daß Gott die Welt durch die Tora geschaffen hat.

 

IV. Systematisch

 

A. Theologiegeschichtlich

  

    1. Alte Kirche: a) Ansatz: S.s-Motive - b) Problematik - c) Ertrag

    2. Übergang zum MA: a) Augustin - b) Augustinische Traditionen - c) Aristotelische Strukturen

    3. Reformation: a) Zwingli - b) Luther - c) Calvin

    4. Neuzeit: a) Orthodoxie - b) Schleiermacher und 19. Jh. - c) Gegenwart

 

    1. Der christliche S.sglaube hat zum Kern die Gewißheit, daß derselbe Gott die in Jesus Christus erfüllte Verheißungsgeschichte gewirkt hat, der als »Vater [und] Herr des Himmels und der Erde« (Mt 11, 25) deren Schöpfer ist (Ps 121, 2). Die S. »im Anfang« und die als Neu-S. verstandene Erlösung »am Ende« offenbaren, je verschieden, Gottes freie Allmacht und Güte. In der alten Kirche wird das vielschichtige Zeugnis von der S. mittels jüdischer Weisheit, platonischer Reflexion und stoischer Physikotheologie zu einer Kosmologie vereinheitlicht (Ansätze: 1 Clem 19, 2-20, 12). Das »erste Gebot« lautet: glaube, daß der »eine« Gott »aus dem Nicht-Seienden das All machte« (Herm mand 1, 1)! Wie bei Philo wird die S. als Gottes Wirken und Werk vorgestellt: »Gottes Wille (thelêsis) und Kraft (energeia) ist der schöpferische und vorsorgende Grund (aitia) aller Zeit und aller Natur« (Irenäus [Stieren] I, fragm. 828). In Aufnahme und Abstoßung spätantiker Gedanken (Hellenismus) verarbeiten die sog. Apologeten und altkath. Väter philosophische Vorstellungen, die sie z. T. zugleich theologisch füllen und sprengen.

    a) Dem griechischen Axiom von der Welt-Immanenz des Göttlichen tritt, rational überformt, der biblische Gedanke von der Welt-Transzendenz des Schöpfers entgegen (Transzendenz und Immanenz). »S.« meint die ständig wirksame Welt-Beziehung Gottes, die durch seinen a welt-überlegenen und b welt-zugewandten Willen motiviert ist.

    a Das erste Motiv bezeichnet die seinsmäßige Verschiedenheit zwischen Schöpfer und Geschöpf und schließt alle Versuche aus, sie relativierend einem kosmologischen Monismus einzufügen. Bereits der Begriff »Gott« besagt dessen stete Geschäftigkeit (Theophilus, Ad Autol. I, 4 leitet theos etymologisch von theein »laufen« ab!). Als Dreieiniger handelt er im Akt der S. kraft freier Selbstentschließung (libere et sponte: Irenäus, Adv. haer. IV, 20, 1 u. ö.). Anfangslos (anarchos), ewig, niemandes bedürftig, schafft und erhält er die Welt allein, unter Ausschluß von Mittelursachen, z. B. des Stoffes (hylê: Aristides, Ap. 1; Tatian, Ap. 4 f.; Athenagoras, Leg. pro Christ. 4). »Durchs Wort seiner Majestät hat er das All erstellt, durchs Wort vermag er es umzustürzen« (katastrepsai: 1Clem 27, 4). Die Einführung des Logos als S.smittler soll ursprünglich die Mithilfe geschaffener Geistwesen erübrigen (Tatian 7; Theophilus II, 10; Irenäus I, 21, 1; Diognet 7, 2). - Zusammengefaßt werden diese und ähnliche Äußerungen in dem Bekenntnis, Gott habe alles geschaffen aus nichts (ek tou mê ontos: Herm mand 1, 1; Aristides 4; ouk ontas epoiêsen: Justin, Ap. I, 10; ex ouk ontôn: Theophilus II, 4. 10; qui universa de nihilo produxerit: Tertullian, De praescr. 13). Dabei wird z. T., wie schon bei Philo, in Abgrenzung gegen Platon zwischen freiem Schöpfer (poiêtês) und auf den Stoff angewiesenem Weltbaumeister (dêmiourgos) unterschieden (Ps.-Justin, Coh. ad Graec. 22). Kritisch bemerkt Tertullian, die Schrift spreche zwar nicht offen die S. ex nihilo (= nec ex materia) aus, impliziere sie aber sachlich (Adv. Hermog. 21). Auf die klassische Urstelle 2Makk 7, 28 (ouk ex [sic!] ontôn) wie auf Herm mand 1, 1 weist erst Origenes hin (In Joh. I, 17, 103).

    b Das zweite Motiv bezeichnet die wesensmäßige  Verbundenheit zwischen Schöpfer und Geschöpf und wird gegenüber dem Dualismus und Pessimismus der Gnosis (: III) wirksam, für die S. Untat meist niederer, lebensfeindlicher Weltbildner ist; bes. gegen Marcion, der die Welt als Ergebnis des nur-gerechten, despotisch grausamen Judengottes und der substantiell schlechten Materie ansieht und die Fortpflanzung der Menschheit »Fabrik des Unflats« nennt. - Demgegenüber weiß man: Obwohl die S. nicht Gott ist, ist sie als Gottes S. gut und er selbst nicht Schöpfer des Bösen (Hippolyt [?], Philos. X, 33). Bes. die Erschaffung des Menschen ist in Gott selbst, d. h. in seiner Güte und Weisheit begründet (Ps.-Athenagoras, De res. 12; Origenes, De princ. II, 9, 6). Als Zeichen seiner »Freundlichkeit und Sanftmut« (Diognet 7, 2 ff.) sandte er zwecks S. und Ordnung des Alls nicht einen untergeordneten Boten, sondern »wie ein König den Königssohn«: den Logos. Da dieser »vor aller S.« den Vater verherrlichte (Joh 17, 5), schuf Gott den Menschen allein zum Empfänger seiner Wohltaten (Irenäus IV, 14, 1).

    b) Freilich beförderte das zweite Motiv die Gefahr, den biblischen S.sgedanken philosophisch nicht nur auszulegen, sondern umzugestalten. Hier hatte, außer der Physik der Stoa und der Neupythagoreer, der mittlere Platonismus z. T. erweichend gewirkt, der platonische mit peripatetischen Elementen (Aristotelismus) verschmolz (Ü I, § 70). Die  alexandrinische Theologie machte die geheime Krise des altkirchlichen S.sgedankens sichtbar, weil sie erstmals die S.slehre systematisierte. So sieht Clemens die Welt als Entwicklung eines Erziehungsplanes (paideusis), den einseitig des transzendenten Gottes Güte bestimmt. Umfängt diese den Menschen bereits innerhalb der S.sordnung, so wird des Schöpfers Heiligkeit ebenso außer Acht gelassen (Prädestination durch Pädagogie ersetzt [W. Völker]) wie die Härte des Daseins und die Herrlichkeit der Versöhnung. Nicht geringere Schwierigkeiten bedrücken die S.slehre des Origenes. Um der Vollkommenheit Gottes, d. h. seines ewigen Schöpfertums willen, postuliert er die Ewigkeit der S., m.a. W. die zeitliche Anfangslosigkeit einer Welt von Vernunftwesen, die nur geistig wahrnehmbar ist (noêtos kosmos). Durch vorzeitliche Abfallsbewegung der Geister wird Gott zur S. der körperhaften Welt (aisthêtos kosmos) genötigt: Gott beantwortet den Aufruhr durch Niederwerfung (katabolê; dagegen ThW III, 623!) im S.sakt. Die sichtbare S. ist »Folge und Abbild des Geisterfalls« (H. Jonas). Die Wiederholbarkeit des Falls begründet den Kreislauf vieler S.en, der durch die Wiederbringung aller (Apokatastasis) zum zeit-indifferenten Anfang endgültig zurückführt (gegen Jonas).

    c) Die Anschauung von der »zwiefältigen Welt« (kosmos diplous) lebt nicht nur in der Theologie der  Orthodoxen Kirche weiter (Conf. Orth. I, 18, 76 f.), sondern auch z. T. in den sog. ökumenischen Symbolen (Bekenntnisbildung), die für die abendländische Christenheit verbindlich wurden (»Himmel/Erde«; »Sichtbares/Unsichtbares« [Nicäno-Konstantinopolitanum]). Dogmatisch wurde sie im Osten durch Dionysius Areopagita entfaltet, der den universalen S.svorgang im Gegenüber der »himmlischen« und der »kirchlichen Hierarchie« vergegenwärtigte; im Westen in der Lehre von den Engeln (: III), die das Werk des Weltregenten in der sichtbaren S. vollstrecken (z. B. Thomas von Aquino, S. th. I, q. 50-64; 106-114). Sie spiegelt sich in der selbst von heutigen röm.-kath. Dogmatikern (z. B. Schmaus) z. T. als mißlich empfundenen alten Unterscheidung von »erster« und »zweiter S.«, derzufolge der »Wesensbestand des Weltgefüges« zunächst hervorgebracht, sodann im Sechstagewerk (Gen 1) entwickelt wird (vgl. Weish 11, 17-21). - Trotz Übernahme stoisch-aristotelischer wie platonischer Denkstrukturen hat man sich, im allgemeinen gegen einseitig materialisierende wie spiritualisierende Auslegungen des S.sgedankens ebenso abgegrenzt wie gegen  Determinismus bzw. Pantheismus dort, kosmogonischen Evolutionismus (Entwicklung, Emanation; vgl. Johannes Scotus Eriugena) bzw. kosmischen Nihilismus (Gnosis) hier. Vor allem hat das biblische Zeugnis von Gottes freiem Geschichtshandeln der altkirchlichen Theologie den Gedanken der Kontingenz der S. (als Akt und Struktur) erhalten (Pannenberg).

 

    2. Die Frage nach der Zuordnung der beiden S.smotive entsprach der nach der Beziehung »Unendlich/Endlich«. Differenzierter stellte sie sich als Frage nach dem Verhältnis von a) Gottes ewigem Sein (ousia) und b) seinem Dasein für uns (pareinai) zunächst im Horizont der geschichtlichen Offenbarung (: VI). Innerhalb der Lehre von der Trinität (: III) wurde sie mittels der Unterscheidung a) ewig (aidiôs) bzw. theologisch (theologikôs) und b) ökonomisch (oikonomikôs) beantwortet (Theodoret von Kyrrhos). »Das unendliche Sein Gottes wird nicht gegen ein endliches Sein, sondern gegen ein Geschehen abgegrenzt« (Elert).

    a) Im Horizont der S.sproblematik hebt sie erst  Augustin ins Bewußtsein: als Frage nach dem einen, unwandelbaren Gott, der alles wandelt (Conf. I, 4). Indem er nach Gott und Welt, nach Bestand und Unbestand fragt, formuliert er erstmals das Thema »Sein und Zeit« (W. Kamlah). Die Frage nach der S. wird zur Frage nach der (zunächst: Bewußtseins-)Zeit (Conf. XI, 12-31). Die Zeit ist selbst Gottes Geschöpf und existierte vor der S. noch nicht. Wer, wie  Porphyrius, die Offenbarung (Joh 1, 1 ff.) leugnet, muß auch die S. leugnen (De civ. X, 29). Die Welt hat einen Anfang. Sie ist »ex nihilo«, d. h. nicht in, sondern mit der Zeit geschaffen (De civ. XI, 5 f.). Obwohl Augustin an der rationalen Erfassung der Zeit wiederholt scheitert (z. B. Conf. XI, 14; De civ. XII, 16), hat er dem abendländischen Denken das Wissen eingeprägt: Gottes Handeln als Schöpfer wie das Dasein der S. ist durch Geschichtlichkeit qualifiziert.

    b) Augustinische Traditionen sind wirksam im MA: Anselm von Canterbury sucht mittels der personalen Kategorie »S.sordnung« (ordo rerum) das Gewicht der Sünde und die Notwendigkeit des Versöhnungswerkes Christi zu verstehen. Hugo von St. Viktor gliedert den Gesamtstoff der Lehre geschichtstheologisch in die aufeinander bezogenen Werke der S. (conditio) und der Menschwerdung (restauratio) ein. Bonaventura läßt das »Buch« der S. und das der Schrift sich gegenseitig interpretieren; in »apokalyptischem Antiaristotelismus« (G. Söhngen) deuten seine »Vorträge zum Sechstagewerk« (erste eschatologische Deutung von Gen 2, 2 durch 2Petr 3, 8 in Barn 15, 4 f.) die vom Anfang zum Ende hin befristete S. existentiell als Geschichte: S. wird zum Anruf an die Kirche, den endzeitlichen Frieden im Jetzt des Liebes-Zeitalters, des 7. S.stages, zu verhiesigen.

    c) Nachdem inzwischen das 4. Laterankonzil (1215) die patristische S.slehre, bes. »gegen die Albigenser«, definiert hatte (Denz. 428), erstrebte  Thomas von Aquino den rationalen Ausgleich zwischen den überlieferten S.smotiven in einem platonisch geläuterten Aristotelismus (S. th. I, q. 44-49). S. ist das Hervorgehen (processio: I, 44, 1; emanatio: 45, 1) alles Seienden aus der universalen Erst-Ursache (prima causa), d. h. aus Gott, der erste Wirk-, Form- und Ziel-Ursache ist (I, 44: causa efficiens bzw. agens; c. exemplaris; c. finalis). Eine anfangshafte S. wird zwar nicht geleugnet (gegen LThK IV, 320), ist aber nur »glaubbar, nicht wißbar oder beweisbar« (I, 46, 2 resp.). S. als Handlung bedeutet Überführung von Möglichkeit (potentia) in Wirklichkeit (actus). Alle Dinge sind durch Teilhabe am Sein, bes. am Ursache-Sein Gottes mit ihm verbunden. Als Zweitursachen (causae secundae) sind sie, von ihm bewegt, selb-ständig und selbst-tätig zugleich. So formiert Gott die geschaffene Welt (creatura) zur seinsmäßig gestuften Ordnung von Ursachen und Wirkungen (I, 104, 2). Mittels der doppelten Weltformel »Akt/Potenz und Teilhabe« wird auch die sich nach Gottes Plan (ratio gubernationis) vollziehende Erhaltung und Regierung der Welt beschrieben (I, 103-119). Wie allseitig Thomas den S.sgedanken, bes. hinsichtlich der Einwirkung des Schöpfers auf die Geschöpfe (I, 105), aber auch durchreflektierte, so sehr lähmte die beherrschende Kategorie der Ursächlichkeit die freie Lebendigkeit des Schöpfers. - Im späteren MA hat daher die franziskanische Willensmetaphysik gegenüber dem Kausalitäts-System das Kontingenz-Motiv geltend gemacht. Während  Duns Scotus die Beziehung Schöpfer/Geschöpf auf das persönliche Gegenüber des in überlegenem Entscheid »annehmenden« Gottes zum Menschen (Prädestination) gründete, brachen bei Ockham die beiden S.smotive in den Okkasionalismus der potentia-absoluta- und den Positivismus der potentia-ordinata-Lehre auseinander. Der irrational selbstherrliche Schöpfer (Gerson) fordert innerhalb der von ihm gesetzten S.sordnungen den eigenmächtigen Menschen zur »schöpferischen« Selbstverwirklichung heraus. In der Spannung von »Kontingenz und Konkretion« (W. Link) wird die biblische S.serfahrung folgerichtig zersetzt.

 

    3. Erst durch die Reformation wurde die Kraft und Fülle des biblischen S.szeugnisses wiedergewonnen.

    a) Noch unter augustinischen Voraussetzungen, versuchte Zwingli durch die Motive von Vorsehung und Bund die Spannung zwischen Gottes Gerechtigkeit und Güte im Schöpfergedanken christologisch aufzuheben (z. B. CR 100, 102).

    b) Aber erst Luther sprengt den Zwang abstrakter Kausalitäts-Theorien, indem er die Methode der Schlußfolgerungen als »Theologie der Herrlichkeit« verwirft (WA 1, 353-365) und Gott aus einem Gegenstand der formalen Logik zum personal begegnenden Schöpfer werden läßt. Damit wird die Welt für den Glaubenden zum Feld unmittelbarer Wirklichkeitserfahrung. Luther vermag mittels der Dialektik von Gesetz (: V) und Evangelium die S.smotive in paradoxer Schärfe zu integrieren. Im Rückgang auf Paulus entdeckt er in der »passiven« Gerechtigkeit Gottes (54, 186, 3 ff.) dessen ureigenes Schöpferhandeln. Die Tat, durch die Gott den Gottlosen gerecht spricht, macht alle seine anderen Werke im Glauben interpretierbar. Die rationale These von Gottes  Allwirksamkeit (Thomas) wird zur existentiellen Einsicht von seiner Alleinwirksamkeit aktualisiert. Die soteriologisch verstandene S. »aus nichts« (40/III, 154, 11), die als Lebendigmachung »unter dem Gegenteil«, d. h. der Tötung, geschieht (1 Sam 2, 6: 56, 375, 18 ff.), wird zur »Kategorie« des Handelns Gottes schlechthin (54, 402, 29 ff.). Das Geistgeschehen in Wort und Sakrament ist S.sgeschehen; und umgekehrt: die ganze S. ist Aus-sage und Ent-wurf seines Wortes (42, 17, 25 f.). Der in Christus mit dem Geschöpf identische Schöpfer (39/II, 105, 4 ff.) läßt, selbst rastlos wirkend, keine Kreatur feiern (18, 711, 1). Welt-über-legen und welt-inwärtig zugleich, bleibt er ihrem Gesamtleben, der »Maske« seiner verhüllten Herrlichkeit, allgegenwärtig (40/III, 232, 1 ff.). In ihm verleiht er dem Menschen seinen irdischen Stand (Beruf).

    c) Unter Voraussetzung dieser Einsichten hat  Calvin, nach der Gotteserkenntnis fragend, eine systematische S.slehre gestaltet (Inst. I, 1-15) und von ihr aus die Vorsehung sozusagen als »angewandte« S. erklärt (I, 16-18). In Gottes verborgener Vorsehung gewinnt sein S.shandeln zielbezogene Kontinuität (Heilsratschluß) und bekundet seinen Anspruch, den verlorenen Menschen auf Christus hin zum Gehorsam zu verpflichten (II, 1-8: Gebote).

 

    4. Während die altreformatorischen S.saussagen bes. den angefochtenen Menschen meinen und soteriologisch ausgerichtet sind (Gr. Kat., 1. Art.: Heidelb. Kat., Fr. 26-28), verwandelt die eindringende Aristoteles-Renaissance die S.slehre in theologische Kosmologie.

    a) In ihrem Bann hat die altprot. Orthodoxie die wesentlichen Bezüge der S.slehre scharfsinnig durchdacht, ihre Strukturen begrifflich geprägt und die Bezeichnungen der dogmatischen Fachsprache geregelt. Namentlich wurde der Grundbegriff des »Concursus divinus« (RE IV, 262 ff.), der die Beziehung der Vorsehung (providentia) zur Weltregierung Gottes (gubernatio) und deren Verhältnis zu den Zweit-Ursachen zu bestimmen hatte, durchgeklärt. So beachtlich diese Leistungen sind, so sehr hat die Rückkehr zum vergegenständlichenden Kausalitäts-Schema die S.slehre ihren Funktionen entfremdet und sie der Erschütterung durch die neuzeitliche Naturphilosophie und  Naturwissenschaft ausgesetzt. Zwar suchte die christologisch begründete Physikotheologie den »kopernikanischen Schock« (W. Philipp) zu neutralisieren, indem sie die »Natur« als S., d. h. als Abglanz transzendenter Majestät (Herrlichkeit Gottes) erblickte. Aber der antiker Metaphysik verhaftete rationale Geist, der in der Orthodoxie heimlich, im Rationalismus offen wirksam war (H. E. Weber), konnte die biblischen S.smotive gegen die siegende Aufklärung nicht mehr überzeugend durchsetzen.

    b) Einen neuen Ansatz wagte Schleiermacher (Glaubenslehre §§ 32-49). Sich gegen Deismus  und Pantheismus abgrenzend, sah er S. als »das Werk der göttlichen Alleinbestimmung« im »Naturzusammenhang« gesetzt (§ 46). Aus der Erkenntnis, daß wohl der Satz von der Erhaltung der Welt, nicht aber der von ihrer Erschaffung uns im Selbstbewußtsein unmittelbar gegeben ist, schloß er, daß »S. eine Ergänzung ist zu dem Begriff der Erhaltung« (§ 36, 1), so daß jene »ganz« in dieser »aufgeht« (§ 38, 1). Unter Berufung auf Quenstedts Lehre vom »concursus Dei« erklärt er, daß »Erhaltung« und »Naturursächlichkeit« »beide dasselbige sind, nur aus verschiedenen Gesichtspunkten angesehen« (§ 46, 2). Die positive Absicht, (mit der Überlieferung) keinen Raum- oder Zeitpunkt von der Allherrschaft Gottes auszunehmen (§ 37, 1), wird freilich gefährdet durch die negative Bestimmung, »daß Gott in der Erhaltung ebensogut als in der S. außer allem Mittel und Gelegenheit der Zeit bleiben muß« (§ 46, Zus.). Vor allem aber wird das menschliche Selbstbewußtsein, das »die Endlichkeit des Seins im allgemeinen vertritt« (§ 33), erheblich überfordert, wenn es bereits die gewichtigen Aussagen von der S. zu tragen hat. Immerhin ist die Aufgabe, dogmatische und philosophische Sätze zu entwirren (§ 33, 3), ebenso gesehen wie die, im Problem »Freiheit und Notwendigkeit« das Interesse von Frömmigkeit, Wissenschaft und Sittlichkeit »zusammenstimmen« zu lassen (§ 49, Zus.). - Schleiermachers Sorge hinsichtlich des S.sbegriffs: »Wie lange wird er sich noch halten können gegen die Gewalt einer aus wissenschaftlichen Kombinationen, denen sich niemand entziehen kann, gebildeten Weltanschauung?« (2. Sendschr. an Lücke) wurde durch die in der Theologie des folgenden Jh.s herrschende Unbekümmertheit nachträglich gerechtfertigt. Soweit die systematische Theologie nicht dem allgemeinen Rückzuge des Geistes aus der Metaphysik und der realen Welt (Neukantianismus) folgte, um sich auf soteriologische Probleme zu beschränken (A. Ritschl) oder in ethische (W. Herrmann) bzw. sozialethische Bereiche (Schöpfungsordnung) auszuweichen, wurde der S.sbegriff dogmatisch fast unbearbeitet mitgeschleppt. Die Lutherforschung leistete zwar (bes. in Skandinavien) Bedeutendes zur Wiedergewinnung des reformatorischen S.sdenkens, blieb aber zu einseitig der Historie verhaftet.

    c) Erst K. Heim stellte sich hier dem Relativismus wie Absolutismus des säkularisierten Weltbewußtseins. In intensiver Verarbeitung der neuesten Erkenntnisse der Naturwissenschaften (die Überwindung der »drei Absoluta«: Objekt, Zeit/Raum, Determination) versuchte er, vom Erleben der Jenseitigkeit Gottes her, die S. des Universums wie die des Menschen begreiflich zu machen. - Abseits aller Apologetik breitete K. Barth seine »Lehre von der S.« aus (KD III/1-4). Er bezog »die S. als äußeren Grund des Bundes« und »den Bund als inneren Grund der S.« streng aufeinander (III/1, § 41). Kraft des in Jesus Christus erfüllten Bundes ist Gottes Schaffen sein »Ja« zu allem Geschaffenen: S. ist Wohltat, daß das Geschaffene »als durch ihn verwirklicht sein und als von ihm geschaffen gut sein darf« (§ 42). In existentieller Engführung wird zunächst die theologische Kosmologie durch die christologisch begründete Anthropologie (III/2) verdrängt, um später in ihren Motiven in traditioneller Reihenfolge: »Vorsehung« (III/3, § 48) und »Erhaltung« (§ 49) abgehandelt zu werden. - Wesentlich knapper formuliert P. Tillich, die ontologischen Grundprobleme scharf erhellend, seine Sätze. »Die Lehre von der S. beschreibt kein einmaliges Ereignis. Sie deutet auf die Situation der Geschöpflichkeit [des Menschen; = Endlichkeit] und ihr Korrelat, das göttliche Schaffen« (Syst. Theol. I, 291). S. »geht der Unterscheidung von Essenz und Existenz voraus« (294). »Geschöpf sein heißt beides: wurzeln im schöpferischen Grund des göttlichen Lebens und sich selbst verwirklichen in Freiheit« (295). »Erhaltung ist dauerndes Schaffen, in dem Gott von Ewigkeit her Dinge und Zeit miteinander schafft« (301). »Erhaltende S.« bedeutet »ununterbrochene Dauer der Wirklichkeitsstruktur als der Basis für Sein und Handeln«. Gottes Welt-Immanenz »als ihr dauernder schöpferischer Grund« und seine Welt-Transzendenz »durch Freiheit« fallen zusammen. Die religiös erfahrene Transzendenz »ist der Bezug von [unendlicher] Freiheit zu [endlicher] Freiheit, der in jeder persönlichen Begegnung aktuell ist« (303). Damit gewinnt die Zuordnung der S.smotive eine neue Fassung, die allerdings hinter der feineren Unterscheidung von Seins- und Geschehens-Struktur (s. 2) zurückbleibt.

 

 B. Dogmatisch

 

    1. Begriff

    2. Erkenntnis der S.

    3. Subjekt der S.: a) Transzendenz des Schöpfers - b) Welt-Überlegenheit - c) Welt-Zugewandtheit

    4. Akt der S.: a) S. im Anfang - b) Erhaltung - c) Concursus divinus

    5. Struktur der S.: a) Sprechendes Dasein - b) Widersprechendes Dasein - c) Beanspruchendes Dasein

    Vgl. Anthropologie, Natur und Christentum, Naturwissenschaft, Uroffenbarung, Welt

 

    1. Der Begriff »S.« ist für die christliche Heils- und Welterfahrung wie für deren theologische Erfassung grundlegend. Dogmatisch hat er seinen Sitz in der Lehre von Gott, dem Schöpfer (creator): S. wird nur von Gott ausgesagt (s. 3). Der Begriff regelt umfassend die Aussagen über das Verhältnis des dreieinigen Gottes zu Mensch und Welt. Inhaltlich ist S. zunächst an der Israel widerfahrenden Erwählung wie an der in Jesus Christus geschehenden Versöhnung der Welt ausgerichtet. Formal wird »S.« in doppeltem Sinne gebraucht. Aktiv bedeutet sie Gottes Leben schaffendes Handeln: als creatio bzw. creare meint S. den Akt des göttlichen Erschaffens aller Dinge (s. 4). Passiv bedeutet sie die durch Gottes Schaffen ins Dasein gerufene vielgestaltige Wirklichkeit: als creatura meint S. sowohl das All wie jedes seiner Elemente in Natur und Geschichte in ihrer bleibenden Bezogenheit auf den Schöpfer (s. 5). Für die Lehre von der S. ist die Zuordnung der drei Momente - Subjekt, Akt, Struktur der S. - unauflöslich und ihre Abfolge unumkehrbar.

 

    2. Die Erkenntnis der S. geschieht im Glauben: nicht in beobachtendem Erkennen, das sich in vergegenständlichender Aussage niederschlägt, sondern in hörendem An-erkennen, das Gottes Zuspruch und Anspruch vernimmt. Wie Israel S. (und Chaos) ursprünglich nicht an der Natur, sondern an seiner Geschichte (Erwählung) erfuhr (vgl. Hos 2, 25), so gründet das Wissen der christlichen Gemeinde um Schöpfer und S. in der Gewißheit des »Seins in Christus« als der »neuen S.« (2 Kor 5, 17). Erst die Heilserfahrung ermöglicht die Erkenntnis, daß alles geschöpfliche Dasein von je, d. h. vor der Kundgabe des Heils, Gottes Werk ist. - Die S.s-Aussagen enthalten weder aus der Empirie gewonnenes, verifizierbares Wissen noch zu kosmologischer Theorie verfestigte Weltanschauung (Weltbild). Sie sagen den Glauben aus, der selbst Geschöpf einer Botschaft ist (Kerygma; Sakramente). Als Glaubensaussagen treten sie auf der Ebene theologischer Reflexion in den Kreis wissenschaftlicher Seins-Erhellung. Erst die Unterscheidung von Glaubens- und naturwissenschaftlichen Aussagen zeigt, warum es wohl Naturwissenschaften, aber keine »S.swissenschaft« geben kann (W. v. Rohden). Naturwissenschaftliche und theologische Sätze beinhalten hier zwar denselben Gegenstand: die Welt und ihre Erscheinungen, aber in kategorial je verschiedenem Sinne. Theologische Sätze stehen zu naturwissenschaftlichen, in dimensionalem Überstieg, »senkrecht«. Sie beziehen sich wohl auf empirische Wirklichkeit, das verdeckende Widerspiel der S., leiten sich aber nicht aus ihr her. Ihre Aussagen haben die dreifache Gestalt: a) der  eschatologischen An-sage (Eschatologie): bereits Gen 1 beantwortet weniger die Frage nach Woher bzw. Woraus, sondern nach Wo-hin und Wie-lange- noch der S.; im Anfang der S. wird ihr Ende ausgerufen (L. Köhler, TheolAT, § 28); b) der existentiellen Zu-sage: die S. wird zum trostreichen Zeichen, durch das Gott seine Bundestreue der Menschheit (Gen 9, 12 ff.), der angefochtenen Gemeinde (Jes 40 ff.), dem Blutzeugen (2Makk 7, 22 ff.) verpfändet; c) der doxologischen Zu-sage (Bekenntnis: V), durch die der  Mensch Gottes An- und Zu-sage beantwortet (Ps 29; 65;147). - Obwohl in a) die Welt, in b) der Mensch und in c) Gott die Mitte der Aussage bildet, lassen sich die drei Aussageweisen nicht voneinander lösen: »total engagiert«, kann sich der Glaubende weder vom Schöpfer noch von der S. betrachtend distanzieren.

 

    3. Das Subjekt der S. (creator) ist der dreieinige Gott (Trinität). Als der Lebendige setzt er außer sich Leben. Als der Schöpfer vollzieht er die »S. aus nichts«. Diese dogmatische Formel ist primär Gottesprädikation und Inbegriff seiner »Wesensherrlichkeiten« (Vogel; Eigenschaften Gottes). Sie hat eine dreifache Funktion:

    a) »S. aus nichts« sichert Gottes strenge Transzendenz gegenüber der Welt und die paradoxe Erkenntnis, daß seine Herrschaft (Reich Gottes: III) von jeher besteht, obwohl ihr Gegenstand nicht gleichewig ist (vgl. Augustin, de civ. XII, 16): S. und Schöpfer sind wesensverschieden; wohl ist die S. seit je zeitlich mit dem Schöpfer koexistent, nicht aber der Schöpfer mit ihr. Die Formel verhütet die Verklammerung des Schöpfers mit der S. durch übergreifende Formalschemata: Gott ist weder (ontologisch) Weltgrund, der die Einheit der Welt verbürgte; noch (kosmologisch) Weltursache, die die folgenden Ursachenketten begreiflich machte; noch (metaphysisch) Weltbaumeister, der aus vorgegebenem oder erzeugtem Material das All verfertigte.

    b) »S. aus nichts« sichert des Schöpfers Welt-Überlegenheit gegenüber der S. (S.s-Motiv a): Als Schöpfer ist Gott freier Herr über die Welt, der sich in souveräner Selbstmacht (Autokratie) seine S. unterwirft, sie aus eigener Selbstfülle (Autarkie) ernährt und, selbst keiner Instanz unterstehend, sie in kraftvollem Selbstwillen (Autonomie) seinem Gebote gehorchen läßt. Gen 1 ist doxologisches Interpretament des ersten Gebotes Ex 20, 2 f. in Form berichtender Sage.

    c) »S. aus nichts« sichert des Schöpfers Welt-Zugewandtheit zu seiner S. (S.s-Motiv b): Gottes Schaffen ist Akt grundloser Güte (Gnade): sie wirkt die S. (Ps 136, 1-9), ergeht über alle Geschöpfe (Ps 36, 7), füllt die Erde (Ps 33, 5). Zwar behält das AT die Vater-Bezeichnung Jahwes dem Bundesverhältnis zu Israel vor (Dtn 32, 6ff: in S.s-Termini). Erst das Judentum verbindet »Herr« bzw. »König« und »Vater« zu einem Bekenntnis (Mal 1, 6; 3 Makk 6, 2 f.; Schmone 'Esre [babyl. Rez.] 5 f.). Im NT (ThW V, 981 ff.) drängt die Erkenntnis Gottes, des Vaters Jesu Christi (2 Kor 1, 3 u. ö.), zur Aussage, daß der Schöpfer Herrscher und Vater zugleich ist (1 Kor 8, 6; Eph 4, 6; vgl. Mt 11, 25; später 1 Clem 35, 3: »der Vater der Aionen«). Gott offenbart in den S.swerken nicht nur seine »ewige Kraft und Gottheit« (Röm 1, 20; Uroffenbarung). Heimlich durchwaltet seine Väterlichkeit die Welt bereits als S. Der Sohn ist S.s-Mittler (1 Kor 8, 6; Kol 1, 15 ff.; Joh 1, 1 ff.; Hebr 1, 3): dieser Satz enthält nicht ein kosmologisches Theologumenon, sondern ist vielmehr soteriologisches Kerygma (Paulus, 3b a); er besagt, daß das in Jesus Christus erschienene Leben Maß und Art des Schöpfer-Handelns des Vaters bestimmt (Christologie). Daß Gott den schmachvoll Getöteten zur Herrlichkeit erhöhte (Gott der »Totenerwecker Jesu«: Gal 1, 1; 2 Kor 4, 4; Röm 4, 21; 8, 11), hebt die Frage der Theodizee in jeder Form auf: unter dem Bösen verbirgt der Schöpfer seine Güte. Bereits die S. der Welt bedeutet Gottes teilnehmende Selbstherablassung: »Kondeszendenz« (synkatabasis: Origenes), »Herunterlassung« (Zinzendorf), »Demütigung« (Hamann), »Knechtsdienst« (Bezzel). - Die Trinitätslehre wehrt spekulative Wucherungen ab: der Glauben und Leben schaffende Geist (2 Kor 3, 6; Joh 6, 33) hält als das »sich bezeugende Mit-sein Gottes« in seiner S. (Schumann) den Hörer unausweichlich in Rufnähe des Schöpfers. Ohne die Versöhnung auf S. (Lütgert) oder die S. auf Erwählung zu reduzieren (Barth), bleibt ihr Wechselbezug gewahrt. Der von Gottes Verheißung Betroffene glaubt »dem, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende (ta mê onta) ins Dasein ruft« (Röm 4, 17 f.)

 

    4. Gott vollzieht den S.s-Akt (creatio) in der Weise überlegenen Gebietens. Dadurch gibt er der Welt Dasein und stiftet ein bleibendes personales Verhältnis zu ihr. »Schaffen heißt gebieten« (WA 12, 382, 16). Existentiell: »Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat...« (Kl. Kat. III, 1).

    a) S. bedeutet freie Setzung des Anfangs. Die Wendung »S. aus nichts« macht keineswegs das »nichts« zum negativen Etwas (Quenstedt: [non] nihil privativum = schöpferisches Urseiendes), sondern schließt eine Gott vorgegebene negative »Urmöglichkeit« gerade als »Unmöglichkeit« (Bonhoeffer 12 f.) aus (nihil pure negativum; »ex nihilo« als terminus a quo = »post nihilum«). Dem spekulativen Idealisten galt »die Annahme einer S. als der absolute Grundirrtum aller falschen Metaphysik und Religionslehre«, ihr Ableugnen als »das erste Kriterium der Wahrheit«; »denn eine S. läßt sich gar nicht ordentlich denken« (Fichte, Werke [ed. Medicus] V, 191). Mit Recht, denn pointiert: »Der Artikel von der Erschaffung der Dinge aus nichts ist schwerer zu glauben als der von der Fleischwerdung« (WA 39/II, 340, 21 f.). - In Gen 1 stehen, in jüngerer und älterer Fassung, Wort-S. und Tat-S. in Spannung zueinander (v. Rad, ATD 2, 41): Gott »schafft« (stofflos) durch sein befehlendes Wort und »macht« (stoffbezogen) Dinge durch seine bildende Hand. Jenes drückt die Welt- Überlegenheit (a), dieses die Welt-Unmittelbarkeit (b) des Schöpfers aus; jenes die relative Freiheit der S. gegenüber Gott, dieses ihre Gebundenheit an ihn. Jedoch zielen die at. S.s-Aussagen auf die »Wortung« der Welt, die ihre »Bildung« bleibend in sich aufhebt: der S.s-Akt ist Sprachgeschehen (Sprache: IV), durch das Gott der Welt ihr Sein und den Dingen ihre Bestimmung zu-sagt (P. Brunner). Indem der Schöpfer redet, ereignet sich S. (Ps 33, 9); indem er schweigt, vergeht sie (vgl. Ps 104 29). Leibniz wandelt die Erkenntnis mathematisch ab: »Cum Deus calculat, fit mundus.« - Die Lehre von der S. (von Zeit und Welt) am Anfang scheidet notwendigerweise Mystik und Pantheismus aus.

    b) So wahr Gott der Welt den Anfang gesetzt, so wenig ist sein Schaffen auf Vergangenes beschränkt. Er erhält ihren Bestand, indem er sie ständig neu schafft (WA 1, 563, 8: creare est semper novum facere). Hier ist der überkommene (ursprünglich in der  Vorsehungs-Lehre beheimatete) Begriff der Erhaltung (conservatio) als »fortdauernder S.« (creatio continua[ta]) neu zu durchdenken. Die mystisch-pantheistische Überlieferung (Neuplatonismus), in alter Zeit durch Origenes, in neuerer (angeblich) durch Schleiermacher vertreten, hat den Begriff weitgehend diskreditiert. Als Gründe gegen ihn nannte man: er drohe »die Realität des Naturzusammenhanges und den ganzen Entwicklungsprozeß (!) des Naturlebens in einen bloßen Schein zu verwandeln« (G. Thomasius I3, 146); er mache »das Entstehen und Bestehen der Welt zweifelhaft« (Schlatter 37); er beraube »durch den Begriff einer diskontinuierlichen Kontinuität das Schöpfertum Gottes seiner schlechthinnigen Freiheit und Einmaligkeit« (Bonhoeffer 19); er sei »ein Rest, ein Nachklang der Lehre von der ewigen S. in dem Sinne der Ewigkeit der Welt« (Lütgert 150); er verdunkele »die Identität des Geschöpfes in seiner Kontinuität« (Barth, KD III/3, 79); er befördere »die Hineinnötigung Gottes in unsere Jederzeitigkeit« und bewirke ontologisch »die Einebnung des Schöpferglaubens« (O. Weber 556 f.); er bilde einen den Begriff »S.« aufhebenden Selbstwiderspruch  (Ratschow 74). In der Tat »führt von dem ›im Anfang‹ schaffenden Gott kein Weg in die creatio continua« (ebd), wohl aber umgekehrt. Das beweist der Erkenntnisweg Israels, das aus lebendiger Gegenwartserfahrung täglicher S. »je und je« zum Lobpreis des Schöpfers »im Anfang« gelangt.

    Hier ist Schleiermachers richtige Absicht, die S. im Horizont gegenwärtiger Erhaltung zu verstehen, theologisch gültiger zu begründen. Während »S.« supralapsarisch die zeitüberlegene Tat des Schöpfers um-schreibt, will »Erhaltung« infralapsarisch (Sünde: V) sein geschichtliches Handeln beschreiben. Die Vorstellung urständlich »reiner« S. ist uns versagt. Wir erfahren Gottes S. stets »gebrochen« durch Zeit und Fall. Bevor der Christ »gerecht und Sünder zugleich« (Luther) wird, ist der Mensch »Geschöpf und verderbt zugleich« (Schlink). Im Lebensstande ficht ihn der Tod an. Zwei Momente, die schon im konkreten, auf das Hiesige bezogenen S.sbegriff bereitliegen, werden durch die Erhaltungsaussage entfaltet: die Momente a des Widerstreites (Dualismus) und b des Zieles (Telos): a Der Schöpfer hält in unbegreiflicher Treue seine S., allen drohenden Widerständen zum Trotz, durch (Aristides, Ap. 1: diakratein = conservare). Sünde, Tod, Nichtigkeits- Mächte machen dem Schöpfer die S. streitig (Ps 89, 10 ff.; 18, 5 ff.). Nur durch Gottes heute erfolgendes Eingreifen bewahrt, vermögen seine Geschöpfe die Bedrohung zu durchstehen (Hollaz: persistere). »Gott erhält im Streit die Welt« (L. Köhler, § 29 f.). »S. ist Gottes Kampf für das Leben« (Prenter 220). - b Der Schöpfer hält in grundloser Geduld (Gen 8, 21 f.) die in sich gefährdete S. aus (Hollaz: sustentare) bis auf Christus hin, d. h. bis zur gegenwärtigen Rechtfertigung (Röm 3, 25 f.) und zum künftigen Gericht (2 Petr 3, 9). Die eschatologische Befristung um Christi willen zeigt, daß Gott »die phthora, den Verderb des schöpfungsmäßigen Seins in ihm selber, aufhält und es nicht ins reine Nichtsein verfallen läßt« (Schumann 241). Präzisiert man die »Jederzeitigkeit« der S. (O. Weber) zur »Jetztzeitlichkeit« des Schöpfers (Prenter), so gewinnt der S.sbegriff Klarheit und Kraft: Gottes S. wird von der »Erhaltung« her, unter Einbezug des Zeitfaktors, geschichtlich aktualisiert. Der Zwang des Kausalitätsprinzips, der noch den Einspruch gegen die »stetige S.« bestimmte, wird gebrochen und der Deismus durch Tilgung des letzten Restes der Demiurgen-Vorstellung überwunden.

    c) Besonderer Klärung bedarf der altprot. Begriff des Concursus divinus (RGG2 I, 1716 f.). Quenstedt versteht unter ihm den »Akt der göttlichen Vorsehung, durch den sich Gott mittels der allgemeinen Einwirkung (influxus generalis) durch sich selbst den Handlungen und Wirkungen der Zweitursachen als solchen, unmittelbar und zugleich mit ihnen und nach eines jeden Bedürfen und Erfordern, einschmeichelt (suaviter influit)«. Der Begriff hat die Funktion, jeden Vorgang in der Welt, bes. jede Wirkung menschlichen Willens als göttliche Wirkung zu verstehen (u. a.: Mt 10, 30; Apg 17, 28). Im Rahmen aristotelischer Terminologie läßt er, ohne die Freiheit des Schöpfers und des Geschöpfs anzutasten, beider Tätigkeit in »einer, unteilbaren Handlung« zusammenfallen. Wegen Anwendung zweier Totalaspekte, bei Abweisung von Teilaspekten, erschien der Begriff Schleiermacher geeignet, dasselbe Geschehen als göttliches und kreatürliches Tun zu interpretieren. Zugleich bot ihm die Unterscheidung von S. und Natur die Freiheit, den Wahrheitsgehalt verschiedener Aussage-Systeme gelten zu lassen (s. 2). Künftig müßte kritische Verarbeitung die scholastischen Kategorien des Seienden (causae, influxus usw.) in Existentialien des Daseins überführen. Ist S. Sprachgeschehen, so ist der »concursus« nicht mehr mittels naturhafter, sondern nur noch personaler Strukturen zu analysieren. Dabei wäre die menschliche »cooperatio« als Grenzbegriff zu charakterisieren: das Geschöpf ist nicht Mit-Schöpfer (concreator), sondern nur Mit- Wirker (cooperator: Luther).

 

    5. Die Struktur der S. als Gesamtheit des Geschaffenen (creatura) ist durch Gottes Schöpferwirken vorgezeichnet. S. ist nicht nur Ereignis, sondern immer zugleich Beziehungs-Gefüge, Die S. gründet in Kontingenz; sie besteht in Konstanz. Die Struktur der S. liegt in ihrer Sprachlichkeit (Logos, Sprache: IV), die ihr vom Schöpfer zukommt: S. begegnet als sprechendes, widersprechendes, beanspruchendes Dasein.

    a) Sprechendes Dasein. Wenn Schaffen: gebieten heißt, so heißt Geschaffen-werden: gehorchen; Geschaffen-sein: im Gehorchen beharren. Beides meint Empfang und Vollzug des Lebens, in dem der Schöpfer gegenwärtig ist, ohne in ihm aufzugehen. S. bedeutet durch Schöpfer-Wort (Wort Gottes) geordnete Welt: »Kosmos«; durch Schöpfer-Ruf geregelte Bewegung: »Natur«. In der Natur wahrnehmbare Ordnungszüge (Naturgesetze), die dem Beobachter eine universale Gesetzmäßigkeit zu bekunden scheinen (Determinismus), weisen den Glaubenden nicht auf eine stabile Ordnung (ordo) hin, sondern auf Gottes aktuelle Anordnungen (ordinationes). Durch des Schöpfers Sprechen ('amar) und Reden (dabar) erhalten die Geschöpfe Sein, durch sein Nennen (qara') Aufgaben (Gen 1, 3 ff.). Sonne, Mond, Sterne sind zum Leuchten »bestellt« (Jer 31, 35f: [Volz]huqeq; MT: huqot). Er schloß mit Tag und Nacht Verträge (berît), setzte die »Satzungen« (huqôt) von Himmel und Erde (Jer 33, 25; vgl. Hi 38, 31-35) und grenzte scheltend die Flut ein (Ps 104, 6 f.; 106, 9; Hi 38, 10 f.). - Gottes Lebendigkeit meint seine Gesprächigkeit. Darum ist Sprachlichkeit das Leben der S. (Uroffenbarung). Die S. wird durch die Rede des Schöpfers hervor-gerufen: die S. bejaht die Hervor-rufung durch die stumme Antwort ihres Zur-Stelle-Seins (Jes 40, 26; Apk 6, 1 u. ö.: »komm!«). Die S. existiert, indem sie den Schöpfer preist (Jes 38, 19). Seine Majestät verkündigend (Ps 19 A) und der bedürftigen Mitkreatur helfend (WA 5, 38, 11 ff. [zu Ps 1, 2!]: omnis creatura servat legem caritatis), erhält sie sich selbst im Sein. Die ev. Theologie des 20. Jh.s hat im Rückschlag gegen naturfromme Mystik (: VIII) die S. als ästhetisches Phänomen abgewertet. Damit drohte sie z. T. auch im Gebet der Gemeinde (vgl. Asmussen, Gottesdienstlehre III) und in ihrem Lied (EKG) zu verklingen. Geht die S. auch nicht im Begriff des Schönen auf, so ist sie doch protologisch (Gen 1, 31: »ganz vollkommen«) und eschatologisch (Phil 2, 10 f.; Apk 5, 13) auf Schönheit hin »versiegelt« (Vogel).

    b) Widersprechendes Dasein. Sprachlichkeit verleiht der S. Freiheit, dem Schöpfer zu gehorchen oder sich ihm zu versagen (Anthropologie: IV). Zur Struktur der S. gehört die Möglichkeit des grundsätzlichen Neins gegen den Schöpfer. Der Ursprung des unergründbaren Widerspruches liegt weder in Gott noch in gegengöttlichen Mächten, sondern im Dasein selbst. Der Schöpfer ermächtigte die S., sie- selbst zu sein. Nun bricht aus ihrer eigenen Tiefe Selbstbedrohung hervor (Dämonen). Im Drange, allein aus sich zu leben, gerät die S. in Selbst-Widerspruch und Selbstzerstörung: der Spende des Schöpfers sich weigernd, vermag sie nur noch aus ihrem eigenen Tode zu »leben«. Der Mensch wird »ein Nachbar des Nichts« (Schlink 289). Innerhalb der Struktur »S.« entsteht die »Struktur der Destruktion« (Tillich II, 69). Aber selbst so vermag die S. dem Schöpfer nicht zu entrinnen. Die Geschichte (: III C) wird zum Rechtsstreit Gottes mit ihr. Der Zorn Gottes wird »vom Himmel her offenbart«. Der Schöpfer liefert seine S. (Calvin, Inst. I, 18, 1: nicht »zulassend«) ihrem Selbstwillen, ihrem Übermut, ihrer Angst aus (Röm 1, 18 ff.). Er verkehrt sein lebenwirkendes Gebot ins tötende Gesetz. In den Mächten »Sünde/Tod/Teufel« (16. Jh.), den Problemen »moralisches/physisches/metaphysisches Übel« (18. Jh.), den Phänomenen »Schuld/Schicksal/Sinnlosigkeit« (20. Jh.) verbirgt der Schöpfer als »unter dem Gegenteil«: »Gerechtigkeit/Leben/Sich-selbst«. Der Glaubende gewinnt die »Chance«, durch anfechtenden Widerspruch (Anfechtung) hindurch Schöpfer und S. neu zu vernehmen (WA 18, 633, 7 ff.). Anfechtungsloser S.sglaube wäre nicht mehr Glaube (AC IV, 350 ff.).

    c) Beanspruchendes Dasein. Im Glauben wird der Mensch des vom Schöpfer erteilten Auftrages inne: die Erde zu beherrschen (Gen 1, 28; Ps 8, 7) und den Geschöpfen ihre Bestimmung zuzusprechen (Gen 2, 19 f.). Als Mandatsgebiet Gottes ist die S. eschatologisch befristet, d. h. für den Menschen unabgeschlossen und voll »unbegrenzter Verpflichtungen« (AC IV, 226). Dagegen droht der unbiblische Begriff »Schöpfungsordnung« die S. als Institution (Prenter 192) bzw. »Ergebnis des S.s-Aktes« mißzuverstehen und infolge der »Resultat-Kategorie« »den Nerv des S.sglaubens« zu verlieren: »die Gewißheit, daß Gott  jetzt am Werke ist und das Leben selbst [als Aspekt] zu Gottes gegenwärtiger Aktivität gehört« (Wingren 52). - Die S. ist be-anspruchendes Dasein, Ausdruck und Medium göttlichen Gebietens. Von je begegnet dem Menschen im Mitmenschen des Schöpfers Anruf. Verfehlt der Mensch diesen Ruf, so vergreift er sich nicht nur an Gott und seiner S., sondern an sich selbst. Erst in der Umkehr (Buße) wird er mit der S. sich selbst wiedergeschenkt. Glaubend erfährt er Gottes bestimmt akzentuiertes Reden in der S. als  Wunder (berî'a [Num 16, 20; Ex 34, 10; Jer 31, 22; Jes 48, 7], eigentl: »S.«, schöpferisch Hervorgebrachtes) und erbittet ein solches im Gebet. Wunder und Gebet korrespondieren miteinander als Modi der Sprachlichkeit der S.: im Wunder ereignet sich je die Redefreiheit des Schöpfers, im Gebet die des Geschöpfes. - Seine Berufung in Christus (1 Kor 1, 26) wird dem Menschen zum Beruf (7, 20): den Glauben in der Liebe zu bewähren und den Mitmenschen (den Feind) als »Nächsten« zu behandeln (Lk 10, 25 ff.). - Das »Gebot des Schöpfers« ist »die Heiligung schon des geschöpflichen Tun und Lassens des Menschen« (Barth, KD III/4, 1 [umfassendste und konkreteste ev. Ethik]). Dem Fluch der Weltflucht (Askese) wie des willkürlichen Mißbrauches der S. entronnen, übernimmt er im Vertrauen auf den Schöpfer universale »Verantwortung für seine Welt« (Gogarten). Wie Gott die S. in der Erhaltung kämpfend behauptet, so hat der Christ das im Glauben empfangene Heil im weltlichen Werk durchzuhalten (creatio: conservatio = fides: opus). Im Felde des hiesigen Lebens (bios) sucht er die empfangene (und verheißene!) ewige Lebendigkeit (zôê) zu bewahren (vgl. Bonhoeffers vier »Mandate« [Amt: III]: Kirche; Ehe/Familie; Arbeit/Kultur; Obrigkeit/Volk, Staat). In der »Achtung vor dem Leben« in all seinen Schichten (vgl. A. Schweitzer) setzt er den »Mut zum Sein« ins Werk, der die Überwindung der Angst bedeutet (Tillich). Der Gefahr, sich an der Aufgabe universaler Verantwortung zu verheben, wehrt die tätige Freiheit und Freude. In der Kirche (: IV) lebend, die selbst »Kreatur des Evangeliums« ist (WA 2, 430), bezeugt er der Welt die Hoffnung, daß letztlich Gott selbst die S. verantwortet.

 

   

V. In der kirchlichen Unterweisung

 

    Ziel der kirchlichen Unterweisung zur S. ist, die Dankbarkeit für sämtliche Lebenseindrücke auf Gott zu lenken und zu einem ihm verantwortlichen Tun anzuhalten. Dankbarkeit bezeichnet dabei zugleich das Vermögen, sich in der Not zu bescheiden, und das Vertrauen, entsprechend der 3. Bitte des Vater Unser mit der vierten um das tägliche Brot zu beten. In solcher Dankbarkeit und Bitte leben wir in der Freiheit, zu welcher das 1. Gebot ruft (1. Gebot, Vater Unser und 1. Glaubensartikel in Luthers Katechismen!). Der Inhalt des S.sglaubens - 1. die Welt ist Gottes S., 2. der Wille Gottes ist gut - wirft Fragen und Zweifel auf. Der Glaube besteht darin, mit ihnen zu ringen und fertig geworden zu sein. Die Zweifel theoretischer Art verbinden sich mit Argumenten der Naturwissenschaft. Es ist zweckmäßig, an diese Fragen die Einsicht in die historische Bedingtheit der biblischen Texte anzuknüpfen. Andere Zweifel werfen das Theodizee-Problem auf. Die Frage, ob sich der Glaube an Gottes Güte aufrechterhalten läßt, ist ein wesentliches Thema der Bibel (Hi; Ps 73, 23 ff.; Gethsemane und der Rechtfertigungsglaube!). Die Überwindung des Theodizee-Problems führt in die Freiheit des S.sglaubens (Jes 40, 27 ff., EKG 250, 1; 292, 3). In diese Freiheit ruft Jesus (Mt 6, 25 ff.). S.sglaube ist christlicher Glaube (Phil 4, 4-6, 11-13). Von Gal 4, 1-5 her (vgl. F. Gogarten, Was ist Christentum?, 1956, 62 ff.) enthüllt sich die ganze Tiefe des S.sglaubens, dort kommt seine Intention zum Ziel.

    Hat die kirchliche Unterweisung auch zunächst das »Verständnis der Verkündigung« durch »Belehrung«, d. h. »Bekanntmachung mit den wichtigsten Elementen der Überlieferung« vorzubereiten (Barth), so darf darüber doch nicht außer acht gelassen werden, daß ihr abgesehen davon einerseits noch eine treuhänderische literarische und historische Aufgabe zufällt, und daß sie andrerseits bisweilen selbst den Charakter einer Verkündigung annehmen wird und muß. Dabei ist es notwendig, die Krisen der Glaubensentwicklung im Laufe eines Lebens im Auge zu haben. Deshalb müssen sich die theologischen und historischen Einsichten mit den psychologischen verbinden, und deshalb verbietet sich a) das Harmonisieren mit naturwissenschaftlichen Aussagen, b) Lehrbüchern einen heilsgeschichtlichen Aufriß zugrunde zu legen, der mit Gen 1 und 2 beginnt, c) der Weg von der Natur zu einem isolierten Schöpferglauben. Die Natur »spricht« als S. vom Wort her (Gen 15, 4 ff.). Dabei ist freilich elementares Betroffensein angesichts der Natur aufgenommen. Ferner verbietet sich ein Darbieten von Gen 1 f. im Grundschulalter in »starken, lebensvollen Bildern«, die »Erkenntnisse« vermitteln sollen, »über die auch der Erwachsene nicht hinauskommt« (Frör 17). So kann zwar das Gleichnis vom verlorenen Sohn sinnvoll eingepflanzt werden. Gen 1 f., so eingepflanzt, werden aber den »Zehnjährigen... fragwürdig,... Vierzehnjährigen... unglaubwürdig..., Erwachsene...« kommen »darüber zur Resignation« (Kalusche 167), wenn sie nicht zu einer höheren Bildungsstufe gelangen; denn es hat sich unvermeidlich eine Weltentstehungslehre festgesetzt, auch wenn der Darbietende das nicht wollte (Kalusche 171). Die notwendige Anpassung an die gegenständliche Denk- und Redeweise bestimmter Lebensalter verbietet es, gerade die Siebenjährigen mit den zu Bildern gemachten Berichten zu beeindrucken. Gen 1 wird auch völlig verfehlt, wenn man das Kapitel als Geschichte erzählt, denn das literarisch komplizierte Gebilde ist keine erzählbare Einheit. Die »Lehre« geht auf diese Weise verloren. (Gen 2 freilich ist erzählbar.) Aber nur zwei der Volksschulehrpläne sehen eine Behandlung von Gen 1 und 2 erst (!) im 2. Schuljahr vor, der badische Plan nach dem 1. Schuljahr überhaupt nicht mehr!

    Die unterrichtliche Behandlung von Gen 1 f. muß als geschichtliche Interpretation auf den entsprechenden Altersstufen erfolgen. Die Berichte müssen in ihrer religionsgeschichtlichen Eigenart und in ihrer Funktion als kerygmatische Texte gezeigt werden. Die religionsgeschichtliche Besonderheit von Gen 1 (Kosmologie in Gestalt einer Kosmogonie, die keine Theogonie ist und in der Gott als Fabrikator verdrängt ist), ferner Einzelzüge (z. B. Gen 1, 21 im Unterschied zu den Mischgestalten der religionsgeschichtlichen Umwelt; Gen 2, 20a als Machtergreifung durch richtiges Benennen) sowie die Aussagen in Gen 1 über das Leben aus dem Wort, die Stellung des Menschen zwischen Gott und Welt, seine Freiheit zur Verantwortung für die anvertraute Welt, die Weltlichkeit der Welt im Gegenüber zum unweltlichen Gott als Herrn, die Freiheit der Forschung u. a. können z. T. im 7. und 8. Schuljahr schon erarbeitet werden (an Unterrichtsmitteln empfehlen sich u. a. religionsgeschichtlich vergleichende Lichtbilder). Daran kann in höheren Klassen angeknüpft werden, in denen eine Zusammenschau der einzelnen biblischen Aussagen, wissenschaftliche Auseinandersetzungen und die Erörterung der geistesgeschichtlichen Wirkungen hinzutreten müssen. »Die einzige sachgemäße Weise der Vergegenwärtigung« kerygmatischer Texte freilich »ist ihre Verkündigung« (Stallmann 248). - Die kirchliche Unterweisung zur S. sollte also nicht mit Gen 1 f. beginnen. In Frage kommende Texte (s. o., auch Ps 8.19.33.104.139. 147 u. a.) können vorher vom Bekenntnis des Katechismus her angeeignet werden (Stallmann 248, Lit.!). Am S.s-glauben kann gezeigt werden, daß der Glaube auf einer anderen Ebene als der der beweisbaren Einsicht steht. Trotzdem besitzen viele Argumente etwas wie eine persönliche Beweiskraft. Die schönste - ergänzbare! - Beispielsammlung dürften hierzu die Dichtungen Paul Gerhardts bieten.

 

 Schöpfungsordnung

 

    1. Die Lehre von den S.en stammt aus dem Neuluthertum des 19. Jh.s (Luthertum: II); ihr Vater dürfte A. v. Harleß sein, der allerdings noch von Schöpferordnungen sprach. Schon die Reformatoren (Luther wie Calvin) sind terminologisch dem Begriff S. gelegentlich ganz nahegekommen. Die Lehre besagt, daß der Christ genau wie jeder andere Mensch, also vor und unabhängig von seinem Christsein, in bestimmten Lebensordnungen - Volk, Staat, Rasse, Ehe, Familie, Wirtschaft - steht und in ihnen unter eine Geboteordnung gestellt ist, die Gott als Schöpfer allen menschlichen Geschöpfen verordnet und die in (scheinbarem) Gegensatz oder in Spannung zu offenbarten biblischen Geboten steht, aber, weil vom Schöpfergott stammend, unbedingt bindet. Die Lehre ist ein Versuch neben anderen (Lehre vom Naturrecht, Zwei-Reiche- Lehre), zu einer wirklichkeitsgerechten Ethik, speziell Sozialethik zu kommen und dem gerecht zu werden, daß die ethische Normierung des Handelns in der Welt nicht ohne Befragung der Welt selbst und ohne Auseinandersetzung mit ihr erfolgen kann. Damit ist aber nicht unbedingt gesagt, daß die Wirklichkeit allein die Normen für ihre ethische Bewältigung enthielte, was auf eine völlige Loslösung der Gemeinschaftsethik von der biblischen Offenbarung hinauszulaufen schiene. Die Lehre von den S.en haben sich viele Ethiker zu eigen gemacht (Elert, Althaus, Gogarten, Brunstäd, Wünsch, E. Brunner usw.), ihr freilich jeweils recht verschiedene Gestalt gegeben. In der Gefolgschaft von K. Barth hat eine andere, einflußreiche Theologengruppe den Kampf gegen diese Lehre aufgenommen, und »Theologie der Ordnungen« wird weithin von vornherein geradezu als Irrlehre abgestempelt.

    2. Gegenüber den mit ihr konkurrierenden und auch wieder verwandten Lehren vom Naturrecht und den Zwei Reichen hat die Lehre von den S.en Vorzüge. Sie gibt die Möglichkeit, zwischen den einzelnen Lebenskreisen zu differenzieren. Naturordnungen und geschichtliche Ordnungen zu unterscheiden, das Näheverhältnis zu Sünde und Liebesgebot je verschieden zu bestimmen, während die Zwei-Reiche-Lehre viel stärker in die Gefahr führt, allzu generalisierende und pauschalierende Aussagen zu machen. Dasselbe gilt für die Naturrechtslehre, die dazu noch die gesamte Sozialethik ziemlich unausweichlich unter ein einseitig gesetzliches Vorzeichen stellt (obendrein mit dem Odium eines Fiktionalismus behaftet ist), während die »gnädigen Ordnungen und Anordnungen« Gottes von vornherein auf das Evangelium von der Gnade weisen.

    3. Die kritischen Einwände gegen die Lehre von den S.en beziehen sich zunächst darauf, daß in ihr wirklichkeitswidrig eine dauernde Gleichartigkeit des Ordnungsgefüges behauptet (»Statik« der S.en), das geschichtliche Werden sowohl der sog. Ordnungen selbst als auch der ethischen Normen verkannt und die theologische Ethik in den Dienst eines Konservativismus gestellt werde, den der oft revolutionäre Gang der Geschichte immer wieder Lügen straft und der vor der majestätischen Freiheit Gottes nicht bestehen kann. - Ein beinahe noch schwererer Einwand bezieht sich auf die Rede von den Schöpfungsordnungen: Die wirkliche Schöpfung (: IV) ist zerstört; im Glauben hoffen wir auf ihre Wiederherstellung in der Erlösung. S. ist gleich Erlösungsordnung; zwischen beiden steht etwas, was man keinesfalls S. nennen, sondern vielleicht als Erhaltungsordnung bezeichnen darf. - Die Frage läßt sich noch schärfer stellen (E. Brunner): Muß nicht immer unterschieden werden zwischen wirklicher Gottesordnung und sie überfremdender und störender Sündenordnung, womit die fälschlich sog. S. ein noch viel düstereres Vorzeichen bekäme? Akut wird das Problem etwa beim Krieg (: IV) als angeblicher S. (E. Hirsch). Ist er nicht alles andere als S., nämlich ein vielleicht nicht zu beseitigendes Element in der Struktur des geschichtlichen Lebens, aber ein sehr sündenvolles Mittel zur Lösung sündebedingter und sündegeladener geschichtlicher Konflikte? Alle derartigen Erwägungen haben die Lehre von den S.en in der Theologie der Gegenwart sehr suspekt werden lassen.

    4. Es bedarf hierzu jedoch einiger Klarstellungen. Gewiß haben die sog. S.en sehr mit Sünde zu tun, insofern sie Mittel Gottes zur Gegenwehr gegen die Sünde sind; am deutlichsten wird das bei der Strafrechtsübung des Staates. Insofern sind die S.en Ausdruck nicht des ursprünglichen, sondern des durch die Tatsache der Sünde alterierten Willens Gottes. Ferner sind die S.en immer in den Händen von sündigen Menschen, und deren sündiges Tun bestimmt alles obrigkeitliche, väterliche usw. Handeln mit. Dadurch werden die S.en aber noch nicht zu sündigen Ordnungen, sondern zu Ordnungen mitten in der Sünde und bestimmt zur Eindämmung der Sünde. - Wenn man unter Schöpfung ein anfängliches Handeln Gottes versteht, dessen Ergebnis nun selbst weiter funktioniert und allenfalls der göttlichen Erhaltung bedarf, kann man die gegenseitigen Lebensordnungen nicht S.en, sondern höchstens Erhaltungsordnungen nennen. Die reformatorische und wohl auch die biblische Theologie kennen aber ein unablässiges Schaffen Gottes, eine creatio continua; und dieser Begriff von Schöpfung dürfte der Lehre von den S.en zugrunde liegen. Dann hat aber S. einen Bezug auf jeden einzelnen und jede Generation; zu verschiedener Zeit und in verschiedener Umwelt können S.en etwas sehr Verschiedenes sein und doch jeweils »mich« binden. - Der Christ steht nicht nur in mittelbarer Beziehung zum Schöpfer über die S.en, sondern auch unmittelbar durch das Wort der Offenbarung (: VI). Der Konflikt zwischen S. und Schöpfergebot hat eine viel stärkere ethische Relevanz, als es dort kenntlich wird, wo die clausula Petri (Apg 5, 29) lediglich zum Anhang oder zur Fußnote der Ethik zu werden droht (vgl. Calvin, Inst. IV, 20).

    5. Die wichtigste Frage, deren Beantwortung zur Entscheidung über die theologische Legitimität der Lehre von den S.en notwendig ist, lautet: Sind die S.en einfach vorfindlich und an der Wirklichkeit ablesbar (Wünsch; W. Stapels »Volksnomos«), so daß die Lehre von den S.en mit der Anerkennung einer theologia naturalis steht und fällt? Oder bedarf es, und wenn ja, in welchem Sinne bedarf es zur Erkenntnis der S.en der Offenbarung aus der Schrift? Daß die Erkenntnis der S.en als Ordnungen Gottes Geschenk der Erkenntnis des Glaubens ist, sollte für die ev. Theologie klar sein. Daß der Christ, der als solcher in den S.en handeln will und das in der Gestalt tun muß, in der die Liebe in den S.en allein Wirklichkeit werden kann, nämlich in Gerechtigkeit, auf seinen Glauben gewiesen ist, sollte ebenfalls anerkanntes Axiom ev.-theologischen Denkens sein. Kontrovers ist vor allem, ob ich, um dessen gewiß zu werden, was je und dann die für mich (und auch gleichmäßig für den Nichtchristen!) verbindliche Gottesordnung ist, an Vernunft, Trieb, Instinkt oder die einfache Gehorsams- und Einordnungspflicht, oder ob ich auch dafür an das offenbarte Wort Gottes gewiesen bin. An der Frage, ob ein ganz bestimmter Krieg ein »gerechter« Krieg ist oder nicht. Geschehen innerhalb der oder Ausbruch aus den S.en, kann das Problem akut werden. Gerade dieses Beispiel macht deutlich, daß der Christ doch nicht an eine Auskunft aus dem Worte Gottes in der Schrift gewiesen, sondern zum Wagnis des Glaubens gerufen ist. - Vgl. Uroffenbarung.

 

 

[Schöpfungsordnung, S. 6 ff. Digitale Bibliothek Band 12: Religion in Geschichte und Gegenwart, S. 29399 (vgl. RGG Bd. 5, S. 1494 ff.) (c) J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)]