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2004/02/17 (23:00) from 80.139.170.202' of 80.139.170.202' Article Number : 115
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Was heißt hier verrückt?



Kommentar
Was heißt hier verrückt?
Von Christian Geyer

13. Februar 2004 Was lernen wir vom Klonerfolg in Seoul? Wir lernen vor allem dies: Der Satz, man dürfe eine Technik nicht schon deshalb verbieten, weil sie mißbraucht werden kann - dieser Satz ist ein dummer Satz. Es ist zumindest ein sehr kurzsichtiger Satz, denn er wischt jedes Argument der Technikfolgenabschätzung mit der Bemerkung vom Tisch: Das ist nicht mehr unser Bier. Doch diese Bierrechnung war immer schon eine Milchmädchenrechnung. Sie ist es seit dem Klonerfolg von Seoul in ganz besonderer Weise. Denn nun liegt es vor aller Augen, daß die Grenze zwischen dem therapeutisch genannten Forschungsklonen und dem reproduktiven Klonen keine scharfe ist, daß das eine Verfahren - kaum ist es angewandt - als erster Schritt bereits in das andere übergeht. Wer von der koreanischen Forschergruppe möchte jetzt sagen, es sei nicht mehr sein Bier, wenn geklonte Embryos demnächst auch einer Frau eingepflanzt werden und als absehbar mißgebildete Babys das Licht der Welt erblicken?

Keiner stellt in Abrede, daß seit vorgestern eine detaillierte Arbeitsanleitung vorliegt, mit der genau dies bewerkstelligt werden kann. Gründe es zu tun, werden sich schneller finden lassen als der Leiter der koreanischen Forschungsgruppe meint, wenn er sagt: Nur "Verrückte" könnten das wollen. Nein, nicht nur Verrückte, sondern höchst rational argumentierende Leute werden es sein. Haben wir es nicht schon heute mit Sätzen wie diesen zu tun: Der Fortschritt der Menschheit war immer auf das Werk einzelner Verrückter angewiesen! Forschung, die diesen Namen verdient, muß ergebnisoffen arbeiten! Also schreibt ihr gefälligst nicht vor, wo die Grenzen ihrer Experimente zu verlaufen haben!

Ge- und Mißbrauch liegen dicht beieinander

Der Klonerfolg von Seoul zeigt ebendies: Mitunter liegt das, was man als Gebrauch bezeichnet und das, was man als Mißbrauch bezeichnet, so dicht nebeneinander, daß die Unterscheidung nicht mehr gelingt, es sei denn als blauäugige Abstraktion. Mithin kann sich die Forschung nicht mehr einfach auf den Standpunkt stellen: abusus non tollit usum, Mißbrauch hebt ein Gebrauchsrecht nicht auf. Als pauschale Legitimationsformel hat dieser Satz im Zeitalter der großindustriell vernetzten Nebenfolgen ausgedient. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Das Gebrauchsrecht definiert sich über seinen möglichen Mißbrauch, und zwar je mehr dieser Mißbrauch naheliegt und in erhebliche Dimensionen hineinreicht. Das ist zumal im Umgang mit einer hochpotenten Biotechnologie der Fall, welche irreversibel in das Selbstverständnis der menschlichen Natur einzugreifen vermag. Hier kann man sich nicht auf die Formel abusus non tollit usum wie auf einen Blankoscheck berufen, hier gilt vielmehr eine andere Formel: respice finem!

Eine Forschung, die heute anders als so von sich reden machte, diskreditiert ihren Autonomieanspruch. Genau diesen Zusammenhang hat der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, vor Augen, wenn er das therapeutische Klonen nach wie vor - und seit vorgestern läßt sich sagen: mit noch mehr Recht als früher - als einen "Irrweg" bezeichnet. Jetzt, so Winnacker, werde vor aller Augen klar, was es heißt: daß therapeutisches und reproduktives Klonen dasselbe Zwischenprodukt haben, "so daß mit Versuchen dieser Art der erste Schritt zum reproduktiven Klonen getan ist" (F.A.Z. vom 13. Februar). Unser Bier, euer Bier - forschungsfreundlich ist diese Formel gerade nicht, gibt Winnacker zu verstehen. Sie ist vielmehr geeignet, eine ganze Forschungsrichtung in Verruf zu bringen. Deshalb zeugt Winnackers Position in dieser Sache nicht - wie hier und da zu lesen ist - von wenig Forschergeist, sondern von viel Forschergeist. Sein Plädoyer für Selbstbeschränkung aus Einsicht in die absehbaren Technikfolgen ist nicht kurzsichtig, sondern weitsichtig. Forschung ist immer prämissengeleitet und in diesem Sinne nie ergebnisoffen. Die Unterscheidung von Weg und Irrweg gehört zur professionellen Routine der Wissenschaft.

Auch therapeutisches Klonen verbieten

Was bedeutet all das für die Politik? Bei den neuen UN-Verhandlungen, die im Herbst das Klonen einer internationalen Regelung unterwerfen wollen, sollte die Bundesregierung endlich das tun, wozu sie vom Parlament verpflichtet wurde: für ein Totalverbot des Klonens stimmen, das heißt für ein Verbot des reproduktiven wie des therapeutischen Klonens. Die koreanische Forschungsgruppe hat uns nicht nur einen geklonten Embryo beschert, sie hat uns auch eine Illusion genommen. Wer das Klonen unter dem Etikett "therapeutisch" bejaht, darf sich nicht wundern, wenn in verrückten, nein: höchst rationalen Zeiten diese Technik in ihre reproduktive Phase tritt.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.02.2004, Nr. 38 / Seite 33


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