DW AltaVista Translation


2004/06/04 (06:17) from 80.139.163.19' of 80.139.163.19' Article Number : 126
Delete Modify suddeutsche Access : 2437 , Lines : 48
Der Vater war ein Farbproblem



    



  


Der Vater war ein Farbproblem
Bildnisse der Gelehrtenmonarchie: Reinhold und Sabine Lepsius porträtierten Preußens Glanz und Kinderglorie

Aus geläufigen Darstellungen der deutschen Kunst sind die Namen von Sabine und Reinhold Lepsius kaum vertraut. Dass dies Berliner Malerehepaar, das in seinem emanzipierten Zusammenleben eine bemerkenswert moderne Lebensform praktizierte, vergessen wurde, hat natürlich viele Gründe. Neben der Einseitigkeit des künstlerischen Werkes, das nahezu ausschließlich aus Portraits besteht, sind es jedoch vor allem die Kriegsverluste durch Zerstörung und durch die Vertreibung und Vernichtung jüdischer Sammler, in deren Besitz sich Gemälde des Paares befanden. So gelten neben zahlreichen Hauptwerken auch wichtige Teile des Nachlasses als verloren. Die Berliner Kunsthistorikerin Annette Dorgerloh hat nun eine Monographie auf einer erstmals erstellten Materialbasis vorgelegt und damit einen wichtigen Beitrag zur Berliner Kunst und Geistesgeschichte um 1900 geliefert.


Reinhold Lepsius (1857-1922) stammte aus einem berühmten Berliner Gelehrtenhaus. Diese Herkunft hat auch seine Kunst geprägt, sein Werk blieb vornehmlich auf die Darstellung bedeutender Persönlichkeiten beschränkt. Seiner Lehrzeit in München, während der er Schüler von Franz von Lenbach wurde, blieb er stilistisch verpflichtet. Lepsius und auch seine Frau Sabine Graef (1864-1942), die Tochter eines Berliner Malers, müssen als Vertreter der deutschen Impressionismus gelten. Trotz seines guten Rufes als Maler und kluger Gesprächspartner blieb seine wirtschaftliche Lage prekär: Sabine Lepsius, die schneller produzierte, dürfte auf lange Zeit für den Lebensunterhalt des Paares gesorgt haben. Der Zenit des Ruhmes, den das Paar mit seinem Salon im Berliner Westend um 1900 genoss, war bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs längst überschritten.


Der Vater war ein Farbproblem


Neben den differenzierten Ausführungen über die gesellschaftliche Rolle des Malerpaares in Berlin, wo sie Mitbegründer der Sezession waren, überzeugen die Darlegungen des Werkprozesses. Mit gespannter Aufmerksamkeit liest man über die Verwendung von Photographien im Malprozess. Um 1900 stand die Kunst längst im Zeichen technischer Beschleunigung, und dank der Photographie musste das Modell nicht mehr die langwierigen Porträtsitzungen über sich ergehen lassen. Während Lenbach sein Photolabor als peinliches Hilfsmittel in seinem Atelier versteckte, ging Reinhold Lepsius mit dem neuen Medium selbstverständlicher um. Ihm diente die Photographie nicht nur zur Archivierung der Ähnlichkeit - vielmehr ging es ihm darum, wie im Gemälde auch im photographischen Abbild das ¸¸Geistige" und den ¸¸Charakter" des Dargestellten einzufangen. Dabei sind Lepsius einige der schönsten photographischen Gelehrtenbildnisse der Jahre um 1900 gelungen, von denen nur das Portrait des Philosophen Wilhelm Dilthey erwähnt sei.


Bildnisse großer, alter Männer waren das Fach, auf das sich auch die Porträtkunst des Malers verlagerte, und dieser Aufgabe fühlte er sich wohl nach Herkunft, Stand und Bildung besonders verbunden. Lepsius" Gelehrtenbildnisse, deren Originale zum größten Teil verschollen oder zerstört sind, lassen die geistigen Prinzipien seiner Kunst am ehesten erahnen: Gravitätische Greise, deren Gesichter aus dem unbestimmten und oft mit freiem Pinselstrich skizzierten Dunkel hervortreten, als bündele sich das Umfassende ihres Denkens erst in den lichtvollen Zügen der penibel beobachteten Physiognomie. Auch die flirrende Emphase des Augenblicks hat Lepsius zum Gegenstand seiner Bildnisse gemacht, wenn sich etwa der Archäologe Ernst Curtius von seinem materiell nur noch erahnbaren Arbeitsplatz abwendet, um den Betrachter mit durchdringendem Blick zu fixieren.


Am Bild seines Vaters hat sich der Maler über Jahrzehnte abgearbeitet. Der Ägyptologe Carl Richard Lepsius, Professor an der Berliner Universität, Direktor des von ihm begründeten Ägyptischen Museums und von 1873 bis 1884 auch Leiter der Königlichen Bibliothek, entspricht ganz dem Typus des Universalgelehrten des 19. Jahrhunderts: Als im sachlichen Gespräch beredt, als korrekt, trocken und nüchtern bis herrisch wird er in Erinnerungen geschildert. Das Urbild der preußischen ¸¸Herren" und Patriarchen, wie sie das Jahrhundert so zahlreich hervorbrachte. Reinhold Lepsius hat eine ganze Reihe von Bildnissen seines Vaters angefertigt, allein um Familienmitglieder mit Portraits zu versorgen.


Von der eher konventionellen Gelehrtenpose im Melancholiegestus am Schreibtisch, wie sie auch Porträtphotos gezeichnet hatten, bis zu einer freien und allein auf das Gesicht konzentrierten Darstellung hat Lepsius an dem Bild seines Vaters gearbeitet. Am Schluss der Reihe steht das 1910 für die Berliner Königliche Bibliothek gemalte Bildnis, das in seinem pastosen Malduktus befremdet: ¸¸der Vater war 26 Jahre nach seinem Tod vor allem zu einem Farbproblem geworden", resümiert Dorgerloh die seltsame Obsession mit dem Bild des Vaters. Noch ein zweiter Vater, oder besser: ein ¸¸Meister", sollte in das Leben des Ehepaares treten, wodurch dessen Name wohl stärker lebendig geblieben ist als durch seine Malerei: Der Dichter Stefan George. Die Lesungen Georges im Lepsius-Salon, an denen Künstler und Gelehrte wie Georg Simmel teilnahmen, sind legendär und oft beschrieben worden. Sabine Lepsius, die dem Dichter eng verbunden war, hat mit ihren beiden Erinnerungsbüchern wichtige Quellen über diese Zeit hinterlassen. Natürlich bestanden mit George gewisse Übereinkunfte hinsichtlich der Kunstanschauung: ¸¸Form" und ¸¸Gestalt" wurden auch bei den Lepsius wichtige theoretische Stichwörter. Doch blieb Georges Präsenz eigentümlich folgenlos für die Bildnisproduktion der Maler, die auch den Stilvorlieben Georges, die sich in den Schöpfungen des Buchkünstlers Melchior Lechter materialisiert hatten, äußerst kritisch gegenüberstanden. Sabine Lepsius ist mit ihrem Versuch, der Freundschaft mit George visuell zu begegnen, gescheitert.


Das als Triptychon angelegte Bildnis des Dichters, das nur als von der Malerin selbst verantwortetes Fragment überdauert hat, berührt als Kunstwerk eher peinlich. Bezeichnenderweise näherte sich Reinhold Lepsius mit seinem Holzschnitt-Portrait des Dichters, das als reines Umrissprofil ausgeführt ist, wieder näher der graphisch-abstrakten Bilderwelt Lechters an.


In einem um 1900 verfassten Aphorismus hat Reinhold Lepsius die für ihn bei der Betrachtung von Kunstwerken entscheidende Frage gestellt, nämlich ¸¸ob die Geheimnisse auch noch nach Jahrhunderten um sie schweben". Schwer zu sagen, ob er und seine Gattin als Maler diesem Anspruch gerecht geworden sind.


Als Figuren der gebildeten Welt um 1900, für die Kunst und gesellige Kultur unabdingbare Grundlagen der Lebensführung waren, sind sie nun endlich wiederzuentdecken. Befremdlich ist jedoch, dass dem Buch nicht einmal der Versuch eines catalogue raisonée beigegeben ist, der aus den divergierenden Werklisten in Familienbesitz und den erhaltenen Bildern zu erstellen gewesen wäre. Damit wäre doch die wissenschaftliche Grundlage für die Wiederentdeckung manch eines als verschollen geltenden Gemäldes erst gegeben. MICHAEL THIMANN


ANNETTE DORGERLOH: Das Künstlerehepaar Lepsius. Zur Berliner Porträtmalerei um 1900. Akademie Verlag, Berlin 2003. 306 Seiten, 49,80 Euro.


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.126, Donnerstag, den 03. Juni 2004 , Seite 16

Backward Forward Post Reply List
http://theology.co.kr