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2004/06/28 (07:09) from 80.139.175.209' of 80.139.175.209' Article Number : 139
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Aus dem Tiefkühlfach der Kunst
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Aus dem Tiefkühlfach der Kunst
Die Royal Academy of Arts in London zeigt das Werk von Tamara de Lempicka

Tamara de Lempicka war ein Biest. Wer mit ihr näher zu tun hatte, bekam das zu spüren. Ihr erster Ehemann nannte sie ¸¸ein Ungeheuer" (sie ihn einen ¸¸Waschlappen"). Zu malen begann sie nicht aus innerer Notwendigkeit oder schicksalhafter Berufung, sondern um im Paris der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zu überleben, um Geld zu verdienen und gesellschaftlichen Erfolg zu haben. Ihre Devise war: so viel wie möglich malen und so rasch und teuer wie möglich verkaufen.


Sie betrieb ihre Karriere professionell, kalkulierte pragmatisch Motive und Malweise - und kam an. Die Welt ist nicht gerecht. So viele begabte Künstler mühen sich redlich, grübeln über ihre Sujets, hungern sich durch - und die Gesellschaft geht achtlos an ihnen vorbei. Von Tamara jedoch nahm sie Notiz und zollte ihr Tribut. Aber Tamara hatte nicht nur Talent, ihr gelangen auch einige Bilder, die den Nerv der Zeit trafen - und heute die Epoche ihrer Triumphe, die Zeit des Art déco, zu verkörpern scheinen wie nichts sonst.


Man schaudert bei der Lektüre der Biografie Tamara de Lempickas über ihre Kaltschnäuzigkeit. Doch es ist gerade diese Kaltschnäuzigkeit, die heute wie je an ihren Bildern fasziniert. Wer außer ihr hat an der Wende von den zwanziger zu den dreißiger Jahren so unterkühlte, so tiefgefrorene Bilder gemalt? Das Fleisch ihrer Akte wirkt wie aus Marmor gehauen oder in Eis getaucht - man möchte es nicht berühren. Die Modelle wie ihre Malerin sind verblüht, aber die Akte sind im Tiefkühlfach der Kunstgeschichte frisch geblieben.


Tamara de Lempicka, als Tamara Gorska im damals russisch okkupierten Warschau in eine wohlhabende Familie geboren, als 18-Jährige in St. Petersburg dem Anwalt und Schönling Tadeusz Lempicki angetraut, war auf Umwegen der sowjetischen Revolution entkommen. In Paris erwarb sie sich - um ihre Familie samt der kleinen Tochter Kizette durchzubringen - das Rüstzeug als Malerin bei Maurice Denis und André Lhote. Man hätte sie, bedenkt man die harten, wie gemeißelten Volumina ihrer Gemälde, eher bei Fernand Léger vermutet, doch gibt es da keine Verbindungen.


Rasch stieg sie zum Star der Bohème auf, wurde herumgereicht, fand, was sie am meisten ersehnte, Zutritt zu mondänen Kreisen, zur Welt der Haute Couture und des Glamours, auch wenn es oft nur die Demimonde war, die sie blendete. Die Geschöpfe ihrer Bilder, ebenso exaltiert wie elegant, verkehrten in allen Salons, suchten Beachtung, wollten im Mittelpunkt stehen - und genauso hat die Lempicka sie dargestellt. Alles an ihnen ist Pose. Viel besprochen wurde ihre (Nicht-)Affäre mit Gabriele d"Annunzio 1926 in dessen Refugium Il Vittoriale am Gardasee. D"Annunzio, der Großautor, Frauen- und vorgebliche Kriegsheld, wollte sie im Schnellverfahren in die Schar seiner Mätressen einreihen. Sie wollte das Porträt des berühmten Mannes malen und sich mit ihm schmücken - beides misslang unter eher grotesken Umständen. Der ¸¸alte Zwerg in Uniform" war für sie nur als mögliches Bildnis attraktiv, als Bettgenossen mochte sie ihn nicht. Man sagt, die Lempicka habe mit (fast) allen Personen, die sie malte, männlichen wie weiblichen, eine Affäre gehabt. Ihr Mann jedenfalls, von dem sie sich 1928 scheiden ließ, vermeinte in der Galerie ihrer Bildnisse nichts anderes als eine Chronik seiner Schande zu erkennten.


Pervers und parfümiert


Diese Galerie der Schande ist nun in der Londoner Royal Academy of Arts zu sehen, und es ist eine atemberaubende Ausstellung daraus geworden. Die Kuratoren Norman Rosenthal von der Academy und Ingried Brugger vom Kunstforum Wien, wohin die Ausstellung anschließend wandert, haben ihre Auswahl auf die Produktion eines Vierteljahrhunderts, auf die Zeit von 1922 bis 1947, beschränkt, und sie haben gut daran getan. So sind 55 Bilder zusammengekommen - aus einem êuvre von rund 280, die der Catalogue raisonné für den Zeitraum bis 1948 registriert.


Die 1922 datierten Bilder beginnen tastend. Verschiedene Stilmöglichkeiten werden ausprobiert, manche Porträts sind expressiv-fauvistisch, andere geometrisch beziehungsweise kubistisch angehaucht. Noch spürt man die Nähe André Lhotes, ehe die Malerin schon im Jahr darauf im Zeichen von Ingres zu ihrem Stil eines Art-déco-Klassizismus fand. Der Kritiker Arsène Alexandre, betört vom Hauch vorgeblicher Verruchtheit, nannte ihn einen ¸¸perversen Ingrismus". Man könnte auch von parfümiertem Realismus sprechen.


Tamara de Lempicka malt die Männer in Uniform wie den russischen ¸¸Großherzog Gabriel", den Mörder Rasputins, mit Mantel und Zylinder oder zum Dinner gekleidet, die Frauen am liebsten nackt oder in durchsichtigen Dessous. Die kantigen Konturen der männlichen Figuren kontrastieren mit den geschwungenen Linien der Frauenkörper, die nur aus schwellenden Rundungen zu bestehen scheinen, wie die üppigen Brüste immer wieder den Widerpart einer Wespentaille abgeben. Oft ist der Blick der jungen Frauen zum Himmel verdreht, als hätte man sie bei einer dummen Lüge ertappt, oder die Lider sind halb schläfrig, halb verachtungsvoll gesenkt, die Augen zu Schlitzen verengt. Keines der Modelle mag den Betrachter vernünftig anschauen. Die Stellung der Hände wirkt fast immer maniriert, ob sie nun am Kleid zupfen oder einen Apfel (Eva!) oder eine Gitarre halten. Im Hintergrund locken die nächtlich erleuchteten Kuben einer futuristischen Stadt, und aus dem alten Paris wächst die Vision New Yorks. Auch Christian Schad liebte solche nächtlichen Großstadt-Hintergründe.


Kann sich der Besucher der Londoner Schau in den beiden ersten Sälen von Höhepunkt zu Höhepunkt bewegen, so bringt der dritte Saal den jähen Absturz. 1933 hatte Tamara den steinreichen Baron Kuffner geheiratet, der ihr das ersehnte Leben im Luxus ermöglichte. Sie musste nicht mehr malen, um zur High Society zu gehören, konnte als Baronesse Hof halten und doch die unabhängige ¸¸Garçonne" bleiben, die sie im Herzen immer war. Eine unerträgliche Sentimentalität schwappte in ihre Bilder, die auf einmal allen Ehrgeiz und alle Nüchternheit verloren hatten. Wenn sie 1935 die ¸¸Mutter Oberin" eines toskanischen Klosters malt, wird der pure Kitsch daraus. Perlen konnte sie eben immer besser malen als Tränen, ob sie nun über die Wangen der ¸¸Mutter Oberin" oder einer Flüchtlingsfrau (1940) kullern. Sie war arriviert - nichts gelang ihr mehr außer ein paar Blumenstillleben (um 1941) in New York, wohin die Kuffners rechtzeitig emigriert waren.


Die sechziger und siebziger Jahre verbrachte sie, wenn sie nicht auf Reisen war, in Houston und Cuernavaca. Sie hatte noch das Glück, ihre späte Wiederentdeckung zu erleben. Ihr letzter Wunsch war reine Romantik: Ihre Asche sollte von einem Hubschrauber über dem Vulkan Popocatepetl verstreut werden. Und so geschah es. WIELAND SCHMIED


Bis 30. August. Der Katalog (deutsch bei Hatje Cantz) kostet in der Ausstellung 13,95 Pfund.


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.145, Samstag, den 26. Juni 2004 , Seite 13


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