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2004/06/28 (07:19) from 80.139.175.209' of 80.139.175.209' Article Number : 142
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Als alles mehr im Dunkeln ging
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Als alles mehr im Dunkeln ging
Der Gebrauch des Lebens: Das Schwule Museum Berlin erinnert an Michel Foucault

Am 2. Juni 1984 wurde ¸¸der größte französische Philosoph" (Simone Signoret) in seiner Pariser Wohnung ohnmächtig. Man verbrachte ihn zunächst in ein Krankenhaus des 15. Arrondissements, am 9. Juni wurde er, der nach dem Wunsch des Vaters hatte Mediziner werden sollen, in die Salpêtrière überführt, deren Geschichte er geschrieben hatte. Sein Lebensgefährte Daniel Defert, dessen energischem Eingreifen er die zum Erkennungszeichen gewordene Glatze verdankte, hat ihn im kleinen Krankenhauszimmer besucht. Freunde kamen für Augenblicke vorbei. Der Philosoph las, was die Zeitungen über seine soeben bei Gallimard erschienen Bücher ¸¸Le Souci de soi" (Die Sorge um sich) und ¸¸L"Usage des plaisirs"(Der Gebrauch der Lüste) schrieben und fand auch Meldungen, dass sein Zustand sich bessere.


Am 25. Juni 1984, 13.15 Uhr, starb Michel Foucault. Er sei, wusste ein Gerücht, an Aids gestorben. In der Tageszeitung Libération erschien am 26. Juni ein gut gemeinter und eben deshalb zuverlässig dämlicher Kommentar dagegen: ¸¸Angesichts der Virulenz dieses Gerüchts bleibt man verwirrt. Als ob Foucault aus Scham hätte sterben müssen." Unter den liberalen Lesern brach ein Sturm der Entrüstung los: Wessen hätte ein HIV-Infizierter sich zu schämen? Und doch war der Kommentar nur geschrieben worden, um den Denker gegen wohlfeile Diskreditierung in Schutz zu nehmen.


Einem Vorübergehenden


Im Leben Michel Foucaults lassen sich viele Episoden wie diese der letzten Tage finden. Alles scheint bruchlos ineinander zu greifen, das Frühe mit dem Späten zu korrespondieren Auch Streit ist immer zur Stelle. Die Figur Foucault steht im grellen Licht der Undeutlichkeit. Man kennt hunderte Fotographien, die ihn gestikulierend, im Dunkel des Collège de France dozierend oder auf Podien sitzend, während des Tunix-Kongresses in Berlin oder unter Studenten in Berkeley, die ihn erregt, in sich gekehrt, von vorn und von hinten zeigen. Und obwohl er als Mann der Masken gilt, spielend, schwer festzulegen, wird keiner ihn je verkennen. Auch seine Sätze sind nach wenigen Worten schon als die seinen hörbar. In zahlreichen Gesprächen hat Foucault Episoden seiner Biographie wie seine intellektuelle Entwicklung gedeutet. Dennoch schienen der Mann, seine Existenz und sein Werk lange Zeit verrätselt.


Zwanzig Jahre nach seinem Tod erweist der philologisch-historistische Komplex ihm routiniert die Ehren, die einem klassischen Autor gebühren. Ansonsten scheinen die Akademiker, die dreißig Jahre von ihm gelebt haben, momentan anderweitig beschäftigt. So blieb es dem Schwulen Museum in Berlin-Kreuzberg vorbehalten, Foucault aus Anlass seines 20. Todestages mit einer ehrgeizig gestalteten, glänzend gelungenen Ausstellung zu ehren. Wer die dreieinhalb Räume in Ruhe durchwandert, taucht ein in eine Welt, die so versunken, abgeschieden fremd wirkt, wie nur die jüngste Vergangenheit es kann. Der erste Raum ist ein Tempel der Zitate, eine Collage aus vielen Worten und wenigen Dingen. Die Wände sind mit einer Tapete aus Foucault-Sätzen überzogen. Grantige Bemerkungen und Liebeserklärungen von Zeitgenossen hängen davor, eine Büste Nietzsches steht herum, das Foto Sigmund Freuds grüßt die erkennungsdienstliche Vorrichtung aus dem 19. Jahrhundert: Stuhl, Kamera und Maßstab.


Ein Kupferstich zeigt die Hinrichtung des Attentäters Robert François Damiens, deren Beschreibung am Beginn von ¸¸Überwachen und Strafen" Foucault einen Ehrensitz im Himmel der Horrorautoren garantiert.


Manche mögen in der Ausstellung Chronologie und pädagogische Bemühung vermissen. Aber ihnen wird besseres geboten. Mit Witz vergegenwärtigt der Kurator Wolfgang Theis den Lebensraum Foucaults. Von den prägenden Mächten fehlt allein das französische Bildungssystem, die anderen - deutsche Philosophie, moderne Kunst, Homosexualität und die Kultur des öffentlichen Engagements - sind gut vertreten. Foucaults prätentiöse Verachtung für den politisch nahe stehenden Gegenspieler Sartre lässt sich ebenso studieren wie sein Eintreten für Gefangene oder sein zwischen Schaudern und Enthusiasmus schwankendes Interesse für die Spiritualität der iranischen Revolution.


Der zweite Raum zeigt Bücher, Plakate und Fotos, darunter die berückend melancholische Serie ¸¸Zufällige Begegnung" von Duane Michals. Zwei Männer gehen aneinander vorüber, sehen sich an, sehen einander hinterher. Das wars. Es handelt sich um die Illustration eines ehrwürdigen Motivs der modernen Literatur, eine schwule, die Grenze zum Kitsch überschreitende Interpretation zu Charles Baudelaires ¸¸A une passante".


Foucault selber hat Drastik und Überschwang, die dem Gedanken etwas süßlich Drohendes, nietzscheanisch Überbordendes verleihen, mehrfach gesucht und gefunden. Gerade in seinen Bemerkungen über Homosexualität ist davon einiges zu spüren. Wohl sagt er klar: ¸¸Es wird keine Zivilisation geben, solange nicht die Ehe unter Männern zugelassen ist." Aber dann erzählt er doch, dass die Zeiten ¸¸vor der schwulen Befreiung" ihm besser gefielen, ¸¸als alles mehr im Dunkeln vor sich ging", als unter den ¸¸Mitgliedern einer Untergrundverbindung" alles ¸¸aufregend und ein wenig gefährlich" war.


Man kann über diesen Gegensatz ebenso nachdenken wie über das Paradox, dass gerade der sado-masochistische Sex für Foucault eine Technik der Lustgewinnung war, die sich vom ¸¸Korporal des Sexes" de Sade emanzipiert hatte. Wer die rührend kuscheligen Pornofilme und Fotos betrachtet, die im kleinsten Raum der Ausstellung etwas von der Welt zeigen, die Foucault in San Francisco für sich entdeckte, dem wird sich das Paradox rasch lösen.


Maschinenpistole, Kopiergerät


Aber immer trifft man auf den Gegensatz von Schaubühne und Amtsstube, von Ereignis und Normalität. Er prägte auch Foucaults Wahrnehmung Deutschlands. Im dritten Raum hängt eine Presseerklärung Otto Schilys: ¸¸Am 4. Dezember 1977 wurden der Philosoph Michel Foucault und der Soziologe Daniel Defert aus Paris, die sich auf Einladung des Merve-Verlages in Berlin aufhielten, gegen 12 Uhr bei der Abfahrt vom Hotel ,Vier Jahreszeiten" von einem großen Polizeiaufgebot umstellt. Foucault, Defert und der Verleger Gente vom Merve-Verlag wurden von Polizeibeamten mit Maschinenpistolen im Anschlag gezwungen, sich mit erhobenen Händen an die Wand zu stellen und sich durchsuchen zu lassen." Ein Denunziant hatte in der Merve-Lektorin Adelheid Paris die Terroristin Inge Viett erkennen wollen. Auch die DDR-Grenztruppen hatten Foucault gründlich visitiert. Im Spiegel resümierte er seine Erfahrungen: ¸¸Der Unterschied zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost: Hier Theater und Maschinenpistolen, dort Bürokratie und Photokopiergerät. Hier die mögliche Beobachtung eines jeden durch andere, drüben die allgemeine Verdächtigung aller durch die Verwaltung."


Dass Foucaults Analysen der Macht unverändert aktuell seien, wird immer wieder gern behauptet. Die Ausstellung zeigt mehr: die Welt und die Existenz, in der diese Analysen plausibel waren und populär wurden. Sie zeigt einen engagierten Intellektuellen, dem das Kunststück gelang, an wechselnden, aber immer klaren Fronten zu agieren. Sie zeigt Foucault als einen ganz historisch gewordenen Autor, aber als einen, an den man sich noch erinnern wird, wenn die Modetheoretiker, die ihn attackierten, längst vergessen sind. Kaum einer hat ihn ungestraft ignoriert. Seine größte Schwäche hat Foucault selber bekannt: ¸¸Ich lege alle meine öffentlichen und privaten Ämter nieder! Die Scham übermannt mich! Ich bedecke mein Haupt mit Asche! - Ich wusste nicht, wann der Schnuller erfunden wurde!" JENS BISKY


Schwules Museum, Berlin, Mehringdamm 61. Bis zum 18.10.


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.144, Freitag, den 25. Juni 2004 , Seite 16

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