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2004/07/10 (07:22) from 80.139.163.68' of 80.139.163.68' Article Number : 151
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Körper unter Feuer
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Körper unter Feuer
Wenn Bilder mehr Einblick, aber nicht mehr Durchblick bringen: High-Tech-Radiologie mit fragwürdigem Nutzen

Von Werner Bartens


Wie ein Lauffeuer verbreiten sich die Farben. Die graue Substanz leuchtet gelb und rot, wenn Antonio Damasio die Animation startet. Im Stirnlappen flackert es auf, dann zieht der leuchtende Schweif gesteigerter neuronaler Aktivität über die Großhirnrinde weiter. Im Bereich der Mandelkerne und des Hippocampus lodern die Farbpixel länger. ¸¸So sieht es aus, wenn man traurig ist", sagt der Hirnforscher von der Universität Iowa. ¸¸Und so bei Glückszuständen." Das Bild, das er jetzt zeigt, ähnelt dem vorherigen.


Man merkt Damasio die Begeisterung an, wenn er neuronale Lagerfeuer im Gehirn zeigt, die bei verschiedenen Gefühlszuständen aufgenommen wurden. Die Besucher der Konferenz ¸¸Die Zukunft der Medizin - das neue Bild des Menschen" in Heidelberg staunen, wissen aber wenig mit den bunten Bildern anzufangen. Zum Schluss sagt Damasio noch: ¸¸Der ganze Körper steht unter Feuer."


Man ist von der Bilderwucht beeindruckt, doch was zeigt das Feuerwerk im Gehirn? Versteht man so, wie Glück oder Unglück entstehen, und was bringt das für die Diagnostik? Die Fortschritte der medizinischen Bildgebung sind enorm. Seit Wilhelm Conrad Röntgen im November 1895 die beringte Hand seiner Frau mit ¸¸einer neuen Art von Strahlen" im Bild festhielt, sind die Einblicke in den Körper ständig verbessert worden. Millimetergenaue Schichtbilder leuchten jede Leibeshöhle aus. Sie haben längst die grobkörnigen Aufnahmen aus der Gründerzeit der Radiologie abgelöst, auf denen in starken Kontrasten nur Knochenumrisse zu erkennen waren und das Zeigen einer Röntgenaufnahme - etwa bei Hans Castorp und Madame Chauchat in Thomas Manns ¸¸Zauberberg" - als Zeichen von Intimität galt.


Geblendet vom Hochglanzfoto


Michael Forsting, Neuroradiologe am Universitätsklinikum Essen, zeigt Kernspinbilder in Echtzeit. Man sieht in der Magnetresonanzaufnahme (MR), wie ein Proband kaut. Die Kiefermuskeln sind in Aktion. Er schluckt den Bissen herunter. Wellenförmig verengt sich die Speiseröhre und transportiert die Nahrung weiter. Der Magen gerät in Bewegung, dann der Dünndarm. ¸¸Alles live und online", schwärmt Forsting. ¸¸Das sind perfekte Bilder des menschlichen Körpers - so gut wie pathologische Schnitte."Anschließend zeigt er MR-Ganzkörperaufnahmen. 60 Minuten muss der Patient für die Komplettschau still halten - dann sieht man den ganzen Körper ¸¸von der Locke bis zur Socke". Der Radiologe glaubt an die Überzeugungskraft seiner Bilder. Nur: Was sie an konkretem Nutzen für die Patienten bringen, kann er nicht genau sagen. Die im Echtzeit-MR aufgedeckte verlangsamte Magenentleerung könne immerhin auf Diabetes hinweisen. Das sei abzugrenzen von psychischen Problemen, die zwar auch auf den Magen schlagen können aber nicht dessen Motilität verändern.


Ganzkörper-MR hält Forsting für ¸¸die Screening-Methode der Zukunft". Wer im Kernspin seine verengten Gefäße sehe oder vom chronischen Bluthochdruck bereits geschädigte Hirnstrukturen, werde sofort sein Leben ändern, ist sich Forsting sicher. Und wem ein Dickdarm-Polyp im MR gezeigt werde, der meldet sich gleich zur Darmspiegelung an: ¸¸Bilder überzeugen mehr als Worte."


Aber genau darin besteht das Problem. Denn in der Begeisterung über den Bilderrausch geht die sorgfältige Abwägung von Schaden und Nutzen gelegentlich verloren. Bisher ist nämlich keinesfalls belegt, dass Ganzkörperaufnahmen mit Computertomographie (CT) oder Kernspin zur Vorsorge das Leben auch nur um einen Tag verlängern. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA warnt sogar vor dem Check im Ganzkörper-CT. Ohne Beschwerden und konkrete Indikation sei der Schaden größer als der Nutzen. Trotzdem haben diagnostische Zentren Konjunktur, die das Ganzkörper-Screening in der Röhre anbieten. Die amerikanische TV-Moderatorin Oprah Winfrey schwärmte von der Untersuchung, Franz Beckenbauer ließ sich ebenfalls durchleuchten.


Dabei geht die Gleichung, dass eine frühere Diagnose mit besseren Heilungschancen einhergeht, nicht immer auf. Noch ist unklar, ob der Körper-Scan nicht viele Befunde ohne Bedeutung sichtbar macht, und die Menschen verunsichert, wenn sie diese abklären lassen. Auch ist ungewiss, wie viele krankhafte Veränderungen in der Visualisierung durch CT, Kernspin oder MR übersehen werden, wenn der Körper ohne spezifische Fragestellung durchleuchtet wird.


Die verbesserte Optik in der medizinischen Bildgebung kann sogar gefährlich werden. Denn die meisten Aufnahmen werden am Computer nachbearbeitet und geschönt. Dann werden Kontraste verschärft, Farbwerte ergänzt. Die immer feineren Bilder suggerieren, dass der Körper bis ins letzte Detail durchschaut ist. Doch das ist nicht der Fall. Optimierte Bildqualität entspricht nicht zwangsläufig mehr Informationen aus dem Körperinnern, sondern beruht oft auf nachträglicher digitaler Politur.


Dies sei auch der Grund dafür gewesen, vermuten Fachleute, dass sich Chirurgen in Fernost vergangenen Juli an die - tödlich verlaufene - Trennung der siamesischen Zwillinge gewagt hätten. Die technisch verbesserten Aufnahmen der zusammengewachsenen Gehirne hätten den Operateuren mehr Kenntnis der Nervenbahnen und Blutgefäße vorgegaukelt, als sie tatsächlich hatten. Die Iranerinnen verbluteten, als die Chirurgen die Adern verletzten, die beide Gehirne versorgten, weil sie einen ganz anderen Verlauf der Adern vorfanden als erwartet.


Der Ultraschall in der Schwangerschaft ist zum ¸¸Baby-Fernsehen" geworden. Seit wenigen Jahren kann der Fötus dreidimensional dargestellt werden. Aus dem verrauschten Bild von einst ist eine erstaunlich plastische Darstellung von Gesichts- und Körperkonturen geworden. Häufig werden damit aber mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Frauenärzte schaffen sich die Geräte weniger aus diagnostischen Gründen an - Indikationen gibt es kaum -, sondern weil Paare vom neuen Medium beeindruckt sind. Aber trotz der phantastischen Bilder ist die Unsicherheit groß. Der Körper wird ausgeleuchtet, aber viele Befunde bleiben vage. Welche Veränderung ist harmlos, welche gefährlich? Die Menschen fühlen sich nur noch gesund auf Probe.


Bilder sprechen nicht für sich


Etliche Neuentwicklungen in der Radiologie sind zwar äußerst segensreich und erleichtern Diagnostik und Therapie. Doch mit den immer vielfältigeren Formen der Visualisierung des Menschen wächst auch die Zahl der Zufallsdiagnosen und Normabweichungen. Welcher Arzt und welcher Patient hat die Souveränität, dem nicht weiter nachzugehen? Wo doch das technische Arsenal noch etliche Verfahren für die Innensicht bereit hält.


Zudem erfordert die Interpretation der neuen Hightech-Bilder besser ausgebildete Ärzte, das wissen auch die Radiologen. Die Bilder sprechen nicht für sich. Beispiel Mammographie: Vor wenigen Wochen stellten die TU München und die Universitätsklinik Freiburg eine neue Technik zur Brustkrebsdiagnostik vor. Von der digitalen Mammographie erhoffen sich die Radiologen eine Senkung der Strahlendosis um 25 Prozent. ¸¸Zudem ist die erhöhte Transparenz der Aufnahmen ein Fortschritt in der Bildqualität und erleichtert die Darstellung von dichtem Drüsengewebe", sagte Sylvia Heywang-Köbrunner von der TU München bei der Vorstellung Anfang Mai.


Doch ob das Verfahren mehr Informationen über Veränderungen der Brust liefert, ist ungewiss. Denn die digitale Mammographie erreicht nur selten die hohe Auflösung der konventionellen. Ob höhere Transparenz die schlechtere Auflösung aufwiegt, muss sich erst noch zeigen. ¸¸Seit mehr als 50 Jahren gibt es die konventionelle Mammographie, aber noch immer gibt es viele Defizite in der Auswertung", sagt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum, das die Qualität medizinischer Maßnahmen bewertet. ¸¸Es ist fraglich, ob nicht zuerst diese Defizite behoben werden sollten, bevor ein wenig erforschtes, neues Verfahren vorschnell eingeführt wird."


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.156, Freitag, den 09. Juli 2004 , Seite 9

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