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2004/07/10 (07:39) from 80.139.163.68' of 80.139.163.68' Article Number : 153
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„Innovationen in Deutschland“



ZEIT FORUM der Wissenschaft

„Innovationen in Deutschland“

Über Innovationen und den Beitrag, den die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Gesellschaft dazu leisten müssen, disktutierten Experten auf dem ZEIT-Forum der Wissenschaft am 29. Juni 2004 in Berlin

Moderation

Es ist Halbzeit im Jahr der Innovation 2004 – Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Bei der EM ist Deutschland längst ausgeschieden. Interessant war, die B-Mannschaft Tschechiens ließ einen erstaunten Rudi Völler zurück. So viel Selbstbewusstsein und Einsatz selbst bei unbekannten Spielern, das hatte er nicht erwartet. Ist uns Deutschen das Selbstbewusstsein abhanden gekommen? Fehlt es an der Substanz oder nur am Einsatz? Wir haben gerade gehört, ein neues Spiel bedeutet eine neue Chance. Das Jahr der Innovation 2004 wollen wir unter diesem Blickwinkel heute Abend diskutieren.

Dazu haben wir Gäste eingeladen. Und als erstes darf ich ganz herzlich Edelgard Bulmahn begrüßen, die Bundesministerin für Bildung und Forschung. Frau Bulmahn, Sie müssen als Vertreterin der Politik als erste ran. Wir stellen aber allen drei Herren, die hier noch sitzen, nachher noch die gleiche Frage, wie Ihnen. Es geht darum, dass die Grundlage jeglicher Innovation eine gute Idee ist. Die wird dann, wenn es gut läuft, irgendwann mal zu einem Produkt, mit dem sich dann vielleicht einmal Geld verdienen lässt. Wenn die gute Idee also so ausschlaggebend ist: Woran erkennen Sie als Ministerin, wenn Sie eine gute Idee hatten?

Edelgard Bulmahn

Erstens, dass sie mich nicht loslässt, zweitens, dass wir dann richtig hochgehende, aufregende Diskussionen auch mit meinen Mitarbeitern haben und drittens, dass sie erfolgreich umgesetzt wird, wie z.B. mit dem Jahr der Wissenschaften.

Moderation

Ich begrüße ganz herzlich Peter Gruss. Er ist Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. In der deutschen Forschungslandschaft ist das Verlangen nach Leuchttürmen, die weithin sichtbar sind, sehr groß. Die Max-Planck-Institute stellen einige dieser Leuchttürme. Vielleicht kann man ihn in diesem Sinne als den Leuchtturmwärter der deutschen Forschungslandschaft bezeichnen. Herr Gruss, wie sieht denn bei Ihnen so ein richtiger Aha-Effekt aus?

Prof. Dr. Peter Gruss

Für mich persönlich ist das natürlich eine Frage, die ich mal als Frage an den Wissenschaftler Gruss und nicht an den Manager interpretiere. Dann ist die Frage sehr schwer. Denn die besten Ideen in der Wissenschaft waren diejenigen, deren Ergebnis man nicht vorhersagen konnte. Das heißt, die Qualität einer Idee war nur retrospektiv zu beurteilen. Und das ist die Natur der Grundlagenforschung. Das sind nämlich genau die Experimente, die man braucht, um Neues zu schaffen, Innovatives zu schaffen und Dinge zu tun, die dann weiter führen, die Türen aufstoßen. Insofern sind die besten Ideen in der Tat nur aus der Retrospektive beurteilbar.

Moderation

Mit dabei ist auch Prof. Dr. Karl-Heinz Brandenburg, der Leiter des Fraunhofer Instituts für digitale Medientechnologie in Ilmenau und so etwas wie Deutschlands Vorzeigeinnovator, nach einem Artikel in der ZEIT die Hoffnung in Person für Deutschland, weil Herr Brandenburg nämlich maßgeblich an der Entwicklung des MP3-Standards beteiligt war. MP3, für die, die es nicht wissen, ist ein Verfahren zur Komprimierung von Audio-Dateien. Herr Brandenburg: Woran erkennen Sie, dass Sie eine tolle Idee hatten?

Prof. Dr. Karl-Heinz Brandenburg

Das ist mal so, mal so. Es gibt die Ideen, die wirklich wie der Blitz kommen, das passiert tatsächlich, nach dem Motto, so könnte es doch gehen. Dann braucht es viel, viel Arbeit, um festzustellen, ob es wirklich funktioniert. Und häufig kommt dann heraus: Nein, das war nichts.

Es gibt aber auch die langfristigen Ideen: Was ist notwendig? Oder: Dahin muss es gehen. Dann merke ich, dass es eine gute Idee war, wenn in der Diskussion mit den Kollegen sich das Stück um Stück durchsetzt, wenn man im Gespräch mit anderen merkt, ja, da sind wirklich die Türen offen für diese Idee, diese Dinge zu tun.

Moderation

Ich darf jetzt nach dem Grundlagenforscher und dem eher anwendungsorientiert arbeitenden Forscher einen Forscher aus der Industrie vorstellen, Walter Seemayer. Er ist National Technology Officer bei Microsoft Deutschland. Ich habe ihn gefragt, wie er das übersetzen würde. Und er sagte: Technologiebotschafter.

Herr Seemayer, manchen kommt es ja so vor, als hätte Microsoft manchmal zu viele Ideen. Wie geht es denn Ihnen persönlich, wenn Sie eine gute Idee haben?

Walter Seemayer

Mir persönlich geht es so: Wenn ich eine gute Idee habe, dann sagt mir das mein Bauchgefühl. Und das Bauchgefühl gibt mir die Energie und den Wunsch, die Idee anderen zu vermitteln, die Leute mitzunehmen. Und wenn ich Leute mitnehmen kann, Leute davon begeistern kann, dann war es auch oft eine gute Idee – nicht immer, aber sehr oft.

Moderation

Genau da wollen wir anknüpfen, bei den guten Ideen, weil das ja der Start der Wertschöpfungskette ist. Ich habe es schon skizziert: Eine gute Idee muss dann irgendwie produktreif entwickelt werden, Umsetzung ist das Schlagwort. Dazu kommen wir gleich und natürlich auch zur Rolle der Politik und der Gesellschaft bei Innovationsprozessen. Aber starten wir mit der tollen Idee. Da gab es für mich die relativ überraschende Erkenntnis, als ich angefangen habe, mich auf diese Diskussion vorzubreiten: Wir Deutschen haben eigentlich eine Menge toller Ideen.

Das hat Dieter Schade, den Präsidenten des Deutschen Patentamtes in München, dazu gebracht, zu sagen: Diese ganze Innovationsoffensive ist eigentlich Kokolores. Weil: Wir haben jede Menge guter Ideen. Es hapert an der Umsetzung. Er hat das mit Zahlen belegt. In Deutschland werden jährlich 60.000 Patente eingereicht. 25 % davon werden genehmigt, das heißt, 15.000 Patente jährlich in Deutschland. Das Erstaunliche ist aber, dass nur jedes zweite davon tatsächlich genutzt wird. Es gibt Experten, die sagen, diese mangelnde Umsetzung ist der Grund für die Wachstumsflaute.

Frau Ministerin: Das muss ja eigentlich auch den Experten im Ministerium zu denken geben. Was ist deren Antwort? Woran liegt es denn, dass wir Deutschen so schlecht in der Umsetzung sind?

Edelgard Bulmahn

Erstens konnten Sie genau die Aussage schon im Bundesforschungsbericht vor vier Jahren nachlesen. Wir sind bei den weltmarktrelevanten Patenten z.B. an zweiter Stelle weltweit. Das heißt, wir haben viele gute Ideen. Das treibt uns ja um, warum viele dieser guten Ideen nicht genutzt, nicht umgesetzt werden. Das ist im Übrigen gerade die Zielsetzung der Innovationsoffensive. Denn Innovation ist ja mehr, als die gute Idee zu haben, sondern die erfolgreiche Markteinführung macht ja eine Innovation aus. Darum geht es auch in der Innovationsoffensive.

Ein Problem, was ich in unserer Wissenschaft wirklich sehe, ist, dass wir eine stärkere langfristigere Zusammenarbeit zwischen unseren wissenschaftlichen Einrichtungen und der Wirtschaft brauchen. Wir haben eine Tradition der kurzfristigen Auftragsforschung. Die muss ergänzt – nicht ersetzt – werden durch langfristige Kooperationen. Sie muss natürlich auch ergänzt werden durch Kooperationen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Sie muss ergänzt werden durch die Verstärkung der Anstrengungen in den Forschungseinrichtungen selber, die gute Idee, die in einer Forschungseinrichtung entwickelt worden ist, eben zu einer erfolgreichen Vermarktung zuführen.

Deshalb haben wir eine ganze Reihe von Initiativen gestartet, im Übrigen auch sehr stark aufbauend auf den Erfahrungen aus der Fraunhofer Gesellschaft. Die wird ja durch mein Ministerium zu 90 % finanziert. Da haben wir eigentlich ein gutes Beispiel, wie das funktioniert. Im Fall der Max Planck-Gesellschaft ist es die Initiative Max-Planck-Innovation, wo wir auch seit mehreren Jahren sehr gute Erfahrungen haben. Aufbauend auf diesen Erfahrungen verbreitern wir das, haben es verbreitert auf die anderen Forschungsorganisationen, aber auch auf die Universitäten. Dort gibt es eigentlich die größten Anstrengungen, die notwendig sind, weil gerade die Universitäten eigentlich eine Ideenschmiede sind, und weil wir viele dieser Ideen durch Verwertungsagenturen, durch ein aktiveres Patentgeschehen an den Universitäten, aber ausdrücklich wieder auch durch Kooperation verbessern müssen.

Und einen dritten Punkt will ich noch anmerken: Ich bin persönlich wirklich auch davon überzeugt, dass es wichtig war, dass wir in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Initiativen gestartet haben, mit denen wir gerade auch jüngeren Wissenschaftlern einfach die nötige Rückenstärkung geben. Gestatten Sie mir einen Vergleich zu den Fußball-Europameisterschaften. Ich habe gerade mit Herrn Gruss darüber gesprochen. Ich finde es hochinteressant, dass jetzt wirklich sich die Staaten durchgesetzt haben, die mit jungen Fußballmannschaften angetreten sind, die selbst wirklich massiven Wert auf die Entwicklung des Nachwuchses gelegt haben. Das sind nicht die Mannschaften mit den etablierten saturierten Stars. Es sind die Mannschaften mit den jungen Stars. Genau das brauchen wir auch in der Wissenschaft. Und wenn die dann auch noch kooperieren mit der Wirtschaft, werden wir auch mehr dieser Innovationen umsetzen können und wirklich Ideen tatsächlich zu Innovationen machen können.

Moderation

Diese Ideen, die Umsetzung voran zu treiben, gibt es in Ihrem Ministerium schon länger. Man fragt sich als Laie: Warum hat Bundeskanzler Gerhard Schröder fünf Jahre im Amt gebraucht, um Ihnen dafür den Rücken zu stärken?

Edelgard Bulmahn

Das stimmt ja auch nicht, er hat es schon früher gemacht. Aber es ist schon richtig, dass wir das jetzt gemeinsam mit der Wirtschaft machen, das ist entscheidend, und dass die gesamte Bundesregierung das mit allen Wirtschaftsverbänden macht. Denn wir können es nicht alleine als Bundesregierung. Wir brauchen auf der einen Seite die Wissenschaft, die ist ja auch dabei, und wir brauchen die Wirtschaft, die auch wirklich dann mit hohem persönlichem Engagement – deshalb sind es auch nicht nur Verbände, sondern auch Unternehmer – vorangeht und selber auch dieses zu ihrem Anliegen machen. Sonst gelingt es nicht.

Das ist das wirklich Wichtige an dieser Innovationsinitiative. Damit können wir auch den notwendigen Push kriegen, den wir in den Strukturen durchaus schon haben. Es ist nicht so, dass sich nicht wirklich etwas entwickelt hätte. Wir haben eine ganze Menge an Fortschritten erreicht. Aber diesen Push brauchen wir eben auch noch und den können wir genau durch die Innovationsinitiative erreichen, die im Übrigen nicht nur für das Jahr gilt. Ich habe immer gesagt, es ist ein Jahrzehnt der Innovationen, was wir eigentlich brauchen. Wir machen jetzt den Anfang, aber es muss natürlich darüber hinaus fortgesetzt werden und weiter gehen.

Peter Gruss

Ich greife das gerne auf und ergänze es, was die Frau Ministerin gesagt hat. Zunächst einmal sollten wir hier differenzieren. Wenn wir über Patente reden, sind wir in der Tat ganz vorne mit dabei im Bereich der Hochtechnologiepatente. Wir haben einen Rückgang zu verzeichnen auf dem Gebiet der Spitzentechnologie. Bei Patenten in der Spitzentechnologie ist Deutschland bedauerlicherweise nicht führend. Ich habe das neulich mal in einer Studie gelesen. Da hieß es: Wenn man die Automobilindustrie rausrechnet, dann sind wir kein Land mehr, das sich technologisch international zeigen kann.

Nachfrage Moderation Das stand, glaube ich, im Bundesforschungsbericht, der im Mai präsentiert wurde.

So ist es. Ich will den Gedanken aber weiterentwickeln, weil er mir wichtig erscheint, auch für die generelle Diskussion. Was sagt uns diese Analyse? Innovation ist nicht gleich Innovation und wir müssen ein bisschen sauberer definieren, welche Art der Innovation wir brauchen. Wenn wir darüber reden, dass wir im Automobilbau, Maschinenbau u.ä. innovativ sind, dann reden wir in der Regel von so genannten Verbesserungsinnovationen. Das heißt, aufbauend auf einem Durchbruch, der irgendwann mal stattgefunden hat, wird dann unsere deutsche Industrie hergehen und dieses so verfeinern, dass es zum Produkt wird. Das ist der eine Punkt. Da sind wir sehr gut, z.B. in der Automobilindustrie und in anderen Bereichen, ich will das nicht ausschließlich auf die Automobilindustrie beziehen.

Was ich aber meine, wo wir Nachholbedarf haben: Wir sollten uns doch Gedanken machen, warum wir so wenig Patente in der Spitzentechnologie haben. Da gibt es zwei Komponenten, die mir wichtig erscheinen.

Das Erste ist die auflagenfreie Grundlagenforschung, die das liefert. Und das Zweite ist genau das, was Frau Ministerin sagt, nämlich eine bessere, klarer strukturierte Translation der Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwendung. So krass wie Einstein das gesagt hat, sollte man es zwar nicht verstehen. Er hat gesagt: Wenn man die Forschung den Ingenieuren überlässt, dann hätte man hervorragend funktionierende Petroleumlampen, aber keinen elektrischen Strom. Was ich damit sagen will: Man braucht beides. Wir brauchen die Komponente Verbesserungsinnovation auf der einen Seite. Wir brauchen aber auch die Komponente Durchbruchs- oder Basisinnovation auf der anderen Seite. Und diese ist unabdingbar mit einer freien Forschung verknüpft, die sich entwickeln, die sich gestalten kann, die den Mut hat, das Unbekannte zu fragen und dann zu diesen Durchbrüchen zu kommen. Wir wissen das alle: Dampfmaschine, die Chemie, die Biotechnologie oder jetzt gegenwärtig die Informationstechnologie – an ihrer Basis standen solche Befunde.

Moderation

Herr Gruss, vor einigen Jahren hatte mein Nassrasierer zwei Klingen. Heute hat er drei und es läuft im Fernsehen eine Werbung, die sagt, jetzt Nassrasierer mit vier Klingen – das ist die große Innovation.

Dass Grundlagenforschung mit Innovation zu tun hat, scheint noch nicht so richtig vorgedrungen zu sein. Wenn Sie die Bevölkerung fragen, was brauchen wir für einen wirtschaftlichen Aufbruch, dann kommt an erster Stelle Entbürokratisierung, Steuersenkung usw. und erst an siebter oder achter Stelle in solchen Studien bessere Wissenschaft oder Wissenschaft. Hat es da ein Vermittlungsproblem gegeben?

Peter Gruss

Offensichtlich. Das sind hier wahrscheinlich zwei Komponenten, die ineinander spielen. Da ist zum Einen die Komponente, dass wir uns alle, da nehme ich mich nicht aus, wohler fühlen mit den Dingen, auf die man aufbauen kann, weil sie in der Gesellschaft akzeptiert sind. Das sind nun mal nicht gerade die Durchbruchsinnovationen. Diese Dinge, die selten genug passieren und dann eine Tür aufstoßen, sind ja etwas, was auch Vorstellungen und gesellschaftliche Strukturen zum Teil ins Wanken bringt.

Nehmen Sie doch mal das World Wide Web, den Berners-Lee, der jetzt gerade auch einen Preis in Finnland bekommen hat. Das hat doch unsere gesamte Kommunikationsstruktur so verändert, dass man in dem Sinne natürlich sich auch bedroht fühlt bzw. bestimmte Industriebereiche – einschließlich der Presse – sich bedroht fühlen könnten. Das heißt, diese Dinge spielen da mit rein. Es ist natürlich auch der Punkt, der zu Ihrer Frage führt: Erstens sind die Durchbruchsinnovationen nicht häufig. Sie sind nicht vorhersehbar und dann von der Bevölkerung oft eher gefürchtet als akzeptiert.

Moderation

Ich hörte vorhin nebenbei leisen Widerspruch – die Rolle der Grundlagenforschung für die wirtschaftliche Entwicklung, für die Prosperität in Deutschland, Frau Ministerin, Sie sind da anderer Meinung?

Edelgard Bulmahn

Ich bin nicht der Meinung, dass die Grundlagenforschung in Deutschland unterschätzt wird. Es ist zwar richtig, dass vielleicht Umfragen zu diesen Ergebnissen kommen, aber diejenigen, die die Entscheidungen treffen, unterschätzen das sicherlich nicht. Ich glaube, dass es schwierig ist, die Grundlagenforschung von ihren Inhalten, ihrem Charakter her zu vermitteln und darzustellen. Das ist ja eine Aufgabe, vor der wir stehen, wo wir ja auch versuchen, das z.B. durch die Initiative Wissenschaft im Dialog immer wieder deutlich zu machen.

Wenn ich z.B. vom Haushalt ausgehe, dann wird natürlich aus meinem Haushalt ein ganz erheblicher Teil für Grundlagenforschung eingesetzt, und zwar wirklich ein sehr großer Teil. Da gibt es bei den politischen Entscheidungsträgern auch keinen Dissens: Das hat eine große Bedeutung. Und es wird auch nicht von der Industrie finanziert, um das mal klar zu sagen, sondern es wird im Grunde genommen nur über die öffentlichen Steuern finanziert. Deshalb gibt die Forschungsministerin immer Steuern aus. Sie müssen aber auch irgendwo erhoben werden, sonst können wir auch keine Mittel für Forschung zur Verfügung stellen. Diesen Zusammenhang müssen wir auch mal ab und zu nennen.

Also, da gibt es einen großen Konsens. Was ich für wichtig halte: Dass man das auch immer an ganz konkreten Beispielen deutlich macht. Das gilt sicherlich für das World Wide Web, aber das gilt natürlich auch für die spezielle Relativitätstheorie von Einstein. Ohne die hätten wir nicht die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien. Das könnte ich so fortsetzen und diesen Zusammenhang kann man durchaus erklären und deutlich machen. Das ist vielleicht nicht immer oft genug geschehen. Das halte ich schon für wichtig, dass man diesen Zusammenhang auch deutlich macht. Denn wir brauchen natürlich die Bereitschaft, um zu sagen: Ja, wir brauchen auch Steuermittel, um genau diese Arbeit und Tätigkeit zu finanzieren und damit auch zu ermöglichen.

Walter Seemayer

Ich würde zu dem Thema Wahrnehmung der Innovation und für was brauchen wir es eigentlich ein paar Worte verlieren wollen.

Zunächst mal, wenn man mich fragt: Innovation – für was braucht man das?, ist für mich klar, das ist das, was neue Arbeitsplätze schaffen wird – mittelfristig und langfristig. Nun zur Wahrnehmung in der Bevölkerung zum Thema, wie wichtig Innovation ist: Als ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, habe ich gesehen: Es gab ja eine Sendung „Unsere Besten“ im ZDF. Da habe ich mir gedacht, da schaue ich mal. Die Rankings sind im Internet veröffentlicht. Wo stehen denn die Leute Daimler, Siemens, die vor – zugegeben – einiger Zeit Innovationen geschaffen haben, Unternehmen begründet haben? Da sind heute Hunderttausende von Menschen beschäftigt. Wo stehen die denn in dem Ranking? Ich glaube, Werner von Siemens steht auf 145, Gottlieb Daimler auf 110, Daniel Küblböck auf 16, Dieter Bohlen auf 30. Zugegeben, Einstein und Gutenberg stehen ziemlich weit vor. Ich meine, es ist jetzt sehr plakativ, aber es zeigt ein bisschen, wie die Wahrnehmung ist.

Die Bedeutung der Innovation für den Wohlstand unseres gesamten Systems in Deutschland wird aus meiner Sicht total unterschätzt. Ich glaube, da gibt es genug Leute, die sagen: Ach, das ganze Geld, das wir da ausgeben für Forschung – für was braucht es das? Da kommt doch nichts raus. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass wir eine Kultur haben, in der einer, der etwas Neues macht, ein Superstar ist. Superstars sind andere Leute. Ich glaube, wir brauchen so eine Kultur, wo Leute, die sich was trauen, so was wie einen Superstarstatus erringen können.

Und das ist aus meiner Sicht eines der großen Probleme, die Bedeutung von Innovation zu vermitteln und entsprechende Energien freizusetzen, um diese zu schaffen.

Moderation

Dass Forscher und Ingenieure in Deutschland vielleicht nicht den Ruf haben, den sie haben müssten, darüber wollen wir später noch reden. Ich würde jetzt gern erst mal einen der Innovatoren hier ansprechen. Herr Brandenburg: Arthur Frey, der Erfinder dieser Post-it-Notiz-Zettel, die jeder kennt und die im Büro die Arbeit ungemein erleichtern, hat einmal gesagt: Man muss viele Frösche küssen, um auf einen Prinzen zu stoßen. Wie war das bei Ihnen?

Karl-Heinz Brandenburg

Erst mal zum Thema Superstar: Dank Artikeln wie in der ZEIT kommt man sich schon manchmal so vor, auch wenn man dann denkt, dass es gar nicht gerechtfertigt ist, weil es viele andere mit vergleichbaren Arbeiten gibt.

Bei mir war da zunächst mein Doktorvater, der eine Idee hatte, nämlich Musik über Telefon zu übertragen, wo der Patentprüfer in München gesagt hat, das geht nicht. Das soll man einem deutschen Professor nicht sagen. Der hat einen Doktoranden gesucht, der beweisen sollte, dass es doch geht. Das war der erste Schritt. Und da gehören dann die bekannten Dinge rein: Gute Grundlagen haben, die Mathematik beherrschen und wirklich schauen, was irgendwo anders gemacht wird – über den Tellerrand hinaus: Nicht nur in der eigenen Technologie, sondern auch in anderen Bereichen zu schauen und viele Dinge zu probieren, Ideen zu haben, zu sehen, wie sie nicht funktionieren, und dann Ideen zu haben, die doch funktionieren. Das ist der erste Schritt.

Der zweite Schritt aber Richtung Umsetzung war dann tatsächlich, auch Anwendungen zu finden. Das war damals Ende der 80er Jahre erst mal nur ein Traum. Da gab es aber das Projekt DAB (Digital Audio-Broadcasting), wo auch zueinander konkurrierende Forschungsinstitute, Universitäten und Firmen an dieser Technik gearbeitet haben. Diese Konkurrenz wurde fortgesetzt in die Standardisierung und hat das Ganze sehr voran gebracht, so dass es mehrere Verfahren gab, die sich gegeneinander durchsetzen mussten. Da musste man als Ingenieur plötzlich Politik lernen, um im Standardisierungsgremium bestehen zu können – das war ganz wesentlich.

Und der nächste Schritt war, dass es für eine Technik, die andere mit Erfolg als zu kompliziert eingeschätzt haben, in Freiburg eine kleine Halbleiterfirma gab, Intermetall, heute Micronas, die gesagt hat: Wir wollen Chips dafür bauen und die damit bewiesen hat, dass es auch in der Kleinheit geht. Wir hatten dann bei Fraunhofer die Ressourcen und das Rückgrat, das Thema weiter durchzuziehen, neue Anwendungen zu suchen, bis dann eine Lawine losgetreten war.

Moderation

Für Fraunhofer hat sich das Engagement gerechnet. Sie sind heute der Goldesel für die Fraunhofer Gesellschaft: Die verdienen jährlich 20 Mio. Euro aus Lizenzgebühren und 16 Mio. davon entfallen auf MP3-Schutzrechte. Trotzdem ist das Erstaunliche: Sie hatten diese tolle Idee und auch die Organisation im Rücken und den langen Atem, das umzusetzen – aber die Industrie war ja anfangs gar nicht begeistert?

Karl-Heinz Brandenburg

Die Industrie war absolut nicht begeistert. Es war dann auch das Internet, was da mitgeholfen hat: die Macht der kleinen Leute. Andere, die den offenen Standard mit uns umgesetzt haben. Ideen von vornherein Digital rights Management einzuführen, sind damals auf taube Ohren gestoßen. Sonst wäre vielleicht einiges anders gegangen. Wir haben viel gelernt über das Internet, über Geschäftsmodelle, über Lizenzverhandlungen. Ich war z.B. Anfang 1997 in Redmond bei Microsoft. Aber das war ein Prozess, der kann gut gehen, der kann schief gehen. Da ist im Wesentlichen das Team von Leuten entscheidend, das meint: Ja, da ist etwas, was es wert ist, vorangebracht zu werden, und daran arbeitet, selbst wenn die Zeiten schwierig sind und man sich andere Dinge überlegen muss.

Moderation

MP3 ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte Made in Germany, aber die Kehrseite der Medaille ist, dass das große Geld mit der Hardware, mit diesen portablen Playern, die es inzwischen von diversen Firmen gibt, nicht deutsche Firmen verdienen, sondern Unternehmen aus Ostasien. Wenn Sie heute noch Kontakt haben zu den Firmenchefs, bei denen Sie damals angeklopft haben: Ärgern die sich eigentlich, dass sie sich diese Chance haben entgehen lassen?

Karl-Heinz Brandenburg

Damals hatten wir nicht die Position, um mit den Firmenchefs reden zu können. Ich habe auch nicht gehört, dass die sich geärgert haben. Es gab ja – wie gesagt – Intermetall, heute Micronas, die eine Zeit lang an den Chips 85 % Weltmarktanteil hatten und sehr viele Chips nach Korea exportiert haben. Dort wurden sie dann in die Geräte eingebaut. Es waren koreanische Firmen, die zuerst die Geräte gebaut haben, von denen jeder in der Branche wusste, dass die irgendwann kommen würden. Die Frage war nur, wann und wer sie zunächst baut. Heute ist es Teil der ganz normalen Consumer-Elektronikindustrie. Das ist Philips, das ist Thomson. Übrigens hatten die Thomson-Labors in Hamburg auch einiges mit der Entwicklung zu tun. Es sind die Firmen in Japan.

Moderation

Herr Seemayer, würde Ihr Unternehmen heute cleverer reagieren, wenn Herr Brandenburg käme? Wie schafft man Strukturen, die für innovative Ideen, deren Erfolg vielleicht in ferner Zukunft liegt, offen sind?

Walter Seemayer

Microsoft ist erfolgreich geworden, weil eine Standardplattform geschaffen wurde und Werkzeuge bereitgestellt wurden, um für diese Standardplattform Anwendungen zu entwickeln. Da wurde ein ganzes Netzwerk aufgebaut um die Plattform – was die Plattform wieder attraktiver für Anwender gemacht hat. Dadurch wurden mehr Leute angezogen, die diese Plattform entwickelt haben. Ich sehe das ein bisschen als ein Modell: Wir brauchen, um Innovation in Deutschland voranzubringen, nicht ein paar wenige Leuchttürme, sondern wir brauchen eine Art Massenbewegung. Und wir brauchen Mechanismen, um große Netzwerke rund um einzelne Themen aufzubauen. Ich denke, nur so kann man auch relevante Arbeitsplatzzahlen überhaupt schaffen.

Moderation

Sie waren vorher bei Microsoft Europe und viel unterwegs, sind dann nach Deutschland zurückgekommen. Wenn Sie das international vergleichen, fehlt es hier an der Atmosphäre dafür?

Walter Seemayer

Wenn ich das vergleichen würde, fällt mir ein, was Beckenbauer gerne sagt: Wir haben eine Schaun-mer-mal-Kultur. Das heißt, wenn was Neues da ist, dann schauen wir erst mal und lassen die anderen machen. Und dann machen wir es eventuell, wenn wir uns alles ganz genau überlegt und alles ganz genau diskutiert haben. Ich glaube, das ist bei Innovationen schädlich. Ich war fünf Jahre außerhalb Deutschlands unterwegs. Als ich zurückkam, ist mir extrem aufgestoßen, alles sehr langsam anzugehen, gründlich deutsch anzugehen. Ich glaube, das ist auch einer der Gründe für die Umsetzungsschwäche, die bei uns da ist. In dem Fall, kann ich mir vorstellen, hat der eine oder andere Hardware-Hersteller gesagt: Da schauen wir erst mal. Die anderen haben vielleicht gesagt: Tolle Idee, lasst es uns umsetzen! Und die stehen heute da, wo sie stehen.

Moderation

Der Faktor Zeit scheint in Deutschland eine große Rolle zu spielen. Bei Zeit fällt mir in Deutschland auch immer das Stichwort Bürokratie ein. Herr Gruss, die Max-Planck-Gesellschaft hat seit 1990 etwas mehr als 60 Firmen ausgegründet. Hat sich in Deutschland etwas verbessert bei der Gründung von Firmen? Es sind viele Unterstützungsstrukturen aufgebaut worden für Firmengründer. Die Max-Planck-Gesellschaft selbst hat so eine. Ist das wirklich hilfreich?

Peter Gruss

Das Beispiel zeigt ja eindeutig, dass die Grundeinstellung, übrigens auch bei der Grundlagenforschung, die ist, dass man zwar seine Forschungsfragen stellt, aber die Antworten, wenn sie denn eine Anwendungsrelevanz haben, durchaus auch in die Umsetzung bringt. Und wo wir gerade bei den jährlichen Einkommen waren: Die Max-Planck-Gesellschaft, die nicht den Auftrag hat, anwendungsorientiert zu forschen, hat das gleiche Einkommen von rund 20 Mio. Euro im Jahr. Das wollte ich nur mal nebenbei bemerken.

Aber Ihre Frage zielte ja auf etwas ganz anderes. Ihre Frage war ja: Hat sich in Deutschland – ich sage mal – über die letzte Dekade hinweg im Sinne des Entrepreneurships etwas verändert? Die Antwort ist ein ja, aber das muss man etwas ausführen.

Zunächst mal hatten wir in den 90er Jahren insbesondere auf dem Gebiet der Biotechnologie einen Wahnsinnsboom, der uns tatsächlich dazu gebracht hat, in Europa das Land mit den meisten Biotech-Firmen sein zu können. Dass diese einzelnen Firmen im Sinne ihres Reifegrades dann nicht so weit waren wie z.B. die Firmen unserer britischen oder amerikanischen Kollegen, die dann nämlich bereits zehn weitere Jahre Erfahrung hatten schöpfen können, das liegt z.B. auch daran, dass wir ganz zu Beginn ein Gentechnikgesetz hatten, das es nahezu verhinderte, dass man sich in dieses Feld begeben wollte, im Sinne einer kommerziellen Entwicklung. Das ist der erste Teil.

Dieses Gesetz wurde novelliert. Wir hatten dann eins – haben wir übrigens immer noch – mit dem man arbeiten kann. Durch die 90er Jahre hinweg haben wir einen Boom erlebt. Wir hatten alle Elemente hier. Wir hatten das Element des Risikokapitals. Wir hatten das Element der Bankbürgschaften. Und wir hatten das Element, dass die jungen Leute tatsächlich, genauso wie Sie das fordern, sozusagen nicht schaun wir mal sagten, die haben es gemacht. Insofern war das eine gute Zeit. Und dann kam der Einbruch der New-Economy. Der Einbruch des Marktes, so meine Einschätzung, hat zu vollkommen anderen Voraussetzungen geführt. Und diese Voraussetzungen bedingen jetzt wiederum etwas. Nämlich, wenn wir – was wir uns alle wünschen – auch in der Zukunft diese Gründungsphasen weiter entwickeln wollen, dann müssen wir eine strukturelle Lücke schließen in der Wertschöpfungskette. Das heißt, der Zeitpunkt, zu dem es in der Vergangenheit möglich war, zu einer Firmengründung zu kommen, hat sich jetzt auf der Erfahrungs- und Wertschöpfungskettenachse verschoben. Das heißt, die Venture-Kapitalisten werden nicht mehr Geld geben in eine ganz frühe Entdeckung, sondern sie wollen diese Entdeckung zur Erfindung geführt haben. Und da braucht es heute strukturelle Brückenfunktionen. Man kann darüber reden, was das sein kann. Man kann sich da wirklich Dinge vorstellen, die funktionieren. Dinge, die dann z.B. die Fraunhofer Gesellschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft mit einbeziehen, so dass man hier im Sinne der Beratung und auch der Validierung – das ist hier das Schlüsselwort – versucht, die entsprechenden Ideen und Gedanken in kleine Firmen zu vermitteln. Oder dass man gemeinschaftlich mit Fraunhofer diese Dinge so weit treibt, dass tatsächlich dann auch für den Kapitalgeber die Sicherheit da ist, um genau das weiter zu tun, was wir in der Vergangenheit tun konnten.

Moderation

Dann ist aber von Risikokapital in dem Sinne eigentlich keine Rede mehr.

Peter Gruss

Das ist gegenwärtig leider so. Ich habe das auch gern so gesagt: Uns mangelt es in Deutschland nicht an Risikokapital. Uns mangelt es daran, dass es ausgegeben wird.

Edelgard Bulmahn

Da habe ich auch gelegentlich den Eindruck, dass – solange es noch mit Risiko behaftet ist – in vollem Umfang der Steuerzahler eintreten soll. Wenn die Sicherheit vorhanden ist, dann gibt es die Bankenfinanzierung. So ein System funktioniert nicht auf Dauer. Das ist im Übrigen auch ein Punkt, den wir in der Innovationsoffensive ja auch gemeinsam verändern müssen und verändern wollen. Denn das ist nicht eine Frage von Gesetzen, sondern es ist eine Frage von Risikobereitschaft auch der Finanziers.

Der zweite Punkt: Es ist sicherlich richtig, dass wir trotzdem, obwohl ich ausdrücklich sage, dass wir die Risikobereitschaft erhöhen, für die wirkliche Gründungsphase auch wirklich immer Risikokapital bereitstellen, das auch steuerfinanziert ist. Wir haben Anfang des Jahres einen neuen Dachfond gegründet, mit dem wir insgesamt rund 1,7 Milliarden Risikokapital zusätzlich zur Verfügung stellen, um genau dieses Problem, was wir zur Zeit haben – was wirklich eine Folge des Platzens der Internetblase damals war, der New Economy – jetzt auch aufgreifen zu können. Hier eine Überbrückung zu schaffen und sicherzustellen, wird meiner Einschätzung nach auch notwendig sein. Aber was wir noch stärker brauchen in Deutschland, wo es jetzt gerade z.B. für die Biotechnologiefirmen auch problematisch wird, ist die erste Phase der Erweiterung. Das kennen wir aus der Informations- und Kommunikationstechnologie ja auch. Da sind viel größere Summen wieder erforderlich. Das kann man nicht mehr über Steuerfinanzierung leisten, sondern da brauchen wir z.B. viel stärker größere, bereits etablierte Unternehmen, die sich beteiligen.

Ich glaube, wir müssen einfach auch den Blick dafür öffnen, wie wichtig es ist, dass auch Beteiligungskapital eingesetzt wird. Dass Unternehmen nicht nur warten, bis sie schon einen Erfolg sehen, sondern sich bei solchen jungen Unternehmensgründungen, wenn schon ein Stück Solidität und Validierung stattgefunden hat, einmischen, mitmachen, einen Teil der Verantwortung übernehmen. Das ist ja auch eine Chance.

Ihr Beispiel ist eigentlich ein typisches, wo man genau über diesen Weg des Beteiligungskapitals eine Sache hätte gut aufgreifen, gut vermarkten können. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, wo es bei uns noch hapert.

Und dann will ich einen dritten Punkt noch einmal kurz ansprechen. Ich würde die Bedeutung der Automobilbranche nicht klein reden, weil sie in Deutschland eigentlich das verkörpert, was Sie vorhin auch als notwendig beschrieben haben. Sie hat nämlich genau dieses Netz. Dahinter verbirgt sich ja viel mehr, als allein das Auto zu bauen. Dahinter steht das ganze Netz von Elektronik. Wenn Sie sich ein Auto heute anschauen, wissen Sie, worüber ich rede. Da steht das ganze Netz von Opto-Elektronik dahinter. Da steht das ganze Netz von Materialentwicklung dahinter. Die Automobilindustrie ist die Branche, die in größerem Umfang auch nanotechnologische Produkte und Entwicklungen anwendet, also Oberflächenbeschichtungen, neue Materialien. Da ist ein ganzes Bündel von Kompetenzen und Stärken, die wir in Deutschland auch haben. Maschinenbau, Produktionstechnologien, das alles gehört mit dazu. Das macht man sich nicht immer klar, aber wir sind nicht umsonst weltweit an der Spitze, sondern weil dieses ganze Bündel an Kompetenzen, an neuen Ideen, auch an High-tech-Produkten wirklich dahinter steht. Ich glaube, das ist schon eine wichtige Erfolgsstrategie, dass man versucht, mit den Stärken, die wir haben, auch weiterzugehen. Das ist der Maschinenbau, das ist die Automobilindustrie, das sind auch Energietechnologien. Das kann und muss auch stärker wieder in den Life sciences, in den Lebenswissenschaften sein, nicht in der ganzen Breite, aber in bestimmten Sektoren.

Wir müssen von daher auch stärker solche strategischen Allianzen haben, als wir sie jetzt in den letzten 10, 20 Jahren hatten. Ich glaube, die Einsicht in die Notwendigkeit der Bildung solcher strategischer Allianzen ist ganz wichtig. Die kann man nicht per Gesetz verordnen, sondern die müssen wir durch Überzeugung gewinnen.

Das hat dann im Übrigen auch wieder eine ganz wichtige Rolle für die Standardisierung. Ich stimme Ihnen völlig zu, HDTV haben wir verloren, weil wir nicht den Prozess der Standardisierung damals Ende der 70er, Anfang der 80er gewonnen haben. Es hatte verheerende Auswirkungen für die gesamte Consumer-Elektronik. Also: Wenn wir diese strategischen Allianzen nicht haben, dann ist auch die Standardisierung immer ein ganz mühsamer und langsamer Prozess.

Karl-Heinz Brandenburg

HDTV, wie es heute ist, da ist ja DVB ein Standard dafür, der in Europa ganz wesentlich gesetzt ist und wo es auch europäische Formeln gibt.

Einwurf Bulmahn Da haben wir es geschafft, genau.

Was ich heute immer wieder erlebe: An manchen Stellen ist es ja so, man muss eigentlich die Firmen, die es umsetzen, erst gründen. Und dann geraten wir immer wieder in eine ganze Reihe von Fallen. Ganz am Anfang müssen Dinge getan werden, wo den Eingeweihten klar ist, in 15 Jahren wird das etwas, aber andere das einfach nicht glauben. In Deutschland erlebe ich auch unter Professorenkollegen immer wieder, wenn etwas vorgeschlagen wird, dass zehn Gründe kommen, warum es nicht funktioniert, und nicht die Chancen gesehen werden, falls es doch funktionieren würde.

Einwurf Bulmahn Bei Politikern erlebe ich das aber auch häufiger – Stichwort Spitzenuniversitäten.

Dann geht es weiter: Wagniskapital im Sinne des Wortes gerade von privaten Investoren ist in Deutschland viel weniger verbreitet als anderswo. Das ist gerade schon gesagt worden, das ist zum Teil traurig. Wir haben viel mit Firmengründungen jetzt zu tun, aus dem Umfeld der Audio-Multimedia-Aktivitäten mittlerweile die fünfte vorbereitet. Und es gibt Kontakt zu anderen kleinen Firmen, die mit Ideen kommen und fragen: Geht das denn? Und wenn unsere Antwort ist, es könnte gehen, dann ist das zwar hilfreich für die Leute, aber es sichert immer noch nicht die Finanzierung. Das geht hin bis zu den Problemen mit den Banken, die unter einer Bürgschaft verstehen, dass man das Geld schon hat, das man benötigt.

Moderation

Herr Seemayer, inwieweit kann die Industrie dazu beitragen, solche Finanzierungslücken zu überbrücken? Gibt es vielleicht auch Modelle, wo wir etwas abgucken können?

Walter Seemayer

Einen Modellvorschlag kann ich nicht machen, würde aber gern eine Anmerkung zu dem Finanzierungsproblem machen.

Ich glaube, das Problem ist, dass dieses Pendel der Finanzierung vom Extrem DOT.Com in eine Richtung geschlagen ist, wo viele bestehende Unternehmen Verbesserungsinvestitionen nicht mehr tätigen können. Die Banken scheuen jedes Risiko. Da geht nichts. Das ist ein ganz großes Problem. Wir müssen das Pendel wieder zurückbringen.

Zum Thema Automobilindustrie: Ich wollte es nicht klein reden, aber das Beispiel zeigt doch, wie notwendig es ist, neu solche Netzwerke hochzuziehen. Was wir bei der Automobilindustrie erleben, ist, dass bestimmte Arbeitsgänge aus Deutschland wegwandern. Um auch solche Sachen zu ersetzen, brauchen wir viele dieser Art von Netzwerken, wahrscheinlich nicht so groß wie die Automobilindustrie, aber wir brauchen mehrere, die sich dann irgendwann mal im Laufe der Jahre zu ähnlicher Bedeutung entwickeln könnten.

Moderation

Finanzierungsprobleme sind das eine, aber das andere ist vorhin auch schon angeklungen: Es geht um gesellschaftliche Akzeptanz, um die es in Deutschland vielleicht nicht zum besten bestellt ist. Siemens-Vorstand Klaus Wucherer hat mal beklagt, dass ideologische Abwehrkämpfe in Deutschland Fortschritte in den Bereichen Biotechnologie und Pharmaindustrie verhindern. Damit aber nicht genug. Denn wenn keine neue Biotech-Fabrik gebaut wird, kann Siemens auch keine Elektrotechnik liefern, die in dieser Fabrik gebraucht würde. Die ganze Wertschöpfungskette wird da beeinflusst.

Herr Gruss, Sie selbst sind ja Stammzellforscher, ein relativ strittiges Forschungsfeld in Deutschland. Was ist Ihre Erfahrung? Inwieweit tragen diese Berührungsängste vielleicht dazu bei, den Fortschritt in Deutschland zu hemmen?

Peter Gruss

Das sind unterschiedliche Fragen. Ich denke, man sollte nicht die Stammzellforschungsdebatte als ein Beispiel der Diskussionen über Erneuerungen in Deutschland nehmen. Warum? Weil es genau bei diesem Thema eine sehr große ethische Komponente gibt, die jeden persönlich angeht, wo auch jeder persönlich sein Werturteil fällen muss. Insofern ist das sicher kein sehr gutes Beispiel.

Nachfrage Moderation Lassen wir die Stammzellforschung außen vor. Aber generell: Sind die Deutschen technikfeindlich?

Grundsätzlich, meine ich, haben wir hier tatsächlich einen Nachholbedarf im Vergleich zu anderen Ländern. Ich selbst habe ja auch viereinhalb Jahre in den USA gelebt. Da herrscht einfach eine andere Grundstimmung. Man fragt zunächst nach den Chancen und dann nach den Risiken. Bei uns ist es umgekehrt. Insofern ist es ein Grundproblem in der Bundesrepublik, wo wir alle unseren Beitrag leisten müssen, dass diese Aufklärung in einer Art und Weise geschieht, damit man die Akzeptanz in der Bevölkerung jetzt wieder gewinnt. Ich muss das ein bisschen weiter ausführen.

Wenn man an den Gymnasien nur noch zehn Prozent der Schüler hat, die Leistungskurs Physik und Chemie belegen, wenn es Länder in der Bundesrepublik gibt, wo man über seine gesamte gymnasiale Schulkarriere hinweg nur ein Jahr Chemieunterricht hat, dann müssen wir uns als Gesellschaft nicht wundern, dass genau dieses Feld der Naturwissenschaften zunächst mal kritisch gesehen wird, weil man es gar nicht versteht und auch keine Basis zum Verständnis hat. Das ist die eine Komponente, also schulische Ausbildungsverbesserung. Wir müssen die Kinder viel früher heranführen. Da sage ich ja kein Geheimnis und will das auch nicht wieder aufdröseln, PISA, TIMSS usw., dass wir vor allen Dingen in den Sekundär- und Tertiärbereichen Nachholbedarf haben.

Das führt dann natürlich auch dazu, dass wir in diesen Feldern weniger Studienanfänger haben. Und das führt dann wieder dazu, dass wir dankenswerterweise jetzt ein Zuwanderungsgesetz haben, was besser ist als das vorherige. Es ist nicht so gut, wie wir es uns gewünscht hätten, aber immerhin: Wir können die guten Wissenschaftler aus dem Ausland jetzt nicht nur hier behalten, wenn sie mal hier promoviert oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben, wir können auch neue von außen bekommen mit bestimmten Erleichterungen.

Grundsätzlich sollten wir alle, da ist die Politik genauso wie die Wirtschaft und die Wissenschaft gefordert, unseren Beitrag im Sinne der Öffentlichkeitsvermittlung leisten. Es ist auch unser Job, das der Öffentlichkeit so darzustellen, dass sie es versteht. Wobei – auch das will ich ganz ehrlich zugeben – man natürlich hier, das geht ja wohl jedem so, eine begrenzte Kapazität hat. Unser Hauptauftrag ist nun mal zunächst die Forschung. Das heißt, die Vermittlung ist ein zweiter Bereich. Trotzdem kann man das noch verbessern.

Und wenn ich jetzt nur die neuen Medien mir anschaue, wenn ich mir das Internet anschaue, da habe ich mir einfach mal die Frage vorgelegt: Wie begeistert man denn junge Leute? Und dann schauen Sie in die Umfrageergebnisse. Und was kriegen Sie raus? Erstens Fernsehen, zweitens Internet, drittens bebilderte Medien. Das heißt, wenn wir diese Analyse nicht vorweg stellen, dann weiß ich überhaupt nicht, wie ich die jungen Leute überhaupt erreiche. Entsprechend haben wir unsere Öffentlichkeitsarbeit umgestellt. Wir machen sehr viel mehr Fernsehen jetzt. Wir machen sehr schöne und hoch vernetzte Internetplattformen. Und wir geben in die Schulen bebilderte Broschüren – kurzum eine komplexe Frage, keine einfache Antwort.

Das führt aber letztlich dann dazu, dass man durchs Leben hinweg eine Ablehnungstendenz hat. Und diese Ablehnungstendenz fußt – wenigstens in meinem Verständnis – mehr auf der Basis der Ignoranz, des Nichtkennens der tatsächlichen Fakten.

Moderation

Das ist die Bildungs-/Ausbildungsseite. Die Mentalitätsseite hat eine lange Geschichte in Deutschland. Ich habe noch mal nachgelesen bei Günter Anders, einem Heidegger-Schüler und Vordenker der Anti-Atombewegung. Der schrieb 1957: Habe keine Angst vor der Angst, habe Mut zu Angst, auch den Mut Angst zu machen. Ängstige deinen Nachbarn wie dich selbst. Dieses Gebot wurde offenbar in Deutschland bereitwillig verfolgt, mit Konsequenzen bis heute. In einer McKinsey-Umfrage, einer Online-Umfrage mit 450.000 Teilnehmern, kam heraus: 46 % der Bevölkerung sagen, man sollte Technologie nur fördern, wenn die Risiken kontrollierbar sind, selbst wenn wir dadurch wirtschaftliche Nachteile erleiden. Sieben Prozent gehen so weit, neue Technologien nur anwenden zu wollen, wenn alle Risiken ausgeschlossen sind – selbst wenn wir damit wirtschaftlich nicht so gut fahren. Frau Bulmahn, was tun wir dagegen?

Edelgard Bulmahn

Darin sehe ich ja, dass wir eine Mehrheit haben, die sehr technologiefreundlich ist. Die ganzen Umfragen, gerade bei jungen Leuten, zeigen, dass es eine sehr hohe Affinität, eine sehr große Aufgeschlossenheit gegenüber Techniken und neuen Technologien gibt. Es ist teilweise vielleicht auch manchmal ein Generationenproblem. Das sollte man auch nicht so völlig unter den Tisch fallen lassen. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Ich bin der Auffassung, dass in den Schulen, selbst in den Kindergärten Naturwissenschaften einen größeren Stellenwert haben sollten – nicht als Wissenschaft vermittelt, sondern als Erkunden der Welt. Das ist nämlich das Thema der Naturwissenschaften. Wenn man es vielleicht mal ein bisschen anders darstellen würde, ist es auch für die Kinder und Jugendlichen viel interessanter, darum geht es ja im Kern. Und damit letztendlich auch die Weiterentwicklung, das Neuerfinden der Welt. Das ist das zweite Thema der Naturwissenschaften: die Neukonstruktion der Welt.

Meine Wahrnehmung ist wirklich ein bisschen anders. Ich mache nicht die Erfahrung, dass es eine ablehnende Haltung gibt. Handy ist im Übrigen auch ein typisches Beispiel dafür, wo ganz schnell etwas aufgegriffen wird – viel schneller als es alle Experten erwartet haben. Die Schätzungen waren ganz anders. Wenn also eine neue Technologie nützlich ist, wenn sie durch ihre Nützlichkeit überzeugt, gibt es eine Riesenbereitschaft. Dann spielen auch die Skeptiker keine Rolle. Das ist ja bei Handys auch so.

Ein Problem der Forschung ist, dass wir z.B. gerade in den Lebenswissenschaften nicht unmittelbar die Nützlichkeit darstellen konnten. Inzwischen, z.B. bei der Genomforschung in der Medizin, bei der Entwicklung neuer Medikamente, gibt es eine ganz große Unterstützung. Da haben wir auch Umfragen, die das mit 80 bis 90 % Zustimmung ganz klar darlegen. Das ist ein wichtiger Punkt, das auch deutlich zu machen, neue Technologien auch den Menschen nahe zu bringen. Das kann man im Unterricht machen. Sie wissen, dass ich selber als Ministerin Null Zuständigkeit für Schulen habe, dass ich trotzdem aber immer gesagt habe, dass ich es für wichtig halte, dass wir bundesweite Bildungsstandards haben. Das ist nämlich der entscheidende Punkt. Das heißt, dass man ein bestimmtes Wissen in Naturwissenschaften hat, genauso wie in den Kulturwissenschaften oder wie z.B. auch über die Funktionsweise, die Grundstrukturen und Grundzüge unseres politischen Systems. Da gibt ja auch erhebliche Unkenntnis, wenn ich das mal sagen darf.

Der zweite Punkt aber ist das, was wir jetzt in der Initiative Wissenschaft im Dialog machen, das Jahr der Wissenschaften, das ich vorhin genannt habe. Das machen wir jetzt seit 2000. Wir haben sehr gute Ergebnisse. Ich finde, daran muss man auch anknüpfen. Es hat ja nicht nur dazu geführt, dass die Forschungsorganisationen mitmachen. Die gehen auf Schulen zu. Sie laden Schülerinnen und Schüler in ihre Einrichtungen ein. Sie gehen in die Öffentlichkeit. Wir haben allein in diesem Jahr der Technik 3.000 Verbände, die alle mit ihren Mitgliedern engagiert mitmachen, die an unkonventionellen Plätzen auch ihre Wissenschaft, ihre Technik an die Menschen heranbringen, auf Marktplätzen, Bahnhöfen etc. Wir müssen die Wissenschaft aus den typischen Institutionen herausbringen. Genau das ist wichtig, wenn wir wirklich diese Kluft überwinden wollen. Das wird, denke ich, inzwischen von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als ihr eigenes Anliegen begriffen und wahrgenommen. Das war und ist eine ganz positive Entwicklung.

Und der dritte Punkt, den ich noch nennen will: Ich habe mir immer die Frage gestellt, was ist eigentlich eine Innovationskultur? Ich bin davon überzeugt, dass ein ganz wichtiger Punkt darin besteht, dass wir eine Gesellschaft haben, in der man einfach offen ist für Neuerungen, auch offen ist, quer zu denken, Grenzen zu überwinden. Ernst Bloch hat das einmal treffend formuliert. Der hat gesagt: Denken heißt Grenzen überwinden. Ich persönlich finde, das ist ein bisschen verloren gegangen, diese Bereitschaft, auch Grenzen zu überwinden und das zu akzeptieren, dass das nicht mit einem Verlust einhergeht, sondern mit einer Bereicherung. Und von daher Neugier zu unterstützen, sie nicht als etwas Negatives zu betrachten. Wir haben ja eine Kultur, in der Neugier eigentlich abgewertet wird. Das ist aber eigentlich eine Stärke des Menschseins, dass wir nicht einfach etwas als gegeben hinnehmen, sondern neugierig sind. Diese Eigenschaften oder diese Stärken von Menschen zu unterstützen, ist fast noch wichtiger als nur alleine über Technologie zu diskutieren. Das in unserem Bildungswesen, in unserer Gesellschaft einfach auch als positiv darzustellen, fände ich entscheidend.

Da spielen im Übrigen die Feuilletons auch eine große Rolle. Ich habe nicht den Eindruck, dass die diese Grundhaltung immer so besonders fördern.

Moderation

Herr Seemayer, Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen für Innovation. Was würden Sie sich von einer guten Innovationspolitik erhoffen und wovon sollte Politik vielleicht die Finger lassen? Es gibt ja auch genug Negativbeispiele gut gemeinter Innovationspolitik – von Kalkar bis Cargo-Lifter. Beispiele, wo viel Geld geflossen ist und nichts dabei herauskam. Was würden Sie sich wünschen?

Walter Seemayer

Erst mal muss ich jetzt unbedingt dem zustimmen, was die Frau Ministerin zum Thema Feuilleton gesagt hat und auch zu dem Thema, wie wichtig es ist für Jugendliche, diese Neugier zu stimulieren, neue Dinge zu tun, Grenzen auszuloten. Technologie anwenden, muss ich allerdings einschränken, ist für mich kein Indikator für Innovationsbereitschaft. Wir wollen ja keine Anwender. Wir wollen Leute, die neugierig sind, über Grenzen gehen und neue Dinge schaffen. Das wäre wichtig.

Die Bildungspolitik hat aus meiner Sicht schon die Aufgabe, den Standard auch so zu setzen, dass wir das erreichen. Ich habe zwei Kinder im Alter von 13 und 17 Jahren, beide im Gymnasium im PISA-Führungsland Bayern. Mein Sohn hat im Informatikunterricht die Programmiersprache Pascal gelernt. Das wird vielen nichts sagen, aber das habe ich auch vor 20 Jahren mal gelernt! Meine Analogie ist: Das ist so, als wenn Sie Ingenieure ausbilden und die einzige Sprachausbildung, die die bekommen, ist Altgriechisch. Ich halte das für eine absolute Katastrophe. Zur Entschuldigung heißt es dann immer: Ja, der Lehrplan usw... Aber es kann für mich da keine Entschuldigung geben.

Weitere Rahmenbedingungen? Ich glaube schon, wir waren ja schon mal bei dem Thema Standards, dass der Staat sehr viel tun. Ich stimme absolut überein: Standards setzen ist kritisch. Aber ich glaube, der Staat kann sehr viel tun, diese Standards auch zu nutzen und Nachfrage mit zu erzeugen, so dass eine kritische Masse entsteht. Das heißt, die Anwendung eines Standards immer dann zu fördern, wenn er selber Auftraggeber ist. Ich glaube, das könnte ein wichtiger Impuls sein, um rund um den Standard das von mir vorhin beschriebene Netzwerk aufzubauen. Das gibt dem System die Chance, über diese Nachfrage entsprechend Umsätze zu machen und damit erfolgreich zu sein. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Aufgabe.

Moderation

Frau Bulmahn, ich möchte noch mal bei einem bestimmten Punkt nachhaken. Sie wollen neue Standards setzen. Sie haben vorhin das Stichwort Spitzenuniversitäten genannt. Nun machen Sie aber Ihre eigenen Grenzerfahrungen.

Einwurf Bulmahn Die habe ich früher auch schon gemacht.

Am 18. Juni gab es noch den Entwurf einer Bund-Länder-Vereinbarung. Da stand drin, es sollen Elite-Universitäten gefördert werden. Es sollen Exzellenz-Cluster gefördert werden. Es sollen Graduiertenkollegs gefördert werden. Das war ein Kompromiss, aber der war so klug formuliert, dass es eigentlich keine Verlierer geben konnte auf beiden Seiten.

Nun mauern die CDU-Ministerpräsidenten und sagen, abwarten bis zum Votum der Föderalismuskommission, die über die neue Ordnung von Bildung und Forschung und deren Zuständigkeiten auch entscheiden soll.

Edelgard Bulmahn

Da warten wir ab bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, wenn ich das mal so sagen darf. Das halte ich genau für falsch. Wir können in Wissenschaft und Forschung nicht immer abwarten. Es ist richtig, dass dieses Ergebnis, das wir auf dieser Bund-Länder-Kommission am 5. Juli vorstellen, vielleicht für diese Verhältnisse etwas schnell entwickelt wurde. Es hat nur vier Monate gedauert. Ich finde das gut, dass es dies gibt, aber ich sage ganz ausdrücklich, ich stehe zu dieser Vereinbarung. Ich halte es auch für falsch, Ergebnisse einer Kommission abzuwarten, wo wir davon ausgehen müssen, dass sie gegen Ende dieser Legislaturperiode dann wirklich entschieden werden würden, also in anderthalb Jahren oder auch in einem Jahr. Ich halte das deshalb für falsch, weil wir weltweit wirklich eine rasante Entwicklung haben. Und Föderalismus, sage ich ganz ausdrücklich, heißt ja nicht Separatismus. Wenn ich den Kern von Föderalismus ernst nehmen will, nämlich Wettbewerb, dann muss ich gerade diesen Vorschlag unterstützen. Deshalb halte ich diese Argumentation der Ministerpräsidenten der CDU-Länder schlichtweg für nicht überzeugend, weil sie damit Wettbewerb verhindern, wenn wir das nicht machen.

Nachfrage Moderation Wann werden wir dieses Programm erleben?

Wir werden am 5. Juli dieses Programm erst mal in der Bund-Länder-Kommission miteinander erörtern. Es liegt vor. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie das Ergebnis sein wird. Erstens gebe ich grundsätzlich die Hoffnung nicht auf. Dann wäre ich auch fehl an diesem Platze. Zweitens habe ich ja vorhin gesagt, Grenzerfahrungen habe ich auch schon früher gemacht und werde ich auch weiterhin machen. Ich finde, das ist eine Herausforderung. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir einen Wettbewerb um Spitzenuniversitäten in diesem Land haben werden.

Moderation

Herr Gruss, ich würde Sie auch gern noch fragen, welche Erwartungen Sie an die Politik haben. Lassen Sie uns ganz zum Schluss übers Geld reden. Da sind Sie als Max-Planck-Präsident ja in einer etwas paradoxen Situation. Eigentlich können Sie sich freuen, weil Ihnen Herr Schröder zugesagt hat, Sie bekommen jetzt im nächsten Jahr wieder drei Prozent Zuwachs für Ihren Etat. Gleichzeitig wurde aber die projektbezogene Förderung um acht Prozent in diesem Jahr zurückgenommen, was die Max-Planck-Gesellschaft durchaus trifft. Auf der einen Seite bekommen Sie also öffentlichkeitswirksam mehr Geld in die eine Tasche, aus der anderen wird Ihnen etwas abgezwackt. Was erwarten Sie sich von einer glaubwürdigen Innovationspolitik?

Peter Gruss

Zunächst ein Wort der Anerkennung, dass wir in Zeiten einer schwierigen wirtschaftlichen Lage Zuwächse bekommen für die Forschung. Das wollen wir ja alle, dafür sind wir dankbar. Wo man sich aber daran messen muss, sind natürlich international die Konkurrenten, mit denen wir auch im direkten Wettbewerb stehen. Da ist nun mal, da kann man nicht dran vorbei, die USA immer der Hauptwettbewerber. Nun sollte man auch hier vorsichtig sein. Deutschland allein kann nicht mit den USA konkurrieren, sondern wir müssten dann nach Westeuropa schauen. Dann wird das Ganze schon eher zu einem Schuh. Wir wissen ja: Da gibt es den so genannten Barcelona-Beschluss bis zum Jahr 2010 drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Dies ist ein wunderbares Ziel. Ich kann nur hoffen, dass die Politik dieses Ziel weiterhin maßgeblich anstrebt und auch umsetzt bis zum Jahr 2010. Man sollte auch noch mal sagen für die, die nicht jeden Tag damit zu tun haben: Davon wird ja gegenwärtig nur ein Drittel von der öffentlichen Hand aufgewendet und zwei Drittel von der Industrie. Das heißt, das würde dann natürlich auch in der Konsequenz bedeuten, dass beide Partner – der Steuerzahler auf der einen und die Wirtschaft auf der anderen Seite – dieses Ziel anstreben müssen. Das würde mich freuen, das ist mein Wunsch.

Moderation

Dieses Ziel zu erreichen würde bedeuten, dass der Etat von Frau Bulmahn pro Jahr um 600 Mio. Euro wachsen müsste. Davon sind wir weit entfernt.

Edelgard Bulmahn

Nein, es würde bedeuten, dass bis zum Jahre 2010 die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung um zwei Milliarden wachsen müssten. Das ist ja nicht nur allein mein Etat. Der steht sozusagen für zwei Drittel der Forschungsausgaben des Bundes. Aber es sind natürlich auch die anderen Ministerien, die das andere Drittel erbringen. Von daher muss man dann auf die gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben schauen.

Wir haben im Übrigen seit 1998 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bereits um eine Milliarde erhöht. Wir haben also schon einen Riesenschritt gemacht. Aber ich sage klar: Das ist eine große und auch nicht ganz einfache Aufgabe, dieses jetzt auch sukzessive immer weiterzuführen. Wichtig ist mir, dass wir auch für das Haushaltsjahr 2005 – das ist wirklich ein extrem schwieriger Haushalt – einen Zuwachs für Forschung und Entwicklung wieder haben durchsetzen können. Das sage ich ganz ausdrücklich, es ist nicht immer ganz einfach für alle anderen Kollegen, das zu akzeptieren. Aber es ist ein klares Signal, das auch notwendig und wichtig ist. Wir werden die Anstrengungen auch noch weiter erhöhen müssen. Daran gibt es keinen Zweifel.

Das heißt allerdings dann in der Konsequenz, das will ich nicht verhehlen, dass wir dann auch umsteuern müssen. Wir müssen weg von den Subventionen in die Vergangenheit und hin zu den Investitionen in die Zukunft. Es wird nicht zum Nulltarif zu bekommen sein, sondern da muss es auch die breite gesellschaftliche Unterstützung dafür geben, dass wir z.B. auf Subventionen verzichten, die in der Vergangenheit vielleicht notwendig waren. Ich will das konkrete Beispiel auch in dieser Runde nennen. Wir haben vorgeschlagen, die Eigenheimzulage zu streichen. Es handelt sich dabei um sechs bis sieben Milliarden Euro. Das können wir nicht in einem Jahr, das müssen wir sukzessive machen, weil auch ein bestimmter Vertrauensschutz notwendig ist. Dann hätten Bund und Länder sechs bis sieben Milliarden Euro zur Verfügung, die sie dann in Bildung und Forschung investieren könnten. Damit hätten wir deutlich dieses Dreiprozentziel dann bereits finanziert und könnten es auch überschreiten.

Ich glaube, dass in einer Zeit, in der die Hypothekenzinsen wirklich niedriger sind als die Zinsen für Bauspardarlehen, das auch zumutbar ist. Ich höre ja auch schon wieder die Diskussion, das geht alles nicht. Aber wenn wir in einer solchen Situation, wo klar ein wirklicher Bedarf erkennbar ist, mehr in Bildung und Forschung zu investieren, nicht mutig genug sind, so einen Schritt auch zu machen, dann meinen es diejenigen, die das immer wieder fordern, nicht ernst damit. Deshalb werden wir diesen Vorschlag auch in den Bundestag einbringen. Wir brauchen aber auch das Ja aller Länder dazu. Deshalb wird das so etwas wie ein Lackmustest sein. Ich glaube, es reicht nicht aus, nur theoretisch darüber zu reden, man muss dann auch bei den konkreten Entscheidungen Farbe bekennen. Sonst wird uns das nicht gelingen.

Moderation

Die Länder haben ihr Veto schon signalisiert und die CDU-CSU-Fraktion im Bundestag schlägt vor, doch die Steinkohlesubventionen hier zu investieren.

Edelgard Bulmahn

Davon haben aber die Länder nichts. Es reicht ja nicht alleine, dass der Bund seine Mittel erhöht. Das erlebe ich ja bei der Hochschulförderung. Wir erhöhen um 23 %. Auf der anderen Seite wird gekürzt oder eingefroren. Das nützt den Einrichtungen dann überhaupt nichts. Deshalb reicht es nicht allein, wenn der Bund seine Anstrengungen verstärkt. Bund und Länder müssen es gemeinsam tun. Sonst haben wir nicht die Effekte. Das ist nun ein Beispiel, wo beide, Bund und Länder, dann auch wirklich die notwendigen Ressourcen hätten, die sie in Bildung und Forschung einsetzen können.

Moderation

Ich denke, wir alle werden diesen Lackmustest im Bundesrat genau beobachten. Wir müssen jetzt hier mal einen Schlusspunkt setzen. Ich würde uns allen aber gern noch ein Zitat von Hubert Markl mit auf den Weg geben – von Ihrem Vorgänger, Herr Gruss. Ein Zitat, das ich treffend fand und das vielleicht ganz gut die Situation auf den Punkt bringt, in der sich Deutschland gerade befindet, was diese Innovationskrise betrifft. Hubert Markl hat gesagt: Zwar mögen wir nicht so schlecht sein, wie wir uns gerne machen. Aber deshalb sind wir noch lange nicht so gut, wie wir gerne wären – vor allem aber, wie wir sein müssten, um im weltweiten Wettbewerb nicht nur im Rudel mitzulaufen.

Ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist, was die Innovationskraft Deutschlands angeht, da kann man durchaus geteilter Meinung sein. Die Zukunft wird die Antwort bringen, das ist das Schöne.



Es diskutierten:

Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Brandenburg, Leiter des Instituts für Medientechnik an der TU-Ilmenau und des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Prof. Dr. Peter Gruss, Präsdient der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften

Walter Seemayer, National Technology Officer, Microsoft Deutschland

Moderation:

Andreas Sentker, Leiter Ressort Wissen DIE ZEIT

Ralf Krauter, Redakteur „Forschung aktuell“, Deutschlandfunk

(c) ZEIT.de, 07.07.2004


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