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2004/07/10 (07:40) from 80.139.163.68' of 80.139.163.68' Article Number : 154
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Ein Schuss gegen den Big Bang



Urknall

Ein Schuss gegen den Big Bang

Die Gegner der Urknall-Theorie fühlen sich unterdrückt und wettern gegen die „Wissenschaftsmafia“

Von Max Rauner

Am Anfang war der Urknall, dann kamen Sonne, Mond und Sterne, später die Menschen, darunter auch Astrophysiker. Mindestens 33 von ihnen können diese Version der wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte nicht mehr hören. In einem offenen Brief „an die wissenschaftliche Community“ protestieren sie energisch: Die Urknall-Theorie habe sich nicht wegen überzeugender Beobachtungen durchgesetzt, schreiben sie, sondern weil die Urknall-Befürworter sich gegenseitig Fördermittel zuschanzen und Kritiker mundtot machen. „Wer den Urknall anzweifelt, muss um seine Forschungsgelder fürchten“, heißt es in dem Brandbrief, der im New Scientist abgedruckt wurde (cosmologystatement.org).

Galaxien im ewigen Kreislauf

Mit offenen Briefen gegen den Urknall zu kämpfen ist neu, die wissenschaftlichen Argumente sind es allerdings nicht. Jahrzehntelang brachte sie der prominenteste Urknall-Gegner, der vor drei Jahren verstorbene Astronom Fred Hoyle, vor. Er erfand den heute so populären Begriff des „Big Bang“ – den er eigentlich als Schimpfwort verstanden wissen wollte. Hoyle favorisierte wie heute seine Schüler ein alternatives Schöpfungsmodell: das ewige Universum im Gleichgewichtszustand. Sterne und Galaxien befinden sich darin in einem Kreislauf von Werden und Vergehen. Von einer heißen Initialzündung, dem Urknall, keine Spur. Doch die Konkurrenz sammelte immer mehr Indizien dafür, dass das Universum einst aus einem Feuerball hervorgegangen sein muss. Sogar die katholische Kirche freundete sich mit dem Urknall an.

Allerdings ist die Urknall-Theorie allen Belegen zum Trotz bis heute nicht perfekt. Bestimmte Beobachtungen lassen sich zum Beispiel nur erklären, wenn man ein schlagartiges Aufblähen des Universums kurz nach dem Big Bang postuliert. Direkte Beweise dafür gibt es nicht. Außerdem funktioniert die Theorie nur, wenn das Weltall neben einer geheimnisvollen „dunklen Materie“ eine noch rätselhaftere „dunkle Energie“ enthält. Beide zusammen sollen gar 95 Prozent der gesamten Masse und Energie des Universums ausmachen – keiner weiß, was sich dahinter verbirgt.

In diese Kerbe schlagen nun die 33 Unterzeichner des Anti-Urknall-Manifests. „Ohne diese Schummelfaktoren kann die Urknall-Theorie nicht überleben“, lästern sie. „Die Theorie beruht auf lauter Ad-hoc-Annahmen“, kritisiert Mitunterzeichner Halton Arp vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. „Jedes Mal, wenn ein Widerspruch auftaucht, wird ein neuer imaginärer Parameter eingeführt.“ Arp ist frustriert: „Ein paar einflussreiche Wissenschaftler geben den Ton an, schon Studenten werden entsprechend gepolt.“ Martin Rees, königlicher Hofastronom an der Universität Cambridge und einer der Einflussreichen, widerspricht. „Die Community ist interessiert, sogar überinteressiert, an guten revolutionären Ideen“, sagt er. Die Ideen der Urknall-Gegner seien jedoch von vielen Leuten durchdacht – und immer wieder verworfen worden.

Die dunkle Energie als Triebkraft

Der Streit klingt wie ein Lehrstück aus einem Handbuch für Wissenschaftsphilosophie, Kapitel Paradigmenwechsel. Thomas Kuhn hat in seiner Struktur wissenschaftlicher Revolutionen schon vor 40 Jahren die These aufgestellt, Wissenschaft sei weniger von Fakten und objektiven Beobachtungen geprägt als vielmehr von Machtspielen, Cliquen und Vorurteilen. Die Vorwürfe der Urknall-Gegner könnten glatt von ihm abgeschrieben sein. Doch die Wissenschaftsphilosophie ist bei Kuhn nicht stehen geblieben. „Der Pluralismus in den Wissenschaften ist größer, als Kuhn angenommen hatte“, sagt der Philosoph Martin Carrier von der Universität Bielefeld. Die Wissenschaft sei längst nicht so festgefügt und beschränkt wie nach Kuhns Theorie. „Es gibt oft mehrere Strömungen, die nebeneinander bestehen können.“

Tatsächlich zeigen Kosmologen häufig eine erstaunliche Flexibilität. Hatten zum Beispiel bis vor sechs Jahren die meisten an ein Universum geglaubt, das eines Tages wieder in sich zusammenstürzt (Big Crunch), gehen sie inzwischen davon aus, dass sich das All ewig und immer schneller ausdehnt. Neue Beobachtungen weit entfernter explodierender Sterne (Supernovae) hatten die radikale Kehrtwende mit ausgelöst. Viele Widersprüche der bis dahin gültigen Theorie verschwanden auf einen Schlag. Allerdings war der Preis dafür hoch – die Supernova-Beobachtungen legen das Vorhandensein einer unbekannten (daher „dunklen“) Energieform nahe, die das Weltall auseinander treibt. Was sich genau dahinter verbirgt, vermag heute niemand zu sagen. Doch wo aktiv geforscht wird, hakt es immer irgendwo. „Das treibt die Wissenschaft voran“, sagt Carrier. „Wissenschaft ruht im Kern da-rauf, dass man immer weiter macht.“

Destruktive Kritik, wie jetzt von den 33 Urknall-Gegnern vorgetragen, bleibt in diesem Spiel ohne Wirkung. Die Anti-Big-Bang-Bewegung müsste stattdessen bessere Erklärungserfolge vorweisen. Das ist ihr in den vergangenen 50 Jahren nicht gelungen. Dass es an Geld mangelt, ist zwar ärgerlich, aber keine Entschuldigung. Denn die Daten von Forschungssatelliten und Erdteleskopen sind öffentlich zugänglich. Mit ihnen dürfen auch die Urknall-Gegner rechnen. Nicht jede Gruppe, die einen Schrotschuss in den Theorienwald feuert, könne man gleichberechtigt mit Geld und Ressourcen unterstützen, meint Martin Carrier. „Sonst muss man den Laden dichtmachen.“

(c) DIE ZEIT 01.07.2004 Nr.28

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