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Wenn der Tod auf ewig bindet
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Freya von Moltke, eine der Witwen des deutschen Widerstands: ¸¸Es ist so unbeschreiblich, wenn es einen trifft"
Wenn der Tod auf ewig bindet
Sie hatte vier Monate Zeit, um Abschied zu nehmen - im fernen Vermont lebt eine 93-Jährige mit der Erinnerung und 1600 Briefen ihres Mannes

Von Annette Ramelsberger


Norwich, im Juli - Draußen blühen die Rhododendren, die Vögel zwitschern, von den Nachbarn lärmen die Rasenmäher herüber, die die Vorgärten der Häuser im amerikanischen Vermont aussehen lassen wie frisch manikürt. Drinnen ist es ganz still. Keine Uhr tickt, kein Telefon läutet, noch nicht einmal eine Fliege brummt gegen die Fensterscheibe. Es ist so still, dass man glaubt, Gedanken hören zu können. Die Gedanken dieser Frau, die sich in die tiefen Polster ihrer Couch gelehnt hat. Sie hat die Augen geschlossen. Nur die langen, kräftigen Finger wandern über ihr Gesicht, als ob sie Schleier von der Vergangenheit wegwischen wollte - wie Spinnengewebe. Die Finger streichen über die Augen, über die Stirn, die Schläfen. Man sieht, wie Erinnerungen auftauchen, sieht, wie sie von der Frau Besitz ergreifen, wie die Lider flattern und die Hände. Jetzt, jetzt wird sie sprechen. Jetzt muss sie sprechen. Da räuspert sich die Frau, sie schlägt die Augen auf und - verstummt. Nach einer Weile sagt sie mit rauer Stimme: ¸¸Es ist unbeschreiblich, wenn es einen trifft." So unbeschreiblich, dass sie kaum darüber sprechen kann. Immer noch nicht. Auch heute noch nicht, nach 60 Jahren.


Freya von Moltke war 33, als ihr der Mann ermordet wurde. Ermordet, weil er und seine Freunde gewagt hatten zu denken. Mehr war es nicht. Helmuth James Graf von Moltke und seine Frau Freya hatten mit ihren Freunden vom Kreisauer Kreis darüber nachgedacht, wie das Deutschland nach Hitler aussehen sollte. Sie hatten die Alternative geplant, die Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli herbeibomben wollte. Freya von Moltke hat Stauffenberg nie getroffen. Und dennoch hat er ihr Leben verändert.


Es muss der Blick gewesen sein, der sie nie wieder losgelassen hat. Der Blick ihres Mannes auf dem Weg ins Gefängnis. Ein Blick ohne ein Wort. Sie stand in der Pforte der Haftanstalt Tegel in Berlin, unerkannt, als er vorbeigeführt wurde, er, der große, stolze Mann, der Graf, in Sträflingskleidern. Er war ganz nah. Sie schaute ihn an, er schaute sie an. Zwei Verschwörer, die sich ihrer Liebe versicherten, ohne sich zu verraten. Diszipliniert bis ins Herz. ¸¸Er wusste, dass ich wusste. Ich wusste, dass er wusste", sagt Freya von Moltke. Sie deutet von ihrem Sofa auf den Fliederbusch neben dem Haus, vier, fünf Meter entfernt. ¸¸Weiter war er nicht weg." Es muss dieser Blick sein, der sie bis heute fest hält.


¸¸Mein liebes Herz"


Die Witwen des Widerstands haben nicht wieder geheiratet. Nicht die Frau des Peter Graf Yorck von Wartenburg, nicht die Frau des Adolf Reichwein, nicht die Frau des Adam von Trott zu Solz, nicht die Frau des Hans Bernd von Haeften, nicht die Frau von Klaus Schenk Graf von Stauffenberg. Als wenn sie der Tod der Männer gebunden hätte, für alle Zeit.


Mit 20 hat Freya von Moltke ihren Mann geheiratet, beide studierten sie Jura. Er muss ein durchsetzungsstarker Mann gewesen sein, der mit 22 Jahren mit den Banken verhandelte, um das völlig verschuldete Familiengut Kreisau zu retten. Groß war er, viel größer als sie. ¸¸Küssen konnte ich ihn nur, wenn er wollte", sagt sie. ¸¸Oder wenn er saß." Die beiden führten meist eine Fernbeziehung, er in Berlin, sie auf dem Gut in Schlesien. Sie kann ihren Mann nicht beschreiben. Sie will es auch gar nicht. ¸¸Das ist nicht meine Aufgabe", sagt Freya von Moltke bestimmt. So, als wenn sie damit etwas preisgäbe von dieser Verbindung, die nur ihn und sie angeht. ¸¸Lesen Sie seine Briefe", sagt sie. ¸¸Da erkennen Sie ihn am besten."


Über 1600 Briefe hat ihr Mann an sie geschrieben - Dokumente einer Ehe, Dokumente des Widerstands, am Ende Dokumente des Glaubens. Moltkes letzter Brief, wenige Tage vor der Hinrichtung geschrieben, ist eine seltsame Mischung aus Erhabenheit und Erdennähe, aus Sorge um die Familie und der Entrücktheit eines Mannes, der schon Abschied genommen hat von der Welt: ¸¸Darum kann ich nur eines sagen, mein liebes Herz: möge Gott Dir so gnädig sein wie mir, dann macht selbst der tote Ehemann gar nichts. Seine Allmacht vermag er eben auch zu demonstrieren, wenn du Eierkuchen für die Söhnchen machst oder Puschti beseitigst, obwohl es das hoffentlich nicht mehr gibt." Puschti - so hieß im Hause Moltke, wenn eines der Kinder in die Hose gemacht hatte.


Es sind Abschiedsbriefe, ohne Adieu zu sagen: ¸¸Ich sollte wohl von Dir Abschied nehmen - ich vermag"s nicht; ich sollte wohl Deinen Alltag bedauern und betrauen - ich vermag"s nicht. Ich sollte wohl der Lasten gedenken, die jetzt auf Dich fallen - ich vermag"s nicht. Ich kann nur eines sagen: wenn Du das Gefühl absoluter Geborgenheit erhältst, wenn der Herr es Dir schenkt, was Du ohne diese Zeit und ihren Abschluss nicht hättest, so hinterlasse ich Dir einen nicht-konfiszierbaren Schatz, demgegenüber selbst mein Leben nicht wiegt."


Freya von Moltke hat die Briefe alle aufbewahrt, 60 Jahre lang. Sie hat sie auf dem Gut Kreisau in Schlesien vor den Nazis versteckt und vor den Russen - in Bienenstöcken. Sie hat sie nach Südafrika mitgenommen. Dahin ist sie nach Kriegsende mit ihren Söhnen gezogen. Sie hat sie alle abgeschrieben, als Buch herausgegeben und verwahrt sie nun in jenem kleinen Haus in Vermont, wo sie seit 44 Jahren lebt. Sie holt sie aus dem Büroschrank, letzte Schublade unten links. Es sind kleine Blätter, fast alle DIN A5. Kaum vergilbt, wie gestern geschrieben. In einer gestochen scharfen, winzig kleinen Schrift. Freya von Moltke ist jetzt 93 Jahre alt. Sie hat eisgraues Haar, sie hört schlecht, aber sie braucht keine Brille. Sie hat sich mit den Briefen auf ihr Bett gesetzt. Sie liest sie ohne Lupe. Sie kennt sie.


Sie hatten vier Monate, um Abschied voneinander zu nehmen. ¸¸Ein Mann und eine Frau. Der Höhepunkt unseres gemeinsamen Lebens - die schwerste Zeit unseres gemeinsamen Lebens", sagt sie. Sie bereut nichts. Sie nahm es an, wie es kam. ¸¸Wir hatten die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir waren vollkommen überzeugt davon, dass wir das Richtige taten - dann mussten wir auch die Folgen tragen. Dieses Niveau des Lebens habe ich später nie wieder erreicht."


Sie ist für ihn zu Freisler gegangen, dem Blutrichter am Volksgerichtshof. Sie ist für ihn zur Gestapo gegangen, der gefürchteten Geheimpolizei. Als sie die Treppe hochging im Hauptquartier der SS in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, war sie ganz kühl. ¸¸Ich hatte einen Auftrag", sagt sie. ¸¸Ich dachte mir nur: Jetzt bist du im Maul des Löwen." Sie hatte ihr Kostümchen angezogen, die Frau Gräfin. Sie lächelte freundlich. Sie sah hübsch aus mit ihrem glatten schwarzen Haar und den großen Augen. Sie spielte die Unwissende. Sie, die alles wusste. Alles unterstützte. Als sie das Vorzimmer von Gestapo-General Heinrich Müller betrat, unterhielten sich junge SS-Männer gerade über ihre neuen Uniformen. Sie kam ohne Anmeldung, aber sie stammte aus der Familie derer von Moltkes, den Nachfahren des alten Feldmarschalls, den die Nazis verehrten.


General Müller empfing die junge Frau. Sie sagte: ¸¸Mein Mann ist völlig unschuldig. Er wäre dankbar, wenn Sie ihn empfangen könnten, damit er Ihnen das darlegen kann." Der General war höflich, aber er ließ keinen Zweifel: ¸¸Nach 1914/18 haben wir unsere Feinde am Leben gelassen, das passiert uns nicht nochmal. Wir werden unsere Feinde vernichten." ¸¸Herr General", sagte sie da, ¸¸was auch passiert, ich werde meine Söhne in Liebe und Ehrfurcht vor ihrem


Vater erziehen." Dann ging sie. Der General kam ihr auf den Gang nach: ¸¸Wenn das alles vorüber ist, kommen Sie zu uns, wir werden Ihnen gerne helfen", sagte er. Für Freya von Moltke klang das wie: Wir bringen Ihren Mann um, aber gegen Sie haben wir nichts.


Man muss das aus ihr herauslocken. Sie erzählt das nicht einfach so. ¸¸Es war gar nicht mutig, ich habe nur getan, was der Helmuth mich gebeten hat", sagt sie. Im gleichen Ton, in dem sie davon berichtet, wie sie damals die Milch von Kreisau an die Molkerei geliefert hat. Sie erhebt die Stimme nicht, sie hebt nichts hervor. Für sie war das alles nur Dienst an ihrem Mann.Sonst nichts. Es läutet. Sie steht auf und geht ans Telefon. Ihr Sohn ist dran. Jener Sohn, der einmal sagte, über den Vater sei nicht viel gesprochen worden in der Familie. Aber er sei immer anwesend gewesen. Man kann sicher sein: So ein Satz gefällt Freya von Moltke.


In der Regierung nach Hitler


Dreimal hat sie ihren Mann noch gesehen, in der Haftanstalt in Tegel. Immer eine halbe Stunde lang. Hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung, dass doch noch die Briten vorrücken und ihn befreien, und der Ahnung, dass der Tod schneller sein werde. Am 29. November 1944 feierte Gefängnispfarrer Harald Poelchau, ein persönlicher Freund aus dem Widerstand, das letzte Abendmahl mit den Moltkes. Es war wie eine zweite Hochzeit. ¸¸Er hat mich auf den Tod hin verheiratet", sagt Freya von Moltke.


Helmuth James von Moltke war eigentlich sicher gewesen. Er saß schon in Haft, als Stauffenberg die Bombe zündete - ein besseres Alibi konnte er nicht haben. Moltke war schon Monate vorher verhaftet worden, weil er einen Freund vor der Festnahme gewarnt hatte. Eigentlich hofften alle, er werde bald freikommen, denn die Nazis hatten nichts gegen ihn in der Hand. Dass er der Motor des Kreisauer Kreises war, wussten sie nicht. Auch nicht, dass er in der Regierung nach Hitler sitzen sollte, dass die Pläne dafür fertig waren, wie Deutschland nach dem Nationalsozialismus aussehen sollte. Es ist nichts aus diesen Plänen geworden - aber allein, dass es sie gab, ist ein historisches Verdienst. Durch das Attentat auf Hitler flogen nach und nach auch die Kreisauer auf. Am 23. Januar 1945 wurde Helmuth James von Moltke hingerichtet. Berlin stand da längst in Flammen.


Sie schrieb tatsächlich: ¸¸Mir selbst geht es gut. Meine Kräfte wurden ungemein benötigt. .... Ja, es geht mir gut, ich muss es wiederholen. .... Ich sitze nicht mehr ganz so fest auf dieser Welt und spüre doch, wie sehr ich in ihr gebraucht werde." Der Brief an den Gefängnispfarrer stammt vom 1. Februar 1945, neun Tage nach der Hinrichtung ihres Mannes. Geschrieben aus Kreisau, wohin sie zurückgekehrt war. Sie ist für ihre Kinder am Leben geblieben, die damals erst sieben und drei Jahre alt waren. Wie sehr sie gelitten hat, hat sie nie wirklich erzählt. Sie hat sich wohl auch nichts anmerken lassen. Es ist nicht ihre Art. Einmal, ein Jahr nach der Hinrichtung, in Berlin rauchten noch die Trümmer, hat ihr Bruder sie in die Schweiz eingeladen. Sie saßen auf einer Terrasse, blickten auf einen See. Es war sonnig, es war schön. ¸¸Bist du jetzt wieder glücklich?" fragte ihr Bruder. Sie erzählt nicht weiter. ¸¸Helmuth war das Zentrum meines Lebens", sagt sie und blickt weg. Es dauerte lange, bis sie noch einmal glücklich war.


Freya von Moltke kocht Suppe. Sie steht in der Küche ihres Hauses im kleinen Ort Norwich, so wie damals, als sie den Kindern auf Gut Kreisau Eierkuchen machte. Zupackend. Ohne Umstände. Sie trägt Jeans, eine Strickjacke und feste Schuhe. Sie jätet den Garten und fährt mit ihrem Golf zum Einkaufen.


Vermutlich wurde sie erst wieder lebendig, als sie diesen kleinen, drahtigen Mann kennen lernte. 23 Jahre älter als sie. Einer, der lachte und schimpfte und kämpfte, der auf Herz und Intuition setzte und nicht nur auf Verstand. Einen Verstand, dem sie ihr Leben lang gehorcht hatte: damals, als sie sich um Kreisau gekümmert hat, weil ihre Schwiegermutter gestorben war und sie deswegen ihre Ehe zu Helmuth nur als Fernbeziehung führen konnte. Nach dem Krieg dann wieder, als sie eigentlich bei ihren Freunden in Berlin bleiben wollte und doch nach Südafrika ging, wo eine kleine Erbschaft auf die Kinder wartete, gute Schulen, Sonne, genug Essen statt rauchender Trümmer und Essensmarken in Berlin.


Sie lernte diesen Mann erst sehr viel später kennen. Ende der 50er Jahre. Eugen Rosenstock-Huessy, der schon 1933 aus Deutschland emigriert war und in Amerika lehrte. Ein Mann, der vor lauter Temperament während der Autofahrt die Hände vom Lenkrad nahm, weil er doch mit den Händen erklären musste. Ein Mann, der klug war, gelehrt, ¸¸wahrscheinlich ein Genie", sagt Freya von Moltke. Jurist, Soziologe, Philosophieprofessor. Ein Mann, der gerne aneckte. Ein ¸¸Luther der Soziologie", sagt der Berliner Theologe Wolfgang Ullmann, der ihn früh erlebte. ¸¸Wenn der ein Zimmer betrat, war das Zimmer voll." Freya von Moltke zog zu Rosenstock-Huessy, als seine langjährige Ehefrau Margrit starb. Sie verließ Berlin, überquerte den Ozean, zog in sein Haus, alte Freunde sagen: Hals über Kopf.


¸¸Doch", sagt sie, ¸¸das Zusammenleben mit diesem lieben Menschen machte mich glücklich. Mit dem alten Eugen war ich glücklich." 13 Jahre waren ihr mit ihm vergönnt. Sie ahnte, dass er vor ihr sterben würde. Und sie fürchtete es: ¸¸Den begraben zu müssen, das halte ich nicht aus, dachte ich." 84 war Rosenstock-Huessy, als er starb, seine Gefährtin war erst 61.


Nie hat sie die Beziehung zu Rosenstock als Konkurrenz zu ihrem Mann empfunden. ¸¸Das war ganz was anderes", sagt sie. ¸¸Ich bin ein Teil von Helmuth." Für sie war immer klar: Es gab die Moltkes und es gab die Rosenstock-Huessys. Sie hat sich eine ganz eigene Synthese ihrer verschiedenen Leben geschaffen. Ihr Bett und ihren Computer hat sie in das alte Arbeitszimmer von Rosenstock gestellt, von hier aus schreibt sie die Briefe in Sachen Kreisau. Und in Sachen Rosenstock. Eine Sachwalterin zweier Welten.


Es kam völlig überraschend. Kohl rief an. Bundeskanzler Helmut Kohl. Er wollte einen der Moltkes dabei haben bei der Versöhnungsmesse zwischen Deutschen und Polen, die ausgerechnet auf Gut Kreisau stattfinden sollte. Und der Enkel von Freya von Moltke war gerade in Europa. 1989 war das. Doch Kohl hatte sich getäuscht. Freya von Moltke wollte nicht, dass die Familie einfach zurück geht nach Kreisau. Nicht als Girlande des deutschen Kanzlers. Nicht, als wenn die Moltkes ihr Gut - und wenn auch nur symbolisch - zurückerobern wollten. ¸¸Ich gehe erst, wenn die Polen mich einladen", sagte sie. Der Enkel gehorchte der Großmutter. Kohl musste allein nach Kreisau reisen.


Auf der Stufe des Schlosses


Die Polen luden sie dann sehr schnell ein, und Freya von Moltke bekam ihre letzte große Aufgabe. Sie wurde die Seele eines deutsch-polnischen Begegnungszentrums, das jedes Jahr 4000 Jugendliche aus Europa zusammenbringt - im Geiste des Kreisauer Kreises. Der oppositionelle Katholische Intelligenzclub in Breslau hatte Kreisau entdeckt, dann machte sich Tadeusz Mazowiecki, der erste demokratische Ministerpräsident Polens nach der Wende, den Gedanken zu eigen. Jedes Jahr war Freya von Moltke seitdem einmal dort. Nie aber hat sie auf dem Gut übernachtet, um nur ja nicht die Angst zu nähren, die Moltkes wollten Kreisau zurück. Nie schwang sie das große Wort, sondern saß still auf den Stufen des frisch renovierten Schlosses. Sie war einfach nur da, das genügte. Bis jetzt.


Gerade hat sie wieder eine Mail losgeschickt von ihrem Computer neben dem Bett. Einen Dankesbrief muss sie noch schreiben, an Richard von Weizsäcker, auch an Gesine Schwan. Der Alt-Bundespräsident und die Präsidentin der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) haben zugesagt, im Kuratorium ihrer Stiftung zu sitzen: der Freya-von-Moltke-Stiftung für das neue Kreisau. Noch einmal unternimmt Freya von Moltke einen neuen Anlauf: Sie will mit der Stiftung den Betrieb der Jugendbegegnung sichern, die akut von Geldmangel bedroht ist. Sie will Kreisau nicht zurück wie viele Adelige, die ihre Besitztümer in Polen erstreiten wollen - im Gegenteil: Sie will Kreisau etwas geben. Den 20. Juli nutzt sie, um die Aufmerksamkeit auf Kreisau zu richten. Deswegen macht sie noch einmal die große Reise über den Atlantik.


Dann will sie irgendwann aber auch ihre Ruhe haben. Mit 90, gut, da hat sie all die Aufmerksamkeiten noch entgegen genommen. Aber dann wurde sie 91, 92, 93 Jahre alt. ¸¸Vielleicht ist es ja undankbar", sagt sie leise. ¸¸Aber ich habe eigentlich genug. Ich freue mich nicht mehr auf jeden neuen Tag. Mein Leben ist zu lang. Das Da-Sein ist so mühsam. Es ist genug. Aber ich werde ja nicht gefragt."


Wir fahren auf den Friedhof von Norwich. Ein hügeliges Gelände, mit typisch amerikanischen Grabstätten: eingelassene Steine im Rasen. ¸¸Da liegen die Rosenstocks", sagt sie und deutet auf ein kleines Geviert. Ihren Gefährten hat sie im Tod seiner Frau zurückgegeben. Sie selbst hat sich einen Platz dreihundert Meter weiter gekauft, auf einem Hang mit Blick auf die Hügel von Vermont, die den Hügeln um Kreisau so ähnlich sehen. Auf dem Stein wird nur ¸¸Freya von Moltke" stehen und der Zusatz ¸¸wife of Helmuth James von Moltke". Ihr Mann hat kein Grab, seine Asche wurde 1945 auf den Rieselfeldern von Berlin verstreut.


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.165, Dienstag, den 20. Juli 2004 , Seite 3

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