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Ein Lorbeerkranz in dürftiger Zeit
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Ein Lorbeerkranz in dürftiger Zeit
Zum 700. Geburtstag Francesco Petrarcas: Das Rollenfach des moralisierenden Intellektuellen war seine Erfindung

Er schrieb Briefe tief in die Vergangenheit, adressiert an seine klassischen Vorbilder, an Cicero, Livius, Horaz, Vergil und Seneca; außerdem setzte er ein langes Schreiben ¸¸An die Nachwelt" (posteritati) auf. Wenn er sich an die Mitlebenden wandte, verwendete er ein vornehmes, klangvoll bewegtes Latein, das der Sprache von Cicero oder Augustinus weit ähnlicher war als dem verschachtelten Kanzleistil seiner eigenen Epoche und das die präzise Begrifflichkeit damals moderner Schulgelehrsamkeit absichtsvoll vermied.


Kein Zweifel: Francesco Petrarca unterhielt ein gespanntes Verhältnis zu seiner Gegenwart. ¸¸Ich beschäftige mich mit diesen so kleinen Überresten von Dir, weil ich die Orte hier und die Zeiten und die hiesigen Sitten vergessen will", ließ er Titus Livius wissen, den römischen Historiker, der 1300 Jahre vor ihm gelebt hatte, und dessen Textüberlieferung Petrarca hingebungsvoll erforschte. ¸¸Es ist Zeit, dass ich Dir Dank sage - für vieles und für eines im besonderen: dass Du mich oft die gegenwärtigen Übel vergessen machst und mich in glücklichere Zeiten versetzt."


Petrarca stammte aus einem Milieu gebildeter Emigranten. Sein Vater, ein Jurist und Lateinliebhaber, hatte in Folge eines der bürgerkriegsähnlichen Konflikte, die damals Florenz zerrissen, seine Heimatstadt verlassen müssen. Darum kam sein Sohn Francesco in Arezzo zur Welt. Den Vater zog es schon 1311 an die römische Kurie, die selbst ins Exil gegangen war, nach Avignon in der Provence - fort von Rom, teils wegen dortiger chaotischer Zustände, teils unter dem Druck der französischen Könige, teils den Finanzinteressen französischer Kardinäle folgend. Der Bischof von Rom residierte fern von Rom: Konnte es ein deutlicheres Zeichen dafür geben, dass die Welt aus den Fugen war?


Ketzer, Kaiser und Päpste


Die Petrarcas lebten in einer der vielen italienischen Auslandskolonien, die sich damals überall im handeltreibenden Europa ausbildeten. In dieser Fremde und unter den zahlreichen umherziehenden Emigranten der ewig zerstrittenen Stadtrepubliken Norditaliens bildete sich zuerst ein neues italienisches Gemeinbewusstsein, Vorschein späterer Nationalgefühle. Und Viele in diesen ruhelosen Gruppen sahen in der großen Kirchenkrise mit dem avignonesischen Exil einen Spiegel ihrer kleineren, persönlichen Leiden. Dazu kam die Krise der zweiten Weltordnungsmacht der Epoche, des Kaisertums, das als Königswürde von deutschen Wahlfürsten vergeben wurde, aber immer noch römisch hieß und eine Krönung in Rom erforderte - was immer seltener gelang, wozu die mehrfachen Doppelwahlen seit dem Untergang der Staufer 1250 beitrugen.


Es gab die unterschiedlichsten Antworten auf diese epochalen, aber immer auch individuellen Krisenerfahrungen, tagespolitische, kirchenreformerische, reichspolitische. Man setzte auf Päpste, Kaiser, ketzerische Propheten, und das ganze gelehrte Europa debattierte über Reichsrechte, Kirchenrechte und ihre geschichtlichen Grundlagen. Es ist dieser Hintergrund, vor dem man Petrarcas Vergangenheitsschwärmerei, sein edel stilisiertes Latein, ja selbst seine von Dialektspuren sorgfältig gereinigte, gemessen schreitende italienische Verskunst begreifen muss. Als Prosaist, Epiker und lyrischer Dichter schuf Petrarca eine neue Rolle: die des überparteilichen, also freischwebenden, wurzellosen Intellektuellen, des nicht mehr kirchlichen, sondern aus überlegener Geisteskultur heraus argumentierenden Moralisten.


Die bildungssoziologischen Grundlagen seiner Existenz waren dabei selbstverständlich die seiner Zeit: Petrarca hatte Rechte studiert, später war er Kleriker geworden, um eine kleine Pfründe übernehmen zu können. Er hatte also an den beiden hauptsächlichen, die spätmittelalterliche Schriftkultur tragenden Disziplinen Anteil, der juristischen und der theologischen. Aber mit keiner der beiden mochte er sich identifizieren. Sein Lebensideal war von früh an das Studium der römischen Klassiker, alles andere diente nur dem Lebensunterhalt.


Dass er auf viel Höheres zielte, hatte er 1341 durch den spektakulären Akt seiner Dichterkrönung auf dem Kapitol in Rom vor den Augen aller Welt demonstriert. Er ließ sich - mit Genehmigung des Königs von Neapel, eines gelehrten Feingeistes - den Lorbeerkranz aufsetzen und garnierte die Zeremonie mit Hinweisen aus der lateinischen Literatur, die feststellten, dass nur zweierlei Arten von Menschen der Lorbeer gebühre: den Cäsaren, also den Weltherrschern, und den überragenden Dichtern. Das war die Liga, in der Petrarca fortan mitzuspielen gedachte: zwischen Cäsar und Vergil, wenn auch in dürftiger Zeit.


Petrarcas antike Großautoren, Cicero und Livius, aber auch Horaz, Vergil und Seneca, hatten sich teils an eine lebhafte Polis-Öffentlichkeit gewandt, teils an die höfische Gesellschaft einer Weltmachtzentrale. Petrarca, der seine Gegenwart verachtete, musste jahrzehntelang im Haushalt einer römisch-avignonesischen Kardinalsfamilie, bei den Colonna, leben, wo er geschätzt und gefördert wurde, aber auch Hauslehrerdienste zu verrichten hatte; seine Brief- und Gesprächspartner waren nicht die Senatoren eines Großreiches, sondern tief in Manuskripten vergrabene Mitglieder einer Gelehrtenrepublik, die meisten von ihnen Kleriker wie Petrarca.


Könnten wir ihn besuchen in einem zauberischen Akt des Zeitensprungs, wie er ihn mit seinen Briefen an die Vorwelt selbst versuchte, und hätten wir nichts von ihm gelesen, dann müsste uns Petrarca erscheinen wie eine Mischung aus Schulfuchs und Hofschranze: unablässig aufgeregt skandierend, gern ruhelos auf Reisen, immer auf der Jagd nach Büchern, oft aber auch grämlich schimpfend in den Vorzimmern, mutmaßlich nah am Wasser gebaut, weichgestimmt-hysterisch, oft allein und in Gedanken, gern mit sich selber sprechend, dazu über viele Jahre autosuggestiv erotisch erregt, immer ein Sonett unter der Feile: ein Schwärmer mit erstaunlichem Selbstbewusstsein, geistig eher beweglich als scharfsinnig, wie er dann im Alter selbstkritisch bekannte.


Dieser Weltfremdling mit seinem verschleierten Tränenblick wollte nun sein Jahrhundert nicht nur mit Versen entzücken und für die Antike begeistern, sondern ihr auch in den geistlich-weltlichen Tagesfragen die Richtung weisen. Dabei aber wollte er keinesfalls städtischer Parteimann oder geistlicher Bußprediger oder unwiderleglicher Syllogist sein, sich weder in den Dienst des Papstes, noch in den des Kaisers stellen; selbst seine Gönner, die Colonna, ließ er im politischen Konfliktfall treulos im Stich.


Allein aus historisch-poetischer Berufung sprach Petrarca, im Medium einer Bildung, die mehr war als Universitätswissenschaft: unmittelbare Nähe zur glorreichen, wiederzuerrichtenden Vergangenheit. Diese institutionelle und intellektuelle Ungebundenheit ist als Rollenfach vielleicht die wichtigste und am weitesten in die Zukunft weisende Erfindung Petrarcas. Es war freilich nicht nur, wie heutige Literaturwissenschaftler uns suggerieren wollen, eine wie immer auch zu definierende ¸¸moderne Subjektivität", von der aus Petrarca seine autoritativen zeitkritischen Orakel gab; sondern eine freilich subjektiv pathetisierte Gelehrsamkeit, ganz konkret: Petrarcas Latein, sein überlegenes, allein schon durch den modern-archaischen Stil und die Tausende von Zitaten beglaubigtes Wissen vom Vergangenen.


Zentrum des Erdkreises


Diese Vergangenheit aus klassischer Latinität und frühchristlicher Weltordnung war für ihn das schlechthin Wiederzugewinnende. Ihr Zentrum war Rom, und um Rom kreisen alle politischen Stellungnahmen Petrarcas. Von den Päpsten verlangte er die umgehende Rückkehr an ihren Sitz; von Kaiser Karl IV. forderte er dasselbe: Residenznahme in der Ewigen Stadt; den Versuch des römischen Notars Cola di Rienzo, in einem Akt revolutionärer Rückkehr die Wahlrechte für das Kaisertum nach Rom zurückzuholen, das Imperium mit dem Römervolk neu zu gründen, unterstützte Petrarca enthusiastisch - nie schienen seine Ideale der Verwirklichung so nah wie im Sommer 1347. Dieser Moment war sein Syracus, ähnlich der Verbindung Platons mit dem Tyrannen Dion, die Suggestion, mit richtigen Ideen große Politik machen zu können. Wäre Rom wieder Zentrum des Erdkreises, glaubte der Dichter, dann wäre alles wieder in Ordnung.


Damals schrieb Petrarca Briefe, die nicht nur an einzelne Gesinnungsfreunde gerichtet waren, sondern an die Römer überhaupt. Ein einziges Mal kam er der rhetorischen Sprechsituation seiner antiken Vorbilder nahe. Als Rienzo dann scheiterte, warf der Schriftrhetor aus seiner Gelehrtenidylle ihm vor, dass er für seine Ideale nicht gestorben sei mit römischem Heldenmut. Wer Petrarcas Engagement für die römische Revolution Rienzos mit den reichlich erhaltenen Quellen aus ihrem diplomatischen und chronikalischen Umfeld vergleicht, der erhält eines der frühesten Lehrstücke für intellektuelle Verkennung realer Umstände, für den geistigen Hochmut einer moralischen Ideenpolitik, für jenes ungenau informierte Darüberstehen, das sich so gern in Maximalforderungen ergeht.


Francesco Petrarca sah sich voller Unbehagen in einer Zwischenzeit, zwischen einer glorreichen Vergangenheit und einer vielleicht möglichen künftigen Blüte. Diese Zwischenzeit nennen wir heute Mittelalter, und oft heißt man es finster. Seit Petrarca glauben Intellektuelle gern, in solchen finsteren Zeiten zu leben, und ihnen dünkt, mit ihrer schönen Sprache könnten sie die schlechten Zeiten wieder herrichten. GUSTAV SEIBT


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.165, Dienstag, den 20. Juli 2004 , Seite 14

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