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2004/07/21 (01:37) from 80.139.185.135' of 80.139.185.135' Article Number : 162
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Seelenmassagen in Namibia
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Seelenmassagen in Namibia
H eißes Sa v annen-Bad
Gewitterstürme und Aufgüsse zwischen Namibwüste, Damaraland und Windhuk: In Südwestafrika spiegeln sich W ellness und W ildnis

Der schönste Nutzen der Savanne besteht darin, dass sie sich als Sanatorium eignet. Mögen Löwe und Gepard auch grollen: Wenn das Buschland am Südrand der Etosha-Pfanne im Abendlicht dünstet, entspannt der Mensch in einem duftenden Dampfbad, umgeben von beruhigenden Bildern - ahnungslosen Böcken am Wasserloch, wiegenden Giraffenhälsen zwischen Mopane-Bäumen vor dramatischer Wolkenkulisse. Eine therapeutische Rundum-Anwendung, die Namibias Natur offenbar dann offeriert, wenn sie sich beim Menschen entschuldigen sollte. Bei Pilot Piers Hefler und seinen Passagieren etwa, die jetzt auf der Terrasse der ¸¸Ongava Lodge" stehen und sehr tief atmen.


Sie versuchen zu vergessen. Wie Heflers Hände vor wenigen Minuten gezittert hatten, als seine sechssitzige Cessna, ein Spielball im Sturm, durch das undurchsichtig graue Gewitterwolkenwasser geschleudert wurde, das jetzt in dunklen Türmen am Horizont dräut. Immer tiefer hatte es die Maschine hinunter gedrückt gen Grooteberg-Kette. Ein fiebrig-zielloser Blindflug war es zuletzt, allein das Bild vom nahen Ende stand deutlich vor Augen. Gedanken rasten, Blitze zuckten - dabei klingt hinterher alles so einfach: Die Regenzeit hatte im Damaraland recht plötzlich und heftig eingesetzt. Eine Wettervorhersage gibt es auch für Piloten nicht. ¸¸Guys, das war knapp", brummt Hefler und starrt ins Savannen-Sanatorium, wo ihm eben noch eine saubere Sicherheitslandung gelang.


So ist das in Namibia. Wohin die Reise geht und wie die Geschichte verläuft, diktieren hier höhere Gewalten. Will man vom Damaraland zurückfliegen in den Süden nach Windhuk, kommt man in Ongava, der Wildnis des äußersten Nordens runter. Sucht man den Mitmenschen, packt einen die Tierwelt - schlimmstenfalls beim Genick: Man würde mit Hefler gern sein Trauma aufarbeiten, aber der Blick auf Bock und Busch ist betäubender Balsam. Und die Wolldecken, in die man sich nach Sonnenuntergang wickeln müsste, hat vergangene Nacht ein Löwe von der Terrasse ans Wasserloch gezerrt. Sie riechen jetzt streng nach nasser Großkatze. Ach, Mensch! Was bist du schon in einem Land mit dieser alles beherrschenden Natur, die fast anderthalbmal so groß ist wie Deutschland und gerade einmal so viele Einwohner hat wie Hamburg? Eine lächerliche Figur, manchmal auch ein Held. Meistens aber eine Mischung aus beidem.


Der Großwildjäger


Das reinigende Gewitter am Ende legt diesen Eindruck frei, der bereits zu Beginn der Reise vage Gestalt angenommen hatte: Da war man in Namibia angekommen, fast zwei Wochen ist das her, zuletzt die Lichter Frankfurts, nun flirrende Panoramen sanfter Hügel und rennende Herden unter sich - Sielmann-Totalen. Doch der schnarchende, russische Großwildjäger mit Goldkette und Flachmann auf dem Nebensitz - war er in diesem Moment nicht ebenso faszinierend? So friedlich und bedrohlich? Und worüber musste man sich eine Stunde später mehr wundern: Unter Gnus und Geparden in Gocheganas zu sitzen, wo einst Namas und Hereros um Weideland kämpften, oder darüber, dass man hier an einem Pool, uneingezäunt und Teil der freien Wildbahn, jetzt einen Drink nimmt, um dann bei 40 Grad Außentemperatur in eine Granit-Sauna zu schlendern? Die Savanne als Sanatorium - sie verdankt sich einem Gleichgewicht aus tödlichem Ernst und vitalem Vergnügen, Abgrund und Leichtigkeit, das eine ohne das andere kaum denkbar.


Resorts wie das Wellness-Dorf ¸¸Gocheganas", knappe 30 Autominuten vom Flughafen Windhuk entfernt, machen sich diese seltsame Balance zunutze. Eine Art regionaler Wahnwitz, denkt der frisch Eingetroffene, als er sich dort unter der Freiluftdusche seines Chalets einschäumt und ein gewaltiges Fluginsekt in der Luft vor ihm bremst, um ihn seinerseits neugierig und entsetzt anzustarren. ¸¸Wildnis und Wellness in einem" - auf diese Formel bringt Shareen Thude von der namibischen Tourismus-Behörde anschließend beim Dinner das Reiseerlebnis. Wohlfühlreservate wie zuletzt das ¸¸Gocheganas", zuvor die ThalassOasis des Lüderitz ¸¸Nest Hotels", die Gesundheitsfarm ¸¸Omburo", das ¸¸Ocean Pearl Hydro" in Henties Bay sowie Lodges wie ¸¸Huab" und ¸¸Epacha" haben sich in den vergangenen Jahren über Namibia verteilt. Ersonnen waren ursprünglich einmal ein paar Entspannungsfarmen für die Frauen der Großwildjäger. Doch mittlerweile zählen freizeit- und arbeitsteilige Konzepte nicht mehr. Der ganze Mensch ist gefragt und gefordert - ob im Gewittersturm oder bei der Ganzkörpermassage.


Dem Gast, akklimatisiert zwischen Thalasso-Bad und Buschausflug, zeigen Einheimische in der nahe gelegenen Hauptstadt später ihren ebenso widersprüchlichen Alltag. Cafés mit deutschen Namen, penibel frisierte Parkanlagen und fast mediterranes Klima auf 1600 Metern Höhe - ein fremdes Afrika. Darunter ein seltenes soziologisches Sediment aus Gestalten wie jenem alten, weißen Rassisten mit Bart, der dir Antiquitäten und seine prähistorischen Ansichten verkaufen will; dann wieder stolze Herero-Ladies in wilhelminischen Trachten, wie sie vor allem in den Schneidereien von Katutura genäht werden, dem in den Fünfzigerjahren unter der Apartheid geschaffenen Schwarzen-Vorort Windhuks. Ausgerechnet dort - dem ¸¸Ort, an dem wir nicht bleiben wollen" - scheinen die Gräben der vielen Widersprüche heute nivelliert zu sein: ein aufgeklärtes Neben- und Durcheinander von einst zusammengezwungenen Menschen unterschiedlicher Abstammung. Ein lässiger Stadtteil, in dem man zum Beispiel Mandla Karongee kennen lernt, 30, Herero, der hier jeden kennt, die Geschichte und die Geschichten, und so einnehmend erzählt, dass man sich am Ende geröstete Mopane-Würmer mit ihm teilt: Insekten als Knabberspaß. Man ist angekommen.


Veranstalter wie ¸¸Face-to-Face-Tours" bringen Reisende in solche Situationen, damit die Erlebnishungrigen auf der Suche nach ihrer Vorstellung von Exotik nicht weiter durch heilige Feuer entlegener Himba-Dörfer trampeln, sondern mit mehr Lebenswirklichkeit konfrontiert werden. Ein sanfter, kluger Tourismus setzt sich durch: Selbst Sozialprojekte wie Penduka, wo körperbehinderte Frauen den Einstieg in die hart umkämpfte Arbeitswelt versuchen, zeigen lokale Guides her und berichten über Elend und Erfolge. Auch das Kulturerlebnis soll den Gast ruhig ein wenig fordern.


Was wäre schließlich sinnvoller in einem Land, in dem Ernst und Vergnügen sich dauernd bespiegeln, wo Wildnis und Wellness ineinander fließen? So wie am Abend wieder im Panorama der Spiegelfenster des Desert Express, wenn man im Salonwagon auf Schienen mit 40 Stundenkilometern hinauszuckelt aus Windhuk, hinein in die Wüste: draußen Geröll und Einöde, drinnen weiß eingedeckte Tafeln. Mit der Krawatte um den Hals rollt man, postkolonial postkartentauglich, an den Komas-Mountains entlang - und steigt beim ersten Stopp im Sakko auf den Safarijeep um: Depp und Dandy in einer Person, jedenfalls eine spaßige Erscheinung für die schlicht gestrickten Jungs von der ¸¸Okapuka Game Ranch", die ihre gefangenen Löwen vorführen wollen und jetzt durch die Namib zum Gehege brettern, dass dem Desert-Expressler der Lackschuh einstaubt. Andererseits: Ist es nicht eine wunderbare Errungenschaft, dass man im Gegensatz zu ihnen wieder fahren kann auf diesem der Wildnis abgetrotzten Schienenweg? Dass man gleich im Zug einen Cocktail nehmen wird, der nicht mal schwappt, wenn ein Kudu auf die Gleise springt? Und während man Austern mit Tabasco schlürft, erzählt Service-Chefin Julia Puvavanga, dass es ¸¸hier eventuell schlechte Energien geben könnte", weil die Tokoloshe, afrikanische Plagegeister, nicht ausgetrieben wurden nach dem Bau des Zuges. ¸¸Aber keine Angst, okay?" Julia lacht scheppernd und schlägt dem Gast mächtig auf die Schulter. Sie werde wach bleiben und aufpassen. Tokolshe-


tokoloshe macht die Lok später sanft, während man im Schlafabteil in die schwarze Wüstennacht dämmert.


Leider erreicht der so Verwöhnte nach etwa 400 Kilometern unausweichlich Swakopmund - und muss in strahlender Morgenhelligkeit mitansehen, was passiert, wenn koloniale Europäer um 1900 ein Städtchen im Stil der Kaiserzeit gebaut haben und sich die Folgegeneration nun, bar jeder Grandezza, in Ausflugslaune daran ergötzt: Alter Bahnhof, der inzwischen ein Hotel ist, Fußgängerzone, Kuchenessen, altes Amtsgericht, Kaffeetrinken. Swakopmund ist - wie etwa Rüdesheim - ein beliebtes Ausflugsziel deutscher Seniorenverbände und kehrt diese Qualität selbstbewusst heraus. Es liegt am ödesten, untersten Zipfel der selbst für unverfrorene Badegäste nutzlosen Skelettküste, hat ein modernes Hallenbad und eignet sich vor allem zum Umsteigen und Wegfliegen. Bitte schnell wieder eine Seelenmassage, denkt der über Nacht offenbar von Tokoloshe gekitzelte Gast, als die kleine Maschine vom Swakoper Flugplatz abhebt. Und er wird erhört: so mächtig, als er wieder Land sieht, dass er sich seiner Überheblichkeit sofort schämt.


Das Urvieh


Der nächste Aufguss im namibischen Wechselbad nämlich heißt Damaraland und zählt zu jenen seltenen Reisezielen, die Besucher offenbar binnen Sekunden zu besseren Menschen machen. Ausgesetzt auf einem fremden Planeten findet man sich wieder: winzig, unbedeutend, versetzt in eine seit Urzeiten nur von der Luft berührte, wie von gewaltiger Hand akkurat geordnete Geröll-Landschaft. Hügelauf und hügelab, zehntausende Quadratkilometer weit und so leuchtend rot, wie nur 102 Millionen Jahre Oxidation eisenhaltige Böden färben können. Man klettert vorsichtig aus dem Flieger, um keine Unordnung in die Steine zu bringen - sonst führe die gewaltige Hand gewiss strafend aus der Höhe herab. Hatte sie das Rot nicht in kunstvoller Absicht mit giftgrünen Milchbüschen verfremdet, deren toxischer Saft blind macht? Sie leuchten nur dem, der hier nichts anrührt. Ihre optische Wirkung ist psychedelisch. Obwohl der Wind kräftig über das surreale Landschaftsgemälde streicht, bleibt alles lautlos wie in Andacht. ¸¸Willkommen in meiner Kirche", weckt eine sanfte, tiefe Stimme die sprachlose Reisegruppe aus der Versenkung. ¸¸Ich bin Chris, Chris Bakkes. Und da hinten - das ist unser Wagen."


Natürlich, klar: Dort steht ein Gelände-Auto, mitten im afrikanischen Mesozoikum, und gleich daneben Chris, rotbärtig, langmähnig und offenbar ebenso gemacht für diese Umgebung wie die anderen Urviecher, an die man sich später mit ihm heranpirschen wird: Die weltweit letzte, 140 Tiere umfassende Population von Spitzmaulnashörnern lebt im Damaraland, beobachtet und kontrolliert von Naturschützern. Wie animiert für einen Dinosaurier-Trickfilm, tänzelt hin und wieder solch ein tonnenschwerer Koloss leichtfüßig heran. Man würde notfalls sogar in einen giftigen Milchbusch kriechen, um nicht zu stören, wer weiß - aber für den gegenseitigen Frieden ist Chris hier: ein naturreligiöser Eiferer, der ein Zeltdorf für Touristen leitet, das ¸¸Palmwag Rhino Camp".


Tagsüber sorgt Chris, Ruhe predigend, lauernd, kauernd, beschwichtigend dafür, dass Tier und Tourist sich nicht zu nahe treten. Abends am Lagerfeuer, das ihn und die anderen davor schützt, eine so leichte Mahlzeit für wilde Tiere abzugeben wie anschließend auf dem Weg zum Zelt, trinkt er viel Whisky und singt pathetische Lieder aus dem Burenkrieg. Auch er ist so eine Mischung: lächerliche Figur und Held. Das muss das Land gemacht haben.


Ende der Neunzigerjahre hatte Chris im Caprivistreifen gekämpft, wo ihn die Buschmänner seines Platoons das Fährtenlesen lehrten. Das schützt ihn und die Gäste jetzt gegen Überraschungen. Spätestens seit er den linken Unterarm beim Kampf mit einem Krokodil verlor, überrumpelt ihn nichts mehr. Ihn ungestört in freier Wildbahn zu beobachten, wird dadurch ebenso schwierig und reizvoll wie die Nashornpirsch. Wie er dasteht, den Blick in die Weite gerichtet, Schlapphut, Fernglas, gibt er das letztlich zu lösende Rätsel auf: Was macht diese Landschaft eigentlich mit einem? Ja, wonach sucht man, während man so demutsvoll im Damaraland herumhuscht? Vielleicht nach sich selbst in Sorge, der Gegend und Chris langsam ähnlich zu werden? Die Möglichkeit, dass einen das Raubtier holt, ist es jedenfalls nicht, die nach einigen Tagen der Andacht und des Anschleichens zur Frage drängt, ob man hier je wieder wegkommt. ¸¸Ein Joint wäre cool", findet minütlich ein anderer, der Seelenmassage vollends verfallener Mitreisender.


Wegkommen also. Man versucht es an dem Tag, als Piers Hefler mit seiner sechssitzigen Cessna landet. Schon am Morgen sind ein paar Wolken aufgezogen. So abgelegen ist dieses plötzlich dunkelrot verfärbte Damaraland, dass halbe Tage vergehen, wenn Chris die nächste unbefestigte Straße zum Landeplatz ansteuert. Talauf, talab rumpelt sein Geländewagen. ¸¸Wenn das da oben abregnet, füllen sich die Täler hier. Dann können wir es vergessen", ruft er durch das Motorengeräusch. Das hoffnungslos konstante Brummen erinnert daran, dass doch noch irgendwie Kontakt zur Zivilisation bestehen muss. Die Straße zum Beispiel: eine haardünne Ader in der Marslandschaft ohne jeden Verkehrsfluss. Es klingt wie ein Wunder, dass sie überhaupt einen Namen trägt: C 43.


Doch die Natur ist stärker als der Gedanke - und hält zum Abschied das größere Wunder bereit. Einen höhnischen Gruß, eine Luftspiegelung vielleicht: Am Straßenrand, dort, wo Leere und Einsamkeit aneinander grenzen, tauchen wie eine Fata Morgana irgendwann Hütten auf und ihnen gegenüber ein Mann vor einem Flaschenbaum. ¸¸Hey, schaut mal her: mein Geschäft". Der Mann winkt, stellt sich als Isaac Ganuseb vor, Damara, einer, der schon immer hier lebt, und präsentiert ein tollkühnes Unterfangen: Er hat die Ordnung der Geröll-Landschaft zerstört und akurat eine Fläche freigeräumt - den Grundriss seines künftigen Geschäfts. ¸¸Ich mache mich diesen Sommer als Touristenführer und Fährtenleser selbstständig. Damit bin ich der erste an der C 43. Manchmal kommen ja Leute auf eigene Faust mit Leihwagen, die können sie hier abstellen", er zeigt neben den Grundriss. ¸¸Hier ist dann Ende, hier kennen sich die Leute sowieso nicht mehr aus." Chris schaut misstrauisch. Man wünscht der Erscheinung Erfolg. Verwirrt. Die Zeit drängt. Denn ein paar Kilometer weiter wartet die Cessna.


Ebenso Piers Hefler. Er ist der erste Mensch seit Tagen, der aus der wirklichen Wirklichkeit kommt. Nach knapper Begrüßung mahnt er zur Eile und stopft Taschen in den Rumpf der Maschine, weil eine dicke Wolkenfront über die Grootebergkette schwappt. Was einen da oben erwartet? Und dahinter? ¸¸Man wird sehen." Eine Wettervorhersage gibt es auch für Piloten nicht. Er wirft den Motor an. Die Maschine dröhnt, holpert los, zieht hoch. Eine Kurve noch - und dann taucht man ein, verschluckt von einer tausend Meter hohen Unterwelt, in der die Gedanken rasen, die Blitze zucken, die Cessna an Höhe verliert und endlich klar wird: Zum Sterben schön ist nicht einmal das Damaraland. PHILIP WOLFF


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.165, Dienstag, den 20. Juli 2004 , Seite 37

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