2004/10/15 (10:13) from 217.95.19.203' of 217.95.19.203' | Article Number : 173 |
Spiegel | Access : 2678 , Lines : 73 |
Der Untergang |
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SPIEGEL ONLINE - 15. September 2004, 16:38 URL: http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,318031,00.html
Es sind betuliche Szenen wie diese, die um den Film "Der Untergang" schon Wochen vor dem Kinostart heftigen Medienrummel ausgelöst haben: Die deutsche Albtraumgestalt Hitler nicht als Monster, sondern auch als Mensch zu zeigen, für den man unerlaubt freundliche Gefühle entwickelt, das berührt auch 60 Jahre nach Kriegsende einen nicht verkümmerten Fragereflex der Empörung: Darf man das? Natürlich darf man das. Man darf sogar noch viel mehr, wenn man sich im fiktionalen Raum des Kunstwerks Film bewegt. Man darf interpretieren, karikieren, vereinfachen und natürlich provozieren. Auch in Deutschland darf man das, so lange man es Satire nennt: Man denke nur an Christoph Schlingensiefs "100 Jahre Adolf Hitler" (1988) oder Jörg Buttgereits Kurzfilm "Blutige Exzesse im Führerbunker" (1982). Aber saftige Überdrehtheit ist immer auch eine Entschuldigung, das Werk des Künstlers der Geschmacklosigkeit und damit der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch wehe, es tarnt sich ein Filmemacher mit dem Deckmantel der Quasi-Authentizität und entwirft seinen Hitler-Film als großes Drama, rekrutiert dazu noch fast die gesamte deutsche Leinwandprominenz als Darstellerriege - er kann sich einer lebhaften, erneuten Diskussion der "Darf-man-das"-Frage sicher sein. So scheint es zunächst, als hätten Drehbuchautor Bernd Eichinger und Regisseur Oliver Hirschbiegel ihr Ziel erreicht, "sich der Geschichte von innen zu nähern" und der deutschen Vergangenheitsbewältigung ins 21. Jahrhundert zu verhelfen. Wie ein Honigkuchenpferd sitzt Eichinger in Talkshows herum und freut sich darüber, nach Dingen gefragt zu werden, die man Filmproduzenten normalerweise nicht fragt, weil sie keine Historiker sind. Der Münchner Kinomogul ("Die unendliche Geschichte", "Resident Evil") gibt zu Protokoll, dass er den Gedanken einer deutschen Kollektivschuld für "affig" hält und dass er es als die größte Herausforderung begriff, "das zu tun, was bisher keiner gewagt hat, nämlich die Personen, die im Wesentlichen das NS-Regime geprägt haben, als dreidimensionale Charaktere darzustellen". Damit, so erklärt er es einer Nachrichtenagentur, wollte er die "bisherige Dämonisierung und das Tabu" brechen. Den kalkulierten Tabubruch stützt Eichinger auf Joachim C. Fests Buch "Der Untergang - Hitler und das Ende des Dritten Reichs" und die Erinnerungen der Hitler-Sekretärin Traudl Junge ("Bis zur letzten Stunde"). Chronologisch zeichnen der Produzent und sein Regisseur die letzten zwölf Tage des Nazi-Regimes vom 20. April bis zum 2. Mai 1945 inmitten des umstellten Berlin nach. Schauplatz ist der Führerbunker unter der Reichskanzlei, in den sich Hitler und seine engsten Getreuen zurückgezogen haben. Gezeigt werden die letzten Versuche des Diktators, seinen Traum von der Weltmacht aufrecht zu erhalten, seine Erkenntnis, dass der Sieg nicht mehr zu erringen ist, und schließlich die Flucht in den Selbstmord. Wie ein Kammerspiel ist die Handlung inszeniert, unterbrochen nur von einigen actionreichen Szenen außerhalb des Bunkers, die den grausamen Krieg in den Straßen und das Leid des deutschen Volkes abbilden sollen. Hier werden Kindersoldaten aus Hitlers letztem Aufgebot ebenso gezeigt, wie Leichenberge und verzweifelte Wehrmachtsoffiziere, die begriffen haben, dass der Untergang naht - im Gegensatz zu ihrem hinter Betonmauern verschanzten Führer. Das ganze deutsche Volk ist Hitlers Opfer, versuchen diese Sequenzen zu sagen. Der millionenfache Mord an den Juden bleibt unerwähnt. Der Holocaust ist nicht das Thema dieses Films. Eichinger wollte die Spiegelung der Soziologie des Dritten Reichs in einer zugespitzten Situation, das Herantasten an die Hitler-Bewältigung - und scheitert daran, dass ein unbefangener Umgang mit der Figur Hitler schlicht nicht möglich ist. Was bleibt, ist der Grusel: Bruno Ganz, der sich Mimik, Gestik und den Sprachduktus Hitlers aneignete, vollbringt mehr als Mummenschanz. Sein fesselndes und ausdifferenziertes Spiel überstrahlt hochkarätige Darsteller wie Corinna Harfouch, Heino Ferch, Ulrich Matthes und Juliane Köhler und lässt ihm zugleich die beklemmende Rolle der einzigen Identifikationsfigur zufallen. Denn ob Albert Speer, Joseph Goebbels Oberst Jodl, Feldmarschall Keitel oder Eva Braun - sie alle werden eben nicht "dreidimensional", wie Eichinger schwärmt, sie bleiben leere Schablonen, deren Motivation nicht klar wird. Auch Hitlers Sekretärin Traudl Junge, rehäugig gespielt von Alexandra Maria Lara, bespiegelt die Ereignisse und Konflikte im Bunker nur, obwohl sie - als narratives Element des Films - unseren Blick lenken soll. Natürlich fühlt man sich unwohl, wenn man genötigt ist, sich einem Monster zu nähern. Zwar zetert Hitler zuweilen Furcht einflößend und lässt genügend Antisemitisches verlauten, um gehasst zu werden. Doch dann lässt Ganz ihn zärtlich mit Traudl turteln oder seiner Eva herzhaft einen Kuss auf den Mund drücken. Hier regt sich zumindest die Bereitschaft zum Verständnis dieser Figur. Aber will man das? Sicher nicht. Automatisch geht man innerlich auf Distanz. Zu viel an diesem Film funktioniert nicht. Die ersten Reaktionen des Premieren-Publikums auf das Ereignis "Untergang" fielen entsprechend zwiespältig aus: Zu lang, zu zäh, das Ganze lasse einen seltsam kalt. In Berlin, wo der Film am Sonntag unter Anwesenheit vieler Darsteller aufgeführt wurde, wollte der Applaus am Ende nur spärlich einsetzen.
Am Ende des Bunkerspiels bleibt nur die Faszination der akkuraten Hitler-Darstellung, weil sie den Reiz des Verbotenen besitzt. Erkenntnisse über die agierenden Menschen, ihre Beweggründe und Motivationen bietet der Film nicht an. Wie auch, wenn selbst Joachim C. Fest bei der Frage nach dem "Warum" passen muss, wie unlängst in einem Interview mit der "Welt". Im Unerklärlichen und Unerklärten liegt üblicherweise die Chance des Filmemachers, seine eigene Version zu propagieren, historisch belegt oder frei erfunden - das ist nebensächlich. Doch es ist eben nicht möglich, Hitler, Goebbels oder selbst Traudl Junge als Helden in einem emotionalen Kinodrama zu inszenieren. Sein notwendiger Rückzug vor jeder Wärme, Epik und Interpretation macht den "Untergang" zu einem letztlich überflüssigen Film. Für die banale Erkenntnis, dass das Böse im Menschlichen existiert, hätte es keiner 13 Millionen Euro teuren Kinoproduktion bedurft, die auf der Leinwand so harmlos und flach wie ein besserer TV-Zweiteiler wirkt. Der Untergang Deutschland 2004. Regie: Oliver Hirschbiegel. Buch: Bernd Eichinger. Darsteller: Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Juliane Köhler, Heino Ferch, Ulrich Noethen, Ulrich Matthes, Corinna Harfouch, Michael Mendl u.v.a. Produktion: Constantin Film. Verleih: Constantin. Länge: 155 Minuten. Start: 16. September 2004 © SPIEGEL ONLINE 2004 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH Zum Thema:
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