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Dietrich Bonhoeffer

     
Kultur
07.04.2005   19:12 Uhr  


Dietrich Bonhoeffer (I)

Mit der Waffe war bei ihm nichts zu machen

Der Theologe und Widerstandskämpfer Bonhoeffer hätte es einfacher haben können. Doch sein widerspenstiges Gewissen ließ sich nicht zähmen. Ein Gespräch mit Renate Bethge über ihren Onkel und zugleich engen Freund ihres Mannes.
Interview: Hans v. der Hagen

 
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Renate Bethge
Foto: Gtl. Verlagshaus
 
 
Vor sechzig Jahren, am 9. April 1945, wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg zusammen mit weiteren Mitgliedern des Widerstands gegen Hitler umgebracht.

Seit 1943 hatte er im Gefängnis gesessen, verhaftet kurz nach den Attentatsversuchen auf Hitler am 13. und 21. März.

Bonhoeffer war Theologe, schon früh - mit 24 Jahren - habilitiert. Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme warnte er, dass der "Führer" zum "Verführer" werden könnte und drängte die Kirche, etwas gegen das NS-Regime zu unternehmen. Sie solle "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen". Doch er konnte sich nicht durchsetzen.

Renate Bethge, 79, war mit Eberhard Bethge verheiratet und hat selbst eine Kurzbiographie über Bonhoeffer veröffentlicht*). Viele der bekannten Briefe und Aufzeichnungen aus dem Gefängnis Berlin-Tegel, in dem Bonhoeffer inhaftiert war, gingen an ihren Mann.

In der nächsten beiden Wochen werden an dieser Stelle noch zwei weitere Artikel zum Thema Bonhoeffer erscheinen.

sueddeutsche.de: Einmal vom Ende her begonnen. Dietrich Bonhoeffer war die letzten zwei Jahre seines Lebens Gefangener der Nationalsozialisten. Haben Sie ihn im Gefängnis besucht?
Renate Bethge: Ja, einmal. Allerdings ohne Erlaubnis. Nur die Braut, die Eltern und wohl auch die Geschwister bekamen Sprecherlaubnis. Mein Mann und ich kamen nur herein, weil Dietrich beim Wachpersonal gute Freunde hatte. Er hat es so organisiert, dass mein Mann und ich zusammen hereingekommen sind. An den verschiedenen Plätzen, man wurde ja wiederholt kontrolliert, hatte er überall Leute, die uns durchließen.

sueddeutsche.de: In welcher Verfassung war er im Gefängnis?
Bethge: Es war ganz erstaunlich. Wie immer. Sehr zugewandt. Vergnügt wirkte er.


 
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Dietrich Bonhoeffer


 
 
 
sueddeutsche.de: Waren Sie noch vor dem Attentat auf Hitler dort?
Bethge: Ja, im Sommer 1944.

sueddeutsche.de: Sie kennen seine Briefe, die er aus dem Gefängnis geschrieben hat. Hat sich sein Zustand im Lauf der Zeit geändert?
Bethge: Vielleicht kennen Sie sein Gedicht „Wer bin ich“. Das ist ganz typisch. Da schreibt er: ‚Bin ich das, was die Leute von mir sagen oder bin ich das, was ich selbst von mir weiß’ – also ganz niedergeschmettert. So in etwa hat er es ausgedrückt. Man hat sich bei uns in der Familie nie hängen lassen, wenn es einem schlecht ging. Das heißt nicht, dass er tatsächlich vergnügt war, aber er war doch wohl zuversichtlich, denn er wusste merkwürdig viel im Gefängnis. Wir waren erstaunt. Ihm war sogar bekannt, dass das Attentat bevor stand. Schon deshalb war er wahrscheinlich guten Mutes.

sueddeutsche.de: Bonhoeffer erwähnt seine Abkehr vom Phraseologischen hin zum Wirklichen. Wie sah die aus?
Bethge: Er hat eine Zeit gehabt, in der er sehr von der Theologie her dachte. Später musste er mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Im Gefängnis kamen ihm ganz andere Probleme zu Gesicht.

sueddeutsche.de: Wie muss man sich den Mann Bonhoeffer vorstellen?
Bethge: Er war sehr sportlich, spielte ausgezeichnet Tischtennis und auch gut Tennis.


 


"Wer bin ich?" Handschriftliches Original der ersten Zeilen des Gedichtes aus dem Juni 1944.
Bild: Chr. Kaiser/Gtl. Verlagshaus
 
 
sueddeutsche.de: Man möchte annehmen, dass zu seiner Vita eine gewisse Nachdenklichkeit gehörte?
Bethge: Natürlich. Aber er wirkte extrovertiert und war immer ganz da. Er schrieb natürlich viel und saß dann oben in seinem Mansardenzimmer und konzentrierte sich auf seine Sachen.

sueddeutsche.de: Sie waren seine Nichte und zugleich die Frau seines engen Freundes Eberhard Bethge. Haben Sie Bonhoeffer auf unterschiedliche Weise kennen gelernt?
Bethge: Eigentlich nicht, denn als ich heiratete, war er bereits im Gefängnis. Er sollte uns ursprünglich trauen, aber das ging dann nicht mehr. Und die Briefe, die er aus dem Gefängnis schickte, gingen meistens nach Italien, wo mein Mann Soldat war. Er brachte die Briefe später mit und wir haben sie im Garten meiner Eltern vergraben. Von den Briefen durfte keiner wissen, es wäre für alle Beteiligten zu gefährlich gewesen. Die letzten Briefe sind allerdings für immer verloren: Mein Mann war Schreiber in einer kleinen Einheit, und da hat er seinen eigenen Verhaftungsbefehl als erster in die Hand bekommen. Das ließ ihm Zeit, die Briefe, die er noch nicht mit nach Hause gebracht hatte, zu verbrennen.

sueddeutsche.de: Was war das für eine Familie, in der Bonhoeffer groß wurde?
Bethge: Man nennt das wohl großbürgerlich. Der Vater war Professor für Neurologie und Psychiatrie in Breslau und später in Berlin. Die Mutter war eine Theologentochter. Ihr Großvater war ein bekannter Kirchenhistoriker, der Vater zeitweise Hofprediger beim Kaiser.

sueddeutsche.de: Eine Laufbahn als Theologieprofessor schien vorgezeichnet...
Bethge: Das hatte er sich wohl gedacht und man hat sich das wohl auch so gedacht. Doch als die Nazis kamen, war klar, dass daraus nichts werden würde und das war ihm an sich auch recht.

sueddeutsche.de: Doch es scheint so, dass es nicht allein die Umstände waren, die ihn in eine andere Richtung zwangen. Er hätte seinen Weg als Professor weiter gehen können. Aber er zwang sich offenbar selbst – angesichts der Umstände?
Bethge: Ja, weil er fand, dass es unbedingt nötig sei, dass etwas dagegen getan werden müsste. Kurz vor der Nazi-Zeit war Dietrich in den USA. Schon damals schrieb ihm sein Bruder, wenn sich die politische Lage so weiterentwickeln würde, sei es um das Volk der Dichter und Denker geschehen. Die Familie hatte viele Informationen über das, was in der Politik passierte. Wir wusste von all den Untaten. Und da hat Dietrich zunächst gedacht, er müsse die Kirche dazu bringen, dass sie sich dagegen äußert. Doch das gelang nicht, er war auch noch jung damals, 27 Jahre, als die Nazis das Ruder übernahmen. Und er hatte das Gefühl, dass viele seiner Kollegen anderer Meinung waren, über das was die Kirche angesichts des neuen Regimes nun tun müsse. Später schrieb er einmal an Karl Barth, dass dies alles gute Theologen gewesen seien und es mache ihm zu schaffen, dass er nun ganz allein anderer Meinung war. Daher wollte er zunächst einmal Abstand gewinnen und ging Ende 1933 nach London in eine deutsche Gemeinde.


 


Dietrich Bonhoeffer und Eberhard Bethge auf dem Weg nach Chamby im August 1936.
Foto: Chr. Kaiser/Gtl. Verlagshaus

 
sueddeutsche.de: Im Sommer 1939 war er in den USA, auch um der Einberufung und dem Eid auf Hitler zu entgehen. Trotzdem ging er einen Monat vor dem Krieg wieder zurück. Das muss eine schwierige Entscheidung gewesen sein.
Bethge: Er hatte seit seinem ersten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten Freunde, die ihn in aus seiner Bredouille herausholen wollten. Sie dachten sich schon, dass es mit ihm nicht gut gehen würde in Deutschland, sie kannten seine Einstellung. Aber er wollte nicht in den USA bleiben. Es war eine quälende Entscheidung. Doch er fand, 'wenn ich nicht das Schicksal mit meinem Volk teile, kann ich später nicht wirksam werden'.

sueddeutsche.de: Spielte die Aussicht auf die Arbeit im Widerstand bei dieser Entscheidung bereits eine Rolle?
Bethge: Ich nehme an, dass er wusste, dass er dort etwas tun könnte. Kirchlich konnte er ja nichts mehr bewegen. Er war schon immer dicht am Widerstand dran. Sein Schwager Hans von Dohnanyi arbeitete bei der Spionageabwehr und der lernte den späteren General Oster bei Beobachtung der Fritsch-Krise kennen. Beide stellten voneinander fest, dass sie gegen die Nazis waren. Schon damals sagte Oster Dohnanyi, wenn es mal so weit käme, dass sie einen Widerstand planten oder der Krieg losginge, würde er Dohnanyi in das Amt Abwehr holen. Als Dohnanyi später dort arbeitete, holte er Bonhoeffer nach.

sueddeutsche.de: Gab es Freunde oder andere Zeitgenossen, die seine Rückkehr aus den USA als märtyrerhaft kritisiert haben?
Bethge: Damals noch nicht, da hat man noch nicht so weit gedacht. Man wusste nur, dass es sehr gefährlich war. Auch in der Familie haben sicher einige den Kopf geschüttelt und gesagt: 'Gott sei Dank war er draußen und jetzt kommt er wieder.'



» Es war eine quälende Entscheidung. «


sueddeutsche.de: Wie ist er denn später mit seiner Entscheidung zurechtgekommen, die ja große Tragweite für ihn selbst hatte?
Bethge: Ich glaube, er hat auch noch mal aus dem Gefängnis an meinen Mann geschrieben, dass er es nicht bereut habe. Und zwar auch dann nicht, als klar wurde, dass ihm das Wasser bereits am Hals steht.

sueddeutsche.de: Wusste seine Familie von der Tätigkeit im Widerstand etwas? Wussten Sie etwas?
Bethge: Ich würde sagen: ja. Persönlich wusste ich nichts genaues, ich war noch jung damals, ich bin Jahrgang 1925. Ich habe mich später nur gewundert, dass sie erst so verhältnismäßig spät im Widerstand tätig waren. Denn schon als die Nazis an die Macht kamen, gab es immer irgendwelche Tuschelgespräche. Da hatte ich bereits das Gefühl, dass sie etwas planten. Doch man hatte erst wohl noch gedacht, dass die Kirche etwas tun könnte und sie die Leute aufrütteln würde. Aber das ging nicht.

sueddeutsche.de: Wann wurde es denn konkreter?
Bethge: 1938 gab es die Geschichte mit München. Mein Großvater [Karl Bonhoeffer, die Red.] wurde gefragt, ob er eventuell eine Erklärung über den Geisteszustand von Hitler abgeben könnte, für den Fall das Hitler tatsächlich vom Militär gefangen genommen worden wäre. Karl Bonhoeffer hatte den ersten Lehrstuhl für Psychiatrie in Deutschland und man dachte, es könnte helfen, wenn er Hitler für nicht ganz normal erklärte. Doch als die Engländer den Einmarsch in die Tschechoslowakei billigten, fielen auch die Umsturzpläne ins Wasser.

*) Dietrich Bonhoeffer - Eine Skizze seines Lebens; Gütersloher Verlagshaus, 2. Auflage 2004



sueddeutsche.de: Was sah denn der Bonhoeffersche Widerstand aus?
Bethge: Mit der Waffe war bei ihm nichts zu machen. Doch er war häufig im Ausland gewesen und hatte daher viele Verbindung dorthin. Die sollte er nutzen und beispielsweise Fühlung mit den Engländern aufnehmen, damit diese den Widerstand unterstützten. Die waren auch zunächst dazu bereit, doch als später lange kein Versuch sichtbar wurde, haben sie nicht mehr reagiert.

sueddeutsche.de: Bonhoeffer fühlte sich der Wahrheit verpflichtet. War es schwierig für ihn, sich zu verstellen?
Bethge: Er wusste, dass er das tun musste. Er hat im Gefängnis einen Aufsatz über Wahrheit geschrieben. Da spricht er von einem Jungen, der vor der Klasse befragt wird, ob sein Vater Trinker sei. Der Junge sagt nein, obwohl es nicht stimmt. Und Dietrich kam zum Schluss, dass der Junge richtig gehandelt habe, da er seinen Vater nicht preisgegeben hatte. Es käme immer darauf an, in welcher Situation man gefragt werde und ob der Frager das Recht habe, einen zu fragen.

sueddeutsche.de: Der Theologe Bonhoeffer übte in den Briefen aus dem Gefängnis auch scharfe Kritik an der Kirche. An den "pfäffischen Kniffen", mit denen die Kirche den Menschen die Weltlichkeit und ihr Leben madig mache. War Bonhoeffer liberal, radikal oder konservativ?
Bethge: Alles zusammen. Für damalige Zeiten radikal, aber er hatte auch sehr konservative Seiten. Für ihn war die Verantwortung wichtig, die man hat. Er benutze viel das Wort Wirklichkeitsgemäßheit. Man sollte also wirklichkeitsgemäß handeln.

sueddeutsche.de: Teilten seine Kollegen die Kritik an der Kirche?
Bethge: Ich glaube, dass er eher allein damit stand. Vielleicht, weil er aus einem anderen Umfeld kam. Mein Mann hatte es mal so ausgedrückt: Der [Theologe, die Red.] Tillich kam aus einem kirchlichen Umkreis und hat die Welt entdeckt. Bonhoeffer hingegen kam aus einem weltlichen Umkreis und hat die Kirche entdeckt. Daher hatte er einen anderen Zugang.

sueddeutsche.de: Betrachten wir die Kirche im Jahr 2005. Lassen sich da noch Spuren Bonhoeffers erkennen?
Bethge: Schon. Es ist viel in die Kirche eingegangen, ohne dass das auf den ersten Blick sichtbar wäre.

sueddeutsche.de: Das heißt?
Bethge: Das sich die Kirche verantwortlicher fühlt für die Welt.

sueddeutsche.de: Die Kirche ist also politischer geworden?
Bethge: Ich würde sagen: ja.


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