DW AltaVista Translation


2005/04/12 (18:45) from 129.206.196.43' of 129.206.196.43' Article Number : 188
Delete Modify FR Access : 1187 , Lines : 26
JAPAN: Nationalistische Tiger



KOMMENTAR: JAPAN

Nationalistische Tiger

VON KARL GROBE



Japan hat in diesen Tagen nur wenige Freunde in der Nachbarschaft. In Südkorea hält eine Protestbewegung an, der die Regierung Flügel verleiht. In China fliegen Steine gegen die japanische Botschaft und gegen japanische Geschäfte, dort haben eifrige Werber im Internet an die 30 Millionen Unterschriften gesammelt, um gegen eine ständige Mitgliedschaft Japans im UN-Sicherheitsrat zu protestieren. Das Niveau der seit Jahrzehnten üblichen, seit Jahrzehnten erfolglosen Demonstrationen gegen die verfälschende Geschichtsdarstellung in mehreren japanischen Schulbüchern und des semantischen Streits über die Namen eher unbedeutender Inselgruppen hat diese Bewegung hinter sich gelassen.

Über die Aussagekraft der vielen Millionen chinesischer Unterschriften kann man geteilter Ansicht sein, da Einzelne offenbar unbeschränkt signieren konnten. Die Kundgebungen am Wochenende können durchaus Willensäußerungen einer kleinen Minderheit sein. Das ist aber nicht entscheidend. Wichtiger scheint, dass die Pekinger Chefs absichtlich den Geist aus der Flasche gelassen haben und es nun schwierig finden, ihn wieder einzufangen. Wenn die Abdämpfungsversuche nicht verfangen, hat die Kommunistische Partei ein Problem; Nationalismus ist neben dem Wirtschaftswachstum ihr einziger Trumpf - der einzige mit ideologischem Inhalt. Ihn nicht recht kontrollieren zu können hätte Folgen.

In Korea mag der dringende Wunsch der Rechts-Opposition gegen Präsident Roh Moo Hyun der hitzigen Fraktion unter den Protestierenden Ansporn gewesen sein. Die Regierung hat die Bewegung jedoch durch ihre sehr scharfen Reaktionen im Streit über die Dokdo-Inseln (japanisch: Takeshima) und die leidigen Schulbücher für sich genutzt und bekommt Schwierigkeiten, zur diplomatischen Routine zurückzukehren. Wenn sie es denn will; dass sie sich an die Spitze der Kolonne stellt, die Japan nicht in den Sicherheitsrat lassen will, lässt daran mit starken Gründen zweifeln.

Japan ist kein unschuldiges Opfer. Es schickt sich an, in trautem Bund mit den USA eine nicht nur vorwiegend weltwirtschaftliche, sondern eine betont weltpolitische Rolle zu spielen. Die Militärs, die Neokonservativen und nicht zuletzt Regierungschef Junichiro Koizumi empfinden die Verfassungsvorschriften, die Japan zum Pazifismus verpflichten, als sehr ärgerliche Fesseln. Unklarheiten im Friedensvertrag von 1951 über die staatliche Zugehörigkeit einiger Inseln, in deren Nähe neuerdings Erdöllager vermutet werden, nutzen sie bewusst aus.

Die Selbstverteidigungskräfte, längst schon die modernste und stärkste bewaffnete Kraft in der Region, sind nur dem Namen nach nicht eine Armee. Sie zu Einsätzen - betont friedensbewahrender Art - etwa nach Irak zu entsenden, dehnt den Verfassungs-Friedensartikel 9 bis zur Bedeutungslosigkeit aus. Die Absicht zur Teilhabe an der US-Raketenabwehr, begründet durch eine übertrieben dargestellte nordkoreanische Gefahr, schreckt die Nachbarn auf. Der im Februar noch einmal aktualisierte Sicherheitspakt mit Washington weitet ein mögliches Einsatzgebiet, nun nicht mehr nur zur Friedensbewahrung, auf die gesamte Region aus.

Chinas Aufrüstung mit modernen Waffen ist ein weiterer Grund dafür; aber sie ist auch Reaktion. Es handelt sich um die Umstellung von der Fußgängerarmee auf eine stärker technisierte Truppe; es ist auch Nachholbedarf. Virulent wird dies, sobald die Nationalismen aller Seiten sich gegenseitig hoch schaukeln. Das geschieht derzeit unter Bezug auf Symbole und eine in Japan kaum bewältigte Geschichte des aggressivsten asiatischen Imperialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Tokio hat den Überfallenen von damals leider wenig Grund gegeben, eine Wiederholung für ganz ausgeschlossen zu halten. Sie sehen sich durch die inkriminierten Schulbücher bestätigt - im chinesischen Fall freilich ohne sonderlich entwickeltes Verständnis für Meinungspluralismus und Freiheit der Lehre -, die zwar staatlich konzessioniert, aber nicht konkurrenzlos sind.

Historische Verantwortung und sehr aktuelle Interessengegensätze mischen sich brisant. Der Aufstieg Chinas und Südkoreas zu Weltwirtschaftsmächten, das relative Zurückfallen Japans und die Weltmachtinteressen der USA sind Komponenten eines Konflikts. Zur Stunde besteht die doppelte Gefahr, dass eine UN-Reform daran scheitert und dass die nordkoreanische Atomrüstungsfrage ungelöst, also bedrohlich bleibt. Schlimm genug; ärgerlich für Berliner UN-Ambitionen; doch dahinter droht mehr. Wer den nationalistischen Tiger reitet, kann nur schwer wieder absteigen.


Backward Forward Post Reply List
http://theology.co.kr