DW AltaVista Translation


2005/05/26 (05:57) from 129.206.196.80' of 129.206.196.80' Article Number : 217
Delete Modify Zeit Access : 1791 , Lines : 67
Stammzellforscher sehen schwarz
Download : klon_280x280.jpg (37 Kbytes)

klon_280x280.jpg






Klonen

Stammzellforscher sehen schwarz

Käme die CDU an die Macht, gerieten die Wissenschaftler noch mehr in Schwierigkeiten. Bereits jetzt hinkt Deutschland hinterher. Der Aufbruch findet in Südkorea statt

Von Ulrich Bahnsen und Urs Willmann
 

  
 
Foto [M]: AP/Seoul National University
Als am vergangenen Sonntag die Resultate der Landtagswahl in NRW verlesen wurden, saß Hans Robert Schöler, Experte für embryonale Stammzellen, mit zwiespältigen Gefühlen vor dem Fernseher. Denn der Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster ist einer der wichtigsten wissenschaftlichen Berater der Union in Sachen Biotechnik. In dieser Funktion hätte er das Ergebnis gutheißen können.

Aber zugleich bedeutet der Sieg seiner christdemokratischen Mandantschaft, der Wahlerfolg von Jürgen Rüttgers, ein Debakel für seine Wissenschaft. Das Bundesland wird fortan schwarz regiert. Und anders als der abgewählte Peer Steinbrück hat der neue Ministerpräsident in der Vergangenheit des Öfteren öffentlich klargemacht, was er von der Stammzellforschung, dem therapeutischen Klonen und von Schölers Zunft hält: nicht viel.

Seit Tagen muss Schöler zudem Reportern gegenüber die Forschungserfolge seiner ausländischen Kollegen kommentieren. Südkoreanische Wissenschaftler hatten am Freitag im Wissenschaftsmagazin Science vermeldet, ihnen sei das Klonen von menschlichen Embryonen gelungen, mit denen sie dann elf embryonale Zelllinien (ES-Zellen) gewinnen konnten. Diese sind genetisch identisch mit elf schwer kranken Patienten. Zum ersten Mal war damit bewiesen, dass patientenspezifisches therapeutisches Klonen prinzipiell möglich ist. Bei Schöler stand das Telefon nicht mehr still. Als spätabends die Anrufe endlich abebbten, sei er »praktisch hirntot gewesen«.

Der Freitag wird in die Annalen der biotechnischen Forschung eingehen. Denn der Meldung aus Südkorea folgt eine zweite aus Großbritannien. Auch dort sind an der Universität von Newcastle, unter Beteiligung des deutschen Staatsbürgers Miodrag Stojkovic, erstmals in Europa mehrere menschliche Embryonen geklont worden. Sie waren jedoch nicht gesund. Bevor die Forscher Stammzellen aus ihnen gewinnen konnten, starben sie – der letzte fünf Tage nach der Laborzeugung.

Obendrein machte auch noch der Bundeskanzler Schlagzeilen. Mehrere Zeitungen berichteten am Samstag, Gerhard Schröder hege »konkretere Pläne für einen biopolitischen Kurswechsel«. Im Falle einer Wiederwahl – die Rede war da noch vom Jahr 2006 – solle die Forschung an embryonalen Stammzellen weitgehend freigegeben werden. Damit wäre Schröder einig mit den zuständigen Fachministern. Auch Müntefering sei hinsichtlich der Klonforschung offen, »weiterzugehen«. Kirchenvertreter und die Opposition äußerten umgehend ihr Entsetzen über die Kunde aus dem Kanzleramt. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats hingegen, Spiros Simitis, stimmte dem Ansinnen zu, die Debatte neu aufzurollen: »Entwicklungen wie in Südkorea zwingen dazu, das Thema immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.«

Doch nun sieht alles anders aus. Von September an könnte die CDU auch im Bund regieren. Damit würden sich allerdings die Aussichten auf eine Lockerung der bestehenden Gesetze verschlechtern: In Deutschland darf zwar an Stammzellen geforscht werden, aber nur an veralteten »Restposten«, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt worden sind. Diese Zellen sind für Grundlagenforschung zwar begrenzt tauglich, für medizinische Zwecke aber gänzlich ungeeignet.

Damit droht Deutschland endgültig ins Hintertreffen zu geraten. Die Erfolge der asiatischen Klonlabors verdeutlichen den Wissenschaftlern, dass sie nicht nur den Aufstieg in die Champions League der Biotechnik verpasst haben, sondern Gefahr laufen, gleichsam in die Regionalliga durchgereicht zu werden. Die Schuldigen orten sie, nicht zu Unrecht, in der Politik. Denn bei Experimenten, wie sie der Koreaner Hwang Woo Suk nun präsentierte, drohen ihnen nach dem vom Bundestag Anfang 2002 verabschiedeten Stammzellgesetz mehrjährige Haftstrafen.

Mittlerweile ist zudem offensichtlich, dass die von biopolitischen Hardlinern im Bundestag verordnete Schwerpunktbildung bei der Erforschung ethisch unbedenklicher adulter Stammzellen eine Fehlentscheidung war. So war die deutsche Forschung niemals führend im Bereich der adulten, also auch in erwachsenen Organen vorhandenen Stammzellen. Vor allem aber ist die Heilkraft dieser Zellen entgegen den Warnungen vieler Experten massiv überschätzt worden.

Zwar werden zum Beispiel Knochenmarkstammzellen, aus denen alle Arten von Blutzellen hervorgehen, schon seit Jahrzehnten erfolgreich in der Medizin verwendet – aber eben nur zur Therapie von Erkrankungen im Blut, etwa bei Leukämie. Berichte, durch die »Transdifferenzierung« solcher Zellen etwa Hirnzellen für Parkinson-Kranke und Schlaganfallpatienten oder Herzzellen für Infarktopfer züchten zu können, sind höchst umstritten. Viele überzogene Erwartungen beruhen offenbar auf Laborartefakten oder Fehlinterpretationen.

Allerdings werden auch ES-Zellen den Ärzten und Patienten kaum die Lösung aller medizinischen Probleme bescheren. Gleichwohl hat die Embryonenforschung enorme Fortschritte erzielt, seit der Amerikaner Jamie Thomson 1997 als Erster eine ES-Zellkultur aus einem Embryo gewann, der bei einer In-vitro-Fertilisation (IVF) übrig geblieben war. Tierversuche belegen inzwischen, dass solche Zellen im Prinzip zur Behandlung eingesetzt werden können. Erst im Januar behandelten japanische Forscher Parkinson-kranke Affen mit Neuronen, die sie aus ES-Zellen gewonnen hatten.

Der südostasiatische Höhenflug der Biotechnik hat gerade erst begonnen. Zielstrebig arbeiten die Tigerstaaten daran, auf vielversprechenden Forschungsfeldern an die Weltspitze vorzustoßen. In Südkorea und Singapur, aber auch in China investieren die Regierungen riesige Summen, um die Klonforschung voranzutreiben. Als in Südkorea das Gerücht kursierte, eine nordamerikanische Universität wolle Hwang Woo Suk abwerben mit mehr als 800 Millionen Dollar, da machte Staatspräsident Roh die Personalie sofort zur Chefsache. Seine Order lautete: Um den populären Starforscher im Land zu halten, seien alle erforderlichen Finanzmittel unverzüglich bereitzustellen.

Der »König des Klonens«, wie Hwang in Südkorea genannt wird, versucht sich trotzdem in Bescheidenheit. Zwar lacht er von Sonderbriefmarken, aber sein Büro ist laut Zeitungsberichten nicht größer als ein Kinderzimmer. Schon im vergangenen Jahr hatte Hwang weltweit Aufsehen erregt. Da war ihm der Versuch geglückt, aus einem menschlichen Klonembryo Stammzellen zu züchten – eine Weltpremiere. Dafür hatten die Forscher allerdings einen gewaltigen, für viele Kritiker sogar unvertretbar hohen Aufwand getrieben: Rund 240 gespendete Eizellen mussten ihres Kerns beraubt und mit Kernen von Hautzellen der Eispenderin bestückt werden, um nur eine Zelllinie zu erhalten.

Nun hat Hwangs 40-köpfiges Team seine Effizienz gewaltig gesteigert. Mit 185 Eizellen brachte es elf Zelllinien hervor. Diese enthalten die Erbinformation unheilbar kranker Patienten, die zwischen 2 und 56 Jahre alt sind. Neun sind querschnittgelähmt, ein Kind ist Diabetiker, eines leidet an einer angeborenen Immunschwäche.

Trotz des Erfolgs bei der Reproduktion warnt Hwang vor übertriebenen Hoffnungen. Frühestens in zehn Jahren werde das therapeutische Klonen dem ersten Patienten zugute kommen. Viele halten geklonte Stammzellen als am ehesten dazu geeignet, dereinst Organersatz zu züchten. Denn der identische Gencode der Zellen verspricht eine Abstoßungsreaktion des Körpers zu verhindern.

Kritiker allerdings weisen darauf hin, dass es kaum möglich sein wird, den jugendlichen Zellen in komplexen Organen die entsprechenden Aufgaben zuzuteilen. Zellen sind mit einer Vielzahl anderer Zellen verknüpft und reagieren in Abstimmung mit der Umgebung. Wie diese erfolgt, darüber weiß man bislang noch fast nichts. Aber die Kritik kommt auch von grundsätzlicher Seite. Zwar hat Hwang mehrfach betont, dass »das reproduktive Klonen von Menschen gesetzlich verboten werden« muss. Letztlich kann jedoch niemand sagen, ob das in seinem Labor generierte Wissen nicht dereinst dazu missbraucht wird, einen Menschen als Ganzes zu reproduzieren. Allerdings scheint es bei Primaten, somit wohl auch bei Menschen, ungewöhnlich schwierig zu sein, ein Klonbaby auf die Welt zu bringen.

Der Amerikaner Gerald Schatten, der mit Hwang zusammenarbeitet, scheiterte jedenfalls bei dem Versuch auf ganzer Linie. Er konnte zwar geklonte Affenembryonen erzeugen und ES-Zellen aus ihnen gewinnen. Doch als er einem Dutzend Weibchen geklonte Embryonen in den Uterus einpflanzte, geschah nichts. Keines wurde schwanger. Noch nie ist ein Primatenbaby geklont worden.

Dennoch ist zu befürchten, dass es prinzipiell möglich ist. Die Methode ist dieselbe, mit der vor neun Jahren ein britisches Forscherteam um Ian Wilmut das Schaf Dolly aus einer adulten Euterzelle erzeugt hat. Inzwischen wurden bereits zehn verschiedene Säugetierarten geklont.

Während heute differenzierte ethische Vorbehalte gegen reproduktives Klonen ins Feld geführt werden, regierte damals, nach Wilmuts Pioniertat, in den Medien das blanke Entsetzen. Der Aufmarsch geklonter Diktatoren im Stechschritt wurde heraufbeschworen. Doch die ursprünglichen Szenarien sind so unwahrscheinlich, dass sie längst ihren Schrecken verloren haben. Mit dem südkoreanischen Coup ist die Technik, mittels Klonen zelluläre Verwandlungskünstler für den Menschen zu schaffen, zur effizienten Methode geworden. In Kalifornien und in der Schweiz haben Ende des vergangenen Jahres jeweils über 60 Prozent der Stimmbürger für die Forschung an Stammzellen gestimmt. Auch hierzulande bröckelt die Front gegen die Biotechnik. Insbesondere Jüngere können der Bedenkenträgerei der Älteren immer weniger abgewinnen.

Was also wird geschehen, wenn im September 2005 eine neue Regierung das Land lenkt? Der vom Spiegel am Montag beschworene »Weckruf aus Fernost« hat die Hoffnung hiesiger Stammzellforscher kaum beflügelt und ist bereits wieder verstummt. Freiheit in der Forschung, die auch auf therapeutisches Klonen setzt, wäre nach einem Regierungswechsel allenfalls mit einer sehr starken FDP zu realisieren. In der Union hingegen dominieren die Blockierer. Therapeutisches Klonen, so verkündete CDU-Generalsekretär Volker Kauder erst vor wenigen Tagen, »das wird es mit uns nicht geben«.

Derweil preschen die Asiaten davon. Noch vor kurzem galt Südkorea den Bio-Tech- und Wirtschaftsexperten als unbeschriebenes Blatt. Das hat sich gründlich geändert. Zielstrebig arbeitet sich das Land an die Weltspitze vor und investiert drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Wissenschaft. Bereits das sichert Korea im internationalen Vergleich eine Spitzenposition.

Die Lorbeeren für all die Anstrengungen sollen bald folgen. In einem (für Deutschland wohl unvorstellbaren) Schulterschluss der beiden größten Parteien haben südkoreanische Politiker ein Komitee gegründet. Dessen Ziel: der Nobelpreis für Hwang Woo Suk. Das Komitee will umgehend Unterlagen nach Schweden schicken.

Grafik: Gewinnung von Stammzellkulturen

(c) DIE ZEIT 25.05.2005 Nr.22




Backward Forward Post Reply List
http://theology.co.kr