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2005/07/07 (20:06) from 129.206.196.218' of 129.206.196.218' Article Number : 238
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Der lachende Ozean
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Der lachende Ozean

Er verkörpert die Hoffnung der Tibeter - der Dalai Lama, geistliches und weltliches Oberhaupt des kleinen Himalajalandes, wird 70

VON HARALD MAASS






Der Dalai Lama wid 70 (ddp)


Es war im Winter 1933, über der tibetischen Hauptstadt Lhasa wehte ein eisiger Höhenwind, als der 13. Dalai Lama starb. Die traurige Nachricht verbreitete sich rasch in dem kleinen Himalajaland. In Lhasa begann man mit den Trauerritualen, als Mönche plötzlich von merkwürdigen Erscheinungen berichteten: Ein sternförmiger Pilz sei an der nordöstlichen Seite des Totenschreins gewachsen, hieß es. In die gleiche Richtung habe sich auch der Kopf des Toten geneigt. Tibets Geistliche befragten das Orakel, schickten Suchdelegationen los. Drei Jahre später entdeckten sie in dem Dorf Takster in Amdo einen zweijährigen Jungen, der alle heiligen Prüfungen bestand. Der neue Dalai Lama war gefunden.

Heute wird Tenzin Gyatso, so der Mönchsname des 14. Dalai Lama, 70 Jahre alt. Die meisten Tibeter werden den Geburtstag ihres religiösen und weltlichen Oberhaupts nur heimlich feiern können. Ihr Land ist seit einem halben Jahrhundert von China besetzt. 1959 flüchtete der Dalai Lama auf dem Rücken eines Yaks nach Indien. Seitdem kämpft der tibetische Gottkönig vom Exil aus für die Freiheit seines Volkes. Es ist ein friedlicher Kampf: Den größten Teil seines Lebens verbringt der Dalai Lama auf Reisen, trifft Politiker und Staatschefs, tritt morgens bei Großveranstaltungen als Redner auf und plaudert abends in Talkshows.

Der 14. Dalai Lama (übersetzt: "Ozean der Weisheit") ist vermutlich der weltweit populärste Führer des Buddhismus seit Buddha selbst. Sein Markenzeichen ist sein Lachen. Ob mit Staatsoberhäuptern, bei Friedensfesten oder in Gesprächen mit Journalisten, "Seine Heiligkeit" lacht gerne und laut. Dabei ist die Lage seiner Heimat ernst. Schätzungsweise 1,2 Millionen Tibeter sind seit der Besetzung des Hochlandes 1950 durch chinesische Truppen ermordet worden. Klöster wurden zerstört, Mönche und Nonnen in Arbeitslager geworfen und umgebracht. Die größte Bedrohung ist jedoch Pekings Bevölkerungspolitik. Millionen von Han-Chinesen wurden von Chinas Regierung nach Tibet umgesiedelt. In Lhasa und anderen Regionen sind Tibeter bereits in der Minderheit sind. "Ethnischer Völkermord" sei das, kritisiert der Dalai Lama.

Einen bewaffneten Befreiungskampf der Tibeter lehnt der Dalai Lama jedoch ab. 1974 rief er die letzten tibetischen Aufständischen dazu auf, ihre Waffen niederzulegen. Seitdem setzt der Dalai Lama, der 1989 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, auf eine friedliche Lösung des Konflikts. 2002 reisten seine Vertrauten mehrmals zu heimlichen Gesprächen nach China, bisher allerdings ohne Erfolg. In Pekings Augen ist er bis heute ein "gefährlicher Separatist", der Tibet vom "chinesischen Mutterland" abzuspalten sucht. Der Dalai Lama erklärt dagegen, dass Tibet sehr wohl Teil der Volksrepublik China bleiben könne. Allerdings fordert er für sein Volk "echte Autonomie".

Der Dalai Lama hatte keine einfache Kindheit. Unter der strengen Anleitung von Mönchen studierte er von klein auf geistliche und weltliche Texte. Er wurde in Philosophie, Sprachen und anderen Wissenschaften ausgebildet. Später begeisterte er sich, wie viele junge Männer seiner Zeit, für den Kommunismus. "Ich bewunderte die Kommunistische Partei, besonders den Internationalismus der marxistischen Ideologie", sagte der Dalai Lama später. Anfang der 50er Jahre traf er Mao Zedong, der ihn zunächst sehr beeindruckte. 1954 kommt es zu einer letzten, entscheidenden Begegnung. Mao saß auf einem Sofa, neigte sich ganz nah an den jungen Mann heran, und flüsterte: "Religion ist Gift". Fünf Jahre später flüchtete der Dalai Lama ins Exil.

Wie lebt ein Dalai Lama im 21. Jahrhundert? "Seine Heiligkeit" ist ein Frühaufsteher: Um 3.30 Uhr beginnt der Dalai Lama den Tag, normalerweise mit Meditationen. Spätestens um 5.30 Uhr möchte er frühstücken, was gerade bei Reisen und Hotelaufenthalten nicht immer einfach ist. "Manchmal muss ich mir also schon einen Tag früher belegte Brote machen, um am Morgen nicht mit leeren Magen dazustehen", sagte er. Als Kleidung reichen ihm fünf Roben sowie einige Feinripp-Unterhemden. Sein Hobby seien Armbanduhren, von denen er eine auch schon erfolglos versuchte selbst zu reparieren. Um sich fit zu halten, trainiert der Dalai Lama manchmal auf einem Laufband. Bei Reisen hat er immer ein Kopfkissen ("Ich brauche mein eigenes Kopfkissen") sowie eine kleine Buddhastatue im Gepäck. "Das ist sozusagen mein Boss, der muss immer einen guten Platz haben."

Tee mit der Queen, Auftritte mit Steven Spielberg, Nelson Mandela, Bill Clinton, Vaclav Havel - wie kein anderer Religionsführer nutzt der Dalai Lama die Macht der Medien und Prominenz. Zu seinen Freunden und Unterstützern gehören Hollywood-Größen wie Richard Gere, Brad Pitt und Martin Scorsese. Der Dalai Lama schreibt Vorwörter für Bücher und lässt sein Lachen auf CDs verkaufen. Manchen seiner Anhänger geht die Medienpräsenz des Gottkönigs zu weit: Eine Werbekampagne für Apple brach der Dalai Lama vor einigen Jahren vorzeitig ab, weil seine tibetischen Anhänger Kritik geübt hatten.

Wenn er nicht gerade auf Reisen ist, lebt der Dalai Lama Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung. Die an steilen Berghängen gelegene Anlage war einst die Sommerresidenz des indische Staatspräsident Nehru. Heute leben 100 000 Exiltibeter in dem Gebiet. Viele davon kamen als Kinder zu Fuß über den Himalaja. Tibetische Eltern schicken sie nach Indien, damit sie dort in den Nähe des Dalai Lama leben.




Der Dalai Lama

6. Juli 1935: Der 14. Dalai Lama wird als Lhamo Thöndup im Nordosten Tibets geboren.
Sommer 1937: Hohe buddhistische Würdenträger erkennen ihn als Reinkarnation des Dalai Lama.
22. Februar 1940: Der Dalai Lama wird inthronisiert.
17. November 1950: Nach dem Beginn der chinesischen Invasion Tibets übernimmt er die Macht als geistliches und weltliches Oberhaupt des Landes.
1954: Der Dalai Lama verbringt mehrere Monate in Peking, wo er unter anderem den chinesischen Staats- und Parteichef Mao trifft.
10. März 1959: Volksaufstand in der tibetischen Hauptstadt Lhasa. Der Dalai Lama flieht nach Indien.
10. März 1963: Er verkündet eine provisorische Verfassung im Exil.
10. Dezember 1989: Für seine Bemühungen um eine gewaltfreie Lösung des Tibet-Konflikts erhält er in Oslo den Friedensnobelpreis.
September 2002: Erstmals seit langer Zeit reisen persönliche Gesandte des Dalai Lama nach China und Tibet. epd




Irgendwann wird auch der 14. Dalai Lama, oder zumindest seine sterbliche Hülle, die Erde verlassen. Vor seinem Tod wolle er zurück in die Heimat, in ein freies Tibet, erklärt der Dalai Lama. Auf seine weltliche Macht würde er dann zugunsten einer demokratisch gewählten Regierung verzichten, kündigt er an. Tibet sollte dann eine entmilitarisierte Zone sein, ein Paradiesstaat im Himalaja. Doch der Dalai Lama weiß, dass sich dieser Traum wohl nicht mehr erfüllen wird. Im Machtkampf um Tibet arbeitet die Zeit für Peking. Mit Tenzin Gyatso wird das weltweit populäre Gesicht des tibetischen Buddhismus vom Erdboden verschwinden. Was dann passiert, ist heute noch offen. Pekings KP-Führer könnten eine China-treuen "Marionetten-Lama" installieren, wie es 1995 nach dem Tod des Panchen Lama geschah, dem zweithöchsten religiösen Führer der Tibeter. Er könne sich auch vorstellen, außerhalb von Tibet wiedergeboren zu werden, sagt der Dalai Lama. "Der nächste Dalai Lama könnte Inder, Europäer oder Afrikaner sein - sogar eine Frau. Der Körper zählt nichts", sagt er. Wichtig sei, dass er oder sie als religiöser und weltlicher Führer von den Tibetern anerkannt wird.

Egal wie es nach ihm weiter geht, der Tod des 14. Dalai Lama wird ein Wendepunkt im Freiheitskampf der Tibeter. Pekings KP-Führer spekulieren auf ein Machtvakuum. Ein ausländischer Dalai Lama wird nie das Charisma und die Autorität haben, die Tenzin Gyatso zu weltweiter Popularität verhalf. Selbst wenn es den Exiltibetern gelingt, sich mit Peking auf ein Gottkind zu einigen, wird es Jahre dauern, bis der neue Führer herangewachsen ist. Im Grunde sieht die Zukunft der Tibeter mit jedem Jahr düsterer aus. Der Dalai Lama kämpft trotzdem weiter für sein Volk - und lacht dabei auch noch. Wahrscheinlich macht das die Faszination aus.





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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 05.07.2005 um 16:12:07 Uhr
Erscheinungsdatum 06.07.2005







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