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2005/09/12 (19:44) from 129.206.196.32' of 129.206.196.32' Article Number : 246
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Schauplatz Korea - Neue und alte Erfinder





Schauplatz Korea
Neue und alte Erfinder
Ein dynamischer Buchmarkt setzt innovativ aufs Internet

Die Buchkultur in Korea hat eine uralte Tradition. Nach wie vor wissen im Westen nur wenige, dass hier Jahrhunderte vor Gutenberg der Buchdruck erfunden wurde. Doch stellt sich der koreanische Buchmarkt auch den Herausforderungen der Gegenwart - durch eine Fokussierung aufs Internet, wie sie weltweit einmalig ist.
 


Ob etwas als eine «historische Wahrheit» anerkannt wird, hängt von vielen Faktoren ab. Eine entscheidende Rolle dürfte hierbei auch spielen, wer über die Definitionsmacht verfügt und, im Falle eines globalen Phänomens, wie gründlich man recherchiert hat. Dass sich, obwohl längst widerlegt, eine einmal weltweit als wahr akzeptierte Meinung hartnäckig hält, zeigt sich im Feld des Buchdrucks. Allgemein gilt, dass der Deutsche Johannes Gutenberg (1397-1468) um das Jahr 1448 die Technik des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern eingeführt habe. Die erste Gutenberg-Bibel stammt aus dem Jahr 1455.

Die Koreaner haben nachgewiesen, dass man in Korea schon im Jahr 1234 mit beweglichen Metalllettern Bücher hergestellt hatte. Mehr noch: Es existierte Ende des 14. Jahrhunderts ein allein für den Buchdruck zuständiges Amt am Königshof, und dieses verfügte bereits 1403, wie die Chroniken der Yi-Dynastie festgehalten haben, über 10 000 in Metall gegossene Lettern. Das älteste mit Metalllettern gedruckte Schriftstück ist denn auch in Korea gefunden worden, nämlich die «Jikji» genannte Sammlung von Predigten buddhistischer Weiser und Zen-Meister, hergestellt 1377 im Tempel Heongdeuksa. 2001 hat die Unesco es als solches anerkannt und in die Liste der «Memory of the World» aufgenommen. Wie vertraut die Koreaner mit der Technik des Buchdrucks waren, zeigt sich auch im Bereich des Holzdrucks, den man schon seit dem 8. Jahrhundert benutzte, um vor allem die buddhistische Lehre zu verbreiten. Die im Tempel Haeinsa aufbewahrten «Tripitaka Koreana», die man ab 1236 in sechzehn Jahren geschnitzt hat und die 80 000 Blöcke umfassen, weisen auf eine lange Buchtradition und die herausragende Bedeutung des Buches in der koreanischen Kultur hin.

Menschheitstechnik
Als Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse erhält Korea zum ersten Mal nicht nur die Gelegenheit, der Welt die eigene Literatur zu präsentieren, sondern auch, einen Einblick in die Tradition des Buchdrucks im Land zu gewähren. In der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung der Technik stets mit der des Geistes einher. Man kann nur erahnen, welch grosse Auswirkung die neue Technik im Buchdruck auf die Gesamtkultur gehabt hat, insbesondere aber auf die Literatur. Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Koreaner stets gewusst. Für die koreanische Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur in der Kontinuität. Die Kolonialisierung Koreas durch Japan (1910-1945), die Teilung des Landes 1945 und der Korea-Krieg (1950-1953) markieren jene Krisen in der koreanischen Geschichte, die neben der immensen Zerstörung des Landes auch die Unterbrechung mancher Traditionen zur Folge hatten.

Nicht nur vorhandene Infrastruktur, sondern auch tradiertes Wissen ging verloren. Erst mit dem wirtschaftlichen Erstarken Koreas, das in den sechziger Jahren einsetzte, kamen der Büchermarkt und das Verlagswesen neu in Bewegung. Heute nimmt Korea hier weltweit den siebten Rang ein, nimmt man die Neuerscheinungen zum Massstab. Im Jahr 2004 kamen etwa 35 394 Neuerscheinungen auf den Markt. 20 782 Verlage sind offiziell registriert. Etwa 64 Prozent davon sind allerdings kleine Verlagshäuser mit bis zu 10 Titeln im Jahr. Grossverlage mit mehr als 500 Titeln pro Jahr machen 3 Prozent aus. Der Löwenanteil der Verlagsproduktion besteht aus Kinder-, Lehr- und Schulbüchern, kein Wunder angesichts des hohen Interesses an Bildung und Ausbildung in Korea.

Korea war immer bereit, von anderen Kulturen zu lernen. Dementsprechend sind ein Drittel der Neuerscheinungen heute Übersetzungen. Dieser Anteil ist in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen. 1995 betrug er noch nur 15 Prozent, und es wird erwartet, dass diese Tendenz eine Weile anhalten wird. Amerikanische und japanische Bücher werden am meisten übersetzt, vor Büchern aus Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. Im Bereich der Übersetzungen herrschte lange eine Einbahnstrasse, denn die koreanischen Verlage konnten kaum Lizenzen verkaufen. Erst in den letzten Jahren sind gewisse Veränderungen zu beobachten. Im Zuge der Öffnung Chinas für den Weltmarkt entstand in Ostasien ein Binnenmarkt für Kulturgüter, der sich auch günstig für koreanische Verlage auswirkt. Mehr koreanische Bücherlizenzen konnten so in Asien verkauft werden. Allerdings wird, so scheint es, das grosse Ungleichgewicht zwischen Korea und den europäischen Ländern im Bereich des Büchertransfers vorläufig bestehen bleiben.

Wie in anderen Ländern müssen die koreanischen Verlage mit neuen Medien wie dem Fernsehen, dem Film und dem Internet konkurrieren. Hinzu kommt die veränderte Verhaltensweise der Menschen insgesamt im Zeitalter von Massenmedien und -konsum. Die Visualisierung setzt sich zunehmend fort, Kultur wird zum Konsumgut. Unterhaltung tritt in den Vordergrund, und diese Tendenz scheint der klassischen Buchlektüre zuwiderzulaufen. Nun sind neue Strategien und Ideenreichtum gefragt, um die treuen Leser nachhaltig zu binden und die verlorenen zurückzugewinnen. Darum bemühen sich die koreanischen Verlage auf verschiedenen Ebenen.

Erstens sollen die Bücher ästhetischer, schöner werden. Dies ist ein neuer Trend, denn noch bis vor zehn Jahren dienten Bücher hauptsächlich der Wissens- und Informationsvermittlung. Es herrschte ein Einheitsformat vor mit ähnlichem Layout und Design. Man verwendete überall gleiche Papiersorten von nicht bester Qualität. Nun genügt dieser Standard nicht mehr. Inzwischen existieren Hunderte von Schriftarten, die die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln sollen. Unterschiedliche Papiersorten finden Verwendung. Die Schönheit soll die Leser dazu bringen, das Buch neu zu entdecken und zu geniessen.

Neue Technologien
Zweitens haben die koreanischen Verlage begonnen, die neue Informationstechnologie für sich zu nutzen. Die Verteilungssysteme wurden modernisiert und neue Kanäle via Internet eröffnet, um möglichst effektiv Informationen über die Bücher an den Mann zu bringen. 2003 wurden in Korea insgesamt 3589 Buchhandlungen gezählt, von denen 380 zu den mittleren (Verkaufsfläche von mehr als 165 Quadratmetern) und 86 zu den grösseren (mehr als 663 Quadratmeter) gerechnet werden. Die grossen Buchhandlungen haben sich konsequent dem Online-Service geöffnet, die mittleren zumindest Online-Bestellsysteme eingeführt. Online-Buchhandlungen erwirtschaften etwa 20 Prozent des Gesamtumsatzes, der 2004 umgerechnet 5,33 Milliarden Euro betrug. Korea besitzt einen dynamischen Buchmarkt, auf dem sich das Online-Buchgeschäft weltweit am stärksten entwickelt hat. Diese virtuellen Buchhandlungen laden die Leser zum Schmökern ein.

Das System des kostenlosen Versendens im ganzen Land ermöglicht nun Menschen aus den entlegensten Gegenden, Bücher zu bestellen und diese auch zugesandt zu bekommen. Der Zugang zu Büchern wurde auf diese Weise enorm erleichtert. Vor kurzem haben die Internetbuchhandlungen zusammen einen Suchdienst für Textstellen zur Verfügung gestellt, damit die Leser an Ort und Stelle Bücher suchen, finden und bestellen können. Es ist eine innovative Zusammenführung von neuer Technik mit kommerziellem Interesse, die den Service am Kunden enorm steigert.

Der noch wachsende Umsatz des koreanischen Buchmarktes bietet Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Die Liebe zu gedruckten Büchern scheint bei den Koreanern noch ungebrochen zu sein. Die Befürchtungen, die man gehegt hatte, als die elektronischen Bücher auf den Markt kamen, haben sich auch nicht bestätigt. Hauptsächlich werden Bibliotheken mit elektronischen Büchern versorgt, daneben produziert man Multimedia- Erzählungen für Kinder, historische Romane und Sachbücher. Diese Branche zeigt nur eine leichte Wachstumskurve. Trotzdem gehört Korea zu den Pionierländern im Bereich der E-Books.

Hoo Nam Seelmann


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