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TV Duell
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Das TV-Duell



Der Bundeskanzler und Angela Merkel stehend, geben sich die Hand.
Angela Merkel und Bundeskanzler Schröder
REGIERUNGonline/Julia Fassbender

Am Abend des 4. September fand das mit Spannung erwartete Fernsehduell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel statt. Wir dokumentieren das Gespräch im Wortlaut:

Die Fragen stellten Sabine Christiansen, Maybrit Illner, Thomas Kausch und Peter Kloeppel.

Am 18. September sind wir alle an die Wahlurnen gebeten worden, weil es Ihnen, Herr Bundeskanzler, nach Ihrer eigenen Einschätzung an Vertrauen in der Politik mangelte und zwar aus der eigenen Partei heraus. Sind Sie in Ihrer Führungsrolle gescheitert?

Schröder: Ich denke nicht. Vertrauen ist ein Begriff, der sehr umfassend ist, der sich auf den gesamten Politikansatz bezieht. Und ich bitte um Vertrauen für eine Politik, die ich bisher gemacht habe. Eine Politik, die sich darum dreht, die sozialen Sicherungssysteme, die in den 90er Jahren sträflich vernachlässigt worden sind, neu zu justieren, damit sie auch unseren Kindern und Enkelkindern zur Verfügung stehen. Eine Politik, die die natürlichen Lebensgrundlagen, zum Beispiel durch eine Energiepolitik, die sehr stark auf erneuerbare Energien setzt, diskreditiert gelegentlich aus der Gesellschaft heraus. Und eine Politik, (die) Deutschland nach außen positioniert hat als mittlere Macht des Friedens, die dafür gesorgt hat - und ich habe dafür manche Kritik einstecken müssen -, dass Deutschland heraus gehalten wird, zum Beispiel aus dem Irak-Krieg. Für diese Politik erbitte ich Unterstützung und neues Vertrauen.

Stichwort "Führungsstärke": Aktuelles Beispiel die Katastrophe in New Orleans, vielleicht eine neue Ölkrise, auf die wir zusteuern. Ein Kanzler, eine Kanzlerin muss in Krisenzeiten den Menschen das Gefühl geben, sie da sicher durchbringen zu können, sie beschützen zu können. Diese Fähigkeit spricht man offenbar momentan noch Herrn Schröder (mehr) zu als Ihnen. Warum sollten die Menschen Ihnen in schwierigen Zeiten vertrauen?

Foto: REGIERUNGonline/Fassbender

Merkel: Ich habe in meiner politischen Arbeit gezeigt, dass wir jetzt in elf Bundesländern regieren, viele Wahlen gewonnen (haben). Ich habe die CDU auf einen Modernisierungskurs (gebracht), der uns fit macht für das 21. Jahrhundert, der uns die Chance gibt, wieder mehr Arbeitsplätze in Deutschland (zu schaffen), der uns die Chance gibt, wieder stärker in der Welt als eine wirtschaftlich fortschrittliche Kraft wahrgenommen zu werden. Und genau das traue ich mir zu für Deutschland, denn Deutschland kann nur ein starker, verlässlicher Partner in der Welt sein, wenn wir natürlich auch ökonomisch stark sind. Und daran mangelt es. Ich weiß mich im Gegensatz zum Bundeskanzler doch meiner Truppen, meiner Parteifreunde sicher, dass wir gemeinsam diesen Modernisierungskurs tragen und nicht das Vertrauen zwischen dem Bundeskanzler - wie es bei der SPD ist - und der eigenen Fraktion fehlt.

Wissen Sie eigentlich, was heute in Berlin der Liter Super kostet?

Zwischen 1,40 und 1,45 schätze ich. Ich glaube, das ist eine ziemlich korrekte Schätzung.

Kommt ziemlich gut hin. Wie viel Prozent davon sind Steuern?

Schröder: Wie viel Prozent davon, das ist unterschiedlich. Ökosteuer sind 15 Komma etwas Prozent davon und insgesamt (betragen die) Steuern etwas über 60 Cent bezogen auf den Preis. Wobei interessant ist, dass die Ökosteuer - die letzte Erhöhung war 2003, damals war der Preis für einen Liter Super-Benzin etwa bei 1,10, er ist jetzt bei 1,40, 1,45, die Differenzen streichen die Mineralölkonzerne ein und ich halte das für unverantwortlich, das muss ich klar sagen. Ich erwarte auch von großen Konzernen, dass sie ein Stück weit ethische Verantwortung wahrnehmen und nicht nur ans Geldverdienen denken.

Aber 68 Prozent Mineralölsteuer oder beziehungsweise inklusive Ökosteuer - das ist doch eigentlich zu viel.

Schröder: Das glaube ich nicht, dass das zu viel ist. Deswegen wird es ja auch von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Ich sage es noch einmal: 15,4 Prozent davon sind Ökosteuer und die gehen bis auf zehn Prozent in die Beiträge für die Rente, um die stabil zu halten. Als wir sie übernahmen, waren sie bei 20,3 Prozent, jetzt sind sie stabil bei 19,5 Prozent. Und wir hätten mit Zitronen gehandelt, wenn wir zuließen, dass auf der einen Seite die Lohnnebenkosten steigen, auf der anderen Seite die Ökosteuer deswegen reduziert wird. Also, das kann man nicht verantworten und deswegen, glaube ich, dass wir richtig liegen. Was man aber jetzt nicht tun darf, dass ist nun wirklich die Mehrwertsteuer zu erhöhen, denn das treibt den Preis weiter nach oben—

Aber man könnte die Mineralölsteuer senken, zum Beispiel.

Schröder: Was ganz falsch wäre, wäre natürlich jetzt die Pendlerpauschale abzuschaffen oder sie zu kürzen, denn das - muss ich nun wirklich sagen - belastet die Menschen, die darauf angewiesen sind, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Deswegen sollten solche Pläne ganz, ganz schnell aufgegeben werden.

Dazu werden wir auf jeden Fall noch kommen. Und wir bleiben mehr oder weniger beim Thema. Ihr gewünschter Koalitionspartner, Westerwelle, geht nun auch gleich wieder aufs Schlimme und sagt: Wir können eigentlich nicht an der Mehrwertsteuer-Erhöhung festhalten, wenn es diese Benzinpreise gibt. Was sagen Sie, werden Sie daran festhalten?

Merkel: Wir müssen zwischen zwei Dingen unterscheiden; das eine ist die Arbeitslosigkeit im Lande. Wir haben fast fünf Millionen Arbeitslose und wir müssen alles unternehmen, um zu sagen: Vorfahrt für Arbeit. Und das heißt, die Lohnzusatzkosten unter anderem in einem ganzen Bündel von Maßnahmen runterzubringen. Das andere ist die Frage der Mineralölsteuer und der Ökosteuer; und hier ist es einfach so, Herr Bundeskanzler: Sie haben `98 den Wählerinnen und Wählern versprochen, sechs Pfennig - darüber ist mit mir zu reden, aber das ist dann das Ende der Fahnenstange. Wenn wir da heute wären, wären wir ungefähr bei drei Cent, dann wäre alles ganz prima. Und in der Regierungserklärung haben Sie dann `98 gesagt, dass dieses Geld, was über die Ökosteuer eingenommen wird, voll der Rente zufließt. Auch das ist nicht der Fall. Und wir haben inzwischen mit die höchsten Benzinpreise in ganz Europa - das ist bedauerlich und die Menschen könnten besser dastehen. Und deshalb finde ich, neben der Bemerkung, bei der ich dem Bundeskanzler ausdrücklich zustimmen - dass die Verantwortung der Konzerne in dieser Situation, wie sie jetzt ist, auch (besteht) - bin ich der Meinung, dass wir alles unternehmen müssen, um natürlich speziell an der Stelle etwas zu machen. Und was die Pendlerpauschale anbelangt; die wollten Sie 2004 bis 20 Kilometer völlig abschaffen. Dann haben die Koalitionsfraktionen (interveniert, um) sie auf 15 Cent zu kürzen und jetzt tun Sie so, als hätten Sie da noch nie etwas machen wollen. Wir haben es damals auf 30 Cent gerettet im Vermittlungssausschuss.

Innerhalb von zwei Tagen ist dieser Benzinpreis um 18 Cent gestiegen und Sie bieten jetzt die drei Cent an als Steuerersatz. Ist das nicht ein bisschen kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein?

Merkel: Ja, wir können sieben Jahre Rot-Grün nicht ungeschehen machen mit einem Tag, aber wir können das machen, was die Menschen auch erwarten. Wir können dort, wo es nicht die Rentnerinnen und Rentner betrifft, versuchen, einen kleinen Beitrag zu leisten. Alle kleinen Beiträge, ob das jetzt die strategischen Reserven sind, ob das jetzt die Frage ist, helfen wir den Menschen über eine bestimmte Zeit hinweg, sind ganz wichtige Beiträge und deswegen würde ich nichts außer Acht lassen. Man kann darüber nachdenken. Wir sind im Gegensatz zu Rot-Grün der Meinung, dass langfristig die Ökosteuer (sowieso) nicht die richtige Steuer ist.

Schröder: Darf ich noch einmal einen Moment etwas zu dem Thema sagen? Frau Merkel hat vorgeschlagen, drei Cent, die nicht zur Stabilisierung der Rente dienen sozusagen den Bürgerinnen und Bürgern zurückzugeben. Wie immer das technisch gehen mag, ich will es im Moment mal unterstellen. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass etwa 15 Cent in der Mineralölsteuer Ökosteuer sind. Zehn Prozent davon sind anderthalb Cent. Die hätte Sie zur Verfügung, die würden aber aufgefressen, wenn sie die Mehrwertsteuer erhöht. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer würden den Benzinpreis um 2,2/2,5 Prozent nach oben treiben. Im Ergebnis hätten die Menschen also Steine statt Brot, kein bisschen weniger sondern mehr, wenn die Vorschläge von Frau Merkel realisiert würden. Was die Ökosteuer angeht, fällt mir ja auf, dass sie das zwar kritisiert, aber erklärt hat sie, sie wolle sie nicht abschaffen, das wäre doch die logische Konsequenz, wenn Sie so sehr kritisieren.

Merkel: Ich kann sie natürlich nicht abschaffen, sondern muss—

Schröder: Doch, Sie könnten es schon.

Merkel: Mit dem Erbe von sieben Jahren Rot-Grün leben. Und ich kann die Rentnerinnen und Rentner - das werden wir auch nicht tun - nicht einfach im Regen stehen lassen. Aber noch einmal, um auf Ihr Beispiel zurückzukommen.

Schröder: Also brauchen Sie sie auf.

Merkel: Um einmal auf Ihr Beispiel zurückzukommen; wenn wir nur die Mineralölsteuer senken und nicht die Ökosteuer nehmen, die auf Strom liegt, die auf Gas liegt und auf anderen Dingen, dann können wir drei Cent für die Mineralölsteuer senken. Ich habe es mir natürlich angeschaut, ich habe auch erst den Rechenfehler gemacht, das ich gesagt habe, das ganze Ökosteueraufkommen geteilt durch das. Aber es sind drei Cent für die Mineralölsteuer oder 1,5 Cent für alles. Aber alles ist ja im Moment nicht gefragt, der Strom ist mit stabilem Preis da. Insofern sind wir der Meinung, dass man das prüfen könnte, ich habe gesagt prüfen könnte, denn hier sind die Bürgerinnen und Bürger schlicht und ergreifend betrogen worden, weil der Bundeskanzler ihnen `98 versprochen hat, er wird alles in die Rente tun und das ist gerade eben nicht passiert.

Ich finde es wunderbar, dass wir schon ohne Einleitungsfrage--

Schröder: Das ist wunderbar, weil man es wissen muss.

Jetzt kommen wir doch zur Einleitungsfrage. Noch einmal zum gesamten Steuerkomplex; wir haben eben schon einzelne Punkte hier von Ihnen vernommen... Aber Ihr möglicher Finanzminister, Herr Kirchhof, der will nun noch mehr und letztendlich verwirrt bleiben die Wähler zurück. Was ist denn da nun Steuerpolitik aus einem Guss?

Merkel: Steuerpolitik aus einem Guss ist, dass wir ein Regierungsprogramm haben, in dem wir ganz klar unsere nächsten Schritte aufschreiben und sagen, wir wollen Ausnahmen abschaffen, damit wir hinkommen zu einem gerechteren Steuersystem. Das halte ich für außerordentlich wichtig, das spüren die Menschen, dass die endlich den Spitzensteuersatz zahlen sollen, die viel Geld verdienen. Das ist nämlich heute leider oft nicht der Fall. Und dann habe ich dankenswerter Weise einen kompetenten Mann für unser Kompetenzteam geworben, Paul Kirchhof, der diesen Schritt unterstützt, der sagt, dass sind zwei Drittel des Weges zu einem aus seiner Sicht außerordentlich gerechten Steuersystem, der diesen Schritt umsetzten wird. Und wissen Sie, ich gehöre nicht zu den Menschen, die anschließend ihren Mitarbeitern, die ihren Kompetenzteam-Mitarbeitern das weiterdenken verbieten. Und deshalb finde ich es gut, dass da einer eine Vision hat, ein Ziel hat und sich für dieses Ziel einsetzt. Aber erst einmal gilt, Regierungsprogramm von CDU und CSU.

Paul Kirchhof hat dazu immer gesagt, er trete mal in die CDU ein, wenn sein Modell verwirklicht würde. Wann tritt er denn in die CDU ein?

Merkel: Ich würde sagen, das wird schneller passieren, als manch einer erwartet.

Sie bringen da einen schillernden Namen, einen Herrn Kirchhof, aber gleichzeitig legen Sie ihn mit seinen Visionen wieder an die Kette. Das ist auf Jahre hinaus nicht umsetzbar, er hat es selber gesagt. Da blenden Sie doch auch die Wähler, das ist doch unglaubwürdig.

Merkel: Ich finde es toll, dass ein renommierter Verfassungsrichter - und ich bin auch ein bisschen betroffen, wie zum Teil darüber gesprochen wird - sich bereit erklärt, in der Politik etwas mitzugestalten und jetzt zwei Drittel eines Weges, der zu gehen ist, geht. Und deshalb bin ich Paul Kirchhof sehr dankbar, dass er das tut. Und das muss man doch unterscheiden können. Das geht uns doch im Leben immer so, dass wir Schritte gehen, dass wir die Dinge schrittweise machen, dass wir aber trotzdem ein Ziel vor den Augen haben können. Und vielleicht sollten wir in Deutschland mal wieder zu einer Mentalität kommen, nicht als Erstes zu fragen, was geht denn nicht, sondern mal als Erstes wirklich zu fragen, was könnte gehen. Und diese Mentalität bringt Paul Kirchhof mit. Dafür bin ich sehr dankbar. Und mehr solche Leute würden Deutschland gut tun.

Obwohl Frau Merkel beispielsweise sogar die Mehrwertsteuererhöhung ankündigt, gibt es eine Wechselstimmung. Warum gelingt es Ihnen selbst ohne Steuererhöhungen nicht, so eine Aufbruchstimmung für sich und Ihre Partei zu erzeugen?

Schröder: Ich glaube, dass die gerade im Gange ist. Aber unabhängig davon würde ich gerne was zu den steuerpolitischen Fragen sagen - wenn Sie gestatten. Denn das Modell Kirchhof ist nicht nur eine Vision - man kann ja nicht ein Volk zum Versuchskaninchen von Herrn Kirchhof machen wollen -, sondern es ist in sich in einer Weise ungerecht, wie es kaum zu überbieten ist. Was passiert denn da? Es soll jeder, ob Millionär oder Krankenschwester, 25 Prozent bezahlen an Steuern. Und finanziert werden soll das mit dem Streichen der Steuerprivilegien für Nachtarbeit, für Schichtarbeit, für Feiertagsarbeit. Also, bezahlen sollen das ganze Modell die Menschen, die für unser aller Wohl nachts, in Schichtarbeit, an Feiertagen hart arbeiten. Das sind die Krankenschwestern, das sind die Polizisten, das sind die Feuerwehrleute. Das kann doch nicht ernsthaft Vision genannt werden. Außerdem, gerade auf dem Felde der Finanzpolitik muss Seriosität schon wichtig sein. Denn das Kirchhof-Modell - das ist eine Rechnung aller Finanzminister, ob CDU oder SPD, in den Ländern - würde etwa 43 Milliarden Euro im ersten Jahr an Ausfällen bedeuten. Das heißt weniger in Bildung, das heißt weniger in Kinderbetreuung, das heißt weniger in innere und äußere Sicherheit, das heißt weniger in Forschung und Entwicklung. Das kann man doch nicht ernsthaft verantworten. Da kann man doch nicht sagen, wir machen jetzt den ersten Schritt, der zweite kommt dann irgendwann einmal. Ich finde, gerade wenn man auf Ehrlichkeit pocht und anderen - wie Sie getan haben - Betrug vorwirft, dann sollte man da sehr zurückhaltend sein mit dieser Art der Argumentation.

Merkel: Also, unser Regierungsprogramm liegt auf dem Tisch - - -

Schröder: - - - Wir haben dem entgegenzusetzen das, was wir gemacht haben - - -

- - - Sie haben die Reichensteuer - - -

Schröder: - - - Moment mal. Als ich ins Amt kam, war der Spitzensteuersatz - Sie wissen das - bei 53 Prozent. Jetzt ist er bei 42 Prozent - da bleibt er auch. Der Eingangssteuersatz, der die kleinen Steuerzahler interessiert, war bei 25,9 Prozent, jetzt ist er bei 15 Prozent. Ich finde, das ist Leistung, die man würdigen muss. Und was Sie zur Reichensteuer sagen: Ich habe in der Tat gesagt, okay, diejenigen, die als Verheiratete versteuerbares Einkommen in einer Größenordnung von 500.000 Euro verdienen, die können, strikt gebunden an Forschung und Entwicklung, an Betreuung von Kindern und an Bildung, drei Prozent drauflegen und davon bezahlen. Ich halte das nicht für problematisch. Und übrigens - - -

- - - Sie bekommen doch viel zu wenig raus dabei - - -

Schröder: - - - über meinen Beruf kenne ich - nicht selber -, aber über meinen Beruf kenne ich eine Menge von Menschen, die sagen, wenn Ihr es so strikt bindet - und das ist deren Voraussetzung -, dann haben wir keinen Einwand.

Merkel: Wir haben in Deutschland doch mehrere Probleme mit dem Steuerrecht. Das eine ist, dass es zu kompliziert ist. Und natürlich kann ich, wenn ich alle Ausnahmen streichen will, nicht vor manchen Ausnahmen halt machen. Und Sie haben eine Menge schon begonnen, aber Sie sind jetzt stehen geblieben mit Ihren Plänen. Und ich kann nur sagen, was die Sonn- und Feiertags- und die Nachtzuschläge anbelangt, so ist es ganz eindeutig die Aufgabe der Tarifpartner, für die Tatsache, dass man nachts und an Feiertagen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellen möchte, dass man dafür auch bezahlt. Denn wie soll ich es der Verkäuferin im Supermarkt erklären, denjenigen erklären, die zum Beispiel als Hebamme nachts arbeiten, dass die einen als angestellte Krankenschwester die Zuschläge steuerfrei bekommen, die anderen ihr gesamtes Einkommen versteuern müssen. Und deshalb kann ich nur sagen, wir müssen hier auf Gerechtigkeit achten, wie wir insgesamt im Steuersystem auf Gerechtigkeit achten müssen. Zweitens, es gilt unser Regierungsprogramm: Eingangssteuersatz für die, die wenig verdienen 12 Prozent, Spitzensteuersatz 39 Prozent; 8.000 Euro für jedes Kind und jeden Erwachsenen Steuerfreibetrag. Damit zahlt eine Familie bis zu 38.200 Euro gar keine Steuern. Und unser Problem - und das wissen Sie - ist in Deutschland, dass viele Leistungsträger gar nicht mehr hier Steuern zahlen, sondern dass sie das im europäischen Ausland tun. Und das müssen wir verhindern. Jetzt ist der Schritt, der auf dem Tisch liegt, das Regierungsprogramm. Und dass darüber hinaus nachgedacht werden darf, da finde ich wirklich, mangelt es bei Ihnen an Leuten, die das tun. Sie denken von Tag zu Tag und das meistens noch im Zick-Zack-Kurs. Und deshalb kann ich nur sagen, ich finde es gut, wenn wir ein Ziel haben, ein möglichst gerechtes Steuersystem.

Schröder: Aber Frau Merkel, damit kommen Sie doch nicht weiter. Sie sagen, die Leistungsträger versteuern im Ausland. Ich finde, dass die Leistungsträger in dieser Gesellschaft die Facharbeiter sind, die Ingenieure sind. Und die versteuern nicht im Ausland, die versteuern hier. Und die sind angewiesen auf die Zuschläge. Sie sagen, die sollen die sich arbeitsrechtlich wiederholen von den Arbeitgebern. Wir haben das mal rechnen lassen. Ein Facharbeiter in der Chemieindustrie, der 2.500 Euro verdient im Monat, der müsste, bezogen auf sein Bruttolohn, dies war der Nettobetrag, der müsste, bezogen auf seinen Bruttolohn, wenn er das, was Sie ihm verweigern, wiederholen wollte, eine Tariferhöhung von 17,7 Prozent bekommen. Dies ist völlig undenkbar, dass die Menschen das wiederholen, es sei denn, wir wollen die wirtschaftlichen Zusammenhänge gröblich missachten. Und deswegen ist das ungerecht, was Sie dort vorgeschlagen haben. Und es bleibt ungerecht. Und deswegen darf es auch so nicht gemacht werden. Kirchhof hin, Kirchhof her. Es ist ein Steuerrecht, das zu gravierenden Einnahme (ausfällen) im Staat führen würde. Der Staat könnte seine Leistungen nicht mehr erbringen. Und im Übrigen in einer Weise ungerecht, wie es kaum noch geht. Und sich dahinter zu verstecken zu sagen, wir machen das Schritt für Schritt und das sei eine Vision - das verstehe ich nicht. Wieso ist etwas, was in dieser Weise in die Lebensverhältnisse von Menschen negativ eingreift, eine Vision? Ich habe unter Visionen immer positive Dinge verstanden.

Wenn Sie die Visionen - - -

Merkel: - - - Ich verstehe darunter auch positive Dinge - und deshalb möchte ich noch darauf antworten, denn es ist schon wichtig. In unserem Programm geben wir den Arbeitgebern und Arbeitnehmern sechs Jahre Zeit, um genau diesen Übergang zu schaffen. Wir nehmen die Steuerfreiheit nicht weg, wir nehmen im Übrigen auch nicht die Zuschläge weg - wie es manchmal gesagt wird. Ich habe es mir genau angeguckt. Mit unserem neuen Steuerrecht sind das machbare Dinge. Da müssen Sie im Monat selbst beim Chemiearbeiter in einem Jahr zum Beispiel 20 Euro Gehaltserhöhung wegen der Schichtzuschläge machen. Sie haben mit Zahlen gerechnet, die nach dem alten Steuersystem sind. Und zweitens, ich kann Ihnen nur sagen, Sie sagen immer "der Professor aus Heidelberg" zu Herrn Professor Kirchhof - - -

Schröder: - - - Ja - - -

Merkel: - - - Ich kann nur sagen, es gab mal einen Mann namens Kurt Schumacher, der hat immer von dem Professor aus Nürnberg gesprochen, als Werbeluftballon, als Ideologe, als Agitator wurde er bezeichnet. Das war der Vater der sozialen Marktwirtschaft: Ludwig Erhard. Und wenn wir nicht Menschen haben, die weiter denken, dann kann ich nur sagen, wird es Deutschland im internationalen Maßstab nicht gut gehen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Und die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass wir die Dinge sozial ausgestalten.

Frau Merkel, sagen Sie uns noch kurz dazu: 418 mögliche Steuervergünstigungen sollen abgebaut werden. So sagt jedenfalls Herr Kirchhof immer. Wir dürfen mit Erstaunen hören, dass die CDU diese Liste unter Verschluss hält. Warum?

Merkel: Es hält überhaupt niemand eine Liste unter Verschluss. Man kann sich ganz simpel das geltende Recht mal angucken, die Ausnahmen abzählen, die es gibt. Es gibt zu viele, soviel sind wir uns - glaube ich - alle einig. Und wer es noch genauer wissen will, soll in jede Bahnhofsbuchhandlung gehen. "1.000 ganz legale Steuertricks" - das ist dort die Sache. Davon müssen wir doch wegkommen. Das ist doch das, was die Menschen auch ärgert, dass die, die viel verdienen, meistens die Ausnahmen gut kennen, vielleicht noch einen Steuerberater gut kennen und nicht das bezahlen, was auf dem Papier steht. Und ich möchte, dass jeder wieder nach seiner Leistung besteuert wird und nicht sich mit Ausnahmen rausreden kann.

Herr Schröder, Sie kennen wahrscheinlich wie kein anderer, außer Hans Eichel, die Haushaltssituation dieses Landes. Was Sie dem Wähler bisher nicht so richtig ausführlich gesagt haben, ist, an welchen Stellen Sie, an welchen Stellen eine rot-grüne Regierung eigentlich streichen wird. Mit welcher Sicherheit können Sie dem Wähler heute sagen, mit Ihnen gäbe es in den nächsten vier Jahren definitiv keine Mehrwertsteuererhöhung?

Schröder: Das kann ich schon sagen. Und wenn Sie nach den Streichungen fragen: Ein großer Teil der Kritik, der ich ausgesetzt worden bin, hat doch zu tun mit den Belastungen, die wir beim Umbau der sozialen Sicherungssysteme, um sie für unsere Kinder erhalten zu können - alles versäumt in den 90er Jahren, wo die Skandinavier, wo die Holländer das längst gemacht haben -, hat doch zu tun damit, dass wir Menschen auch Belastungen zugemutet haben - - -

- - - Da wollten Sie sparen, aber Sie haben kein Geld gespart - - -

Schröder: - - - Und glauben Sie mir, Frau Illner, ja, das sind doch Belastungen, das sind doch Einsparmaßnahmen, die natürlich auch im Bundeshaushalt wirksam geworden sind. Und glauben Sie mir, mir ist das wirklich nicht leicht gefallen. Ich weiß, wo ich herkomme. Und mir ist es nicht leicht gefallen. Ich habe auch noch eine Beziehung zu den Lebensverhältnissen der Menschen, um die es da geht. Das können Sie mir schon glauben. Und deswegen haben wir - wir sind diejenigen, die die strukturellen Leistungen erbracht haben. Wir sind diejenigen, die rangegangen sind und haben aus Schulden bei den Krankenkassen inzwischen Überschüsse gemacht. Das haben wir übrigens gemeinsam gemacht - das ist wahr. Aber wir haben die Vorschläge gemacht. Und wir sind diejenigen gewesen, die die Riester-Rente aufgebaut haben, die dafür gesorgt haben, dass es Betriebsrenten besser gibt als jemals zuvor. Und wir sind diejenigen, die damit angefangen haben, auf dem Arbeitsmarkt ein Prinzip durchzusetzen, das die Menschen nicht in der Sozialhilfe lässt, sondern sie reinnimmt in die Vermittlungstätigkeit - - -

- - - Werden Sie definitiv ausschließen können - - -

Schröder: - - - Das sind alles Dinge gewesen, - - -

- - - die Mehrwertsteuer zu erhöhen? - - -

Schröder: - - - weswegen ich ja härtestens kritisiert worden bin. So, und jetzt sage ich dazu: Es wird über Belastungen auch im Bundeshaushalt geredet, kein Zweifel. Aber wenn mir hier vorgeworfen wird, in meiner Amtszeit seien die Schulden des Bundes exorbitant gestiegen, dann kann ich nur sagen: bitte mit den Fakten auseinandersetzen. Zwischen 1992 und 1998 ist der Schuldenstand des Bundes um 395 Milliarden Euro größer geworden. In meiner Regierungszeit - wahrscheinlich bis Ende dieses Jahres - bis 150 Milliarden. Und ich finde, das ist schon ein Unterschied und ein Grund mehr, um deutlich zu machen, wir sind drangegangen an die Strukturprobleme, auch im Bundeshaushalt angefasst. Und ich finde, das ist auch ein Grund, um uns zusätzlich für die nächste Legislaturperiode Vertrauen zu schenken.

Wo werden Sie sparen, wo wird es der Bürger merken, dass dieses Land sich tatsächlich hoffnungslos überschuldet hat?

Schröder: Wir haben deutlich gemacht, dass wir wirklich Subventionsabbau betreiben wollen, und zwar bei den Steuersubventionen. Es ist eben gesagt worden, dass man da ranwolle, Kirchhof und so weiter. Als wir 2002 vorgeschlagen haben, das strukturelle Defizit, das es gab, aufzulösen durch das Streichen von sehr, sehr vielen Steuersubventionen, ist das blockiert worden im Bundesrat. Wir sind damals wegen des Versuchs, Steuersubventionen zu streichen als Steuererhöhungspartei diskreditiert worden. Da werden wir wieder rangehen, das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Und da müssen wir auch wieder rangehen.

Zum allerletzten Mal die Nachfrage: Können Sie ausschließen, dass Sie in Ihrer Amtszeit - Schröder drei, wenn sie denn kommt - die Mehrwertsteuer nicht erhöhen?

Schröder: Seien Sie sicher, sie wird kommen und wir werden das nicht tun, weil das nach meiner Auffassung bei der gegenwärtigen Situation und bei der, die man ins Auge fassen muss, angesichts der Verwerfungen, die durch die Ölpreise, die wir gegenwärtig haben, der Weltwirtschaft zugefügt werden können, halte ich es für falsch. Wir müssen die Binnenkonjunktur stützen. Und da ist Mehrwertsteuererhöhung außerordentlich kontraproduktiv.

Frau Merkel, sie müssen uns das mit Paul Kirchhof doch noch mal erklären. Der Bierdeckel von Friedrich Merz war in der Union nicht möglich. Warum ist jetzt plötzlich das viel radikalere Modell von Paul Kirchhof denkbar?

Merkel: Also, erst einmal ist das Modell des Regierungsprogramms denkbar und das entspringt genau dem Modell von Friedrich Merz. Das ist ein Kompromiss gewesen auch mit unserer Schwesterpartei. Und da sind wir ein Riesenstück - Friedrich Merz und Paul Kirchhof würden sagen zwei Drittel des Wegen - vorangegangen. Und dann bleibt natürlich der Bierdeckel - das ganz einfache Modell - das, was wir haben wollten. Aber ich möchte natürlich auch noch ein Wort zum Haushalt sagen. Herr Schröder, es ist doch so, dass Sie daran gemessen werden, was Sie versprochen haben. Und Sie haben in einer Regierungserklärung zu Beginn der Legislaturperiode 2002 gesagt, unser Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt 2006. Damals war bereits die Krise der neuen Ökonomie vorbei, damals waren bereits die Terroranschläge vorbei. Sie haben es trotzdem gesagt. Und Sie sind meilenweit davon entfernt. 40 Milliarden Euro Neuverschuldung auch in diesem Jahr. Wir haben beim Subventionsabbau in vielen Teilen mitgemacht. Aber was wir nicht gemacht haben - das ist richtig -, wir haben Steuervergünstigungen nicht gestrichen, dafür, dass wir den Haushalt sanieren, mit einer Ausnahme, Koch/Steinbrück, die gemeinsame Aktivität. Und ansonsten haben wir gesagt: Damit wir dieses Ziel eines einfachen und gerechten Steuersystems überhaupt schaffen können, dürfen wir nicht alle Ausnahmen nehmen und dann in den Haushalt stecken, sondern wir müssen den Haushalt sanieren durch Wachstum. Und jetzt kommen wir doch zu dem Punkt, der der eigentliche Punkt ist. Deutschland hat die rote Laterne in diesem Jahr wieder beim Wachstum. Und hätten wir Wachstum und auch nur ansatzweise die Prognosen, die in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung sind, dann würden wir auch mit unserem Haushaltsdefizit besser dastehen. Und da sind eben Dinge versäumt worden. Da sind Dinge richtig gemacht worden, gar keine Frage. Die haben wir im Übrigen zu großen Teilen gemeinsam gemacht. Und dann sind Dinge falsch gemacht worden. Und das wollen wir ändern. Und da würde einen schon interessieren, was denn nun Rot-Grün oder wer auch immer oder der Bundeskanzler selbst für die nächste Legislaturperiode vor hat. - - -

- - - Was uns aber auch interessieren würde - - -

Merkel: - - - Das war eben wieder Fehlanzeige, absolute Fehlanzeige - - -

Frau Merkel, was uns aber auch interessieren würde, Sie können ja durch die Mehrwertsteuererhöhung ungefähr 16 Milliarden Euro einnehmen. Aber das Geld haben Sie doch ehrlich gesagt schon dreifach weiter verplant. Sie müssen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, Sie müssen Steuerschlupflöcher schließen, beziehungsweise Einkommensfreibeträge in irgendeiner Weise auch verändern. Woher soll all dieses Geld kommen? Wo werden die Bürger noch merken, dass sie geschröpft werden, dass noch mehr Geld von ihnen verlangt wird?

Merkel: Nein, nein. Wir machen in einem ersten Schritt wachstumsfördernde Maßnahmen. Dazu gehört Bürokratieabbau, dazu gehört Flexibilisierung des Arbeitsrechts. Darüber werden wir sicherlich noch sprechen. Dazu gehört eine stärkere Fähigkeit zur Innovation. Wir werden EU-Richtlinien nur noch eins zu eins umsetzen, nicht wie bei Rot-Grün immer noch was drauftun. Und dazu gehört die Senkung der Lohnzusatzkosten. Das wird Wachstum schaffen und damit wird sich auch die Haushaltslage entspannen. Die Mehrwertsteuererhöhung dient der Senkung der Lohnzusatzkosten. Das heißt zum ersten Januar des Jahres 2006 bedeutet das, dass zwei Prozent des Arbeitslosenversicherungsbeitrags gesenkt wird. Dann wird langsam - aber das können wir ja nicht mit einem Schlag machen - die Bundesagentur für Arbeit umstrukturiert, so dass frei werdende Mittel dann auch zur Umstrukturierung des Gesundheitssystems genutzt werden können, denn auch dort brauchen wir geringere Lohnzusatzkosten. Die Gesundheitsreform - das will ich deutlich sagen - war ein gemeinsamer Schritt. Aber wir haben immer gesagt, der reicht für diese Legislaturperiode.

Kennen Sie einen Unternehmer, der auch nur einen Menschen mehr einstellt, weil er ein Prozent weniger zur Arbeitslosenversicherung zahlen muss?

Merkel: Also, ich kenne viele Wirtschaftsinstitute, die sehr deutlich sagen, wie ein Prozent Lohnzusatzkostensteigerung sich auf die Zahl der Arbeitsplätze auswirkt. Das sind immer nur Erfahrungsgrößen. Aber wir wissen ganz genau, geringere Lohnzusatzkosten, mehr Arbeitsplätze - das ist eine ganz große Binsenweisheit. Und selbst der heutige Bundeskanzler hat 1997 gesagt, dass er für die Senkung von Lohnzusatzkosten über die Mehrwertsteuer mit sich reden lassen würde. Das ist jetzt alles vergessen. Aber wir wissen ja, wie es ist mit den Ankündigungen und wie es dann nachher gemacht wird. Versprochen, gebrochen - das ist das Markenzeichen leider von sieben Jahren Rot-Grün.

Schröder: Frau Merkel, Sie irren. 1997 regierten Sie ja mit. Da sind Vertreter aus Ihrer Partei, der Arbeitgeberverbände zu mir gekommen und haben gesagt - ich war damals Ministerpräsident: Können wir die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöhen, damit die Rentenbeiträge nicht weit über 20 Prozent steigen. Und ich habe damals gesagt, das kann man machen. Es ging um die Lohnzusatzkosten. Insofern verstehe ich Ihre Kritik in gar keiner Weise. Ich möchte aber noch eine Bemerkung machen zu dem, was Sie gesagt haben. Sicher, zwei Prozent Mehrwertsteuer würden etwa 16 Milliarden bedeuten. Aber Sie haben dabei übersehen, dass die Hälfte an die Länderhaushalte fließt. Und wie ich die Ministerpräsidenten der Länder kenne, ich war ja selber mal einer, werden Sie große Schwierigkeiten haben, die Hälfte von denen, die andere Hälfte wiederzubekommen. Sie bräuchten, um zwei Prozent runter zu gehen mit der Arbeitslosenversicherung, etwa 15 Milliarden. Sie haben sie aber nicht, unabhängig davon, dass Sie sie auch für andere Dinge, etwa in der Gesundheitsreform, haben wollen. Sie haben sie nicht und Sie werden sie auch nicht bekommen. Also werden Sie, wenn Sie das Ziel erreichen wollen, massiv in die Leistungen der Bundesagentur eingreifen müssen. Dann müssten Sie schon sagen, welche Leistungen das sein sollen. Sollen das die Leistungen sein für die Wiedereingliederung? Wenn Sie das wollen, treffen Sie insbesondere den Osten unseres Landes. Wenn Sie das nicht wollen, müssten Sie sagen, wo Sie es sonst hernehmen wollen. Ihr Finanzierungskonzept, Frau Merkel, ist wahrlich auf Sand gebaut, zumal Sie ja sagen - und ich weiß gar nicht, wo Sie es hernehmen wollen -, Sie brauchen 25 Milliarden für Ihre Ideen in der Gesundheitspolitik mit Ihrer berühmten Kopfpauschale, um die auch nur einigermaßen so zu organisieren, dass Menschen nicht die Lebensgrundlage genommen wird. Das kann alles nicht funktionieren, was Sie sagen. Und im Übrigen, das, was Sie zum Wachstum sagen, übersieht, dass wir dafür gesorgt haben, dass Deutschland in den letzten drei Jahren Exportweltmeister werden konnte. Das sind unsere Strukturreformen, die wir gemacht haben. Das ist unsere Unternehmenssteuerpolitik, die wir gemacht haben - und niemand anders. Sie müssten erst mal den Beweis antreten, dass Sie mit Ihren Konzepten irgendeinen Erfolg haben. In der Zeit, wo Sie mit Herrn Kohl zusammen regiert haben, hatten Sie diesen Erfolg jedenfalls nicht. Das steht fest.

Merkel: Also, mit Verlaub, wenn alle Ministerpräsidenten bei der Union so wären wie Herr Schröder als Ministerpräsident war, dann kann das ja vielleicht richtig sein.

Schröder: Viel Spaß mit Herrn Stoiber, wenn es um Geld geht.

Merkel: Aber die Ministerpräsidenten der CDU-Länder haben sich dem gemeinsamen Ziel der Lohnzusatzkostensenkung verpflichtet. Und jetzt weiß ich zwischen Exportweltmeister und Wachstum wahrlich zu unterscheiden. Natürlich sind wir Exportweltmeister. Daraus generiert sich aber noch nicht automatisch Wachstum.

Schröder: Wieso nicht?

Merkel:  Deutschland hat die geringsten Wachstumsraten, weil sich Exportweltmeister plus Binnenkonjunktur addieren. Es geht um das Gesamtwachstum einer Volkswirtschaft. Und da stehen wir schlecht da. Die Wachstumsprognosen sind nach unten korrigiert worden. Sie waren im Übrigen im Jahr 1998 höher. Aber es geht doch jetzt darum, dass wir überlegen: Was machen wir weiter? Sie können doch nicht wirklich zufrieden sein mit der Lage im Lande. Wir haben fünf Millionen Arbeitslose. Wir verlieren jeden Tag, auch aufs letzte Jahr bezogen, da können Sie nicht von April bis Juni rechnen, da geht die Sonne auf, da nehmen die Arbeitsplätze zu - - -

Schröder: Sie haben wohl noch nicht gemerkt, dass Ihre Zahlen falsch sind?

Merkel: Nein, nein, Herr Schröder, nein, nein. Im letzten Jahr, das hat die Bundesagentur uns jetzt noch mal gesagt, sind wieder jeden Tag 1100 Arbeitsplätze verloren gegangen, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Und wenn Sie auf die Frage keine Antwort finden - - -

Schröder: Doch.

Merkel: - - - und ich sehe keine in Ihrem Programm, dann wird es nicht passieren. Aber es wird sowieso nicht passieren, weil die jetzige Bundesregierung keine Möglichkeit dazu mehr bekommen wird.

Ich möchte den Zuschauern mal mitteilen, wie die Redezeitverteilung ist. Das soll ja gerecht sein. Da hat die Frau Merkel 13 Minuten und 21 (Sekunden) und der Herr Schröder 12 Minuten und 45 (Sekunden) auf dem Konto. Das ist also ganz gerecht gelaufen.

Schröder: Das kann man noch nicht gerecht nennen. (lacht)

Herr Bundeskanzler, bevor wir uns komplett in den Zahlen verheddern, Thema Arbeitslosigkeit ist ganz wichtig, aber ich möchte sie auch mal fragen: Sie sagen, Ihre Regierung steht für soziale Gerechtigkeit und Solidarität. Aber nach sieben Jahren Rot-Grün ist das Leitmotiv dieser Gesellschaft: "Geiz ist geil" und "Ich bin doch nicht blöd". In einer mutigen Phase haben Sie das übrigens auch schon mal als Mitnahmementalität bezeichnet, die sich durch alle Schichten hindurchzieht. Ist das nicht neben allen Zahlen auch eine traurige psychologische Bilanz, gerade für Rot-Grün?

Schröder: Ich kann nun nicht verantwortlich gemacht werden für dümmliche Werbesprüche. Das kann ich nun wirklich nicht.

Das drückt aber auch eine Gesellschaftshaltung aus.

Schröder: Es ist ganz interessant, dass Sie das fragen. Wir tragen ja durch solche Diskussionen selber dazu bei. In der Tat, es ist so, der Blick aus dem Ausland auf Deutschland ist weit besser als wir ihn uns selbst leisten. Genau das muss sich ändern. Nur, da kann Politik etwas dazu tun. Wir versuchen das auch zu tun, indem wir die positiven Aspekte unserer Gesellschaft betonen. Das gelingt ja auch. Deutschland ist inzwischen ein geachtetes Land in der Welt. Das hat auch etwas mit unserer Friedenspolitik zu tun, keine Frage. Es hat etwas mit unserer Entwicklungspolitik zu tun, es hat etwas zu tun mit unserer wirtschaftlichen Kraft. Und noch einmal zum Wachstum: Das, worauf wir setzen, das habe ich doch sehr deutlich gesagt. Wir setzen darauf, dass wir die Forschungsinvestitionen erhöhen. In meiner Regierungszeit ist der entsprechende Haushalt um 30 Prozent erhöht worden, einschließlich das, was Studenten kriegen. Wir haben inzwischen 30 Prozent mehr Studentinnen und Studenten als wir sie 1998 hatten. Wir sind die gewesen, die gesagt haben: Wenn wir mittelfristig wieder noch stärker werden wollen, dann müssen wir mehr tun, um in Betreuung unserer Kinder zu investieren, damit Frauen eine Chance haben, erwerbstätig zu sein. Und wir haben das gemacht. Wir haben vier Milliarden in die Hand genommen und haben die Ganztagsbetreuung gemacht. Das sind die Dinge, die über die Zukunft unserer Gesellschaft entscheiden.

Trotzdem, Herr Bundeskanzler, man hat so ein bisschen das Gefühl: Tausendmal gehört, tausendmal ist nichts passiert.

Schröder: Entschuldigen Sie mal, dann wirken Sie daran mit, dass dieser Geist, den ich sehr wohl haben will, nämlich einen Geist, der nach vorn gerichtet ist, wirklich das Land erfasst. Das ist doch gar keine Frage, dass man das muss. Ich finde, mit all dem, was wir getan haben, sowohl in der Außenpolitik als vor allen Dingen auch in dem, was wir in den ökologischen Fragen tun, ist dieses Land stärker geworden. Und das wird auch so bleiben, denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen erneuten Auftrag bekommen, diese Politik, die das Land nach vorne gebracht, die es erneuert hat, auch wirklich fortzusetzen.

Aber es hat ja nicht genug Arbeit gebracht. Genau darum sind wir bei dieser Frage: Was ist eigentlich solidarisch zukünftig in unserem Land? Ist das solidarisch, was Arbeit schafft? Oder ist Solidarität das, was wir an Arbeitnehmerrechten über die Jahre erworben haben und was nun die CDU in ihrem Wahlprogramm reduzieren will, Frau Merkel? Dort gibt es weniger Kündigungsschutz, weniger Macht für die Gewerkschaften, die Untertariflöhne für die Langzeitarbeitslosen. Wenn wir alles das einmal nehmen und das, was der Bundeskanzler Ihnen auf dem Parteitag an Kritik zugeworfen hat, nämlich, dass Sie eine Gesellschaft wollen, die unsozial, ja sogar unmenschlich ist. Sollen bei Ihnen nur noch die Arbeitgeber Rechte haben?

Merkel: Also, ich finde eine Gesellschaft, die fast fünf Millionen Arbeitslose hat und die viele, viele Menschen hat, die um ihren Arbeitsplatz bangen, die ist verpflichtet, wenn sie eine menschliche Gesellschaft sein will, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir das verändern können. Natürlich sage ich auch, sozial ist, was Arbeit schafft, aber es muss eine menschenwürdige Arbeit sein. Was heißt das? Dann müssen wir besser sein als andere, weil wir teurer sind. Wir werden immer teurer sein, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Deshalb liegt der Schlüssel bei Innovationen. Hier muss man nun sagen, der Etat des entsprechenden Ressorts ist zwar um 30 Prozent gestiegen, aber darin ist jetzt die Ganztagsbetreuung. Das kann ich nur bedingt als Innovationsförderung sehen. Real sind die Innovations- und Forschungsausgaben gleich geblieben. Was wir brauchen, ist aber vor allen Dingen eine Mentalität, die Rot-Grün nicht aufbringt. Dort ist man vielleicht bereit, die Windenergie zu fördern. Das finde ich okay, das können wir machen. Aber wir müssen vor allem überlegen: Wo liegen die zukunftsträchtigen Bereiche? Und da dürfen wir nicht EU-Richtlinien dauernd mit Bürokratie umsetzen. Da dürfen wir nicht die Chemikalienrichtlinie so kompliziert machen, wie das der Herr Trittin bei Rot-Grün gerne möchte. Vielleicht würde es ja der Herr Bundeskanzler gern anders haben, aber er kann sich da nicht durchsetzen. Da muss sich das Gentechnikgesetz ändern, damit ich hier die Dinge auch wirklich auf die Reihe kriege. Das sagen selbst Gewerkschaftsvorsitzende wie der Herr Schmoldt von der Chemie-Gewerkschaft. Und dann, Frau Christiansen, geht es in der Tat um folgende Frage: Was hat sich bewährt und was muss ich vielleicht auf den Prüfstand stellen unter Bedingungen eines weltweiten Handels, einer Globalisierung, die wir heute haben, damit Arbeitsplätze hier gehalten werden können, die hier sein könnten, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort selbst darüber bestimmen könnten? Insofern haben wir Änderungen beim Kündigungsschutz, nicht für die, die Arbeit haben - da bleibt alles, wie es ist -, aber für die, die draußen sind. Da überlegen wir, ob wir andere Einstellungsbedingungen machen, zum Beispiel dadurch, dass man die Abfindung bei Einstellungen verabredet, damit niemand aufs Arbeitsgericht gehen muss und dann Schwierigkeiten hat. Ich finde, dass ist fair gegenüber den vielen, die keine Chance im Augenblick in dieser Gesellschaft haben.

Wir fragen uns so ein bisschen, weil wir zwei Zahlen hören und lesen. Die eine heißt 1000 Jobs, die jeden Tag verloren gehen, das dürfen wir auf den CDU-Plakaten sehen. Und von der SPD, von Ihnen, Herr Bundeskanzler, und vom Bundeswirtschaftsminister hören wir, dagegen entstünden tatsächlich pro Tag 1500 neue Jobs.

Schröder: Lässt sich leicht aufklären. Wir haben in der Tat im letzten Jahr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verloren. Wir haben mehr in der Selbständigkeit, auch durch die Förderungen, die wir gemacht haben. Und wir haben natürlich eine wirkliche Veränderung bei den Erwerbsbiographien. Wir haben ja einen Niedriglohnsektor, der inzwischen sechs Millionen Menschen beträgt, die natürlich nicht alle sozialversicherungspflichtig gezählt werden. Also hat es da, das ist überhaupt nicht zu bestreiten, Verluste gegeben. Seit dem 1.1. diesen Jahres, das ist nun interessant, gilt die Arbeitsmarktreform, die wir in Kraft gesetzt haben, übrigens auch gemeinsam beschlossen haben, man will das nur nicht mehr so richtig wahrhaben. Macht nichts, werde ich auch allein mit fertig, mit der Kritik. Sie beginnt aber zu wirken, denn - das ist die andere Zahl, die ist genauso richtig - seit April beginnt diese Reform zu wirken und es entstehen jeden Tag 1500 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das ist erst seit April der Fall, aber die Reform ist ja auch erst seit dem 1.1. diesen Jahres in Kraft. Dies lässt sich nun nicht bestreiten. Im Übrigen: Die anderen Zahl, die immer vor sich hergetragen wird, jene fünf Millionen, in der stecken drei- bis vierhunderttausend frühere Sozialhilfeempfänger, die da gehalten wurden in der Sozialhilfe, allein 180.000 junge Leute unter 25 Jahren, obwohl sie arbeitsfähig waren und sind, jedenfalls partiell arbeitsfähig waren und sind. Dies muss man, wie ich finde, anerkennen, wenn man fair über die Situation in Deutschland reden will. Ich sage doch nicht, dass mich das befriedigt. Wie käme ich denn darauf? Aber es zeigt sich, dass die Reformen, die wir in Gang gesetzt haben, zu denen ja niemand den Mut hatte bisher, zu wirken beginnen. Genau deshalb muss diese Politik fortgesetzt werden.

Kurze Nachfrage: Ihr jetziger Koalitionspartner Joschka Fischer sagt heute in einem Interview, dass die Zahl fünf Millionen leider komplett unterschätzt wurde in ihrer Wirkung. Stimmen Sie dem zu?

Schröder: Natürlich ist das so, dass man hätte auch differenzieren können in der Statistik. Das ist ja offenkundig gemeint. Aber was hilft es denn? Wir müssen erklären, warum es diese Zahl gibt. Und sie ist ja gemeinsam beschlossen worden. Dass man aus wahltaktischen Gründen sich dazu nicht bekennen will, gut, so ist nun mal Machtauseinandersetzung in einer Demokratie. Das will ich überhaupt nicht kritisieren. Aber es stimmt trotzdem, was ich sage. Vor allen Dingen stimmt, das dürfen Sie nicht übersehen, dass durch diesen Reformprozess, den es ja nicht gegeben hat in den 90er Jahren, als die Skandinavier das gemacht haben, als die Holländer das gemacht haben, das Land wirklich nach vorne gebracht worden ist. Ich habe doch die Prügel dafür bekommen - Sie haben es doch selber gesagt - in den Landtagswahlen, obwohl meine gesamte Politik ja nicht zur Diskussion und zur Abstimmung stand. Aber ich habe sie bekommen und allmählich setzt sich durch, dass dieses Land erneuert werden musste und dass wir auf dem richtigen Dampfer sind. Was spricht denn dafür, dass diejenigen, die das in den 90er Jahren versäumt haben, es jetzt können würden. Das glaube ich nicht.

Geben wir die Frage weiter. Frau Merkel, ist das nicht genau das, was sich der Wähler fragt? Die schwarze Regierung unter Helmut Kohl hat es bis 1998 nicht geschafft, massiv das Arbeitslosigkeitsproblem in Deutschland zu lösen. Die sieben Jahre rot-grüner Regierungszeit bescheren uns jetzt 4,7 Millionen Arbeitslose. Warum sollen die Wähler Ihnen beiden glauben, dass Sie das Problem der Arbeitslosigkeit beheben können?

Merkel: Also, erstens hat Rot-Grün einen Riesenfehler gemacht, als sie angetreten sind und die Reformen, die wir - ich gebe zu, vielleicht zu spät - gemacht haben, gleich wieder rückgängig gemacht haben. Vieles haben wir dann drei, vier Jahre später nachgeholt. Wir hatten den demographischen Faktor in der Rente, ich will da jetzt gar nicht drüber reden. Wir hatten die Petersberger Steuerbeschlüsse, alles abgelehnt, bis hin zur Privatisierung von Telekom und Post. Aber wir sind abgewählt worden, genau dafür, 1998. Und jetzt haben wir sieben Jahre Zeit gehabt, uns zu überlegen: Was ist zu tun? Deshalb habe ich aus Überzeugung die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt - mit Ihnen gemeinsam.

Schröder: Also, ich habe es mit Ihnen (gemacht).

Merkel: Nicht, dass ich mich davor drücke, das haben wir in unserem Programm seit 1996. Als Rot-Grün endlich soweit war, weil sie gesehen haben, dass es nicht anders geht, haben sie es in Angriff genommen. Wir haben es unterstützt. Wir haben sogar weitergehende Vorschläge gemacht als Ihre Fraktion bereit war zu machen. Jetzt haben wir den Punkt: Was müssen wir noch dazu tun? Jetzt können wir doch nicht stehen bleiben. Herr Schröder ist angetreten 1998 mit der Maßgabe "Wenn ich es nicht schaffe, die Zahl der Arbeitslosen signifikant zu reduzieren, dann bin ich es nicht wert, wiedergewählt zu werden". Jetzt sind sieben Jahre Rot-Grün vorbei und die Zahl im Juli war höher als die Zahl unter der Regierung Helmut Kohl. Jetzt kann ich nur sagen, das ist kein Naturgesetz. Andere Länder haben bei gleichen externen Schocks Arbeitsplätze gewonnen. Bei uns ist die Arbeitslosigkeit noch mal gestiegen. Und die 300.000 statistisch, die können wir wegnehmen, das Problem ist, dass wir vom Sockel her eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit haben. Eines Tages, wenn wir es dann durchsetzen in der Regierung ab 2005 jetzt, dann werden die Sozialdemokraten auch wieder begreifen, dass man weitergehen muss, dass man da nicht stehen bleiben kann. Da kann ich nur sagen: Einfach jetzt hinsetzen, warten, dass die Reformen wirken, das (bringt) nichts. Jetzt muss ich noch ein Wort für die Zuschauerinnen und Zuschauer sagen: Die Frage, dass von April bis Juli bis hin in den September immer die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse zunimmt, das ist eine ganz normale Regel. Im Winter nimmt sie wieder ab. Und deshalb ist jeder sinnvolle Vergleich immer nur ein Jahresvergleich. Alles andere ist statistischer Schmu.

Schröder: Ich dachte, im Winter wollten Sie dafür sorgen, dass sie nicht abnimmt. Aber lassen wir das, Sie werden keine Gelegenheit dazu haben. Ich will das noch mal an einem Punkt (erklären). Sie reden immer über Deutschland als ein Land, das hinten ist. Das ist so falsch, Frau Merkel, und auch so gefährlich im internationalen Wettbewerb, schlicht deswegen, weil es nicht stimmt. Über Export haben wir geredet. Wir haben die gleiche Zahl von Patenten wie Frankreich und England zusammengenommen. Wir sind die absoluten Führer bei Innovationen in Europa. Wir geben vier Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für den Transfer - was nötig ist und was wir gerne tun - in den Osten aus. Keine andere Volkswirtschaft der Welt, auch keine europäische, hat diese Belastung zu tragen. Wir tragen sie gerne. Aber das müssen Sie doch, wenn Sie Anspruch erheben, ein Amt in dieser Republik zu bekommen, nach außen auch deutlich werden lassen, dass Sie stolz sind auf dieses Land, denn es ist doch viel leistungsfähiger als Sie es zu machen versuchen. Nun schauen Sie sich die Situation rings um uns herum an. Die Skandinavier sind besser, das gebe ich doch zu. Die Versäumnisse sind in den 90er Jahren gemacht (worden). Aber wollen Sie mir denn ernsthaft erzählen, dass die Italiener im Moment wirtschaftlich besser sind als die Deutschen. Wollen wir mal über Frankreich, über Spanien, über andere diskutieren? Das können wir doch gerne. Dann werden Sie sehen, dass die Wirtschaftskraft Deutschlands von einer Größe ist, auf die man wirklich stolz sein kann, denn wir sind es gewesen, die bei einer stagnierenden Weltwirtschaft, und die hatten wir von 2000 bis 2003, Marktanteile als einziges G-7-Land, das sind die wirtschaftsstärksten Länder der Welt, hinzugewonnen haben. Wie man vor diesem Hintergrund über sein eigenes Land derart negativ reden kann, das verstehe ich wirklich nicht, Frau Merkel, denn Sie reden doch nicht über mich dadurch negativ. Sie reden über die Kraft dieses Landes, über die Menschen in diesem Land negativ. Das sollten Sie wirklich noch einmal überdenken.

Frau Merkel, was die Menschen auch von Ihnen erwarten, ist, dass Sie Arbeitsplätze schaffen... Wo sollen diese Arbeitsplätze herkommen? Wie sieht Ihre Arbeitswelt in den nächsten Jahren aus?

Merkel: Also, Herr Schröder läuft durchs Land und sagt: Sieben Jahre Rot-Grün, das waren sieben gut Jahre für Deutschland. Nun muss ich ganz ehrlich sagen: Das ist in den Ohren vieler, vieler Menschen wirklich der blanke Hohn. Und damit sage ich nicht, dass wir nicht auch Stärken hätten, das ist doch ganz selbstverständlich.

Schröder: Na, dann sagen Sie es doch mal.

Merkel: Jeder ist stolz auf unser Land. Ich kann Maschinenbaufirmen nennen. Ich kann Automobilfirmen, ich kann Chemiefirmen nennen. Ich weiß, Sie sprechen doch mit den Chefs auch. Sie wissen doch ganz genau, unter welchen Wettbewerbsdruck Unternehmen heute stehen und was sie an Standortbedingungen brauchen und dass es eben nicht richtig ist, dass Sie das Gentechnikgesetz nicht so umgesetzt haben, wie es die europäische Richtlinie erlaubt hätte, dass es eben nicht richtig ist, dass wir uns in Europa eine Chemikalienrichtlinie machen, die die chemische Industrie beschweren wird.

Aber wo entstehen die neuen Jobs?

Merkel: Genau, ich will je gerade darauf kommen. Wenn wir zum Beispiel beim Gentechnikgesetz die Haftungsregel anders machen, dann wird die grüne, aber vor allen Dingen auch die weiße Gentechnologie, die für die Chemie ganz wichtig ist, nach Deutschland kommen. Wenn wir zum Beispiel Arbeitszeitregelungen wenigstens auf den europäischen Standard bringen, werden wir mehr Software-Unternehmen in Deutschland haben. Wir haben den Computer erfunden. Wir Deutsche können darauf stolz sein. Jetzt schauen Sie mal, wie viel Arbeitsplätze in und um den Computer herum in Deutschland sind. Wir haben Potentiale, die Menschen sehen nur nicht, dass neue Beschäftigungsfelder ausreichend hier nach Deutschland kommen. Wir brauchen auch den Niedriglohnsektor, aber mit dem Niedriglohnsektor werden wir unseren Wohlstand nicht erhalten. Deshalb: Innovation stärker fördern, vor allen Dingen auch die Rahmenbedingungen für Technologien. Zweitens: die Standortbedingungen verbessern, zum Beispiel durch den Strompreis, indem man Kernkraftwerke nicht früher abschaltet, sondern sie so lange laufen lässt, wie sie sicher sind. Auch das ist eine vernünftige Maßnahme. Bürokratie abbauen. Der Wirtschaftsminister Clement ist massiv gescheitert bei all seinen Versuchen, das zu machen, weil - wie immer - die sozialdemokratische Fraktion und die Grünen nicht gefolgt sind. Das sind die Dinge, die Deutschland noch weiter nach vorne bringen würden. Ich rede das Gute nicht schlecht, aber ich sage nur: Unser Land wird weit unter seinen Möglichkeiten regiert. Das muss sich ändern und das wird sich auch ändern.

Schröder: Darf ich eine Bemerkung zur Gentechnik machen. Da werde ich doch mal konkret. Nein, ich finde, wir sollten mal konkret werden. Bei der Gentechnik sagen Sie, Frau Merkel, Sie wollen ein anderes Haftungsrecht. Die Menschen müssen ja verstehen, was das dann bedeuten würde. Es gibt Menschen, die wollen genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel essen. Das sollen sie denn auch tun. Es (sind) die wenigsten, die das wollen. Es gibt Hersteller, die wollen Bioprodukte herstellen. Und es gibt andere, die wollen gen-veränderte Pflanzen herstellen. So, man muss einen Ausgleich schaffen.

Wir haben Sie noch nie in dieser Rolle erlebt, Herr Bundeskanzler.

Schröder: Nein, pass auf, mich ärgert das nur, wenn unkonkret geredet wird. Sie müssen zwischen denen, die Bioprodukte herstellen wollen, also nichts mit Gentechnikveränderungen zu tun haben wollen, und denen, die das wollen, einen vernünftigen Ausgleich (machen). Sie müssen also beantworten: Wer muss bezahlen, wenn von einem gentechnikveränderten Feld etwas auf ein Biofeld (kommt)? Da haben wir gesagt, das sollen dann diejenigen bezahlen, die das verursacht haben. Frau Merkels Position ist, dass der Staat das bezahlen muss. Das finde ich falsch, denn das ist nicht Aufgabe des Staates. Sonst sagen Sie doch immer das Gegenteil. Ich finde, wenn man über Wachstum redet, müssen wir konkret werden. Und jetzt sage ich Ihnen noch was zur Gentechnologie. Da sind wir vielleicht beide mehr zusammen als unsere Parteien und die im Bundestag. Ich habe gesagt, wir brauchen auch rote Gentechnologie. Das ist die, die Krankheiten heilen kann. Wir brauchen dort Forschung. Zum Beispiel brauchen wir die Möglichkeit des therapeutischen Klonens. Das ist in einer Bundestagsmehrheit nicht gemacht worden, nicht von der Regierung, sondern von einer Mehrheit aus Ihrer Partei, einer Minderheit aus meiner, das kann ich gar nicht bestreiten, und den Grünen. Das halte ich inzwischen für eine Forschungsbremse. Ich habe das immer gesagt, aber in der Tat, gegen diese Phalanx, die Sie unterstützt haben, Frau Merkel, konnten wir uns nicht durchsetzen. Dann reden Sie auch bitte nicht über Forschungsförderung, wenn Sie die zentralen Bereiche wie die Gentechnologie abwürgen wollen. Das ist dann nicht redlich.

Beim Thema Forschung sind wir sozusagen auch beim Thema Zukunft. Da schauen wir gleich auf die Rente... Frau Merkel, Herr Kirchhof schlägt vor, die Umlagerente komplett durch eine Privatvorsorge zu ersetzen - noch so eine Vision, die Sie sofort wieder kassiert haben. Im CDU-Wahlprogramm findet man aber gleichzeitig nur eine Seite zur Rente. Scheuen Sie sich, den Leuten reinen Wein einzuschenken oder haben Sie keine Ideen?

Merkel: Sie gestatten sicherlich noch einen abschließenden Satz zu der Gentechnik - - -

Nein, nein - - -

Merkel: - - - Doch, das muss ich machen, um einfach deutlich zu machen, Deutschland ist ein Chemiestandort. Und wir müssen es schaffen, gentechnisch veränderte, nachwachsende Rohstoffe nicht zum Konsum, zum Essen, sondern für die chemischen Reaktionen herzustellen. Die Bedingungen sind jetzt schlechter als in allen anderen europäischen Ländern, das ist die Wahrheit. Und deshalb wird Deutschland sich auf diesem Gebiet nicht so entwickeln, deshalb werden wir das auch ändern. Ich finde, das müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer wissen. Das ist von der BASF bis zu anderen Chemieunternehmen eine ganz wichtige Sache. Jetzt zum Rentensystem - - -

- - - Bei Paul Kirchhofs Vision kassiert teilweise nur eine Seite - - -

Merkel: - - - Zum Rentensystem: Wir hatten eine Kommission eingesetzt, die Herzog-Kommission, wir haben uns mit der Frage eines Systemumstiegs ausführlich befasst und sind zu dem abschließendem Schluss gekommen, dass das Umlagefinanzierungsverfahren erhalten bleiben muss. Genau das wird es auch sein, es wird zwei Säulen geben, davon hat Professor Kirchhof auch gesprochen. Diese beiden Säulen werden zwar in ihrer Bedeutung ab- und zunehmen, die umlagefinanzierte Rente wird nicht mehr in Zukunft den Lebensstandard sichern können, darüber gibt es im Übrigen auch gar keinen Streit zwischen den Parteien - - -

Schröder: - - - Wir haben das bereits gemacht.

Merkel: - - - Wir haben (es) bis 1998 mit dem demographischen Faktor gemacht, den haben Sie abgeschafft - - -

Schröder: - - - Nein, aber verzeihen Sie, das hat doch nichts mehr mit dem demographischen - ich komme gleich noch einmal - - -

Merkel: - - - Dann haben wir die kapitalgedeckte Rente, da hat Rot-Grün in der Tat die "Riester-Rente" eingeführt, das tragen wir vom Grundsatz her mit. Wir glauben nur, dass die "Riester-Rente" zu bürokratisch ist. Und wir haben die betriebliche Vorsorge, hier gibt es hervorragende Möglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, hier etwas anzusparen - - -

Aber das gibt es im Prinzip ja alles. Das heißt, Sie wollen gar nichts Großartiges verändern. Das Problem ist doch nicht gelöst.

Merkel: Das Thema ist für die nächsten Jahre auf einem ganz guten Weg, wenn ein Punkt eintritt, dass nämlich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nicht weiter so abnimmt, wie das in den letzten Jahren der Fall war. Denn dadurch erodiert, dadurch ist im Augenblick die Einnahmebasis der Rente auf ganz tönernen Füßen, das ist im Augenblick unser Problem. Ansonsten sind die Vorsorgedinge einigermaßen vernünftig geregelt. Wir wollen die "Riester-Rente" entbürokratisieren, damit Menschen einfacher noch die kapitalgedeckte Vorsorge machen können. Ich will sie aber auch nicht verpflichtend machen, das will ich ausdrücklich sagen. Menschen sollen frei entscheiden können, in welchem Lebensabschnitt sie dafür eintreten wollen. Aber wir müssen den Leuten sagen: Ihr müsst es tun, wenn ihr euren Lebensstandard im Alter sichern wollt.

Die Frage wird später sein, in welcher Höhe wird welches Verfahren auch zum Zuge kommen. Herr Bundeskanzler, Sie wollten gerade etwas sagen. Beziehen Sie doch mit ein, wenn wir an Ihre Regierungszeit denken, dass Sie das Stopfen der Rentenkasse und der Löcher derselben ja gewohnt waren und auf vielerlei Weise versucht haben. Genützt hat es am Ende gar nichts. Ich darf Ihren grünen Außenminister zitieren, der in einem Interview sagte - - -

Schröder: - - - Ein bekannter Rentenexperte - - -

- - - Bekannter Rentenexperte, je weniger Sie ihn, desto mehr erwähnen wir ihn. Nein - das Zitat: "Es war ein Fehler, die Riester-Rente nicht zur Pflicht zu machen."

Schröder: Ich glaube, das war kein Fehler. Aber zunächst war es richtig, mit der "Riester-Rente" das aufzubauen, was man eigene Vorsorge nennt, ein anderes Wort für Kapitaldeckung. Übrigens, Frau Merkel, das hat mit dem demographischen Faktor nichts zu tun. Der ist bei der gesetzlichen Rentenversicherung relevant, das nur mal nebenbei bemerkt. Wir haben das aufgebaut. Wir haben die Möglichkeiten der Betriebsrenten erheblich ausgeweitet. Und das führt dazu, dass wir diesen Teil, diese Säule, die das Dach der Rentenversicherung trägt, neu aufgebaut haben und damit die andere Säule, die Umlagefinanzierung entlastet haben.

(Die "Riester-Rente" wird doch aber doch viel zu wenig angenommen und als viel zu bürokratisch gescholten.)

Schröder: Wir müssen doch dafür sorgen, dass - zum Beispiel bei der "Riester-Rente" -, die auch wirklich eingesetzt wird für die Altersvorsorge und nicht vorher für Konsumausgaben benutzt werden darf, denn sonst stehen wir doch am Ende wieder mit den Menschen in der Grundsicherung oder in der Sozialhilfe - - -

Aber wie schaffen wir das? 73 Prozent der Menschen sagen, sie nehmen keine "Riester-Rente" - - -

Schröder: - - - Ich möchte noch einen Punkt sagen, der wichtig ist, wenn man über Rente redet. Der entscheidende Punkt, was die Finanzierung der Renten, des Rentensystems angeht, ist, das Renteneintrittsalter, das tatsächlich genutzt wird, zu erhöhen. Das haben wir begonnen, das haben wir auch geschafft, um ein Jahr zunächst. Wir haben ein gesetzliches Renteneintrittsalter von 65 Jahren und hatten ein tatsächliches von 59 Komma etwas. Jetzt ist es etwas über 60 Jahre. Je mehr wir es schaffen, die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht aus dem Produktionsprozess rauszudrängen, sondern durch flexible Arbeitszeitgestaltung ihnen zu ermöglichen, das zu tun, was sie noch können, je mehr wir das schaffen, das muss im Vordergrund aller Bemühungen stehen, desto sicherer wird die Rentenfinanzierung. Ohne das man an das nominale Rentenalter heran muss. Darum geht es uns. Und das werden wir auch leisten.

Im Übrigen ist es vernünftig, das will ich sehr deutlich sagen, in der Rentenpolitik, dass die großen Parteien möglichst gemeinsame Konzepte entwickeln. Deswegen, und das will ich auch sagen, glaube ich Frau Merkel, dass sie Herrn Kirchhof stoppen. Sie sollten das Herrn Oettinger, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, auch sagen. Ich glaube Ihnen das, denn ich glaube, dass wir einen Riesenfehler machten, wenn wir nicht beide Säulen benutzten, sondern das täten, was dieser Professor aus Heidelberg vorgeschlagen hat, nämlich die Rentenversicherung ähnlich aufzubauen wie die Kfz-Versicherung. Damit sagt der Mann doch, man müsse Menschen genau so behandeln wie Sachen. Das zeigt, dass er die wirkliche Beziehung zur Lebenswirklichkeit verloren hat.

Sie sollten ihn vielleicht doch ernster nehmen mit dem, was er so erzählt und nicht nur auf Visionen verweisen, das ist jedenfalls sehr stark verunsichernd, das verunsichert Menschen doch.

Merkel: Ich finde, man darf so nicht sprechen, Herr Bundeskanzler - - -

Schröder: - - - Nee?

Merkel: Ja, ich muss das ganz ehrlich sagen. Denn die kapitalgedeckte zweite Säule, die wir beide gemeinsam aufbauen wollen, die funktioniert genau nach dem gleichen Prinzip - - -

Schröder: - - - Aber er will doch nur noch Kapitaldeckung, Sie können doch sehen, wo das hin - - -

Merkel: - - - Das ist doch vollkommener Unsinn - - -

Schröder: - - Das hat er erzählt.

Merkel: Es gibt zwei Säulen, es gibt die umlagefinanzierte und die kapitalgedeckte. Und die kapitalgedeckte wird für jeden Einzelnen, und da finde ich, sollten sie an der Stelle mit der Verunsicherung aufhören, Sie betreiben nämlich in den letzten Wochen unentwegt Verunsicherung über die Frage des sozialen Friedens - - -

Schröder: - - - Ich zitiere Herrn Kirchhof, das muss doch möglich sein.

Merkel: Sie betreiben eine Kampagne, in der Sie dauernd sagen, wenn irgendetwas in Deutschland geändert wird, was noch nicht auf Ihrer Agenda steht, dann gefährdet das den sozialen Frieden. Alles, was Sie ändern möchten natürlich nicht. Das ist eine Argumentation, die kann nicht dazu führen, dass Deutschland den besten Weg findet. Und ich finde, wir haben wirklich allen Grund, noch ein Stück zu überlegen, wie es weiter geht.

Schröder: Frau Merkel, ich zitiere Herrn Kirchhof: Der vergleicht die Rentenversicherung mit der Kfz-Versicherung. Das kann ich doch wohl als das bezeichnen, was es ist, nämlich absurd. Und ich konzediere Ihnen doch ausdrücklich, dass das nicht Ihre Position ist, bitte Sie aber, ihm zu sagen, er soll das nachlassen, weil das verunsichert - - -

- - - Kann man das noch mal klären. Frau Merkel, gibt es tatsächlich die Vorstellung von Paul Kirchhof einer kompletten Privatisierung - - -

Schröder: - - - Ja sicher, ist doch veröffentlicht, lesen Sie den TAGESSPIEGEL.

Merkel: Ich brauche nicht den TAGESSPIEGEL zu lesen, sondern ich habe die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG gelesen. Es gibt zwei Säulen, es gibt das umlagefinanzierte System mit dem damals von uns eingeführten demographischen Faktor. Den Sie abgelehnt haben, wider besseres Wissen. Aber das macht nichts - - -

Schröder: - - - Soll ich Ihnen sagen warum?

Merkel: - - - Sie haben ihn inzwischen ja auch wieder eingeführt. Und eine kapitalgedeckte Säule. Und dann hat Paul Kirchhof über die nachgelagerte Besteuerung gesprochen. Das heißt, dass Altersaufwendungen erst im Alter besteuert werden sollen. Ansonsten gilt unser Programm. Und es gibt jetzt hier überhaupt gar keine Diskussion. Ich finde nur, bei allem was die Union jetzt vorschlägt an weiter gehenden Maßnahmen, um Menschen wirklich aus der Arbeitslosigkeit rauszuholen, wird im Augenblick ein Klima erzeugt, das der Eindruck erweckt wird, als sollten hier Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in eine schlechtere Position gebracht werden. Das ist einfach unwahr. Wir wollen, dass alle Menschen in diesem Lande möglichst Arbeit haben. Denn wir können uns nicht abfinden damit, wie es im Augenblick ist, das leitet uns. Ich finde, da sollte man doch wirklich dann mal den Gedankenaustausch so führen, dass nicht Menschen, die vielleicht im Detail nicht alles nachvollziehen können, in Angst und Schrecken versetzt werden. Das halte ich für absolut falsch.

Schröder: Wollen wir (im Moment) über Arbeitnehmerrechte reden? Das sind ja nicht wenig Menschen, um die es dabei geht. Sie sagen, Sie wollen den Kündigungsschutz reduzieren - - -

- - - Wir sind über dieses Thema schon ein wenig hinausgekommen. Wir haben über Arbeitsmarkt und die anhängenden Sozialsysteme schon gesprochen.  - - -

Schröder:- - - Ich denke, wir sollten über Arbeitnehmerrechte schon noch reden - - -

- - - Ich würde gern trotzdem noch bei Herrn Kirchhof bleiben, wenn Sie einverstanden sind. Frau Merkel, kann der Wähler, können wir denn hundertprozentig davon ausgehen, dass Paul Kirchhof tatsächlich der Finanzminister dieses Landes wird?

Schröder: Nein, das kann man natürlich nicht, weil sie die Wahlen nicht gewinnt.

Wenn Sie die Wahlen gewinnen?

Merkel: Nun habe ich die Frage gestellt bekommen, mit Verlaub, deshalb kann ich nur sagen, was in meiner Macht steht, werde ich tun. Ich gehe davon aus, dass die Wählerinnen und Wähler uns das Vertrauen geben. Und dann wird Paul Kirchhof auch der Finanzminister sein. Und er wird ein Finanzminister sein, der in einer Weise sich um die Gerechtigkeit, insbesondere von Familien, kümmern wird, wie es das bisher nicht gegeben hat. Ich finde gerade - - -

Das ist der nächste interessante - - -

Merkel: Ich finde gerade sehr interessant, wie Steuerrecht und Familien in unserem Land hier mal verzahnt werden. Da gibt es viele Finanzminister, die haben überhaupt kein Herz dafür. Ich bin froh, dass Paul Kirchhof das hat.

Das ist der nächste interessante Punkt. Wir sorgen jetzt auch mehr für eine zeitliche Ausgewogenheit zwischen Ihnen. Paul Kirchhof ist schon wieder zu zitieren, mit einem Satz aus dem Jahr 2003: "Die Mutter macht in der Familie Karriere. Der Vater findet seine Identität, wenn er die ökonomischen Grundlagen der Familie beschafft." - Wie kommt er eigentlich mit Ihnen klar?

Merkel: Schauen Sie, das ist genau das, was ich meine, wie im Augenblick diskutiert wird. Paul Kirchhof hat zu einem speziellen Buch von zwei Eltern ein Vorwort geschrieben. Und zwar einem Journalisten vom Deutschlandfunk, die gemeinsam zehn Kinder haben. Wo die Mutter genau diese Rolle für sich einnimmt und wo der Vater die berufliche Karriere macht. Diese beiden haben das für sich so entschieden, und Paul Kirchhof hat dazu ein wohlwollendes Vorwort geschrieben - - -

Schröder: - - - Das ist schlicht unwahr.

Merkel: Paul Kirchhof hat vier Töchter - - -

Schröder: - - - Das ist ein Zitat aus einem Interview.

Merkel: - - - Paul Kirchhof hat, - es ist ein Zitat aus einem Vorwort - - -

Schröder: - - - Interview - - -

Merkel: - - - Und dieses Vorwort ist abgedruckt worden. Und deshalb kann ich nur sagen, Paul Kirchhof hat vier Töchter, ich habe mich mit ihm unterhalten. Alle vier Töchter sind berufstätig, alle vier Töchter haben Kinder. Alle vier Töchter machen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so wie es sich Millionen Frauen heute vorstellen. Ich kann nur sagen, ich werde als Bundeskanzlerin ganz fest genau diesen Punkt im Auge haben, mit der Wirtschaft sprechen, dass wir die Fähigkeiten von Müttern, die bei der Erziehung von Kindern erworben werden, besser eingebracht werden. Dass dafür gesorgt wird, dass auch Kinderbetreuung, das unterstütze ich alles sehr, wir sollten dann nur die Kommunen auch ordentlich ausstatten, dass die Kinderbetreuung verbessert wird. Aber auch, dass die Fähigkeit und das, was Mütter in dieser Erziehungsphase lernen, im Beruf mehr gewürdigt wird. Da ist unsere Gesellschaft zum Teil sehr hartherzig, verschenkt viele Potenziale.

Deshalb kann ich nur sagen, Paul Kirchhof ist das lebendige Beispiel dafür, in seiner Familie, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelebt wird. Aber wo Eltern sich entscheiden, zuhause zu bleiben, Vater oder Mutter, da, finde ich, hat das genau so den Respekt verdient in unserer Gesellschaft wie eine andere Entscheidung. Und die Politik hat das nicht vorzuschreiben, sondern es den Menschen zu ermöglichen, so zu leben.

Herr Bundeskanzler wir kommen zu einem Interview, das eine Dame gegeben hat, die Ihnen persönlich sehr nahe steht, nämlich Ihre eigene Frau. Sie hat gesagt: "Frau Merkel verkörpert mit ihrer Biografie nicht die Erfahrung der meisten Frauen. Die beschäftigt, wie sie Familie und Job unter einen Hut bekommen, ob sie nach der Geburt für mehrere Jahre aussteigen wollen oder wie sie ihre Kinder am besten erziehen. Das ist nicht Merkels Welt." - Wieso mischt sich Ihre Frau mit solchen Thesen in den Wahlkampf ein?

Schröder: Das ist eine sehr merkwürdige Betrachtungsweise. Also meine Frau, die politische Journalistin ist, die klug ist und die engagiert ist, die darf sich nicht einmischen. Das ist ja sehr merkwürdig. Natürlich darf sie das, wie jeder andere von uns auch. Ich will Ihnen sagen, ich bin stolz auf ihr Engagement. Ich bin stolz darauf, dass sie sich in dieser Weise äußert und sich einmischt in eine ja wirklich notwendige Diskussion, die im Übrigen ja auch wahrhaftig ist. Meine Frau sagt, was sie denkt und sie lebt, was sie sagt. Das ist nicht zuletzt - - -

- - - Sie lebt ja schon in einer Form, wo man den Eindruck hat, Frauen nach dem Bild von Doris Schröder-Köpf bringen Familie und Job unter einen Hut. Gleichzeitig sagt sie aber auch: Ich bin eine sozialdemokratische Frau, das hat sie dann später auch noch gesagt (im Interview) - - -

Schröder: - - - Das ist doch auch ihr gutes Recht - - -

- - - Sozialdemokratische Frauen bleiben zuhause, schmieren Butterbrote und erledigen die Hausaufgaben - - -

Schröder: - - - Darf meine Frau sich nicht äußern, wie jeder von ihnen das auch darf? Das ist doch sehr merkwürdig - - -

- - - Damit disqualifiziert sie ja bewusst Ihre Gegnerin.

Schröder: - - - Aber ich meine, Frau Merkel wird doch noch Kritik ertragen können. Ich muss sie doch auch ertragen. Was haben wir nicht alles erleben müssen, mitten aus der CDU heraus, was unsere Familie angeht So mimosenhaft sollte man wirklich damit nicht umgehen - - -

- - - Ist es klug, Ihrer Gegenkandidatin Kinderlosigkeit - - -

Schröder: - - - Ob es klug ist oder nicht, um was es wirklich geht: Ich sage, meine Frau hat das gute Recht, erstens die Wahrheit zu sagen, denn es ist die Wahrheit. Und zweitens, sich zu äußern, wann immer sie das für richtig hält. Und sie äußert sich engagiert, ich sage es noch einmal: sie lebt das, was sie sagt. Und, ich füge hinzu, dass ist nicht zuletzt der Grund, warum ich sie liebe.

Wie flexibel, Frau Merkel, muss man eigentlich sein in der Zukunft? Wir sollen flexibel arbeiten, wir kriegen flexiblere Arbeitszeiten. Wie gut lässt sich das vereinbaren für jemanden, der tatsächlich den Wunsch hat Kinder zu kriegen. Wie sehr haben Sie da das Gefühl, ein widersprüchliches Programm anzubieten?

Merkel: Ich will vielleicht an der Stelle noch einmal darauf hinweisen, als der heutige Bundeskanzler noch Ministerpräsident war, hat er Familien- und Frauenpolitik als Gedöns bezeichnet, Lehrer als faule Säcke. Da habe ich als Jugendministerin den Rechtsanspruch - - -

Schröder: - - - Frau Merkel, was soll das - - -

Merkel: - - - Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt - - -

Schröder: - - - Irgendwann werfen Sie mir noch meine Kindheit vor - - -

Merkel: - - - Ich bin da heute sehr stolz drauf. Und ich bin auch froh, dass Sie dazu gelernt haben, das muss ich ganz einfach sagen. Denn jetzt haben wir wenigstens in einer breiten Phalanx in der Union, aber auch bei anderen, die Tatsache, das wir Vereinbarkeit von Beruf und Familie (wollen). Wir haben den Rechtsanspruch für einen Kindergartenplatz eingeführt - - -

Schröder: - - - Aber nicht Sie - - -

Merkel: - - - Ich als Jugendministerin - - -

Schröder: - - - Nein - - -

Merkel: - - - Ich als Jugendministerin, eine meiner wirklichen Leistungen zwischen 1990 und 1994 - - -

Schröder: - - - Das war eine überparteiliche, eine überfraktionelle Entscheidung. Sie wissen das ganz genau.

Merkel: - - - Uns haben - Gott sei Dank - viele dabei zugestimmt. Aber ich war die verantwortliche Ministerin. Und ich möchte das auch weiter entwickeln - Betreuung für Unter-Dreijährige. Alles ganz wichtige Felder. Und ich glaube, ich habe eben schon darüber gesprochen, es gibt rechtliche Maßnahmen, die wir ergreifen können. Wir können aber auch dafür sorgen, als Politikerinnen und Politiker, dass die Wirtschaft, dass die Gesellschaft hier ein offeneres Ohr bekommt. Und vor allem das, was vom Arbeitnehmer im 21. Jahrhundert erwartet wird: Nervenstärke, Organisationskraft, Kreativität. Dass all das den Frauen mal zugestanden wird, die Kinder erziehen und wieder in den Beruf wollen.

Ich habe zum Beispiel im akademischen Bereich den Vorschlag zu sagen: Man kann nicht den Prüfungskarrieren, zum Beispiel zum Professor, für einen Mann, der nie ausgesetzt hat wegen der Kindererziehung, genau so gestalten, wie man das zum Beispiel für Frauen macht, die einige Jahre aussetzen, Kinder erziehen und trotzdem den Kontakt zur Wissenschaft behalten. Hier muss sich in unserem Land noch viel ändern. Dafür werde ich kämpfen. Und ich glaube, dass eine Frau als Bundeskanzlerin da auch ein gutes Beispiel sein kann.

Schröder: Darf ich noch was sagen zu dem Thema, was wir gemacht haben?

Wenn Sie eine kurze Anmerkung machen.

Schröder: Ich möchte gerne zu dem Thema sagen, was wir gemacht haben. Wir haben nicht nur das Kindergeld erhöht. Wir sind hergegangen und haben gesagt, vier Milliarden Euro gibt es für Ganztagsbetreuung, hat bisher keiner gemacht. Wir haben ein Gesetz gemacht, in dem die Kommunen verpflichtet werden, von den 2,5 Milliarden Euro, die sie bekommen, weil wir die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zusammengelegt haben, 1,5 Milliarden Euro in die Betreuung der unter Dreijährigen zu investieren. Das ist diskreditiert worden, dieses Gesetz. Und ich finde, man sollte dann wenigstens sagen, wenn ich schon was vorhabe, dann habe nicht ich gelernt, sondern Frau Merkel hat gelernt. Das, was wir dort angefangen haben, gerade auf dem Sektor der Betreuung, das wurde höchste Zeit, das muss fortgeführt werden. Nur wir werden es fortführen - - -

Nehmen wir es als Endpunkt, dass beide dazu gelernt haben in dieser Frage. Hoffentlich zum Wohl vieler Familien. - Stichwort Hurrikan-Katastrophe in New Orleans: Frau Merkel würden Sie sagen, die US-Führung hat hier in der Hilfeleistung versagt?

Merkel: Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung und auch unsere Bundesländer versuchen, den Amerikanern zu helfen. Das ist jetzt nicht die Stunde - Sie haben von den schrecklichen Bildern gesprochen. Ich kann nur sagen, ich spreche über unsere Gesellschaft. Und ich möchte, dass in unserer Gesellschaft nicht mehr eine Million Kinder von der Sozialhilfe leben, wie das der Fall ist. Ich möchte nicht, dass wir jährlich einen Armutsbericht bekommen, so wie das unter Rot-Grün jetzt der Fall ist, wo die Zahl der Familien, die in Armut leben, immer weiter zunimmt. Das hat etwas mit Arbeitslosigkeit zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass viele schon in mehreren Generationen den Einstieg ins Berufsleben nicht finden - - -

Schröder: - - - Das war aber nicht die Frage - - -

Merkel: - - - Hier müssen wir etwas ändern, und deshalb kann ich nur sagen: Ich arbeite für ein Deutschland, in dem die Menschen sozial gerecht und menschlich leben können. Dafür müssen wir schauen, dass wir, was unseren Wohlstand anbelangt, wieder besser auf die Beine kommen. Und ich hoffe, dass wir ökonomisch so stark sind, wir sind stark, aber wir sind nicht stark genug, dass wir ökonomisch so stark sind, dass unser Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft - - -

Herr Bundeskanzler, ich würde ganz gern die Frage, weil sie sehr stark auf Amerika gerichtet war und weil das Thema Familie schon seinen Raum hatte - Sie haben gerade den Anschein erweckt, dass Sie dort (US-Führung) eine andere Meinung haben als Frau Merkel.

Schröder: Natürlich, zunächst einmal habe ich eine Meinung. Denn Frau Merkel hat ja übrigens auf Ihre Frage gar nicht geantwortet. Der amerikanische Präsident selber, das hätte sie doch sagen dürfen, hat gesagt, es sei unakzeptabel, die Hilfeleistung, wie sie abgelaufen sei. Also kritisiert man ihn gar nicht, wenn man das bestätigt, das ist in der Tat so. Das zeigt aber was anderes: Dass wir gut daran tun, bei der Frage, wie viel Staat wir brauchen und wie viel wir nicht brauchen, sehr genau hinzuschauen. Denn wenn Sie sich mal anschauen, wie auf der anderen Seite wir solche nationalen Katastrophen bewältigt haben, dann hat das schon deutliche Unterschiede. Ich behaupte, das hängt auch zusammen mit der spezifischen Art und Weise, wie wir sagen, für solche Situationen, für Menschen die in Not sind, brauchen wir keinen schwachen Staat. Sondern wir brauchen einen starken Staat. Deswegen: Die gesamte Debatte über die Entstaatlichung, - ich bin sehr für Flexibilität in dem Bereich -, aber über die Entstaatlichung, die da geführt wird in der Union, in der FDP, die sollte unter solchen Gesichtspunkte noch mal sehr genau überdacht werden. Wir werden sonst dazu kommen, dass wir uns noch mal fragen, wenn das da alles privatisiert wird, was da heute - Gott sei Dank - noch funktioniert, ob wir, als wir diese Debatte über uns haben kommen lassen, das Richtige getan haben. Ich bin deswegen der Meinung, dass die Strukturen, die wir aufgebaut haben, sicher reformbedürftig sind, aber sie funktionieren.

Eignet sich das Thema EU-Beitritt der Türkei als Wahlkampfthema?

Merkel: Wahlkampfthemen sind die Themen, die die Menschen interessieren. Und welche Grenzen Europa hat, das interessiert die Bürgerinnen und Bürger nun wirklich außerordentlich. Denn es ist so, wir haben eine Erweiterungsrunde hinter uns von zehn neuen Mitgliedsstaaten. Wir werden Bulgarien und Rumänien, wenn sie die Bedingungen erfüllen, als weitere Mitgliedsstaaten aufnehmen. Und jetzt ist es schon an der Zeit, einmal darüber zu reden, was die Perspektive für die Türkei ist. Ich möchte eine enge Anbindung an Europa. Aber ich glaube, dass die Integrationsfähigkeit, das heißt die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union, so wie sie jetzt besteht, nicht gegeben ist, um ein Mitgliedsland wie die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen. Und das sage ich den Menschen heute, das habe ich auch dem türkischen Ministerpräsidenten gesagt. Und es interessiert die Menschen. Wir sagen das ohne Schaum vor dem Mund, aber wir haben dabei eine ganz große Zustimmung.

Und es wäre ganz unverantwortlich, der Türkei jetzt den Eindruck einer Vollmitgliedschaft zu erwecken, um dann eines Tages, wenn in einigen europäischen Ländern zum Beispiel Volksabstimmungen darüber stattfinden, dann das nicht durchsetzen zu können. Da ich glaube, dass wir verantwortlich auch für eine Zeit von zehn bis fünfzehn Jahren denken sollten und nicht in den Tag, sehe ich da ein Problem. Privilegierte Partnerschaft, ein klares freundschaftliches Angebot - - -

Was ist das eigentlich: eine privilegierte Partnerschaft? Gibt es doch schon.

Merkel: Ja, und eine privilegierte Partnerschaft, ich kann Ihnen das sagen - wir haben sehr ausführlich dargestellt, das würde zum Beispiel bedeuten, dass die Türkei in den außen- und sicherheitspolitischen Fragen sehr eng mit angebunden ist, auch in den europäischen Institutionen -

- Das ist doch alles schon vorhanden. Selbst in der NATO.

Merkel: Nein. Herr Kausch, sie ist in der NATO, das ist richtig. Es gibt aber inzwischen eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik der EU, an der die Türkei sehr wohl mitarbeiten und als gleichberechtigter Partner mitarbeiten könnte. Wo ich die Probleme sehe, das ist beim europäischen Binnenmarkt, da wo wir ganz große wirtschaftliche Unterschiede heute schon haben, wo wir über die Freizügigkeit reden müssen dann in absehbarer Zeit. Das sehe sich nicht. Und das sage ich den Menschen und ich stoße damit auf viel Zustimmung. Und ich sage es auch ganz ehrlich der türkischen Regierung.

Herr Bundeskanzler, sind Sie und andere Regierungschefs, ist man in Europa viel zu lange arrogant über das hinweggegangen, was die Menschen eigentlich auch an Befürchtungen (gegenüber) einer erweiterten Union haben?

Schröder: Ich glaube nicht, das man das sagen kann. Aber ein Satz von mir auch zur Türkei: Frau Merkel; Sie machen hier wieder den gleichen Fehler, den Sie im Irak-Konflikt gemacht haben. Sie verstehen nicht, welche geostrategische, geopolitische Bedeutung die Einbindung der Türkei in die EU hat. Und privilegierte Partnerschaft gibt es doch längst. Wir haben Assoziierungsabkommen und das bisschen, was Sie ihnen zugestehen wollen in der Außenpolitik, das reicht nun wirklich nicht, um dieser geostrategischen Bedeutung gerecht zu werden. Jeder von uns kennt doch die Aufregungen, die es in der ganzen Region gibt: Irak, Iran, der Kaukasus. Wenn wir es schaffen, die Türkei so fest an den Westen zu binden, dass sie nicht mehr loskann, wenn wir es dadurch schaffen, in der Türkei einen nicht-fundamentalistischen Islam zu verbinden mit den Werten der westliche Aufklärung, dann haben wir in Deutschland, in Europa einen Sicherheitszuwachs, der gar nicht aufzuwiegen ist. Und deswegen glaube ich, Sie machen wieder einmal einen außenpolitischen Fehler sondergleichen. Sie werden das nicht durchsetzen können, dafür wird gesorgt werden. Und deswegen sage ich: Die Türkei soll in einem langen Verhandlungszeitraum die Chance bekommen, Mitglied zu werden. Und was Sie jetzt sehr vor der - - -

Herr Bundeskanzler und Sie machen jetzt das Gleiche, was Sie eben Frau Merkel vorgeworfen haben, dass sie nämlich gar nicht auf die Frage antwortet.

Schröder: Darf ich mal sagen, was Sie - nein, nein, ich komm ja gleich drauf -

Meine Frage ging auf etwas ganz anderes hinaus, und nicht zur Türkei allein -

Schröder: Moment, das gehört ja dazu, die ganze -

- Sondern es ging um die Volksabstimmung in Europa und es ging darum, ob Sie zu lange nicht auf die Menschen in Europa gehört haben. -

Schröder: Aber Entschuldigung mal, aber Frau Christiansen, die Türkei-Frage, das wurde doch eben gesagt, ist eine der Fragen, wo die Vorwürfe doch evident werden sollen. Und ich muss doch wenigstens argumentieren können, welches Interesse wir an solch einer Stabilität in einer instabilen Region haben. Und die Verhandlungen werden zehn bis 15 Jahre dauern. Und was die Freizügigkeit angeht, steht im Verhandlungskonzept selber, dass jedes Land in der Lage ist, auch nach einem Beitritt die Freizügigkeit auszuschließen, nicht nur zu begrenzen. Das hat die Türkei akzeptiert. Und deswegen wird doch da mit Ängsten gearbeitet, die unserem außen- und sicherheitspolitischem Interesse zutiefst zuwider laufen. Jetzt zu der Frage, die Sie gestellt haben - gerne: Wir haben eine Verfassung gemacht. Und die Initiativen sind sehr stark von Deutschland ausgegangen. Und in dieser Verfassung sollte ein neues Verhältnis zwischen Parlament und Kommission im Rat gefunden werden - ein gutes Verhältnis. Dass wir das nicht hinbekommen haben, liegt doch nun wahrlich nicht an Deutschland. Wir haben doch gemeinsam dieser Verfassung zugestimmt. Dass es in anderen Ländern, in den Niederlanden, auch in Frankreich, Verwischungen gegeben hat mit Verfassungsprozess einerseits und anderen Fragen andererseits, das ist nicht zu bestreiten. Aber dadurch sozusagen die Verfassung selber zu diskreditieren, halte ich für ganz falsch, halte ich für ganz falsch. Und schon gar den europäischen Einigungsprozess in Frage zu stellen ist noch falscher. Wir arbeiten daran, dass die Kommission, das Maß an Richtlinien, was sie vorschlägt, zurücknimmt. Der deutsche Kommissar und Vizepräsident ist beauftragt, auch so etwas wie Folgenabschätzung zu machen. Das ist ein schwieriger Weg. Den haben wir doch nicht erfunden. Den müssen wir miteinander gehen, das ist doch gar keine Frage. Aber die Verfassungsidee und damit den Integrationsprozess aufzugeben, das hielte ich für gefährlich und für außenpolitisch problematisch.

Dann ist das jetzt die Antwort auf die Frage, die vor ungefähr drei Minuten gestellt wurde. Frau Merkel, wir wollen jetzt neuerlich versuchen, geschickt auf ein anderes Feld zu kommen, nämlich das der Energie- und Umweltpolitik... Beide Programme, beide gedachten Koalitionen gehen davon aus, dass es Wachstum gibt in Deutschland. Wir haben eine sehr kleine Konjunktur, die sich gerade im Flämmchencharakter aufbaut. Wie groß ist die Gefahr, dass mit den Benzinpreisen, mit den Energiepreisen, die wir zu zahlen haben heute und in der Zukunft, tatsächlich dieses Flämmchen sofort wieder ausgeht, und alle Reformen, alle großen Pläne dann mit auch wieder in den berühmten Ofen marschieren?

Merkel: Ein Blick noch zurück nach Europa, denn die Frage war ja nicht beantwortet. Die Frage war ja nicht beantwortet, was die Bürger fühlen über die Entwicklung der Europäischen Union. Ich bin natürlich selbstverständlich für den Verfassungsvertrag. Und wir hätten ihn, wenn wir den Bürgern gesagt hätten, wo die Grenzen Europas sind, sicherlich auch einfacher in Frankreich durchsetzen können und in den Niederlanden. Das heißt also, hier ist aus meiner Sicht ein Fehler gemacht worden, dass man weder die Bürokratisierung beizeiten in den Griff bekommen hat - und Rot-Grün hatte jetzt ja sieben Jahre Zeit, da ist die Bürokratie in Europa ja erst mal richtig aufgeblüht - und dass dann auch eben auch -

Schröder: - Da waren wir auch dran schuld? -

Merkel: - eben auch der Punkt, dass dann eben auch der Punkt erreicht wurde, dass man eben nicht gesagt hat, wo sind die Grenzen Europas. Und ich möchte diesen Verfassungsvertrag und deshalb finde ich, sollten wir hier auch ganz ehrlich sein. Und den Sicherheitszuwachs mit der Türkei bekommen wir auf jeden Fall auch, wenn wir fair mit ihnen umgehen und eine privilegierte Partnerschaft anwenden. Wir verhandeln ergebnisoffen. Wir werden uns, wenn wir die Regierung übernehmen, selbstverständlich an die Ausgangslage halten und sagen: pacta sunt servanda. Das heißt, das, was besprochen wurde, gilt. Und dann geht es um ergebnisoffene Verhandlungen. Und dann schauen wir mal, wie die Dinge weitergehen. Aber wir dürfen die Bürger nicht überfordern, wenn wir ein integriertes Europa haben (wollen). Und das will ich. Europa ist unsere Chance im Handel und in allen anderen Fragen. Jetzt zur Energiepolitik -

Erinnern wir uns überhaupt noch an meine Frage?

Merkel: Aber absolut erinnere ich mich an Ihre Frage und beantworte sie auch gerne. Wir müssen, was die Energiepolitik anbelangt, uns auf breite Füße stellen und wir müssen Kohlendioxid einsparen, das heißt uns auch unabhängiger machen von fossilen Energiequellen. Wir haben dafür, als ich Umweltministerin war, zum Beispiel verhandelt über benzinsparende Kraftfahrzeugflotten. Ich bin für einen breiten Energiemix,. Dazu gehören die erneuerbaren Energien. Aber eben alle erneuerbaren Energien und nicht mit einer sehr großen Präferenz für Windenergie. Dazu gehört Kohle, dazu gehört Erdgas, dazu gehört Erdöl. Und aus meiner Sicht, da wir in Deutschland die sichersten Kernkraftwerke der Welt haben, auch wissen, dass weltweit hier weiter gebaut wird, gehört dazu auch, dass wir die Kernkraftwerke, die wir haben - ich spreche ausdrücklich nicht über den Neubau - laufen lassen, so lange die sicherheitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind. Alles andere ist Verschleuderung des Volksvermögens. Und wenn ich heute Herrn Trittin höre, und sage (sic), wir müssen unabhängig vom Erdöl werden, dann werden wir das natürlich auch ein Stück, wenn wir das, was wir haben, weiter nutzen. Also breite, sehr ökologisch ausgerichtete Energiepolitik und gleichzeitig Energie sparen. Und da sind wir immer noch an Anfang der Möglichkeiten.

Stichwort Konjunktur: Wie sorgenvoll schauen Sie in die Zukunft, dass Ihre Reformen in Gefahr geraten?

Merkel: Ich schaue sorgenvoll in die Zukunft, dass unsere Strompreise in Deutschland mit zu den höchsten in Europa gehören. Und ich habe ja gerade Maßnahmen genannt, von denen ich glaube, dass sie dazu führen würden, dass wir geringere Strompreise haben. Das ist nämlich ein Standortfaktor. Die gesamte energieintensive Industrie - ob das nun eine Aluhütte oder anderes sind -, die sind davon abhängig. Und wenn ich Arbeitsplätze schaffen will, dann darf ich nicht die energieintensive Industrie aus Deutschland vertreiben. Und deshalb fehlt mir an einigen Stellen hier eine Ausgewogenheit. Energiepolitik muss immer drei Bedingungen entsprechen: ökologisch vernünftig sein, wirtschaftlich vernünftig sein und die Versorgungssicherheit garantieren. Und im Augenblick ist hier eine Imballance bei Rot-Grün eingetreten, die uns schon viele Arbeitsplätze gekostete hat.

Man merkt, Sie waren mal Umweltministerin Frau Merkel. Herr Bundeskanzler, Frau Merkel hat es auch gerade angesprochen, die Energiepreise sind extrem gestiegen, die Strompreise aber auch die Preise für Heizöl und für Erdgas, wie wollen Sie, wie können Sie sicherstellen, dass gerade sozial schwache Familien, die ja sehr stark auch gerade bei Nebenkosten auf Preise gucken, dass die nicht im Winter die Heizung runterdrehen und im Kalten sitzen, wie können Sie denen garantieren, dass die Preise für sie bezahlbar bleiben?

Schröder: Ich denke, Sie wissen so gut wie ich - und unsere Zuschauer wissen das ja auch -, dass das Marktpreise sind, die am Markt hergestellt werden. Wir haben am Anfang dieser Debatte darauf hingewiesen, dass die gegenwärtig von den Mineralölkonzernen die Versorgungssituation entstanden durch den Hurrikan in Amerika wirklich in extremer Weise zu Lasten der Verbraucher und zu Gunsten der Profite der großen Mineralölunternehmen benutzt werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, dem entgegenzutreten: Ich habe dem G-7-Gipfel vorgeschlagen, dass man mehr Transparenz in den Markt bringt. Das ist seinerzeit gescheitert an Großbritannien, an den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich hoffe, dass da ein Nachdenkensprozess einsetzt. Warum haben wir das gemacht? -

Aber das ist Ihnen ja schon in Deutschland nicht gelungen. Sie haben ja hier auch schon versucht, Stromkartelle aufzubrechen. -

Schröder: - Moment. In dem Ölpreis sind, je nachdem welchen Experten man fragt, etwa 20 bis 30 Dollar von den 70 (Dollar), die er kostet, reine Spekulation. (Das) hat nichts mit Verbrauch, nichts mit Produktion zu tun. Und genau da müssen wir ran. Das wird gegenwärtig von den Interessenten in London, in New York verhindert. Und ich hoffe, dass wir da weiterkommen. Das ist der internationale Ansatz. Wir haben auf der anderen Seite in der Tat, keine Möglichkeiten die Preisgestaltung der Konzerne maßgelblich zu beeinflussen, denn das sind Marktgesetze, nach denen die ablaufen.

Warum ist Strom in Frankreich und in der Schweiz billiger?

Schröder: Ich sage Ihnen das gerne: -

Und zwar 25 Prozent billiger. -

Schröder: - Wir haben auf der andere Seite ja damit begonnen, weil wir mittel- und langfristig denken, dafür zu sorgen, dass aus den Preisen, die Strom bei uns kostet wirklich die erneuerbaren Energien gefördert werden. Das ist doch nun wahrlich eines der Markenzeichen von Rot-Grün, vielfach angefeindet von CDU, von FDP, von allen in der Gesellschaft, die gesagt haben, lasst das nach mit der Förderung der Windenergie. Im Übrigen ist das gar nicht der Schwerpunkt, sondern die Förderung der Solarenergie ist der Schwerpunkt. Wir machen das weiter, weil wir weg müssen vom Öl, weiter weg als bisher. Das ist doch gar keine Frage. Wir sind es gewesen, die die bessere Beimischung von Äthanol bei Benzin, von Biomasse in Diesel vorangebracht haben. Das muss ausgebaut werden. Wir müssen früher zu mehr kommen, als ihr die Europäer uns gegenwärtig gestattet. Das sind die Punkte, die ich sagen kann. Und im Übrigen müssen wir schauen, ob wir, denjenigen, die es nicht selber bezahlen können, sozialpolitisch helfen können. Ich sehe keine andere Möglichkeit.

Das heißt, Sie wollen also Menschen, die die Nebenkosten nicht bezahlen können, etwas unter die Arme greifen? Verstehe ich das richtig?

Schröder: Nein, darum geht es ja nicht. Es ist ja heute schon so, wenn Sie sich mal anschauen, beim Arbeitslosengeld II zum Beispiel wird für Heizung und wird für Wohnung natürlich zusätzlich zum Regelsatz von dem man leben muss, etwas gegeben. Das kann sein, dass das aufgrund der Tatsache, dass diese Profitgier da besteht, nun wirklich steigen wird. Das sind aber die Möglichkeiten, die der Staat hat. Mehr sollte man den Leuten auch nicht vormachen.

Dann haben wir das auch erfahren und kommen zu einem nächsten Thema, Frau Merkel, und zwar dem der Koalitionen, der politisch möglichen Koalitionen. Ein Zitat von ... Edmund Stoiber, der gesagt hat, dass er nicht möchte, dass die Frustrierten im Osten wieder die Wahl entscheiden. Hat er nicht insofern sogar Recht, als dass sie mit 25 bis 30 Prozent ja Linkspartei wählen und eigentlich für diese schwarz-gelbe Konstellation eine echte Gefahr bedeuten?

Merkel: Wir werben um jede Stimme und zwar in Ost und West, in Nord und Süd. Das versteht sich von selbst. Und ich kann nur sagen, alle sind wichtig: Die, die über 60 sind, die ihre Hoffnungen in uns setzen, genauso wie die Menschen in den neuen Bundesländern, von denen viele enttäuscht sind. In sieben Jahren Rot-Grün ging es in den neuen Ländern kaum aufwärts. Die Schere ist größer geworden zwischen Ost und West, was das Wachstum anbelangt. Und insofern haben viele Menschen dort Sorgen. Und ich werde bis zum letzen Tag darum kämpfen. Aber wenn es um Koalitionen geht, dann kann ich nur sagen, wir arbeiten für einen Wechsel und zwar für einen vollkommenen, kompletten Politikwechsel in Deutschland von CDU und CSU, gemeinsam mit der FDP. Wir haben ganz reale Chancen, dass wir das schaffen können. Und dann werden die Weichen auch wieder aufwärts gestellt, damit es Deutschland besser geht. Und das ist meine Option und ich glaube, dass wir sehr, sehr gute Chancen haben, die Wähler zu überzeugen.

Gleichzeitig, Herr Bundeskanzler, fragen sich die Menschen im Moment: Rot-Grün hat keine Mehrheit nach den jetzigen Umfragen - ich weiß, Sie wollen nicht die Umfragen gewinnen, sondern die Wahlen, 14 Tage haben Sie ja noch Zeit dafür, was zu tun - trotzdem, es sieht eher danach aus, wenn Sie eine Mehrheit zustande bringen - Sie wollen ja auch keine große Koalition -, dass es dann eine Koalition mit der Linkspartei wäre. Sagen Sie uns hier: Mit mir und mit der SPD wird es keine rot-rote Koalition geben.

Schröder: Das kann ich Ihnen definitiv sagen. Das ist nicht nur von mir gesagt, sondern von der gesamten SPD-Führung. Das hat Gründe. -

Damit geben Sie aber die Chancen auf, weiter Regierungsbeteiligung zu haben. -

Schröder: Na Moment, das hat Gründe und der Grund liegt einfach darin, dass mit dieser Partei kein Staat zu machen ist. Sie haben Illusionen, was Wirtschaftspolitik im nationalen Maßstab angeht. Und sie würden außenpolitisch Deutschland isolieren, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gäbe. Das können Sie ausschließen. Nein, in der Tat, ich will mich anstrengen, um meine Arbeit in dieser Koalition, die ich führe, fortsetzen zu können. Nun kann man ja sagen, die Meinungsumfragen sind nicht rosig. Das will ich auch gerne zugestehen. Aber wissen Sie, ich habe noch nie vor Zeit aufgegeben. Das hat mein ganzes Leben gekennzeichnet. Ich tue das auch diesmal nicht. Und ich bin ziemlich sicher, das wir eine reelle Chance haben, das Blatt noch zu wenden. Und dem opfere ich meine gesamte Zeit und meine Kraft und gehen Sie mal davon aus, dass die ganz erheblich ist.

Frau Merkel, ziehen wir mal ein bisschen Bilanz: Rot-Grün hat die Politik verändert, Sie sagen vieles zum Schlechteren. Aber vielleicht gibt ja auch etwas Positives. Daniel Cohn-Bendit sagte kürzlich: Eine Frau als mögliche Kanzlerin und ein homosexueller Liberaler an der Spitze des Regierungspartners FDP, das wäre ohne Rot-Grün undenkbar gewesen. Sind Sie Herrn Schröder nicht auch ein bisschen dankbar, dass sich aus diesem ja oft sehr biederen Deutschland ein weltoffenes Klima geschaffen hat?

Merkel: Also ich finde es sehr realitätsbezogen, dass sich Herr Cohn-Bendit mit der Frage auseinandersetzt, dass ich Bundeskanzlerin sein werde, denn der Bundskanzler hat ja deutlich gesagt, dass er weder die große Koalition möchte noch ein Zusammengehen mit der Linkspartei. Und das heißt nichts anderes, als dass er in 14 Tagen keine Rolle mehr spielen wird in der Sozialdemokratischen Partei. Im Übrigen gibt es da Herrn Wowereit, der bereits davon träumt, ab 2009 mit der Linkspartei zu kooperieren. Und das hießt, so wie ich Herrn Wowereit kenne, der aus der großen Koalition zu den Linken übergelaufen ist, und heute mit der PDS zusammenarbeitet, dass er das natürlich sofort auch propagieren würde, wenn sich die Gelegenheit dazu gibt. Deshalb kann ich den Wählern nur sagen: Wählen Sie die Frau als Kanzlerkandidatin bei CDSU und CSU und FDP. Und Herr Cohn-Bendit ist herzlich eingeladen, sich an einer zukunftsfähigen Entwicklung in Deutschland weiter mit zu beteiligen. Was nun das Ergebnis von Rot-Grün anbelangt. Ich wurde neulich schon mal gefragt, ob ich ein Produkt von Rot-Grün bin. Da kann ich nur sagen, wenn ich ein politisches Produkt bin, dann eines der deutschen Einheit. Darauf bin ich stolz, gesamtdeutsche Politikerin mit ostdeutschen Wurzeln zu sein, und ansonsten bin ich ein Produkt meiner Eltern und darauf bin ich auch stolz.

Herr Schröder, es gab mal eine Zeit, da schien es sich bei Ihnen und Ihrem Außenminister Fischer um eine echte Männerfreundschaft zu handeln. Es kam der 22. Mai, die Wahlen in NRW, und fortan war nichts mehr als rot-grünes Hauen und Stechen. Es war, als würde man - ich wundere mich, dass Sie erstaunt schauen, Sie haben doch auch Zeitung gelesen, in der Zeit, was man sich so hin und herwarf. Woher kommt das? Woher kommt das, und es fragen sich viele Menschen, dass das plötzlich zerplatzt?

Schröder: Nein, da ist nichts geplatzt, also die persönlichen Beziehungen zwischen meinem Außenminister und mir sind intakt wie je zuvor.

Man sieht Sie so selten zusammen.

Schröder: Nein, nein wir telefonieren besser. Also nun muss ich Ihnen sagen, dass man uns so selten zusammen sieht, das Können Sie vielleicht nachvollziehen: Der ist in seinem Bus unterwegs, jeden Tag 12 und mehr Stunden, ich bin ähnlich unterwegs jeden Tag. Also dass wir kaum Zeit für ein Tete-a-tete haben, da seien Sie mal sicher, das hat nun wirklich etwas mit dem Wahlkampf zu tun. Und im Übrigen: Wir telefonieren fast täglich wegen der außenpolitischen Fragen, die auftauchen, und was wir damit machen. Das ist doch selbstverständlich. Und dass es in einer solchen Situation auch Hickhack zwischen Parteien gibt, das ist doch klar. Jede Koalitionspartei - das war immer so, in jeder Koalition - kämpft für sich selbst, für die eigene Stärke. Und dann wird abgerechnet zum Schluss. Und dann guckt man, wie groß die Schnittmengen für gemeinsame Politik sind. Das wird hier auch wieder so sein. Und noch einmal: Ich rate dringend, nicht so zu tun, Frau Merkel, zwei Wochen vor der Wahl, als wäre sie schon gelaufen. Das ist auch mangelnder Respekt vor den Wählern und das sollte man nicht haben. Ich habe ganz ähnliche Erfahrungen 2002 gemacht. Da ist Ihr Kollege und sicher auch Freund, Herr Stoiber, bereits Bundeskanzler gewesen, auch überall so ausgerufen worden. Und vielleicht hat ein Teil der außerordentlich unanständigen Vorwürfe gegenüber den Menschen aus dem Osten, auch was, (was) mit seinem Frust zu tun. Das könnte mindestens sein. Ich will das jedenfalls nicht ausschließen.

Ich glaube, wir machen da jetzt ein Fass auf, über das wir noch ungefähr eine halbe bis Dreiviertelstunde diskutieren können. Und Frau Merkel ganz kurz noch -

Merkel: - Ich habe auf die Frage von Herr Cohn-Bendit, Herr Kloeppel, eine Sekunde, ich habe auf die Frage nach Cohn-Bendit geantwortet und ich habe von Ihnen in der "Zeit" gelesen, dass Sie deutlich gemacht haben, Rot-Grün passte nicht in diese Zeit.

Schröder: Was man alles so liest. -

Merkel: - Ja, was man alles so sagt, was man vor allen Dingen alles so sagt. Das Zitat war nämlich von Ihnen, Sie hatten sich weit abgewendet und Sie haben ja eben auch deutlich gemacht, Sie telefonieren wegen der Außenpolitik mit Ihrem Außenminister. Aber -

Schröder: - Ja was, soll ich wegen des Wahlkampfes telefonieren, oder was? Den muss er schon alleine machen. -

Merkel: Das ist genau das Problem. Rot-Grün hat sich auseinandergelebt, aber noch schlimmer: Der Kanzler und seine Fraktion haben sich auseinandergelebt. Deshalb diskutieren wir nämlich heute hier miteinander und nicht erst nächstes Jahr. Und das ist die Wahrheit und das müssen die Wähler auch wissen. Wir hätten keine Neuwahlen, wenn es einen Bundeskanzler gäbe, dem seine Fraktion folgt. Das tut sie nicht.

Frau Merkel, damit haben wir jetzt etwas geschafft, wovon wir niemals geglaubt hätten, dass es möglich wäre, wir stoppen jetzt hier unsere Uhr... Es ist unglaublich, aber es ist tatsächlich so: Die Redezeit ist fast auf die Sekunde genau die gleiche und wir hatten uns vorgenommen, dass wir nach 90 Minuten insgesamt Schluss machen... Wir wollen Ihnen beiden die Möglichkeit geben, zu einem Schlusswort an die Wähler. Herr Bundeskanzler.

Schröder: Ich bitte um neues Vertrauen für meine Politik, eine Politik, die die sozialen Sicherungssysteme neu justiert, damit sie auch für unsere Kinder und deren Kinder noch das Maß an Sicherheit bieten können, was menschenmöglich ist. Ich bitte um neues Vertrauen für eine Politik, die die Schöpfung bewahrt, weil sie die ökologischen Notwendigkeiten früher als andere erkannt hat, eine Energiepolitik betreibt, die bewusst auf erneuerbare Energien setzt. Und ich bitte um Vertrauen für meine Politik, damit ich Deutschland weiter führen kann als ein Land, das als mittlere Macht seine Aufgabe darin sieht, den Ärmsten der Armen zu helfen und die Konflikte dieser Welt friedlich zu lösen und Deutschland aus überflüssigen Kriegen wie den im Irak wirklich heraushält. Das ist meine Bitte an die Wähler und dafür stehe ich.

Das Wort der Herausforderin, Frau Merkel bitte.

Merkel: Ja, liebe Wähler in zwei Wochen werden Sie Ihre Entscheidung über die Wahl fällen und vielleicht hilft Ihnen die Beantwortung einiger Fragen bei Ihrer Entscheidung: Geht es unserem Land heute besser als vor sieben Jahren als Rot-Grün antrat? Ist das Wachstum höher? Ist die Arbeitslosigkeit niedriger und haben wir weniger Bürokratie? Sind unsere Rente, Pflege und Gesundheit sicherer? Wenn Sie alle diese Fragen mit Ja beantworten, dann haben Sie Ihre Wahlentscheidung wahrscheinlich gefällt, aber wenn Sie Zweifel haben, wenn Sie nicht wollen, dass es einfach so weitergeht, dann haben Sie die Wahl mit CDU und CSU. Wir wollen nach innen, dass wir Vorfahrt für Arbeit haben, dass wir sagen, sozial ist, was Arbeit schafft und unsere Kinder eine bessere Zukunft haben. Wir wollen nach außen ein starker verlässlicher Partner sein in einem Europa der Bürgerinnen und Bürger, einem Europa, das seine Grenzen klar definiert. Und, liebe Bürger, ich kann Ihnen nicht versprechen, alle Probleme von einem Tag auf den anderen zu lösen, aber ich sage vor der Wahl, was wir nach der Wahl tun werden. Und ich bin überzeugt, in Deutschland steckt mehr. Die Menschen in diesem Lande können mehr. Wir müssen unsere Chancen nutzen. Dafür bitte ich um ihr Vertrauen.

Ganz herzlichen Dank, Frau Merkel, ganz herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler, herzlichen Dank auch an die Kolleginnen...

Schröder: Wie lange war eigentlich Ihre Redezeit?

Das spielt keine Rolle, um uns geht es hier nicht...

Schröder: Ach, das wird nicht gestoppt.

38 plus 38 gibt zusammen 76 und bis 90 fehlen dann noch 14 (Minuten) ...

 


 



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