DW AltaVista Translation


2005/10/24 (22:56) from 129.206.196.182' of 129.206.196.182' Article Number : 263
Delete Modify FAZ Access : 2077 , Lines : 67
Wo Deutschland einen guten Klang hat





Gastland Südkorea
Wo Deutschland einen guten Klang hat
Von Anne Schneppen, Seoul


17. Oktober 2005 Ein Abendessen mit Informationsminister Kim Chang-ho. Südkoreas oberster Regierungssprecher reist zum ersten Mal nach Deutschland, zur Frankfurter Buchmesse. Höfliche Fragen zur innenpolitischen Lage, zu Reformen und Wirtschaft.


Dann wird das Gespräch persönlich, und Kim erzählt von seiner Dissertation zur deutschen Philosophie, über Habermas und Heidegger. Als er noch Journalist war, bei der Tageszeitung „Joong Ang Ilbo”, versuchte er, zu Habermas Kontakt aufzunehmen, schickte ihm einige Fragen per Fax nach Frankfurt - und wunderte sich, daß er eine Antwort bekam.

In der Stimme schwingt fast ein wenig Ehrfurcht mit, wenn der Minister, dessen oberste Aufgabe es heute ist, die richtigen Antworten zu geben, davon erzählt, daß er damals die richtigen Fragen gestellt hat. Das jedenfalls habe ihm Habermas bei einem späteren Treffen in Korea zu verstehen gegeben.

Mehr als 20 Übersetzungen des „Faust”

Nach innigem Verständnis für deutsche Denker und Dichter muß man bei südkoreanischen Regierungsbeamten nicht lange suchen. Seouls Bildungsbürger schätzen Deutschland nach wie vor. In Tokio sitzt ein südkoreanischer Botschafter, der aus dem Stegreif Vorträge über Hegel halten kann. Im Außen- oder im Kulturministerium gibt es noch eine starke „deutsche Schule”. Zwar ist die Zahl der Studenten rückläufig, doch wird noch an 70 südkoreanischen Universitäten Germanistik gelehrt.

Vor allem Ältere geraten über Goethe ins Schwärmen, die „Italienische Reise” in koreanischer Sprache war 1997 ein Bestseller, der „Faust” ist in mehr als 20 Übersetzungen erhältlich. Auch modernere Literatur, wie Grass, Böll, Hesse und Rinser, wird gelesen. Kein anderes Land in Asien erwirbt so viele Übersetzungslizenzen für deutsche Literatur.

Noch lebendiger ist die Liebe zur klassischen Musik. Unter den Koreanern, die in Deutschland studieren möchten, ist die Gruppe der Musiker die stärkste. Das war der Anreiz für das Gemeinschaftsprojekt der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und der Kangnam-Universität, in diesem Jahr den ersten deutschen Musikstudiengang in Korea anzubieten.

Deutsch war mal zweite Fremdsprache

Deutsche Spuren durchziehen ihren Alltag, ohne daß es den meisten Koreanern bewußt ist. „Lotte” heißen Kaufhäuser, Schokolade und sozialistisch anmutende Apartmentblocks. Dahinter steckt die große Liebe eines koreanischen Geschäftsmannes und Goethe-Verehrers. Mit „hof” enden die Namen zahlreicher Kneipen, man findet in Seoul „Konditoreien” und eine Nachhilfeschule „Eins”.

Unter dem Etikett „Rosenheim” werden in Japan Würste verkauft, in Korea ist es Käse. Der japanische Bergsteiger kennt den „Rucksack”, der koreanische den „Schlafsack”, und beide wissen, was „Arbeit” ist. Seouler Hotels feiern Oktoberfest, das „Heideröslein” gehört zum Nostalgiker-Repertoire. Die Jugend aber orientiert sich eher an „Rammstein”, deren CDs in Korea hergestellt werden, mit koreanischem Cover und übersetzten Texten.

Deutsch war einmal die zweite Fremdsprache koreanischer Oberschüler. Noch 1980 entschied sich gut die Hälfte - nach dem Pflichtfach Englisch - für Deutsch, ein Viertel für Japanisch, knapp ein Fünftel für Französisch. Ähnlich wie andere asiatische Länder besinnt sich auch Südkorea inzwischen auf die Bedeutung der eigenen Region. Das steigende Interesse an den Sprachen der großen Nachbarn China und Japan drängt den Deutschunterricht an Schulen und Universitäten zurück. Heute lernt gut eine halbe Million koreanischer Schüler Japanisch; es folgen Chinesisch, Deutsch und Französisch. Englisch steht außer Konkurrenz.

Nahezu ausgeglichene Handelsströme

Deutschland ist in Südkorea weit präsenter als Südkorea in Deutschland - es ist eine ziemlich einseitige Liebe, und das, obwohl doch mehr als 30.000 Koreaner in Deutschland leben, gegenüber nur rund tausend Deutschen in Südkorea. Beim Studentenaustausch ist das Mißverhältnis noch deutlicher: 5.300 koreanische Studenten sind an deutschen Universitäten eingeschrieben, aber nur 80 deutsche an koreanischen.

Der erste koreanische Jura-Absolvent in Deutschland, Ahn Ho-song, der 1927 in Jena sein Examen ablegte, wurde nach dem Korea-Krieg Erziehungsminister. Krankenschwestern und Bergarbeiter kamen seit den sechziger Jahren zu Tausenden zum Arbeiten nach Deutschland, nicht wenige politische Dissidenten suchten in der Zeit der Militärregime dort Zuflucht.

Ihre Kinder sind im Geiste längst Deutsche. Obwohl man bei der großen Menge koreanischer Elektronik in Deutschland den Eindruck gewinnen könnte, Korea exportiere mehr nach Deutschland als umgekehrt, waren die Handelsströme im Jahr 2004 nahezu ausgeglichen und betrugen 16,8 Milliarden Dollar. Deutschland ist der viertgrößte Handelspartner, die Europäische Union der größte Investor in Korea.

Deutschlands Westen war Synonym für Freiheit

Ein Handelsreisender war der erste Deutsche, der nachweislich Fuß auf koreanischen Boden gesetzt hatte. Der Missionar Karl Friedrich August Gützlaff kam im Juli 1832 an Bord einer englischen Fregatte. Der Jurist und Sinologe Paul-Georg von Möllendorff wurde 1882 zum ersten westlichen Berater des koreanischen Königshofes ernannt. Das Rechtssystem und die Medizin erfuhren deutsche Einflüsse, nicht zuletzt über den Umweg Japan.

Waren bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr Deutsche in Korea tätig, so drehte sich das Verhältnis mit der Nachkriegszeit. Das deutsche Wirtschaftswunder lockte nicht nur viele Menschen, sondern gab koreanischen Führern - aus der Distanz reichlich verklärt - Ziele für den eigenen Aufschwung. Für General Park Chung-hee, der 1961 durch einen Militärputsch an die Macht kam, diente die Bundesrepublik als Wirtschaftsmodell.

Zwei Jahre vor seinem offiziellen Deutschlandbesuch widmete er dem Land ein Buchkapitel: „Das Wunder am Rhein und das deutsche Volk.” Aus jener Zeit rührt wohl die bei der älteren Generation noch immer gefestigte Vorstellung deutscher Tugenden: Ordnungsliebe, Fleiß, Effizienz und Disziplin. Für viele Südkoreaner war Deutschlands Westen zu dieser Zeit aber auch ein Synonym für Freiheit. Zahlreiche Intellektuelle gingen dorthin ins Exil.

Deutsche Vereinigung wird kritisch beäugt

Der Komponist Isang Yun wurde nach seiner Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst deutscher Staatsbürger. Trotz aller geographischen Distanz empfindet man in Korea bis heute wegen des gemeinsamen Schicksals der Teilung Nähe und Sympathie. Die Existenz zweier deutscher und zweier koreanischer Staaten bestimmte auch das Verhältnis zueinander, wobei Ost-Berlin und Pjöngjang schneller zueinander fanden als Seoul und Bonn.

Heute ist es der Kraftakt der deutschen Vereinigung, der in Südkorea mit gemischten Gefühlen verfolgt wird. Es gibt kaum ein Gespräch, in dem ein Deutscher in Seoul nicht darauf angesprochen wird: Es beginnt mit einer höflichen Frage, aus welchem Teil Deutschlands man komme und wie man die Fortschritte beurteile. Doch die Nachfragen verraten, daß sich hinter den Glückwünschen nicht nur Bewunderung verbirgt, sondern große Skepsis.

Es interessieren eher die Schwierigkeiten

Sicher hat Südkorea aus der deutschen Einheit vor allem die Lehre gezogen, daß diese im eigenen Land so schnell nicht kommen soll. Rasch werden die Fakten verglichen und von ihnen abgeleitet, daß Deutschland nur begrenzt ein Modell sein kann: Das Bevölkerungsverhältnis lag in Deutschland bei etwa vier zu eins, in Korea liegt es bei zwei zu eins.

Und während die Wirtschaft der ehemaligen DDR innerhalb des Warschauer Paktes noch eine der solidesten war, ist Nordkoreas durch und durch marode und kann nicht einmal die eigene Bevölkerung ernähren. Auch hat Südkorea nicht jene ökonomische Leistungskraft der Bundesrepublik im Jahr 1989. Das lähmt den Enthusiasmus, auch wenn die Wiedervereinigung nach wie vor das theoretische Fernziel ist. Die Regierung von Roh Moo-hyun setzt auf die Maxime „Frieden und Wohlstand” sowie einen längerfristigen Prozeß der Entspannung und Öffnung.

Das Jubiläum der deutschen Einheit war für koreanische Fernsehsender Anlaß für eine Fülle von Dokumentationen und Reportagen. Dabei wurden weniger die Leistungen als die Schwierigkeiten des Zusammenwachsens aufgezeigt: Arbeitslosigkeit, Armut, Ostalgie und die Wahlerfolge der PDS vor dem Hintergrund einer nationalen Wirtschaftsmisere. Der in Südkorea über solche Berichte nachsinnende Zuschauer dürfte sich davon kaum ermutigt fühlen.


Text: F.A.Z., 18.10.2005
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Backward Forward Post Reply List
http://theology.co.kr