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2005/10/25 (07:59) from 129.206.196.182' of 129.206.196.182' Article Number : 265
Delete Modify Welt Access : 1892 , Lines : 43
Ferner Nachbar




Ferner Nachbar
Südkorea ist das Gastland der 57. Frankfurter Buchmesse. Ein Streifzug durch seine Literaturlandschaft
von Uwe Wittstock

Korea war einmal weit weg. Ein Bauernland mit ungastlichem Klima, von Diktatoren gepeinigt, eingekeilt irgendwo zwischen Japan und China. Es gab nicht viele bei uns, die sich für die Menschen dort interessierten, von deren Literatur ganz zu schweigen.

1893 erschien in Leipzig ein erstes Büchlein mit koreanischen Legenden und Märchen. Seither sind in gut hundert Jahren gerade einmal gut hundert Titel aus dem Koreanischen ins Deutsche übersetzt worden - obwohl doch hierzulande jährlich mehrere zehntausend Neuerscheinungen den Buchmarkt überfluten. Kann es sein, daß wir noch immer glauben, Korea sei weit weg?


Das wäre eine Illusion. Korea ist nicht nur zwölf Flugstunden nahe an uns herangerückt, es hat auch als Wirtschaftsmacht längst bis auf Schulterhöhe zu uns aufgeschlossen. Unser sanfter Sinkflug im Ranking der Industrienationen und Südkoreas ungestümer Aufstieg hat beide Länder auf Augenhöhe gebracht.


So ist die große Selbstpräsentation der koreanischen Literatur auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt nicht allein eine Gelegenheit für die Gäste, sich darzustellen, sondern mindestens ebensosehr eine Chance für uns, endlich die Kultur eines fernen Nachbarn kennenzulernen.


Als kleine Entschuldigung für unsere Borniertheit läßt sich anführen, daß Südkorea fast zwei Jahrzehnte lang das Ausland von der eigenen Literatur wenig wissen ließ. Nachdem in den sechziger Jahren das Militär geputscht hatte, gingen die Schriftsteller in die Opposition - und wurden folglich international nicht mehr vorgezeigt.


Das Land konzentrierte sich damals ausschließlich auf sein Wirtschaftswunder und seinen zähen Kampf um die Rückkehr zur Demokratie. Wer damals in Südkorea Romane, Gedichte oder Stücke schrieb, schrieb für seine Landsleute und gegen die Generäle im Präsidentenamt. Ausländer waren bei all dem selten mehr als exotische Zaungäste.


Seit dem Ende der Militärdiktatur zu Beginn der neunziger Jahre hat sich das gründlich geändert. Yun Daenyeong zum Beispiel, 1962 geboren, debütierte damals mit seinem Erzählungsband "Forellenangeln Kommunikation". In seinen Geschichten war von Politik kaum noch die Rede. Statt dessen von ruhelosen jungen Leuten, die das Leben im modernen Korea mit Verwunderung betrachten, die viel reisen und doch nie das Gefühl kennenlernen, irgendwo angekommen zu sein. Damit stieg er, so berichten koreanische Literaturkritiker, zu einem Star des Kulturbetriebs auf.


Wer Yun Daenyeong heute trifft, bekommt gleich ein Team des koreanischen Fernsehens dazu. Im Stadtpark von Seoul dirigiert es einen samt Dolmetscher unter einen riesigen Ginko-Baum, der die Kulisse abgeben soll für eines der üblichen Ost-trifft-West-Interviews. Wie ein Star tritt Yun nicht auf, eher wie ein Forscher, der sich selbst zu seinem Forschungsgebiet erklärt hat. Manchmal erinnert er im Gespräch an jene deutschen Schriftsteller, die nach dem Ende der Studentenbewegung mit der Politisierung der Literatur Schluß machten, um in ihren Büchern eine "Neue Sensibilität" einzuklagen.


Gong Jiyoung dagegen ist von robusterer Natur. 1963 geboren, hat sie als Studentin an der Protestbewegung gegen das Militärregime mitgearbeitet und schreibt noch heute über die Erfahrungen jener Jahre. Sie gilt als die große Feministin der koreanischen Literatur. Als sie sich vor zwanzig Jahren scheiden ließ, sei dies im patriarchalischen Korea ein unvorstellbarer Skandal gewesen, sagt sie und lacht: "Heute bin ich zum dritten Mal geschieden und niemanden kümmert's." Bald, so schwärmt sie mit dem unbeirrten Optimismus der politischen Aktivistin, werde auch Südkorea - wie jetzt Deutschland - die erste Frau als Regierungschefin haben. Und dazu lacht sie nicht, das meint sie ganz ernst.  

Gerade Mitte Dreißig ist Han Kang. Wie viele westliche Schriftsteller ihres Alters scheint sie nichts so sehr zu fürchten, wie in die üblichen Kategorien des Kulturbetriebs eingeordnet zu werden. Ihre Literatur sei, meint sie, weder politisch noch unpolitisch, weder modern noch postmodern, weder feministisch noch antifeministisch. Sie möchte, lautet ihr Motto, ausschließlich von den ernstesten Dingen im Leben ihrer Figuren schreiben. Und deren Leben unterscheidet sich in der Metropole Seoul - in der heute zwölf bis 14 Millionen Menschen leben, genau weiß das niemand - nicht mehr viel vom Leben in den Metropolen Europas oder Nordamerikas. Zumal die Jüngeren, die sich wie Han Kang so gern als Individuen betrachten, sehen ihren westlichen Altersgenossen zum Verwechseln ähnlich, sitzen bei "Starbucks", hämmern Nachrichten in ihre Handys, zirkeln an ihren Karrieren und haben neuerdings immer weniger Lust, Familien zu gründen.


Literatur, die vor diesem Hintergrund entsteht, könnte also viel Vertrautes für uns haben. Daß Bücher aus Südkorea trotzdem von exotischer Seltenheit sind in unseren Buchläden, liegt nicht zuletzt am Mangel an qualifizierten Übersetzern. Es gibt buchstäblich kaum einen Deutschen, der so gut Koreanisch beherrscht, daß er Literatur übersetzen könnte. In Südkorea hat man dieses Problem erkannt, und man geht es mit jener Gründlichkeit an, mit der das Land auch seinen Wirtschaftsaufstieg betreibt. Zwei Organisationen sind gegründet worden, eine staatliche und eine private, die sich anschicken, die koreanische Literatur in alle Welt zu senden. Sie wird dort ankommen, früher oder später. Soviel ist sicher.

Die Reise kam auf Einladung des Korea Literature Translation Institute zustande.


Artikel erschienen am Di, 18. Oktober 2005

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