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2005/12/22 (05:21) from 129.206.196.141' of 129.206.196.141' Article Number : 294
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Held oder Halunke
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DIE ZEIT
 

Held oder Halunke

Der südkoreanische Klonpionier Hwang Woo-Suk soll gefälscht haben. In der Biomedizin geht es um viel Geld – und darum, der Erste zu sein. Der gnadenlose Wettlauf droht, das ganze Forschungsfeld in Misskredit zu bringen

Von Ulrich Bahnsen

Dienstag vergangener Woche ging es ungewohnt hektisch zu in den Redaktionsbüros von Science. Da war eine als »letter« deklarierte Stellungnahme bei dem Wissenschaftsmagazin in Washington eingetroffen, geschrieben von acht international anerkannten Stammzellforschern, unter ihnen der Dolly-Vater Ian Wilmut. Das Papier enthielt ein kühl formuliertes Ultimatum an den ins Zwielicht geratenen koreanischen Klonforscher Hwang Woo-Suk. Wilmut und Kollegen verlangten von dem als Klonkönig von Seoul berühmt gewordenen Forscher, er möge ihnen seine angeblich geklonten embryonalen Zelllinien zur Prüfung aushändigen. Im letzten Satz des Textes stand das MWort: »misconduct«, zu Deutsch: Fehlverhalten. Deutlicher kann man unter Kollegen nicht werden.Noch lächelt er, der Klonkönig© Jea-Hyun Kim/Sinopix/laif BILD

Spätestens da musste jedem klar sein, dass der Shooting-Star der Klonforscher unter massivem Verdacht stand. Der Vorwurf: Er habe Daten geschönt, gefälscht, seine geklonten Zelllinien seien womöglich zum größten Teil frei erfunden.

Die Stammzellforscher hatten sich an Science gewandt, weil das Blatt jene Arbeiten des koreanischen Forschers veröffentlicht hatte, die nun unter Fälschungsverdacht geraten sind. Im Februar 2004 hatte Hwangs Team von der Seoul National University berichtet, ihm sei erstmals die Herstellung von embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) aus einem geklonten menschlichen Embryo gelungen. Kurz darauf, im Mai dieses Jahres, publizierte der Koreaner die zweite Ruhmestat: Man habe ES-Zellen von elf schwer kranken Patienten geklont.

Wie ernst Science die Zweifel nimmt, zeigt die Reaktion auf das Ultimatum der acht Forscher. Nach wenigen Stunden akzeptierte Chefredakteur Donald Kennedy das Papier und gab es umgehend als Science Express-Veröffentlichung auf der Internet-Seite des Magazins frei. Vermerk: eingegangen 13. Dezember, akzeptiert 13. Dezember, veröffentlicht 13. Dezember. So schnell geht das sonst nicht, weder bei Science noch bei anderen wissenschaftlichen Publikationsmedien.

Hwang gibt immer nur so viel zu, wie er gerade muss

Nun herrscht in der Forschergemeinde Entsetzen: »Ich kann es gar nicht fassen«, sagt der Stammzellforscher Rudolph Jaenisch vom Whitehead Institute im amerikanischen Cambridge, »wenn die Vorwürfe stimmen, wäre es einer der größten Skandale, von denen man je gehört hat.« Seinen Kollegen Hans Schöler hat derweil eine »fast depressive Stimmung« erfasst. »Bald gehe ich ins Kloster und meditiere für die Biologie«, klagt der Direktor des Münsteraner Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin. Bislang hatte er den Südkoreaner stets gegen Vorwürfe verteidigt, nun aber ärgert sich Schöler über Hwangs salamitaktische Art, Geständnisse abzuliefern: »Er gibt immer nur gerade so viel zu, wie er unbedingt muss.«

Erst die rigorose Untersuchung der Zelllinien aus Hwangs Labor – wenn es sie denn überhaupt gibt – kann Klärung in der Affäre bringen. Dazu müssten allerdings aufwändige genetische Untersuchungen, so genannte Mikrosatelliten-Analysen, von unabhängigen Experten durchgeführt werden. Jede Arbeit aus Hwangs Labor, prophezeit Jaenisch, sei »nun infrage gestellt«. Schon hat Science angekündigt, auch das erste Klonpapier des Koreaners prüfen zu wollen.

Bestätigen sich die Vorwürfe, würde wohl nicht nur die koreanische Wissenschaft in Mitleidenschaft gezogen. »Das könnte auf die ganze ES-Zellforschung zurückschlagen«, befürchtet Ernst-Ludwig Winnacker, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Gerade die Biomedizin hält der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart gleich aus mehreren Gründen für ein besonders anfälliges Feld für Fälschungen. Das Tempo einer Veröffentlichung spiele hier eine enorme Rolle. »Es kann für eine Karriere entscheidend sein, ein paar Tage früher mit seinem Ergebnis auf dem Markt zu sein als ein Kollege, der auf dem gleichen Feld forscht«, sagt Weingart, der das Institut für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Bielefeld leitet. Nirgendwo werde so viel publiziert und so häufig zitiert wie in der Biomedizin. Und: Es gehe inzwischen um sehr viel Geld. »Das sind Größenordnungen, von denen sich andere Disziplinen keine Vorstellung machen.«

Hwang genoss in seiner Heimat fast uneingeschränkte Möglichkeiten zum Forschen. Nun ist er schwer angeschlagen. Sollte sich herausstellen, dass der Koreaner wirklich Zelllinien erfunden hat, ist ihm die wissenschaftliche Höchststrafe sicher, die lebenslange Verachtung der Kollegen.

Gleichsam über Nacht war aus dem zuvor kaum bekannten Veterinärmediziner ein Superstar geworden, eine Galionsfigur der aufstrebenden koreanischen Nation (ZEIT Nr. 22/05 und 25/05). Weltweit wurde er als Heilsbringer gefeiert, Millionen chronisch Kranke erhofften sich von seinen Forschungserfolgen Genesung. Die koreanische Post druckte eine Sonderbriefmarke; sie zeigt einen Gelähmten, der geheilt aus seinem Rollstuhl springt.

Als im Oktober in Seoul das World Stem Cell Hub aus der Taufe gehoben wurde, schien Hwang auf der Höhe seines Ruhms. Diese Stammzellbank sollte Forschern aus aller Welt ermöglichen, künftig an hundert geklonten Zelllinien von Patienten zu forschen. Unter Hwangs Leitung, versteht sich.

In Wahrheit war der »Klonkönig von Seoul« auf seinem Höhenflug bereits ins Trudeln geraten, und die ganze Zunft rätselt heute, was mit dem bescheiden wirkenden Mann geschehen ist. Hat er den schnellen Ruhm nicht ertragen? Hat ihn der Druck zermürbt, unrealistische Hoffnungen von Kranken erfüllen zu müssen? Die Erwartungen der Geldgeber im Ministerium?

Gerüchte über Unregelmäßigkeiten in seinem Labor kursieren seit Mai 2004. Ausgelöst hatte sie ein Bericht des britischen Fachblatts Nature. Hwang dementierte, mehrmals. Doch er konnte nicht verhindern, dass die Anschuldigungen langsam zum Skandal hochkochten: Seit fünf Wochen werden in Seoul täglich frische Vorwürfe und halb gare Richtigstellungen herumgereicht. Hauptakteure neben Hwang sind dessen wichtigste Kooperationspartner, der Reproduktionsmediziner Roh Sung Il, Chef des Mizmedi-Krankenhauses in Seoul, und der amerikanische Stammzellforscher Gerald Schatten von der University of Pittsburgh.

– Schatten verursacht am 12. November den ersten großen Knall, als er sich via Presseerklärung von Hwang distanziert und die Zusammenarbeit mit einer nebulösen Begründung für beendet erklärt. Er sei von dem Koreaner getäuscht worden.

– Am 21. November räumt Roh öffentlich ein, er habe zwanzig Frauen mit je rund 1200 Euro entlohnt, damit diese Eizellen für Hwangs Klonprojekt spenden. Dies sei allerdings ohne Hwangs Wissen geschehen.

– Hwang gesteht am 24. November, was er lange geleugnet hat: dass auch zwei seiner Labormitarbeiterinnen gegen seinen Willen und ohne sein Wissen Eizellen gespendet hätten. Er habe erst später davon erfahren. Hwang legt alle Beratungsämter bei der Regierung und den Vorsitz des World Stem Cell Hub nieder. Korea verharrt in Schockstarre.

– Wenige Tage später kündigt der koreanische Sender MBC-TV einen Bericht über wissenschaftliches Fehlverhalten bei Hwang an. Nach massiven Protesten von Hwang-Fans und Boykottdrohungen gegen Firmen, die in dem Sendeformat werben, zieht MBC den kritischen Bericht zurück und entschuldigt sich am 4. Dezember für angeblich unlautere Reportagemethoden.

– Am 13. Dezember schreibt Schatten an Science und verlangt, man möge seinen Namen von der Autorenliste der Veröffentlichung vom Mai 2005 streichen. Science lehnt das Ansinnen ab.

– Drei Tage später, am Freitag der vergangenen Woche, behauptet Roh öffentlich, Hwang habe Fälschungen eingestanden. Neun seiner elf geklonten Stammzelllinien seien frei erfunden, die Herkunft der beiden anderen fragwürdig. Noch am selben Abend dementiert Hwang. Es habe zwar Datenmanipulationen gegeben, einige seiner Zellkulturen seien mit Pilzen infiziert und unbrauchbar. Die übrigen sechs würden derzeit kultiviert und könnten in zehn Tagen getestet werden. »Wir verfügen über die Technologie zur Erzeugung von geklonten Stammzellen und können jederzeit neue erzeugen«, beteuert der Forscher.

– Science gibt am selben Tag bekannt, dass Hwang und Schatten die umstrittene Arbeit über die elf patientenspezifischen Stammzellen vom Mai 2005 zurückziehen.

Wer sich bei einem Betrug ertappen lässt, hat keine zweite Chance mehr

In der Affäre spielt auch der Mann, der die ersten Vorwürfe erhoben hatte, eine höchst dubiose Rolle. Gerald Schatten habe sich Hwang seit Anfang des Jahres in geradezu peinlicher Weise an den Hals geworfen, heißt es in Forscherkreisen. Erst habe er sich als Co-Autor mitfeiern lassen – nun versuche er, den eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Die Kommentare über Schattens Rolle in der Forschergemeinde »gleichen Machetenhieben«, berichtet ein Insider. Und Science-Chef Donald Kennedy droht: Für etwaige Fälschungen in der umstrittenen Veröffentlichung werde auch Schatten zur Verantwortung gezogen werden.

Wer sich bei massivem Betrug ertappen lässt, erhält in der Wissenschaftlergemeinde keine zweite Chance. Niemand kooperiert mit ihm, keiner befürwortet seine Forschungsanträge, niemand begutachtet seine Arbeiten. Die rigorose Ausgrenzung von überführten Betrügern ist der einzige Schutz gegen Halunken in den eigenen Reihen. Zwar haben alle namhaften Fachblätter längst das so genannte peer review eingeführt – die Begutachtung durch unabhängige Fachleute. Doch diese Gutachter (peers) seien oft so überlastet, »dass sie gar nicht so genau hinschauen können«, kritisiert der Wissenschaftssoziologe Weingart. Und der Stammzellforscher Rudolph Jaenisch sagt: »Wissenschaft beruht vor allem auf Ehrlichkeit, auf Vertrauen und auf der Reproduzierbarkeit von Experimenten.«

Laxheiten darf es da eigentlich nicht geben. Doch da Forscher Menschen sind, kommen Betrugsfälle immer wieder vor. Es sind der übermäßige Ehrgeiz, der Publikationsdruck, die Sorge um die eigene Stellung und zuweilen auch Hybris und Bedenkenlosigkeit, die so manchen zur Unlauterkeit treiben.

Unter seinen Kollegen allerdings hält bislang keiner Hwang für einen Forschungsschuft, der mit krimineller Energie betrogen hat. Vielmehr halten ihn die meisten für ein Opfer seiner Popularität: Hwang wollte Erwartungen gerecht werden, die er nicht erfüllen konnte. »Ich war entsetzt, wie der zum Volkshelden gemacht wurde«, sagt DFG-Chef Winnaker, »diese Briefmarke war ein schlechtes Signal. Das grenzt ja an Personenkult.« Damit ist es nun vorbei, auch in Korea.

Mitarbeit: Martin Spiewak


(c) DIE ZEIT 21.12.2005 Nr.52

52/2005

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