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„Wir sind nur Krümel in den Weiten des Universums“
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Wissen
04.01.2006   10:16 Uhr  


Physiker Greene

„Wir sind nur Krümel in den Weiten des Universums“

Der Physiker und Bestsellerautor Brian Greene ist auf der Suche nach den fundamentalen Gesetzen des Kosmos. Ein Gespräch über Raum und Zeit, Quarks und Strings.
Interview von Patrick Illinger

 
  


In den wirbelnden Armen der Whirlpool-Galaxie, 13 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, entstehen pausenlos neue Sterne. Ist alles nur das Resultat winziger Fädchen, die Physiker Strings nennen?
Foto: Nasa

 


Brian Greene hat in seinem Leben schon erstaunliche Dinge vollbracht. Als Physiker sowieso, aber auch als Autor von Büchern, die hochkomplexe Forschung beschreiben, und dennoch zu Bestsellern wurden. Bei der Siemens-Stiftung in München verblüffte Greene kürzlich das Publikum mit einer nahezu formelfreien Deutung der Welt, des Universums und überhaupt.

SZ: Können Sie Ihre Arbeit in drei Sätze fassen?

Greene: Mal sehen. Die Grundidee ist, die fundamentalen Ingredienzien dieser Welt zu finden. Wo hört es auf, wenn man Materie immer kleiner schneidet? Einst galten Atome als kleinste Einheit. Dann Neutronen und Protonen. Dann Quarks. Jetzt gibt es die Stringtheorie, die eine neue Ebene einführt: winzige Fädchen. Je nachdem, wie diese schwingen, formen sie die Teilchen des heute bekannten Mikrokosmos. Alles hängt sozusagen von der Musik der kleinen Fädchen ab. Waren das drei?

SZ: Fast. Mit wie vielen Menschen auf der Welt können Sie sich fachlich austauschen?

Greene: Zu den Konferenzen über Stringtheorie kommen meist so 300 bis 400 Leute. Insgesamt gibt es vielleicht 1000.

SZ: Wenn man Ihre Vorträge hört, meint man, etwas von den physikalischen Konzepten zu begreifen. Dann flutscht es wieder weg wie Seife. Echte Befriedigung, tiefes Verstehen ist wohl für Laien nicht drin.

Greene: So geht es mir in anderen Bereichen. Wenn ich über Wirtschaft lese, bekomme ich meist auch nur ein Gefühl dafür, was los ist. Wenn ich dann eine Woche nicht darüber nachdenke, bin ich schnell wieder auf null.

SZ: Wie sehr ist Physik heute noch Teil der allgemeinen Kultur? In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Physik in aller Munde. Einstein und in Deutschland Heisenberg waren Pop-Ikonen. Ist die Sache zu kompliziert geworden?

Greene: Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden grundlegende Vorstellungen über den Haufen geworfen, die allgemein verstehbar waren. Auch wenn nicht jeder Newtons Ideen im Detail kannte, gab es ein Gefühl dafür, dass die mit dem Auge sichtbare Welt ganz gut erklärt war. 1919 erklärte die New York Times plötzlich: Newton hatte Unrecht! Die Sterne sind nicht, wo sie sein sollten! Einstein hat alles verändert! Die Größenordnung dessen konnte man verstehen. Heutige Erkenntnisse der Physik sind nicht minder dramatisch. Auch sie zeichnen ein neues Bild der Realität. Aber sie beschreiben Dinge weit jenseits des mit dem Auge sichtbaren Horizonts.

SZ: Warum hat die recht junge Entdeckung, dass 95 Prozent des Universums unsichtbar sind, die Öffentlichkeit nicht genauso erregt, wie seinerzeit Einstein?

Greene: Ich habe das Gefühl, dass die Medien ermüdend oft von „großen Durchbrüchen“ berichten. Wissenschaft ist aber meist nicht revolutionär, sondern es werden Schritt für Schritt Fakten, Theorien und Erkenntnisse zusammengetragen. Nur in großen Abständen gibt es eine Revolution. Die Vorstellung, dass 95 Prozent des Universums unsichtbar sind und aus Dunkler Materie und Dunkler Energie bestehen - das ist eine Revolution. Aber die Öffentlichkeit ist mit zu vielen Revolutionen dieser Art schon zugeschüttet worden.


SZ: Hat vielleicht die Biologie die führende Rolle in den Naturwissenschaften übernommen? Menschen reagieren heute stark auf Erkenntnisse und Entwicklungen in diesem Bereich.

Greene: Es ist hart zu messen, worauf die Öffentlichkeit tatsächlich reagiert. Ich hatte eine Fernsehsendung in den USA, bei der Physik-Themen auf hohes Interesse stießen.

SZ: Sie sind aber eine Ausnahme.

Greene: Es stimmt schon, dass biologische Entwicklungen mehr Nähe zum täglichen Leben haben. Wenn man Krebs heilen kann, puh, das fühlt sich sehr wichtig an. Ich glaube dennoch, dass auch physikalische Entdeckungen viel Aufmerksamkeit bekommen, nur hebt es die Menschen nicht mehr so aus den Sesseln: Ach, schon wieder ein Durchbruch.

SZ: Müssten Physiker sich selbst mehr in allgemeine, gesellschaftlich relevante Debatten einbringen?

Greene: Ich tue das, kann aber nicht für alle Physiker sprechen. Unser Fokus liegt eher auf den tiefen grundlegenden Fragen des Universums: Was sind Raum, Zeit, Materie, Schwarze Löcher? Dagegen wirken viele Diskussionen, die im Alltag hochkochen, kurzlebig. Die Mühe, die man damit hätte, würde einem die Kraft rauben, sich mit den wichtigen Dingen des Universums zu befassen. Auch sollte man grundsätzlich nur über Dinge reden, von denen man wirklich etwas versteht. Ich kann es zum Beispiel kaum ertragen, wenn prominente Schauspieler sich öffentlich über politische Details auslassen. Sie sollen ja ihre Meinung haben. Aber warum sollte die ein besonderes Gewicht haben?

SZ: Einstein war ein öffentlicher Mensch. Er hat Meinungen geäußert.

Greene: Falls Sie auf den Brief an Roosevelt anspielen: Da schrieb er über etwas, von dem er viel verstand. Seiner Auffassung nach waren die Deutschen nah an der Atombombe. Es war Roosevelts Sache, damit umzugehen. Einstein ging damit nicht an die Medien, sondern gab dem politischen Entscheider wissenschaftlichen Rat.

SZ: Wie ist es heute mit dem Thema Elektrosmog? Oder Feinstaub?

Greene: Ja, Physiker haben hier etwas zu sagen. Aber sollten Sie es in einer Talkshow tun? Ich finde nicht. Sowas sollte lieber vor dem Parlament passieren, wo die Entscheidungen getroffen werden.

SZ: Wie ist es mit der Evolutionstheorie? Sind wissenschaftliche Erkenntnisse zur Ansichtssache verkommen? Wo ist der Einfluss einer rationalen Komponente in dieser Diskussion?

Greene: In dieser Debatte sollten sich vor allem Biologen äußern, um die tiefgreifende Evidenz für die Evolution zu erklären.

SZ: Geht es hier wirklich um biologische Details, oder um die grundsätzliche Frage, ob man eine Theorie durch das schlichte Verneinen einer anderen Theorie zur Wahrheit erheben kann?

Greene: Vielleicht muss man tatsächlich von mehreren Seiten angreifen. Biologen sollten aber auch deutlich machen, dass der Begriff Theorie hier irreführend sein kann. Was in einem wissenschaftlichen Sinne dahinter steckt, ist eine überwältigend fundierte Daten- und Beweislage. In der Öffentlichkeit klingt Theorie zu oft wie Vermutung.

SZ: Sollten hier nicht Physiker auch eine Rolle spielen?

Greene: Ja, grundsätzlich schon. Ich plane gerade ein Buch über die Kraft des wissenschaftlichen Weltbilds und die Leistung rationaler Denkweise. Ich denke, ein Problem ist, dass viele Menschen noch gar nicht die Chance hatten, die Macht wissenschaftlicher Erklärungen und Gedankengänge zu spüren. Die Erfahrung, etwas anzublicken, es erst nicht zu verstehen und dank der Wissenschaft eine tiefe Einsicht zu gewinnen, ist überwältigend. Das gilt schon für einfache Erkenntnisse: Warum ist der Himmel blau? Warum ist der Tisch hart.


b>SZ: Zurück zum Universum. Das schien einst eine klare Sache zu sein. In letzter Zeit bekommmt man den Eindruck: Je mehr geforscht wird, desto verworrener wird unser Bild vom Kosmos.

Greene: So würde ich das nicht sagen. Aus einem Grund, den wir nicht genau kennen, erlaubt das Universum immerhin, dass wir es Stück für Stück entschlüsseln. Es wäre hart, wenn die Natur von uns verlangen würde, den großen Zusammenhang mit einem Schlag zu erkennen, ohne irgendwelche Hinweise. Glücklicherweise konnten wir also starten, wie es Newton tat, und fragen: Warum fliegt ein Ball, wie er es tut? Wie bewegt sich der Mond? Dafür brauchte es zunächst keine Quantenmechanik. Dann ging man weiter ins Detail und stellte fest: Die zugrunde liegenden Gesetze sind ganz andere. Das ist verrückt, völlig unerwartet, aber neue Daten erzwingen es. Heute stellt man fest: Die äußeren Teile des Universums fliegen wie Explosionssplitter auseinander. Das ist wieder total verrückt, aber die Daten sagen es. Und wir müssen sehen, dass wir neue Erklärungen dafür finden. Man beantwortet eine Frage und bekommt andere dafür.

SZ: Wächst die Zahl der neuen Fragen nicht übermächtig an? Kann da noch eine Weltformel am Ende stehen?

Greene: Es muss tiefgreifende fundamentale Gesetze geben, die das Geschehen des Universums bestimmen und beschreiben.

SZ: Ein paar Gleichungen?

Greene: Ja, mathematische Formeln. Sehr kompakt wahrscheinlich. Wenn man auf die Geschichte der Wissenschaft blickt: Stets haben kleine Prinzipien große Dinge beschrieben. Einsteins Gleichungen zum Beispiel. Oder die Schrödinger-Gleichung. Sie hat sich seit 1926 nicht verändert. Sie sieht sehr einfach aus. Aber was bestimmt sie nicht alles! Die gesamte Chemie zum Beispiel.

SZ: Manche Physiker lehnen die folgende Frage mit dem Argument ab, sie sei unphysikalisch: Was ist Zeit?

Greene: Die Frage ist natürlich erlaubt. Es ist nur verdammt schwer, sie zu beantworten. Ich habe auch keine Antwort darauf, was ich nicht so schlimm finde, weil niemand eine Antwort hat. Was ich sagen kann, ist: Zeit ist die Manifestation von Wechsel. Es gibt ein paar verrückte Eigenschaften von Zeit: Verschieden schnell bewegte Uhren ticken unterschiedlich schnell. Das hat mit Alltagserfahrung nichts zu tun. Es ist ein Wunder. Das sind aber alles äußere Erscheinungen der Zeit. Wenn Sie wirklich wissen wollen, was Zeit ist, muss ich leider sagen: Nach dieser Antwort suchen wir noch.

SZ: Bietet die Stringtheorie eine Lösung?

Greene: Sie könnte tatsächlich eines Tages die Zeit als logisches Produkt ausspucken. Die Stringtheorie liefert Hinweise dafür, dass die Raumzeit in kleinen Maßstäben irgendwann zerbröselt. Diese Brösel sind in unserer Welt nicht sichtbar. Das wäre dann wie mit der Temperatur: Wenn Sie auf Atome und Moleküle blicken, sehen Sie keine Temperatur. Die entsteht erst, wenn man von einer größeren Warte aus auf ein Gemisch von Atomen und Molekülen blickt. Es könnte sein, dass auch die Zeit nur eine makrokosmische Erscheinung irgendwelcher winzigen Dinge ist. Vielleicht gibt es so etwas wie die Atome der Raumzeit.

SZ: Gibt es für solche Annahmen irgendwelche experimentellen Belege?

Greene: Nein. Wir können noch nicht tief genug in das Innere von Materie blicken. Vielleicht gelingt das eines Tages.

SZ: Was wäre mit diesen Formeln erreicht? Ist das der Endpunkt der Physik?

Greene: Richard Feynman verglich es mit Schach: Der Spaß fängt erst an, wenn man die Regeln kennt. Im Universum lesen wir im Moment noch die Spielanleitung.


SZ: Wachen Sie manchmal auf und fürchten, dass wir alle nur Krümel irgendeiner verdammt großen Sache sind?

Greene: Oh, ich glaube, wir sind nur Krümel in einer größeren Sache. Aber Sie meinen einfach nur Staubfussel? Auch das stört mich nicht, solange wir das selbst erkennen können. Stellen Sie sich vor: Der kosmische Abfall stellt fest, dass er kosmischer Abfall ist. Das ist gewaltig. Das finde ich spannend.

SZ: Warum gibt es überhaupt all das, was wir sehen. Warum ist nicht nichts?

Greene: Das ist die vielleicht tiefste aller Fragen. Ich habe keine Antwort darauf. Vielleicht erkennen wir eines Tages, dass es logisch unmöglich ist, dass nichts ist. Vielleicht gibt es einen zutiefst rationalen, zwingenden Grund für die Existenz des Universums.

SZ: Erzeugt das religiöse Gedanken?

Greene: Ich würde sagen, es besteht die Möglichkeit, dass ein Gott dahinter steckt. Aber dann würden wir eben seine Gesetze untersuchen. Das wäre auch ein nobles Streben. Es geht aber auch ohne ihn. Für mich ist beides möglich.

SZ: Sind Physiker in dieser Frage grundsätzlich offen?

Greene: Nicht immer. Der Nobelpreisträger Stephen Weinberg zum Beispiel sieht keinen Platz für Religion. Für mich ist es eine logische Möglichkeit.

SZ: Die Komplexität lebender Wesen steht nicht im Widerspruch zu den bekannten physikalischen Gesetzen. Allerdings gibt es auch kein Gesetz, welches das Entstehen von Leben zwingend vorschreibt. Fehlt da nicht etwas?

Greene: Nein, ich glaube, da fehlt nichts. Komplexität kann aus einfachen Gesetzmäßigkeiten entstehen. Das wird oft unterschätzt. Man kann zum Beispiel zeigen, dass simple Formeln oder Algorithmen hochkomplexe Formen, Muster und Strukturen erzeugen können. Das passiert eben auch in der Natur. Dort ist es nur schwerer zu durchblicken.

SZ: Könnte also alles Zufall sein?

Greene: Nein, ich will es mit präzisen, zu Grunde liegenden Gesetzen begründen. Wenn diese Gundgesetze ein Rohmaterial bekommen, dann passiert das, was wir sehen. Dabei weiß ich zwar weder, woher die Gesetze kommen, noch das Material. Aber die Komplexität verstört mich nicht. Ich halte sie auch für erstaunlich, aber für erklärbar.

SZ: Die heute bekannten physikalischen Formeln sagen also: Es musste passieren? Der Ur-Ozean konnte nicht einfach ruhig bleiben?

Greene: Tja, es wäre wundervoll, wenn wir immer klare Zusammenhänge hätten: Aus A muss B folgen. Aber das ist nicht so. Es gibt Physiker, die sagen, das Universum ist so groß, dass alle Möglichkeiten durchgespielt werden, und ausgerechnet hier bei uns ist es so ausgegangen wie wir es kennen. Eine unfassbare Zahl von möglichen Ausgängen. Es mag erschrecken, dass wir womöglich nur ein Bläschen im großen Schaumbad des Universums sind. Aber es gibt die Theorie vom inflationären Kosmos, die genau das sagt. Sie nimmt an, dass der Mechanismus, der das Universum antreibt, immer weiterläuft und Bläschen über Bläschen ausspuckt. Dabei entsteht gelegentlich auch Leben.

SZ: Denken Sie, wir Menschen nehmen uns manchmal zu wichtig?

Greene: Die meisten Physiker würden prinzipiell zustimmen, dass der Mensch nicht das Zentrum von irgendwas ist. Im Alltag ist das aber kein leicht durchzuhaltendes Konzept. Ich versuche immer wieder, mich daran zu erinnern. Aber es kostet Mühe. Es ist nicht intuitiv. Manchmal hilft es, dann fühlt man sich weniger belastet vom Ärger des Alltags. Und manchmal hilft es einen feuchten Mist.

(SZ vom 4.1.2006)



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