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2006/03/26 (08:37) from 129.206.196.149' of 129.206.196.149' Article Number : 315
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Das Leben der Anderen





DIE ZEIT
Die Bekehrung
»Das Leben der Anderen«: Florian Henckel von Donnersmarck setzt mit seinem Film über die DDR
Maßstäbe
Von Evelyn Finger
Der Augenblick, in dem die Vergeblichkeit des »sozialistischen Experiments« zutage tritt, ist von großer
Absurdität. Da steht ein Stasi−Hauptmann in einem zugigen Ost−Berliner Hauseingang  umdüstert vom
Misstrauen gegen alles und jeden, hineingeduckt in die staubigen Prenzlauer−Berg−Fassaden  und späht zu
einem Fenster auf der sonnigeren Seite der DDR. Dort wohnt ein erfolgreicher Staatsdichter mit einer schönen
Staatsschauspielerin. Ausgerechnet ihre Liebe hat Hauptmann Wieslers Verdacht geweckt. Unbeschwertheit
passt nicht in die graue Übergangsgesellschaft 1984, und Treue zur Partei würde Wiesler in seiner
zugeknöpften Zivilistenkluft höchstens sich selber attestieren. Denn im Grunde glaubt er nicht an gute
Sozialisten. Er ist ein Defätist, der sich für den einzig wahren Idealisten hält. Ein Kämpfer an der unsichtbaren
Front, die er und seinesgleichen errichtet haben. Argwöhnisch beobachtet er, wie das Paar sich am Fenster
küsst, schreibt den verdächtigen Vorfall auf und vergisst auch nicht, die Uhrzeit zu notieren.
Ulrich Mühe spielt die Hauptrolle im bisher besten Nachwende−Film über die DDR: Das Leben der Anderen
istpolitischer als Sonnenallee, philosophischer als Good Bye, Lenin!, sarkastischer als Berlin is in Germany 
eine Kinonovelle, die deprimierende Einsichten in die Herrschaftsmechanismen der Diktatur gewährt.
Regisseur und Drehbuchautor Florian Henckel von Donnersmarck erzählt darin die Bekehrung eines
überzeugten Stasi−Spitzels durch den Kontakt mit jenen Künstlern, die er überwachen soll. Es ist die
tragikomische Komplementärgeschichte zum gängigen IM−Skandal vom Künstler, der sich durch die
Staatsmacht hat korrumpieren lassen. Als Wiesler merkt, dass die Mächtigen die eigentlichen Verräter an der
»sozialistischen Sache« sind, fängt er an, seine harmlosen Überwachungsobjekte, die sich unterm Druck des
Systems in Dissidenten verwandeln, zu beschützen. Wieslers Läuterung ist jedoch nicht versöhnlich gemeint.
Im Gegenteil. Das Leben der Anderen schildert mit peinigender Detailgenauigkeit den destruktiven Charakter
des Staatssozialismus und zeigt, warum die DDR von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Weil man eine
bessere Welt nicht erzwingen kann. Weil das Gute, wo es dekretiert wird, sich in sein Gegenteil verkehrt. Und
weil die Diktatur ihre Feinde selbst erzeugt. Wie Heiner Müller in Wolokolamsker Chaussee formulierte: »Der
Staat ist eine Mühle die muss mahlen / Der Staat braucht Feinde wie die Mühle Korn braucht / Der Staat der
keinen Feind hat ist kein Staat mehr / Ein Königreich für einen Staatsfeind.«
Anfangs speist Hauptmann Wiesler unermüdlich Korn in diese Mühle. Er mäht die Feinde mit dem Schwert
der psychologischen Kriegsführung und drischt sie nach den Regeln der marxistisch−leninistischen Dialektik.
Wenn ein Untersuchungshäftling seine Unschuld beteuert, wertet Wiesler das als Schuldbeweis, weil schon
die Behauptung, dass die DDR unschuldige Bürger verhöre, ein Vergehen sei. Wiesler ist der oberste Zyniker
der Stasi, denn er wird getrieben von ehrlichem Hass. Er ist auf eine schlimme Weise besser als seine
korrupten Vorgesetzten: der karrieregeile Oberstleutnant oder der absolutistisch herrschende Minister.
Nachdem Wiesler einmal beschlossen hat, den Dichter Georg Dreyman des Verrats zu überführen, wühlt er
sich bedenkenlos in dessen Alltag. Mit unbewegter Miene macht er sich an die Zerstörung einer Existenz:
verwanzt die Wohnung, beschattet die Geliebte, richtet auf dem Dachboden eine Abhörzentrale ein. Doch dort
oben, in der muffigen Düsternis der Konspiration, umgeben von Lämpchen und Telefondrähten, kommt ihm
allmählich die Lauterkeit seiner Feinde zu Bewusstsein und auch das Perverse seiner Spitzelei.
Ulrich Mühe spielt den Tschekisten mit Humor und einem großen Ernst, der auch den Charme des Drehbuchs
ausmacht. Es enthält kuriose Episoden und ist doch in allen Punkten penibel recherchiert. Es steckt voller
Pointen und besticht zugleich durch unerbittliche Nüchternheit in der Analyse. Das Leben der Anderen beruht
auf dem ersten abendfüllenden Skript des jungen Florian Henckel von Donnersmarck, geboren 1973 in Köln,
DIE ZEIT 1

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