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Hans Küng - Fußball macht der Religion Konkurrenz



Theologe Hans Küng



„Fußball macht der Religion Konkurrenz“

Von Evi Simeoni



"Es gibt keine eigene Sportsmoral": Hans Küng
24. Dezember 2005
Ein früher Winternachmittag. Professor Hans Küng steht von seinem Schreibtisch in einer Tübinger Villa auf und geht drahtig Richtung Tür, um seinen Besuch zu begrüßen. Er trägt einen Trainingsanzug. Heute morgen hat er wie jeden Tag Freiübungen gemacht und ist geschwommen, wie man das schon von so manchem Kleriker gehört hat.


„Ich bin Schwerarbeiter und deswegen leicht angezogen“, erklärt der katholische Theologe, langjährige Weggefährte und Gegenspieler des heutigen Papstes Benedikt XVI. und leidenschaftliche Kritiker seiner Kirche und deutet auf seinen blaugrauen Zweiteiler. Ski fährt der 77 Jahre alte Schweizer auch noch, einmal im Jahr mit einem Skilehrer. „Gerade dieser Sport hat etwas Herausforderndes“, sagt er, „aber ich muß mir überlegen, wieviel ich mir davon erlauben kann.“


Musterbeispiel für System mit sinnvollen Regeln


In letzter Zeit hat Küng aber auch zum Hochleistungssport erstaunlich viel Kontakt. Er ist in der Welt der Funktionäre ein gefragter Mann geworden: Während des Evangelischen Kirchentages im Mai in Hannover hielt er für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) einen Vortrag. Die deutschen Olympier luden Küng Ende September zu einer Diskussion in die Frankfurter Paulskirche. Eigentlich, findet Küng, sei der Sport ein Musterbeispiel für ein System, das sich feste, sinnvolle Regeln gegeben habe.


Nach seiner Erfahrung mit dem DFB habe er sogar begonnen, seine Vorträge vor Leuten aus Wirtschaft und Politik mit Beispielen aus dem Fußball einzuleiten. Im Mai 2006 wird im übrigen Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), an der Universität Tübingen gewissermaßen im Gegenzug die „Sechste Weltethos-Rede“ halten.


„Es gibt keine eigene Sportsmoral“


Küng und die von ihm gegründete Stiftung Weltethos vertreten die Auffassung, daß bestimmte Grundregeln, die in allen großen Religionen und Philosophien vorkommen, jedem zivilisierten Menschen als „innere Verpflichtung“ zu eigen sind. Deren Einhaltung befreit seiner Ansicht nach jede Gemeinschaft, läßt sie gedeihen und sichert den Weg zum Weltfrieden. Die „Goldene Regel“ besagt, den anderen nicht anzutun, was man sich selbst nicht antun lassen will.


„Hab' Ehrfurcht vor dem Leben“ wendet sich gegen jede Art der Gewalt. „Handle gerecht und fair“ ist ebenso ein Imperativ wie „Rede und handle wahrhaftig“. „Achtet und liebet einander“ fordert den Respekt vor dem anderen Geschlecht. Diese Regeln gelten nach Küngs Ansicht für alle. Er hat sie auch in der Olympischen Charta und dem „Ethic Code“ des IOC wiedergefunden. Das Problem mit der Einhaltung sieht er überall: „Das kennt man schon seit den Zehn Geboten der Bibel.“ Auch das zeigt: „Es gibt keine eigene Sportsmoral.“


Sport macht Kirche Konkurrenz


Einerseits wird der katholische Theologe Küng gebeten, den Sport moralisch aufzubügeln. Andererseits macht gerade der Sport, besonders der Fußball, der Kirche erfolgreich Konkurrenz. Woche für Woche werden in den Stadien messeähnliche Rituale praktiziert, Soziologen sprechen vom „Stadion als Kathedrale“.


„Der Fußball kann eine ernsthafte Konkurrenz sein zur Religion“, sagt der Theologe, „er kann Ersatzreligion werden. Man spricht ja sogar vom Gott Fußball. Und das Ritual im Stadion zeigt deutliche Parallelen zur Liturgie. Wenn Leute einen Pokal küssen, erinnert das an das Küssen von Ikonen. Wenn der Pokal hochgehoben wird, erinnert das an das Zeigen der Monstranz. Aber nicht das einzelne Phänomen als solches ist entscheidend, sondern die gesamte Stimmung, die dem einzelnen suggeriert, das, was er gerade erlebt, sei das Größte. Wenn der Fußball nur die Leere des Kopfs und des Herzens füllt und sonst nichts drin ist, wird's gefährlich.“


Kommerzialisierung, Doping, Gewalt und Korruption


Der Fußball als Ersatzgott - an dieser Stelle wird Küng grundsätzlich: „Man soll nicht anbeten. Die Vergötzung ist das Problem. Und das ist nicht nur im Sport so. Genauso gibt es die Vergötzung des Geldes.“ Küngs Einwechslung auf ihm bisher ungewohnte Spielfelder dürfte zeigen, daß der Sport mehr denn je nach moralischer Unterstützung verlangt, so, als suchte er vor dem Hintergrund von Kommerzialisierung, Doping, Auswüchsen von Gewalt und Korruption nach einer Leitlinie.


Die Einteilung der Menschen in Sieger und Verlierer, die dem Wettkampf zugrunde liegt, scheint selbst seinen Repräsentanten nicht immer zu genügen. Ist aber eine solche Polarisierung für einen Weltethiker überhaupt akzeptabel? „Wenn man unter Ethos eher die innere Verpflichtung eines Menschen versteht als starre Regeln, dann setzt das die reale Wirklichkeit voraus. Man kann keine edlen Theorien aufstellen auf der Grundlage einer idealen Welt. Auch Skifahrer sind keine Engel, obwohl sie hin und wieder fliegen.“


„Es genügt ein einziger Schiedsrichter, ...“


Küng ist der Überzeugung, daß auch der Hochleistungssport nur dann funktioniert, wenn gewisse ethische Regeln eingehalten werden. „Und es ist ja nicht viel nötig, um alles durcheinanderzubringen. Ein Fall von Doping zum Beispiel. Und es genügt ein einziger Schiedsrichter, der betrügt, daß der ganze Schiedsrichterstand in Verruf kommt.“


Die Manipulationen um den mittlerweile gerichtlich verurteilten Robert Hoyzer haben Küng ebenso beschäftigt wie die Dopingaffäre des siebenmaligen Siegers der Tour de France, Lance Armstrong. Dem Eindruck, daß solch massive Übertretungen die Gültigkeit der Regeln in Frage stellen könnten, tritt er deutlich entgegen.


„Ethos ist eine befreiende Angelegenheit“


„Es gilt: Wenn es zu bunt wird oder ein besonders eklatanter Fall auftritt, gibt es öffentliche Reaktionen. Dann heißt es: Halt, so geht es natürlich nicht. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Müssen wir nicht auch Spielregeln aufstellen für Tätigkeiten abgetretener Politiker? Insofern werden die Regeln von der Wirklichkeit gestützt. Der Mensch ist schließlich nicht um der Regeln willen da, sondern die Regeln sind um des Menschen willen da. Die Idee, jeder schaue, wie er es treibe, ohne ethische Regeln, funktioniert nicht. Das macht ein Zusammenleben unmöglich.“


Aber das sei, findet Küng, noch nicht alles. „Es sind nicht nur die Reaktionen, die erfolgen, wenn Regeln nicht eingehalten werden. Das Ethos ist eine befreiende Angelegenheit, weil nur seine Einhaltung den Menschen richtig spielen läßt. Ein Fußballspiel kann ja richtig kämpferisch sein, aber wenn ständig die Regeln verletzt werden, wenn die Spieler ständig Grobheiten begehen, dann sagt man: Das war kein schönes Spiel. Ein Spiel, in dem gekämpft wird, aber Fairness geübt wird, ist ein schönes Spiel: Das hat einen befreienden Sinn.“


Erklärungsnot gegenüber jungen Sportlern


Küng verweist auf die häßlichen Szenen zwischen seinen Schweizer „Kompatrioten“ und dem türkischen Team nach dem WM-Qualifikationsspiel im Fußball. Oder auf den Kopfstoß des Duisburger Trainers Norbert Meier gegen den Kölner Spieler Albert Streit. „Wenn so etwas passiert, hat man das Gegenteil von fairem Sport.“


In der Frankfurter Paulskirche diskutierte auch Heike Drechsler, die zweimalige Olympiasiegerin im Weitsprung, mit. Sie erzählte von ihrer Erklärungsnot gegenüber jungen Sportlern, wenn es um Doping gehe. Einerseits stamme sie aus dem DDR-Sportsystem, das massiv mit Dopingmitteln gearbeitet habe, wolle nun aber anderen erklären, daß Doping schlecht sei, und suche dafür die richtigen Worte. Küng hält ihr zugute, daß sie im DDR-Sport so stark auf den Erfolg fixiert worden sei, daß damals wohl ethische Reflexion unüblich war. „Wenn bestimmte Aspekte des Lebens ausgeblendet waren, kann man nicht erwarten, daß ein Sportler eines Tages leicht darüber reden kann.“


„Verzichten, um Schaden von sich abzuhalten“


Als Schweizer hatte Küng einst viel leichteren Zugang zur DDR als die Bürger der Bundesrepublik, und er erinnert sich an eine Reise nach Leipzig. „Ich war zu Besuch in der katholischen Gemeinde, wo über eine Rodlerin gesprochen wurde. Die Leute haben erzählt, wie betrübt sie sei, daß sie nichts anderes gelernt habe als Rodeln. Sie sagte, sie habe alles verpaßt und könne nur rodeln. Wenn die Leistung das einzige ist, was zählt, dann geht ein Mensch kaputt, physisch und psychisch.“


Er würde einem Sportler ernsthaft einen Verzicht auf Erfolg raten, um der eigenen Unversehrtheit willen.„Unter Umständen muß man auch sagen, das mache ich nicht mit, und dann werde ich eben nicht Olympiasieger. Manchmal muß man verzichten, um Schaden von sich abzuhalten. Nehmen Sie etwa Lance Armstrong. Was nützen ihm jetzt seine sieben Siege bei der Tour de France, wenn die Leute denken, er hat ja doch jedesmal betrogen. Unter Umständen wäre ein einziger, echter, sauberer Sieg viel besser für ihn gewesen. Man kann nicht immer alles haben. Manchmal muß man erkennen: Hier habe ich meine Grenzen.“


Große Figuren durch Menschlichkeit ausgezeichnet


Gerade als Sportler müsse man sich der ethischen Dimension des Sports bewußt sein. Große Figuren im Sport hätten sich schon immer durch Menschlichkeit ausgezeichnet. „Nehmen Sie Fritz Walter. Oder Max Schmeling. Boxen ist ja nicht gerade der humanste Beruf, aber Schmeling hat doch viel Menschlichkeit ausgestrahlt.“


Draußen vor Küngs breitem Fenster zeichnen sich im Grau des Horizonts die Berge der Schwäbischen Alb ab, die ihn an seine Schweizer Heimat in Sursee erinnern. Es scheint so, als packte ihn, wenn er nun schon einmal über Sport nachdenken soll, eine heftige Sehnsucht nach dem Skifahren. Auch nach der „Challenge“, bei schlechtem Wetter eine Piste zu bewältigen, die einem gefährlich erscheint. „Ich würde den Skirennfahrern am liebsten manchmal zurufen: Schaut doch auch einmal die Berge an, ihr Knaben!“


Nicht Gegner oder Feinde, sondern Partner


Sport, findet Küng, sei eigentlich in vielen Punkten der Weltpolitik ganz ähnlich. Er hat in einer Expertengruppe für den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, das „neue Paradigma für Weltpolitik“ schriftlich niedergelegt.


„Darin heißt es, daß die verschiedenen Nationen sich nicht als Gegner oder Feinde, sondern als Partner, als Konkurrenten, als Opponenten ansehen. Für Wirtschaftsunternehmen gilt das auch. Statt Konfrontation ist Verständnis gefragt, statt Aggression Integration, statt Revanche Kooperation. Die Anwendung dieses Paradigmas auf den Sport würde heißen, daß man nicht der Meinung ist, ich muß mit allen Mitteln siegen, und der andere ist mein Feind. Man sieht diese Haltung nicht nur bei Boxern. Manche scheinen ihren Gegner wirklich zu hassen. Aber es muß klar sein, daß der Sport ein Spiel ist und kein Existenzkampf.“


Das Nationale spielt eine zu große Rolle


Selbstverständlich, sagt er, sei es besser, wenn nationaler Geltungsdrang auf dem Fußballplatz ausgetragen werde „als in der Wirklichkeit. Aber es zeugt schon von einem gewissen Inferioritätskomplex, wenn eine Nation sportlichen Erfolg so dringend braucht. Das Nationale spielt auf diesem Gebiet eine zu große Rolle. Es heißt: Wir haben gesiegt. Oder auch: Wir sind Papst.“


Fröhliches Gelächter. Küng ist im September von Papst Benedikt XVI. in dessen Sommerresidenz in Castelgandolfo empfangen worden, will aber nicht sagen, ob er den päpstlichen Swimmingpool gesehen hat. Das Gespräch der beiden, so hieß es hinterher, sei in freundlicher Atmosphäre verlaufen.


„Das weiß ich nicht“


Zwei einander wohlbekannte und lange Zeit entzweite Theologen fanden wieder zueinander. Wie muß in den Ohren solcher Männer wohl die pralle Behauptung vieler ihrer Geschlechtsgenossen klingen, ihre Sozialisation habe hauptsächlich auf dem Fußballplatz stattgefunden, und mehr, als man da über das Zwischenmenschliche lerne, brauche man nicht.


„Ja, also“, hebt Küng nach einer kleinen Pause an, „ich glaube, daß viele Menschen heute, egal, ob sie für Angela Merkel gestimmt haben oder nicht, es als außerordentlich wohltuend empfinden, daß jetzt in der deutschen Regierung sachlich, freundlich und doch bestimmt geredet wird und ein machohaftes, starhaftes Auftreten von Spitzenpolitikern nicht mehr hoch im Kurs steht. Ob solch ein Verhalten nun unbedingt vom Fußball kommt, das weiß ich nicht.“

Text: F.A.Z. vom 24. Dezember 2005
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa/dpaweb


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