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Ein aufgeklärter Mystiker - Weizsäcker
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Datum und Zeit: 03.05.2007 - 13:35


30.04.2007    10:06 Uhr  Drucken  |  Versenden  |  Kontakt  

Carl Friedrich von Weizsäcker
Ein aufgeklärter Mystiker
"Warum denn? Warum so? Warum nicht anders?" Carl Friedrich von Weizsäcker ging es ums große Ganze. Zum Tode des Physikers, Philosophen und Pazifisten.
Von Klaus Podak  



Der Philosoph und Physiker Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker ist nach langer Krankheit gestorben.
Foto: ddp
 
 
Ihm ging es ums große Ganze. Im Falle des am Samstag in Söcking am Starnberger See verstorbenen Carl Friedrich von Weizsäcker ist das keine Phrase.

Dem Astronomen, Physiker, Philosophen, Friedensforscher, dem durch und durch religiös gestimmten Menschen Carl Friedrich von Weizsäcker ging es um: das All, die Sterne, die Natur, die Entwicklungsgeschichte von allem, um Sein und Zeit. Um den Menschen ging es ihm, der ein Teil dieses Ganzen ist, der alles, anschauend, denkend, zu verstehen versucht.

Carl Friedrich von Weizsäcker wollte etwas, das den meisten Wissenschaftlern und Philosophen unserer Zeit als etwas ganz und gar Unmögliches gilt. Er arbeitete unermüdlich an einer vollständigen Erklärung der Welt durch eine einzige Theorie.



Auf der Suche nach der Weltformel
Er suchte, ganz so wie Albert Einstein und sein Mentor Werner Heisenberg, die Weltformel, die alles bedeutete. Sie wäre die Erlösung der Menschheit, im Denken wenigstens, die endlich gefundene Gewissheit: Eines ist Alles, Alles ist Eins.

Um das Risiko seiner entschiedenen Grenzgänge hat Weizsäcker gewusst. Begonnen hat das früh. Weizsäcker hat das zu Beginn einer autobiographischen Skizze beschrieben, die 1975 in dem Band "Philosophie in Selbstdarstellungen II" erschienen ist. Die Anfangspassage verdient es, ausführlich zitiert zu werden.

"Zu meinem 12. Geburtstag, im Juni 1924, wünschte ich mir eine drehbare, also auf Tag und Stunde einstellbare Sternkarte. Bald danach gingen wir von Basel, wo mein Vater deutscher Konsul war, für die Sommerferien in die einsame Pension Mont Crosin im Berner Jura. Am Abend des 1. August wurde dort der Schweizer Nationalfeiertag wie üblich mit Höhenfeuern und Raketen begangen.

Ein Tanzvergnügen der Pensionsgäste begann mit einer langen Polonäse im Freien. Bei einer der Trennungen der Schlange gelang es mir, meine etwa gleichaltrige Dame zu verlieren. Da entwich ich von den Menschen in die warme, wunderbare Sternennacht, ganz allein. Das Erlebnis einer solchen Nacht kann man in Worten nicht wiedergeben, wohl aber den Gedanken, der mir aufstieg, als das Erlebnis abklang.

In der unaussprechbaren Herrlichkeit des Sternhimmels war irgendwie Gott gegenwärtig. Zugleich aber wusste ich, dass die Sterne Gaskugeln sind, aus Atomen bestehend, die den Gesetzen der Physik genügen. Die Spannung zwischen diesen beiden Wahrheiten kann nicht unauflöslich sein. Wie aber kann man sie lösen? Wäre es möglich, auch in den Gesetzen der Physik einen Abglanz Gottes zu finden?"

Wie in einem von der Himmelsmechanik geordneten Kosmos treten in dieser Nacht des 1. August 1924 Elemente zueinander in eine Beziehung, die in ihrer Wechselwirkung Weizsäckers Leben bestimmt haben: Gott, die Natur, die Physik und die unabschließbare Fragebewegung zwischen diesen Stationen.

Diese Fragebewegung ist das, was Weizsäcker für sich als Philosophie bestimmt hat. Philosophie war für ihn nie ein System aus festen Begriffen und Sätzen.

"Philosophie", sagte er 1992 bei den Bamberger Hegelwochen, "Philosophie ist doch vermutlich zunächst einmal die Frage, ob man verstanden hat, was man tut, ob man verstanden hat, was man redet."

Eine andere, von ihm oft vorgetragene Charakterisierung der Philosophie hieß "Weiterfragen". Das weist auf Philosophie als ein Geschehen, als ein Element der Unruhe, das nie stillzustellen ist. An jeden vermeintlichen Abschluss eines Erkenntnisvorgangs kann man die ewigen Kinderfragen stellen: "Aber warum denn? Warum so? Warum nicht anders?"

Man sieht sofort, dass es bei einem solchen Verfahren niemals zu einem endgültigen Abschluss des Philosophierens und der Theoriebildung kommen kann. Das ist ein in Weizsäckers Denken eingebauter Widerspruch: der Wille zur allumfassenden Theorie gegen den Stachel des Weiterfragens.

Doch dieser Widerspruch bezeichnet zugleich eine Chance. Er stört und zerstört die Beruhigung bei einer Lösung, die keine ist - wie sich im Weiterfragen erweist. Das Ziel steht immer vor Augen. Aber indem man sich ihm nähert, entfernt es sich, angetrieben von diesem unabschließbaren Fragen. Das Ziel ist der Horizont, der sich auch immer wieder entzieht, wenn man sich ihm nähern will. Doch bei dieser Verfolgung des Horizonts durchmisst man die Welt.

Der gestirnte Himmel und die Bergpredigt aus dem Neuen Testament waren die Triebkräfte seiner Jugend. Dann begegnete er dem Menschen, der seinem erwachsenen Leben die Bahn bestimmte.




Von Weizsäcker stellt während einer Physikertagung 1966 seine Kosmos-Theorie vor.
Foto: dpa

 
Weizsäcker, der sich gedacht hatte, mit Hilfe der Philosophie seine Kinderfragen bewältigen zu können, wurde von Heisenberg überzeugt, "um fürs zwanzigste Jahrhundert relevante Philosophie zu machen, müsse man Physik können; Physik könne man nur lernen, indem man sie ausübe; auch bringe man Physik am besten vor dem dreißigsten, Philosophie am besten nach dem fünfzigsten Lebensjahr zuwege".

Physik, intensiv studiert und philosophisch genutzt, bildete von nun an die Basis seines Denkens. Der Physik verdankte er alles, was ihn berühmt machte, was ihm Wirkungen verschaffte in den Wissenschaften, in der Politik, selbst bis hinein in die Theologie, die er mit den Ergebnissen der modernen Physik anregend zu versöhnen suchte.

Auch das Ursprungserlebnis der Astronomie konnte er siegreich in heute immer noch wichtige astrophysikalische Theorie überführen. Zum Zentrum seines inneren Kosmos sollte aber die von seinem Lehrer, bald seinem verehrten Freund in wesentlichen Zügen bestimmte Quantenmechanik werden.

Wir folgen Weizsäcker hier in gebotener Kürze auf schwieriges, auch jetzt noch nicht vollständig vermessenes und verstandenes Gelände. Ein Punkt nur: Heisenbergs berühmte Unbestimmtheitsrelation. Sie besagt, grob vereinfacht, dass man nicht Ort und Impuls (die Geschwindigkeit) eines atomaren Teilchens gleichzeitig erfassen kann: entweder nur den Ort oder nur die Geschwindigkeit.

Was man aber misst, hängt ganz und gar von der Entscheidung des beobachtenden Experimentators ab. Der Beobachter (das Subjekt) entscheidet durch die Wahl seines Verhaltens, was als objektiv erscheint.

Zusammengefasst: Subjekt und Objekt sind in der Welt der atomaren Teilchen untrennbar ineinander verflochten. Dieser aufregende, irritierende Befund musste einen philosophisch bewegten Kopf unentrinnbar faszinieren. Welt und Theorie über die Welt bedingten sich wechselseitig.



Das Eigentliche des Wirklichen
Alles, was Carl Friedrich von Weizsäcker philosophisch-physikalisch bis hin zu seinen letzten Schriften als Geheimnis der Wirklichkeit umkreiste, hat seinen Grund in dieser rätselhaften Wechselwirkung. Sie machte die kühnsten Spekulationen möglich.

In einer der Studien, die er in seinem Buch "Die Einheit der Natur" systematisch geordnet hat, ist zu lesen: "Was wir Atome nennen, sind selbst formal kaum mehr etwas anderes als gewisse sich durchhaltende Gesetzmäßigkeiten in der Entscheidung einfacher experimenteller Alternativen.

Das ist nun eine These über die begriffliche Struktur der heutigen Elementarteilchenphysik. Wenn sie wahr ist, dann steht, von dieser Physik aus gesehen, aber nichts der Behauptung im Wege - die allerdings auch nicht aus ihr folgt - dass, wenn ich einmal klassische Begrifflichkeit benutzen darf, die Substanz, das Eigentliche des Wirklichen, das uns begegnet, Geist ist."

Das Eigentliche des Wirklichen, sozusagen die Wirklichkeit der Wirklichkeit, ist Geist - eine ungeheuerliche Spekulation, ein spekulativer Traum, mit außerordentlicher Behutsamkeit mutig vorgetragen. Die Welt eines kruden Materialismus wäre, wenn sich das bewahrheiten ließe, mit einem Schlag erledigt.

Spätere Überlegungen nähern sich diesem revolutionären Traum immer wieder, vorsichtig, ein wenig indirekt. Da heißt es dann, Materie sei wahrscheinlich nichts anderes als Information. Das ist, dem gängigen Denken ein wenig akzeptabler zubereitet, dieselbe Sache.

Da kommt dann alles zusammen, die Kindererfahrung der gewaltigen, unnennbaren Schönheit des gestirnten Himmels, die Suche nach Gott, der selbst Geist ist, in alles eingesponnen das menschliche Ich, das sich versteht und auflöst als Teil des großen Ganzen, kaum noch sagbar. Darin gründete sich auch sein tief empfundener Pazifismus und seine gesunde Skepsis gegen die Politik.




Carl Friedrich von Weizsäcker (l) lehnte es ab, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Fünf Jahre später wurde dann sein Bruder Richard Staatsoberhaupt.
Foto: dpa

 


Noch vor dem Zweiten Weltkrieg erkannte er die Möglichkeit und Gefahr einer atomaren Bombe und hoffte, gemeinsam mit dem Uranverein dem Begehr der Politik entgegenzustehen. Das Wissen um die Folgen sollte dann nach dem Kriege seine Sicht auf die Politik bestimmen.



Kampf gegen Atmowaffen
So formulierte er 1957 gemeinsam mit Wissenschaftlern wie Max Born, Otto Hahn und Werner Heisenberg das Manifest der Göttinger Achtzehn, um den Überlegungen von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß Einhalt zu gebieten, die Bundeswehr mit Atomwaffen aufzurüsten. Weizsäcker leitete Friedensforschungen und untersuchte die Möglichkeiten, dem Hunger weltweit ein Ende zu bereiten.

1970 gründete er das Starnberger Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, das er zehn Jahre lang zusammen mit dem dem Philosophen Jürgen Habermas führte. Dort widmeten sich Wissenschaftler so unterschiedlichen Gebieten wie der Friedensforschung, der Wissenschaftsphilosophie und der Soziologie.

1979 lehnte er Willy Brandts Ansinnen ab, dass er für das Amt des Bundespräsidenten kandidiere. Ein Amt, das sein Bruder Richard fünf Jahre später einnehmen sollte. Als er 1980 schließlich eremitierte, wurde das Institut zum Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften umbenannt.

Die nächsten beiden Jahrzehnte kämpfte Weizsäcker als Autor und Redner für einen radikalen Pazifismus. Gleichzeitig verfasste er noch einige seiner wichtigsten wissenschaftlichen Werke, allen voran sein Grundlagenwerk "Zeit und Wissen".

Wenn wir all das bedenken, dann erscheint es als nicht zu gewagt, Carl Friedrich von Weizsäcker als einen der großen, aber als einen der durch Wissenschaft aufgeklärten Mystiker der europäischen Geistesgeschichte zu bezeichnen. Am Samstag starb Carl Friedrich von Weizsäcker nach langer, schwerer Krankheit in Söcking am Starnberger See. Er wurde 94 Jahre alt.


(SZ vom 30.4.2007)


Kommentare

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02.05.2007 21:28:39

CA-KE-KOE: Wahrheitsfindung?

Das ist Ihre ist eine Realitätsentstellung und Ablenkung von wirklichen Massenverbrechen, ja Menschheitsverbrechen. Weizsäcker hat sich mutig dagegengestellt. Das ist Realität.

r.kendel



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02.05.2007 08:24:53

wertschoepfer: Also was sollen die Hinweise von wertschöpfer?

Sie sollen der Wahrheitsfindung dienen.



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02.05.2007 04:36:25

CA-KE-KOE: Entscheidend ist de Distanz zur A-Spaltung

Physiker in aller Welt wollen forschen. Die Forschungsrichtung prägen jedoch in den meisten Fällen nicht sie, sondern Militärs, Machtpolitiker, Industrie etc. . C.Friedirich v. Weizsäcker ging relativ rechtzeitig auf Distanz zur Atomkernspaltungstechnologie, während man in den USA/GB diese Technik auf die Spitze trieb und ganze Erdteile kontaminierte. Möglich ist auch, dass durch die A-Bombentests in der Stratosphäre der Ozonschutzgürtel für die Erde massiv beschädigt wurde. Also was sollen die Hinweise von wertschöpfer?

richard kendel 81545 Mü.



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01.05.2007 21:51:48

wertschoepfer: C.F.v.W ist der Erfinder der Plutonium-Bombe und kein anderer

Jeder Physiker aus einem anderen Land ,speziell den USA, wäre zum Helden der Nation erklärt und als Unsterblicher in sämtlichen nationalen Akademien verewigt worden. Dagegen bei uns, jedenfalls in den wenigen Nachrufen, die ich gelesen habe, kommt das Wort Plutonium überhaupt nicht vor. Liegt natürlich auch daran, dass C.F. nach 1945 nicht mehr seine Patentanmeldung aus dem Jahr 1941 öffentlich ansprach.




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01.05.2007 18:49:59

CA-KE-KOE: Der Verlust einer überragenden Persönlichkeit

Wenn Deutschland (der überwiegende wie der offizielle Teil) jetzt noch nicht diesen großen konsequenten Denker (fast würde man geneigt sein „Erlöser“) wertschätzen kann, dann wird es das später, falls es überlebt. Es ist schwierig, von einem „unbegrenzten“ Denkvermögen des Verstorbenen zu reden, da dieses wiederum voraussetzt, dass der, der diese Einstufung vornimmt, es selber ist, ansonsten er so eine Bewertung nicht vornehmen könnte.

Dieser Philosoph und Physiker hat sich nicht nach vorn gedrängt, nicht in Talkshows und dergleichen. Wahrscheinlich gehört das mit zum Geheimnis, das dieser große Denker mit ins Grab genommen hat. Faszinierend ist der Gedanke schon, dass die Republik unter ihm einen anderen Kurs genommen hätte. Sein jüngerer Bruder hat ihn ja vorgezeichnet. Zweimal acht Jahre von Weizsäcker – am besten einer als Bundeskanzler, der andere als Bundespräsident.
Richard v. Weizsäcker hat Stehvermögen bewiesen: er war einer der ganz wenigen, der die Parteiendurchdringung (Herrschaft von ganz wenigen) brandgemarkt hatte.

richard kendel 8 1 5 4 5 Mü.




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