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Synthesen eines Jahrhundertmannes
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Carl Friedrich von Weizsäcker

Synthesen eines Jahrhundertmannes

Von Manfred Lindinger





Schreckte auch vor kontroversen Fragen nicht zurück: Carl Friedrich von Weizsäcker
29. April 2007
Ein Philosoph unter Physikern, ein Physiker unter Philosophen - Carl Friedrich von Weizsäcker war die Wissenschaft ebenso vertraut wie die Politik, die Kunst, die Metaphysik, die christliche Heilslehre und die fernöstlichen Lebensweisheiten. Ihm war es vergönnt, mit den Pionieren der Quantenphysik zusammenzutreffen und zum Erfolg der neuen Lehre beizutragen.


Man hat ihn als den letzten universal gebildeten Gelehrten im deutschen Sprachraum bezeichnet. Tatsächlich könnte sein Werk viele Leben füllen. Als er zwölf Jahre alt war, verzauberte ihn der Anblick des gestirnten Himmels. Hier fühlte er die Gegenwart Gottes und wusste doch zugleich, dass es sich bei den funkelnden Objekten um Gaskugeln aus Atomen handelt, die den Gesetzen der Physik gehorchen.


„Blond, eher schüchtern wirkend, hochintelligent“



Carl Friedrich mit seinem Bruder und früherem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (r.)
Dass sich Weizsäcker, der am 28. Juni 1912 in Kiel, in einer geistig illustren Familie, als Sohn Ernst von Weizsäckers geboren wurde - dieser war seit 1938 Staatssekretär der Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, sein Onkel Viktor von Weizsäcker ein bedeutender Arzt, der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist der Bruder von Carl Friedrich -, zunächst für das Studium der Physik und nicht für das der Philosophie entschied, hatte Werner Heisenberg bewirkt. Dieser hatte den „blonden, eher schüchtern wirkenden, hochintelligenten Mann“ in Kopenhagen kennengelernt, als er am Institut von Niels Bohr erstmals seine Unbestimmtheitsprinzip der Quantentheorie vorstellte. Heisenberg riet ihm, zunächst theoretische Physik zu erlernen.


Und bald studierte Weizsäcker in Leipzig bei Heisenberg. Es war die Kernphysik, der er sich neben seiner astronomischen Leidenschaft widmete. Die nach ihm benannte Massenformel zur Berechnung des Energieinhalts von Atomkernen muss noch heute jeder Physikstudent lernen. Weltweite Anerkennung verschafften ihm 1938 seine Arbeiten auf dem Gebiet der Kernfusion und der Energieerzeugung in der Sonne. Weizsäcker (und unabhängig von ihm der 2005 verstorbene Hans Bethe) hatten 1938 herausgefunden, dass die Sonne ihre Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff- zu Heliumkernen bezieht.


Kontroverse Debatte über Mitwirken an Uranprojekt



Carl Friedrich von Weizsäcker war Physiker, Philosoph und Friedensforscher
Dieser Erfolg führte Weizsäcker mit Otto Hahn zusammen, der in Dahlem mit Fritz Strassmann und Lise Meitner an Urankernen experimentierte und 1939 die Kernspaltung entdeckte. Weizsäcker erkannte die Tragweite von Hahns Entdeckung: Da die Kernspaltung große Mengen an Energie freizusetzen vermag, lässt sie sich zum Bau einer Waffe mit unvorstellbarer Vernichtungskraft nutzen. Dass Weizsäcker, trotz seiner Distanz zum Regime, am deutschen Uranprojekt mitarbeitete, wird bis heute kontrovers debattiert.


Weizsäcker selbst hatte sich mit seiner Beteiligung am Uranverein - bei dem es, wie er erklärte, nicht primär um den Bau einer Bombe, sondern einen Reaktor ging - immer wieder auseinandergesetzt. Den Konformismus betrachtete er zeitlebens als seinen größten Fehler. Als Gnade empfand er, dass sich die Machthaber vom Bombenbau aufgrund des hohen zeitlichen und technischen Aufwands, den Heisenberg immer wieder hervorhob, schließlich abbringen ließen.


Politik als „bittere Pflicht“ für den jungen Physiker



Otto Hahn (l.), Walther Gerlach und Carl Friedrich von Weizsäcker
Als Weizsäcker 1945 während der Internierung in Farm Hall von Hiroshima und Nagasaki erfuhr, wurde die Politik für den jungen Physiker schließlich zur „bitteren Pflicht“ und die Verantwortung des Wissenschaftlers zu seiner bestimmenden Handlungsmaxime. Doch sollte es noch bis 1957 dauern, dass er im Manifest der „Göttinger Achtzehn“ sein Versprechen einlöste. Zusammen mit Max Born, Otto Hahn, Heisenberg und anderen stritt er vehement gegen „jede Beteiligung am Bau, der Erprobung und dem Einsatz einer deutsche Atombombe“.


Im gleichen Jahr folgte der bis dahin in Göttingen Tätige einem Ruf an den Lehrstuhl für Philosophie der Universität Hamburg. Er beschäftigte sich mit Kant, Descartes, Aristoteles und Platon. Und immer wieder fragte er nach der Möglichkeit der Kriegsverhütung. Parallel dazu betrieb er Forschungen über die „Logik der Zeit“ und die „Einheit der Natur“.


Debatten über Abrüstung, die Dritte Welt und Ökologie



Von Weizsäcker mit Hans-Otto Bräutigam (l.) und Manfred Stolpe
Auf einer Physikertagung im Oktober 1966 in München stellte er zum Befremden vieler Teilnehmer eine umfassende Theorie vor, die einen einheitlichen Gedankengang begründen wollte, in dem die Quantenphysik, die Elementarteilchentheorie, die Lehre vom Weltall, das Wahrscheinlichkeitsprinzip und der Zeitbegriff einbezogen und miteinander verflochten sind. Man warf dem Philosophen vor, die Grundlagen der Quantentheorie auf alle übrigen Erkenntnisse zu übertragen.


1970 übernahm er, von der Sorge um einen Atomkrieg getrieben und von den Studentenunruhen aufgerüttelt, zusammen mit Jürgen Habermas die Leitung des von ihm angeregten Starnberger Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Die Einrichtung, für ihre unbequeme Fragen berüchtigt, wurde mit seiner Emeritierung geschlossen. Dennoch gingen von dem Institut wichtige Anstöße für die Debatten über Abrüstung, die Dritte Welt und die Ökologie aus, die Weizsäckers Ruf als Friedens- und Konfliktforscher weiter festigten. Aus dieser Zeit stammte sein Begriff der „Weltinnenpolitik“. Dass Weizsäcker in den siebziger Jahren im Garten seines Hauses einen eigenen Atombunker bauen ließ, der allerdings nur als Vorratsraum genutzt wurde, traf bei manchen auf Unverständnis.


Die letzten Jahre abgeschirmt am Starnberger See


1979 trug ihm die sozialliberale Koalition das Amt des Bundespräsidenten an, das er indes ausschlug. In den achtziger Jahren wurde der Friedensforscher immer mehr von dem Ethiker Weizsäcker verdrängt, der sich der Religion zuwandte. Mit großem Engagement versuchte er, eine Weltversammlung der Kirchen zum Thema Frieden und Abrüstung zu organisieren. Im Alter von achtzig Jahren veröffentlichte er 1992 auf zwölfhundert Seiten sein Lebenswerk „Zeit und Wissen“, in dem er versucht, die philosophischen Grundlagen der Physik zu formulieren.


Hochbetagt nahm Weizsäcker noch in den neunziger Jahren zu kontroversen Fragen Stellung. So erlebte er mit Bestürzung den 11. September 2001, doch hielt er den Krieg der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Afghanistan von Anfang für die falsche Entscheidung. Die letzten Lebensjahre verbrachte er, von schwerer Krankheit gezeichnet, abgeschirmt von der Öffentlichkeit bei seiner Familie am Starnberger See. Dort ist er am Samstag gestorben.

Text: F.A.Z., 30.04.2007, Nr. 100 / Seite 35
Bildmaterial: dpa, picture-alliance/ dpa


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