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Der "liebe Gott" als blutrünstiges Ungeheuer
Ressort: Wissen
URL: /wissen/artikel/587/132346/article.html
Datum und Zeit: 12.10.2007 - 18:14


11.09.2007    11:23 Uhr  Drucken  |  Versenden  |  Kontakt  

Religion und Wissenschaft
Der "liebe Gott" als blutrünstiges Ungeheuer
Richard Dawkins und Christopher Hitchens - ein biologistischer Hassprediger und ein liberaler Skeptiker greifen in ihren Büchern die Religion an.
Von Friedrich Wilhelm Graf  
  
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Autoritäre Götter stimulieren kritische Reflexion.
Foto: AP   
 
So uralt die Religion, so altehrwürdig ist ihre Kritik. Schon im antiken Religionsdiskurs wurden viele der Argumente vertreten, die auch die neuzeitliche Ablehnung religiösen Glaubens tragen. Ein Schöpfergott habe den Menschen als sein vornehmstes Geschöpf geschaffen, bekennen fromme Juden, Christen und Muslime.

Nein, der eine Gott oder die vielen Götter seien bloße Phantasiegebilde des menschlichen Geistes, entstanden aus Furcht, existentieller Verzweiflung und der Hoffnung auf ewiges Leben - so die Kritiker. Erstaunlich früh formulierten Glaubensverächter bereits Priesterbetrugsthesen: Machtgeile und geldgierige Priester hätten die Religion erfunden, um das leichtgläubige Volk in Abhängigkeit halten und ausbeuten zu können.

Gerade die reichen Überlieferungen europäischer Religionskritik durchzieht die Annahme, dass religiöser Glaube ein falsches, illusionäres, letztlich unglückliches Bewusstsein repräsentiere.

In den Glaubensgeschichten der Moderne gewann dieses Argument nicht zuletzt durch Heilige Kriege gegen Andersgläubige, konfessionellen Hader und brutale Verfolgung von Minderheiten an Plausibilität. Je glaubenserregter die Zeiten, desto höher der Bedarf an kritischer Unterscheidung der frommen Geister - Gott ist nicht gleich Gott.

Autoritäre Götter bewirken hohen Leidensdruck und stimulieren kritische Reflexion. Andere bedienen Allmachtsphantasien und wecken zugleich den Wunsch, ihre behauptete Allwissenheit in Frage zu stellen. Nicht selten hat Religionskritik selbst Glaubenseffekte erzeugt und als Katalysator spiritueller Erneuerung gedient.


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Frage der WocheWieso war Darwin kein Darwinist? mehr...Richard Dawkins' "God delusion" und Christopher Hitchens' "God is not great" haben in englischsprachigen Medien großes Aufsehen erregt. Dies lässt sich ohne größere intellektuelle Anstrengung erklären.

Vulgärer Hardcore-Glaube feiert auf globalisierten Religionsmärkten derzeit deutlich größere Erfolge als Glaubensweisen, die auf den Grundton von Demut, Besonnenheit und Respekt vor anderen gestimmt sind. Streng bindende Kampfgötter beherrschen die Szene, vielerorts wird missionarisch aufgerüstet.

Religionskritik kann davon leicht profitieren. Sie muss nur die Gewaltgötter in ihrer grausamen Härte vorstellen und in einem zweiten Gedankenschritt den Nachweis führen, dass Gewaltfixierung, Unterdrückung und aggressive Intoleranz das wahre Wesen Gottes konstituieren. Genau darum geht es Dawkins wie Hitchens: Vom aktuellen Gottesterror traumatisiert, wollen sie zeigen, dass auch der beste "liebe Gott" nur ein blutrünstiges Ungeheuer ist.

Dabei begeben sich die beiden Autoren allerdings auf ganz unterschiedliche Denkwege. Der Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Dawkins, der in Oxford einen Lehrstuhl für "Public Understanding of Science" innehat und 1976 durch "Das egoistische Gen" weltberühmt wurde, inszeniert sich pathetisch als Provokateur, der die Fiktionen der Gottvergifteten mit dem Vorschlaghammer zerstört.



Evolutionstheorie als alles erklärender Deutungsschlüssel
Interesse weckt sein langweiliger Text nur wegen des Anspruchs, mit der Darwinschen Evolutionstheorie über einen alles erklärenden Deutungsschlüssel zu verfügen. In Begriffen der Evolutionstheorie will er nicht nur Natur und Naturgeschichte erschließen, sondern endlich auch die Geheimnisse aller Kultur und speziell der Religionsgeschichte aufdecken.

Dawkins appelliert an die Atheisten aller Länder, sich zu einer Massenbewegung zu sammeln. In den eitlen Posen des alldeutenden Großaufklärers erinnert er an seinen Fachkollegen Ernst Haeckel, den "Welträtsel"-Löser, der sich von den Monisten einst zum "Gegenpapst" ausrufen ließ.

Hitchens, ein aus Südwestengland stammender, nun in New York lebender Publizist, argumentiert demgegenüber kulturanalytisch, mit Blick auf die destruktiven Folgen religiösen Glaubens für ein friedliches Zusammenleben der Menschen. Er ist skeptisch, ironisch, auch selbstkritisch, schreibt brillant und betont, epistemologisch reflektiert, die Grenzen naturwissenschaftlicher Begriffsbildung.

Dawkins hingegen prahlt mit seiner philosophischen Unbildung und verkündet die Erlösungsbotschaft, durch ein weltweites "coming out" aller Atheisten ließe sich jegliche Religion endgültig abschaffen. Sein ungleich gebildeterer Mitstreiter hält die Hoffnung auf eine Welt ohne Religion nur für naiven Irrglauben. Mit mildem Spott geht der "protestantische Atheist" zu doktrinärer Rechthaberei auf Distanz. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Dawkins' Glaubenskritik von antijüdischen Begleittönen nicht frei ist.


In der britischen Debatte hatten mehrere prominente Seelenwissenschaftler darauf hingewiesen, dass "Wahn" ein psychiatrisch klar definierter Begriff ist und die pauschale Rede vom "Gotteswahn" nur wenig erklärt. Dawkins' Botschaft lautet: Halte ein einzelner seine Einbildungen für objektiv wahr, diagnostiziere man Geisteskrankheit; teilten Kollektive den verrückten Glauben an übernatürliche Mächte, nenne man die Wahnvorstellung Religion.

Die Pathologisierung der Gläubigen spiegelt sich in biologistischer Sprache. Dawkins kennt "geistige Viren", die "Gehirne infizieren", und entwickelt eine evolutionspsychologische Theorie von Hirn-Modulen, derzufolge Gottesvergiftung "durch Fehlfunktionen einzelner Module" entsteht.

Ansonsten bietet er in ermüdenden Wiederholungen nur wenig Originelles. Dass nicht Gott die Bibel schrieb, sondern hier höchst gegensätzliche Texte unterschiedlicher Autorenkollektive und frommer Individuen zusammengestellt sind, weiß man schon seit gut 300 Jahren.



Weit unter dem Reflexionsniveau Humes oder Kants
Auch in der Kritik der alteuropäisch metaphysischen Gottesbeweise bleibt Dawkins weit unter dem Reflexionsniveau Humes oder Kants, die er dank mangelnder Quellenkenntnis für knallharte Atheisten hält. Gewiss, es gibt tumbe Bischofstoren und pädophile Priester, korrupte Rabbiner und frauenfeindliche Imame. Auch kann man in Theologischen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen vielerlei Gestörte treffen.

Aber sind Atheisten immer "glücklich, ausgeglichen, geistig ausgefüllt" und "moralisch edel"? Die in den Heiligen Schriften der monotheistischen Religionen verkündete Moral deutet Dawkins als Vademecum für blutbesessene Gotteskrieger, deren grausam eiferndes Divinalmonster am Sinai nur ein "Regelwerk mit Anweisungen zum Völkermord, zur Versklavung anderer Gruppen und zur Weltherrschaft" offenbart habe.

Selbst die Vernichtungsexzesse in den totalitären Volksgemeinschaftslaboratorien des letzten Jahrhunderts schreibt Dawkins aufs Schuldkonto der Religion. Gut nur, dass es in all dem Glaubensterror reine Seelen und gottesfreie Gutmenschen gibt. "Dass ein Krieg im Namen des Atheismus geführt würde, kann ich mir nicht vorstellen." Aber vielleicht ein Bürgerkrieg?

Religionskritik muss die starke Bindungskraft des Religiösen erklären können. Wie entstand Religion? Weshalb übt Gottesglaube auf viele Menschen eine starke Faszinationskraft aus? Warum sind selbst uralte Götter wie etwa Jahwe auch in der Gegenwart noch höchst lebendig?

Dawkins bietet eine evolutionstheoretisch informierte Antwort an. Religion habe selbst keinerlei "darwinistischen Überlebenswert", sondern sei nur als "Nebenprodukt" von etwas anderem entstanden und tradiert worden.

Zwar gesteht er ein, dass die "Nebenprodukt-Theorie" "vielgestaltig, kompliziert und diskussionsbedürftig ist"; wenige Seiten später hat sie allerdings den Status des sicheren Glaubens an die religionskulturelle Wirkkraft der "unsichtbaren Hand der natürlichen Selektion" erlangt. Was in der Naturgeschichte die Gene, seien in der Geschichte von Kultur und speziell Religion die Meme.

Meme, definiert als "Einheiten der kulturellen Vererbung", sind gedankliche Konstrukte im derzeit modischen Versuch, in Kritik jeder kritizistischen, Grenzen des Wissenkönnens bedenkenden Erkenntnistheorie alle Wirklichkeit, gerade auch kulturelle Phänomene, in biologischen Begriffen zu deuten. Dawkins kennt keinen einzigen Klassiker der Kultur- und Religionswissenschaften und hat auch von den neueren Expertendiskursen keine Ahnung.

Aber er weiß ganz genau, wie Kultur inklusive der Religion funktioniert: durch "memetische natürliche Selektion". Sein Bild einer "Welt voller Gehirne, in der Meme darum kämpfen, diese 'Lebensräume‘ zu besiedeln", entsteht durch genau jenen Objektivierungsmechanismus, den er für die Ursünde des religiösen Bewusstseins hält.

Ein mentales Konstrukt, das Mem, wird reifiziert und gewinnt so den Status einer kulturellen Gegebenheit. Konkurrierende Religionen seien nur verschiedene "Memplexe". "Vielleicht entspricht der Islam einem Fleisch fressenden und der Buddhismus einem Pflanzen fressenden Genkomplex."

Solch krude Analogien verführen Dawkins dazu, selbst mit seinen ärgsten Feinden, den Kreationisten, gemeinsame Sache zu machen. Gegen all jene Religionsanalytiker, die religiöse Symbolproduktion und wissenschaftliche Theoriebildung strikt unterscheiden und deshalb die Fehden zwischen Schöpfungsgläubigen und Neodarwinisten für sachlich gegenstandslos halten, weiß er sich mit den Kreationisten darin eins, dass Glaube und Wissen denselben Deutungsanspruch erheben.


In dieser ganz großen Koalition der platt Gegenständlichen kann die Wissenschaft dann selbst mit reflexionsresistenter Glaubensgewissheit auftreten.

Eines von Dawkins' Lieblingswörtern heißt "unbedingt". Ob es in Oxford keine Philosophen oder Theologen gibt, die ihrem Kollegen einmal erklären, dass die Differenz von bedingt und unbedingt, relativ und absolut auf genau jene religiösen Imaginationswelten verweist, die für Dawkins Gotteswahn bezeugen?



Empfehlung skeptischer Gelassenheit
Ungleich seriöser, witziger, nachdenklicher argumentiert Christopher Hitchens. Wo Dawkins moralisiert und Krankenscheine ausstellt, empfiehlt der New Yorker Weltbürger skeptische Gelassenheit und tolerante Großzügigkeit. Die Religion mag er nicht, weil sie fröhlichen Sex verbietet, und die Frommen sind ihm ein Greuel, weil sie anderen ihre Spießbürgermoral aufzwingen wollen.

Die ästhetischen Genüsse der Religionskultur freilich schätzt Hitchens, die wunderbare Liturgie der High Church-Anglikaner ebenso wie die King James Bible. In Moscheen zieht er seine Schuhe aus, und in Synagogen bedeckt er seinen Kopf. Doch die Fundamentalisten aller Glaubenscouleur straft der enge Freund Salman Rushdies mit bildungsbürgerlicher Verachtung.

Hitchens' dichte Beschreibungen religiös motivierter Gewalt überzeugen, weil er die im deutschen Diskurs dominierende Fixierung auf die Islamisten durchbricht und plastisch auch die hohe Gewaltbereitschaft christlicher Akteure entfaltet.

Die Evangelikalen in den USA seien um nichts besser als antiwestliche Hassprediger in islamischen Gesellschaften. In impliziten Koalitionen zwischen Fundamentalisten unterschiedlicher Religionen - etwa in ihrer Homophobie, der Ablehnung moderner Medizin oder ihrer notorischen Frauenfeindlichkeit - sieht der Popper-Schüler die größte Bedrohung freier Gesellschaften.

Gut altliberal verteidigt er Presse- und Meinungsfreiheit, und er ist, dank seiner Kenntnis von Aufklärungstraditionen, auch klug genug, selbst Obskuranten das Menschenrecht auf Religionsfreiheit nicht zu versagen. In der Moderne sei Religion optional geworden, und dies bedeute jedenfalls im Westen das Ende klerikaler Sozialkontrolle und Gesinnungssteuerung.

Leider fängt, ähnlich wie Dawkins, auch Hitchens dann an, modernen Glaubensikonen alles mögliche Falsche, Schlechte nachzusagen. Dietrich Bonhoeffer einen "nebulösen Humanismus" zuzuschreiben und Martin Luther Kings Glaubensprotest gegen die Sklaverei durch Aufrechnerei mit dem Rassismus weißer Südstaaten-Christen abzuwerten, lässt wenig Sachkenntnis, aber viel peinliche Kleingeisterei erkennen.



"Stelle alles in Frage!"
Auch Hitchens fehlen die analytischen Mittel, die elementare Ambivalenz aller religiösen Symbolsprachen, ihre hohe Interpretationsoffenheit zu erkennen und Erklärungen dafür anzubieten, warum in Glaubensbildern, paradox genug, Tendenzen der Selbstverabsolutierung durch Gleichschaltung mit Gott ebenso angelegt sind wie heilsame Potentiale demütiger Selbstlimitierung.

Die Transzendenzchiffre "Gott" kann eben der heillosen Selbstentgrenzung dienen, aber auch das Wissen um die eigene Endlichkeit fördern. Schade, dass Hitchens hier falsche Eindeutigkeit erzeugt und sich dem Spiel des Mehrdeutigen verweigert. Vielleicht sollte man ihn an das neue Zehnte Gebot des Dawkins-Mose erinnern: "Stelle alles in Frage!" - am besten zunächst dich selbst.

RICHARD DAWKINS: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Ullstein, Berlin 2007. 575 Seiten, 22,90 Euro.

CHRISTOPHER HITCHENS: God is not great. How religion poisons everything. Twelve Books, New York 2007. 307 Seiten, 24,99 US-Dollar. (Die deutsche Ausgabe erscheint am 24. September unter dem Titel "Der Herr ist kein Hirte" im Karl Blessing Verlag, 352 S., 17,95 Euro.)


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