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Gollwitzer : Ein Theologe in finsteren Zeiten

Briefwechsel
Ein Theologe in finsteren Zeiten
Von Robert Leicht | © DIE ZEIT, 31.12.2008 Nr. 02

Schlagworte: Literatur Sachbuch Religion
Helmut Gollwitzer und seine Verlobte Eva Bildt in ihren anrührenden Briefen aus dem Zweiten Weltkrieg



© C. H. Beck Verlag
Rechtzeitig zum 100. Geburtstag des öffentlichen Theologen Helmut Gollwitzer am 29. Dezember liegt nun ein äußerst privater Band mit Briefen vor, die Gollwitzer mit seiner damaligen Verlobten Eva Bildt in den Jahren 1940 bis 1945 gewechselt hatte – mit jener Frau, die, nachdem sie mit viel Mühe und noch mehr Not die »rassisch« motivierte Verfolgung durch die Nazis überstanden hatte, am 27. April aus dem Leben schied – am Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin und unter dem Eindruck der Vergewaltigungen; aber auch nach langen Wochen, in denen sie kein Brief von Gollwitzer erreichen konnte, der noch im Sanitätsdienst an der chaotisch zerfallenden Ostfront stand.

Man kann sich als selber diskretionsbedürftiger Leser fragen, ob solche ganz vertraulichen Verlobtenbriefe auch nach Jahrzehnten wirklich in jede Hand gehören. Zwei zeitgeschichtliche Aspekte aber, je einer das Schicksal der beiden Personen betreffend, drängen sich dann doch vor das Private. Eva Bildt und Helmut Gollwitzer hatten sich 1940 im Hause des Schriftstellers Jochen Klepper kennengelernt. Merkwürdige, makabre Parallelbewegung! Klepper hatte eine jüdische Frau geheiratet, die zwei Kinder mit in die Ehe brachte; eine Tochter konnte noch rechtzeitig emigrieren, als dies der anderen nicht gelang, schieden Mann, Frau und Stieftochter aus dem Leben. Auch Eva Bildts Vater, der Schauspieler Paul Bildt, hatte eine jüdische Frau geheiratet und hatte ähnlich wie Klepper darum zu kämpfen, seine Familie durch die Jahre der Verfolgung zu retten. Der Leser nimmt also teil am spezifischen Schicksal jenes protestantisch-jüdischen (Intellektuellen-)Milieus, für das sich noch nicht einmal die Bekennende Kirche in ihrer Gesamtheit tapfer verkämpft hat, Dietrich Bonhoeffer als eine der Ausnahmen, Helmut Gollwitzer als eine andere.

Der zweite Aspekt betrifft Helmut Gollwitzer unmittelbar. Den meisten ist er bekannt geworden, als er sich in den sechziger Jahren und danach, seelsorgerisch und persönlich für die rebellierenden Studenten und jene einsetzte, die in ihrem Protest viel weiter und viel zu weit gingen. (Dass er darüber unter vier Augen nicht mit Kritik sparte, hatte die Öffentlichkeit kaum wahrgenommen; Antje Vollmer erinnert in einem Nachwort daran.)

In diesem Briefband aber stößt man auf jenen Gollwitzer vor der Nachkriegsbundesrepublik, auch vor jenem Gollwitzer, der in seiner Bonner Zeit (1950 bis 1957) fast so etwas wie ein Hoftheologe des protestantischen Establishments war, bei dem »man« gerne heiratete. Der spätere politische Helmut Gollwitzer darf nie weggedacht werden. Man darf aber eben auch nie den spezifisch lutherischen systematischen Theologen Gollwitzer vergessen. Seine Theologie hat sein politischen Engagement inspiriert – aber sein politisches Engagement hat eben nie seine Theologie verbogen.

Diese saubere Unterscheidung der beiden Loyalitäten hatte er von seinem Lehrer Karl Barth gelernt – und aus dieser Unterscheidungskraft ist er auch prominenten »linken« Theologen (oder evangelischen Linken) deutlich entgegengetreten, wenn sie ihren vermeintlich neuen Wein in die Schläuche einer falschen Theologie füllten. In diesem Briefband erfährt man nun etwas über den Gollwitzer vor allen kurzatmigen Kontroversen. Wer den genuinen Theologen Gollwitzer nochmals kennenlernen will, lese sein schönstes Buch: Krummes Holz, aufrechter Gang – derzeit nur noch antiquarisch erhältlich bei Amazon oder ZVAB.

Helmut Gollwitzer/ Eva Bildt: Ich will Dir schnell sagen, daß ich lebe, Liebster
Briefe aus dem Krieg 1940–1945; hrsg. v. Friedrich Künzel und Ruth Pabst; C. H. Beck Verlag, München 2008; 336 S., 14,95 €





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