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Macht
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Macht

I. Religionsgeschichtlich
II. Im Urchristentum
III. Ethisch
IV. Macht und Herrschaft, soziologisch




I. Religionsgeschichtlich

   Die M. hat in der religionswissenschaftlichen Theoriebildung seit der Veröffentlichung eines Briefes des unter den Melanesiern wirkenden Missionars R. H. Codrington an Max  Müller (1878) eine große Rolle gespielt. Je nachdem man versucht hat, im  Animismus,  Hochgott- oder  Mana-Glauben die Urform der  Religion zu finden, ist die M. verschieden gedeutet worden. In RGG2 (vgl. RegBd, Systematische Übersicht) wie bei van der  Leeuw wird der M.glaube (auch unter dem Namen »Dynamismus«) noch als religiöses Urphänomen an den Anfang der Entwicklung gestellt. Religionspsychologisch und religionsphilosophisch hat man diese Ansicht unter Berufung auf die These R.  Ottos vom  Numinosen weiter zu begründen versucht. N.  Söderblom, der auch das  Heilige als einen Hauptbegriff der Religion erkannt hat, ist mehr ethnologisch orientiert und rechnet mit allen oben genannten »Wurzeln« der Religion. Seine Darstellung der M. in RGG2 ist deshalb sehr aufgeschlossen für verschiedene Aspekte der M. und kann im wesentlichen noch heute als Einleitung in die Fragestellungen dienen.
   Untersucht man näher die Wesen und Dinge, die als »mächtig«,  Tabu, Mana, Wakonda, Manitu, Orenda (s. u.) bezeichnet werden, so haften diese Bezeichnungen teils an dem Neuen, Unerwarteten, Staunenerregenden oder auch Fremden, an ungewöhnlich geformten Gegenständen und außerordentlicher, menschlicher Begabung, teils an Erscheinungen, die ständig wiederkehren, aber doch stets Schrecken verursachen oder Ehrfurcht wecken, oder die als geheimnisvoll und bedeutsam empfunden werden, wie  Geburt,  Tod,  Krieg,  Mysterien, Mysteriengeräte,  Zaubersprüche usw. Bes. findet sich die M. bei dem Häuptling ( Königtum, sakrales, 7) und dem Schamanen ( Schamanismus), dem  Medizinmann. - Man unterscheidet in der Regel zwischen einer guten und einer bösen M. Im östlichen Zentral-  Australien bei dem Arandastamm hat die schädliche M. einen eigenen Namen, Arunkulta. Die wohltätige magische Kraft überwiegt in den Mysteriengeräten, den Tjurunga ( Schwirrholz).
   Codrington behauptete 1891, die M. ( Mana) in  Melanesien rühre immer von einer Person her: Geister hätten sie und gewisse Menschen. In Wirklichkeit aber kommt M. auch in Gegenständen,  Steinen, Zaubergesängen usw. vor, ohne von einem Geist hergeleitet zu werden. Das Sumangat auf Malakka, das Tendi oder Tondi bei den Batak ist eine Lebenskraft oder ein Kraftstoff ( Leben) und offenbart sich im Schatten, im Puls, im  Blut, in der Nabelschnur, in der Nachgeburt ( Geburt), im  Haar, in den Nägeln, im  Speichel, in den Tränen usw. Es ist die gleiche Kraft, die sich in Tieren und Pflanzen sowie in dem Hauptnahrungsmittel, dem Reis, findet. Bes. ist zu beachten, daß der M.stoff im Reis den gleichen Namen trägt wie die M. bei den Menschen (vgl.  Fruchtbarkeit).
   Bisweilen sieht es aus, als ob alle  Geister, Menschen und Tiere die M. besäßen. Alle Menschen bei den Aranda-Loritja-Stämmen in Zentral-Australien haben ihre tjurunga. Nach den Irokesen besitzt jeder Mensch, jedes Tier und Ding Orenda (M.). Ähnlich das hasina der Madagassen. Bei den Thonga an der Ostküste Südafrikas scheinen alle Toten mit M. begabt zu sein. Bei den Tschi-sprechenden Negern an der Westküste Afrikas verdankt das Individuum seine Kraft dem Kra. Bei solcher Vorstellung erklärt man den Sieg eines Stammes über einen anderen oder die Überlegenheit eines Medizinmannes oder  Zauberers über einen Nebenbuhler, überhaupt die Übermacht eines Individuums über ein anderes aus der größeren M. des einen, welche die M. des anderen überwinde. Gewöhnlicher ist die Vorstellung, daß die M. einigen Seelen, Menschen, Tieren und Gegenständen im Unterschiede von anderen eigen ist. Bes. große, kräftige oder sonst mysteriöse Dinge, Tiere und Menschen werden bei den Siouxindianern Wakonda genannt.  Sonne, Donner, Blitz ( Gewitter),  Sterne,  Winde, die Zeder, der Schamane, die mythischen Ungeheuer der  Erde, der Luft und des  Wassers ( Drache), die Fetische ( Fetischismus) und die Geräte und Schmucksachen, die zu den hl. Zeremonien gehören, sind Wakonda. Das  Pferd heißt Wakonda-Hund = ein bes. großer, kräftiger, merkwürdiger Hund. Von den Melanesiern werden die Verstorbenen angebetet, die schon zu Lebzeiten durch Tüchtigkeit und Erfolg oder nach dem Tode durch geheimnisvolle Wirkungen gezeigt haben, daß sie Mana besitzen. Bei den Wedda auf Ceylon entscheidet man durch besondere Zurufe und Experimente, ob der Verstorbene M. besitzt und somit ein Yaka ist. Ähnlich bei sibirischen Stämmen usw. ( Totenverehrung: I). - Die Echtheit von Reliquien wurde so untersucht, daß man sie zu einem Kranken oder Toten brachte: die richtigen wirkten sofort, nicht mit M. begabte Knochen und Holzstücke blieben ohne Wirkung.
   Wie entsteht die M.? Sie kann angeboren sein: einige Menschen besitzen von Geburt besondere Merkmale und Eigenschaften, die eine geheimnisvolle Fähigkeit bedeuten. Andere erhalten die M. durch ein wunderbares  Erlebnis im  Traum oder Wachzustand. Der  Indianer hat seine  Vision. Bes. gesteigert wird die Heiligkeitskraft beim Manne während des Krieges, auf der Jagd und beim Fischfang ( Jäger), bei der  Frau in der  Schwangerschaft. Man kann die mysteriöse Kraft auch durch Lernen und Übung erwerben oder stärken und mehren. Die  Medizinmänner lehren ihre Schüler die Kraftsubstanz erlangen und die Zaubertechnik üben. Durch Einsamkeit an öden Plätzen, durch  Fasten, Kasteiungen und narkotische Mittel ( Rausch) macht man sich für das übernatürliche Erlebnis oder die M. empfänglich.  Askese erzeugt »Hitze«, wie die Melanesier in Ostasien, die Eweleute in Afrika und die alten Inder die Zauberkraft nennen. Der Schamane, der Besitzer der übernatürlichen M., muß sich abmühen und anstrengen.
   Worin besteht die M.? Es liegt nahe, diese außerordentliche Kraft mit der Elektrizität zu vergleichen, die auch sowohl gefährlich als nutzbringend ist. Aber von einem das Dasein durchdringenden Fluidum oder Stoff kann man nicht reden. Die betreffenden Worte bezeichnen ursprünglich vielmehr entweder die Gegenstände und Wesen, welche M. besitzen, oder Eigenschaften, welche sie haben. Auch muß festgehalten werden, daß die M.-vorstellung natürlich nicht überall identisch ist, sondern bei den betreffenden sog.  Naturvölkern, in verschiedenen Kulturkreisen und auf den einzelnen Entwicklungsstufen verschieden ist. Die betreffenden Worte, welche das Ungewöhnliche, Mysteriöse oder Kräftige bezeichnen, wurden oft mit »Geist« oder »göttlich« übersetzt. Die Sprache faßte eine Reihe von einzelnen Erscheinungen unter der gleichen Bezeichnung des Seltsamen zusammen. Für die primitive Auffassung ist das betreffende Ding oder Wesen das, was ihm später nur als eine mit anderen Dingen oder Wesen gemeinsame Eigenschaft zugeschrieben wird. Manitu der Algonkins ist öfters mit »Geist« oder »der große Geist« übersetzt worden und hat freilich nicht selten einen persönlichen Anstrich. Aber nicht nur mythische Wesen, Geister, göttliche Mächte, Menschen, Tiere und Gegenstände heißen Manitu, sondern es wird vom Medizinmanne gesagt, daß er Manitu hat und Manitu gegen seinen Feind richtet. Auch Wakonda bei den Siouxindianern hat einen persönlichen Sinn, und zwar wird dadurch der  Urheber oder Urvater der Mysteriengebräuche bezeichnet, aber eigentlich ist Wakonda »ein großes Mysterium«. (Mc Gee). In  Indien wird der primitive Ausdruck für die M. in eine neutrale und in eine persönliche Linie gespalten. Das neutrale Brahman bezeichnet die übernatürliche M. der hl.  Formel, des Opferliedes, des Priesters und wird im entwickelten Denken zum Grundwesen des gesamten Daseins. Der persönliche Gott, Brahma, Schöpfer und Erhalter des Weltalls, hatte und hat im indischen Kultus unvergleichlich weniger zu bedeuten als die Volksgötter der Vedareligion ( Vedische und brahmanische Religion) und des  Hinduismus, zeigt aber die auch bei den Primitiven, in Manitu, Wakonda, Nzambi, Molungu, Tilo (Zentral-, Ost- und Südafrika) usw. vorhandene Verbindung zwischen dem Urheber oder Schöpfergott und der geheimnisvollen, in Wesen und Gegenständen vorhandenen M.
   In der M.vorstellung wurzeln Zauberei und  Magie sowohl als Religion, Ehrfurcht vor dem Heiligen, Anbetung.
   Soweit Söderblom. Wie aktuell seine Auffassung der M. noch heute ist, zeigt ein Vergleich mit der Darstellung von J. Haekel in dem neuesten »Lehrbuch der Völkerkunde« (hg. v L. Adam und H. Trimborn, 1958). Dort faßt Haekel, ein kritischer Anhänger der  Kulturkreislehre, folgendermaßen zusammen: »Wenn auch diese M. als außerordentliche Wirksamkeit in Naturdingen, Örtlichkeiten, Riten und Menschen innewohnend gedacht wird, so gilt sie letzten Endes - was sehr wesentlich ist - als Emanation oder Manifestation persönlicher höherer Wesen. Sie kann also einen unpersönlich-sachlichen und einen personalen Aspekt haben. Die Geltung des M.glaubens in den Religionen darf jedoch nicht überschätzt werden« (48; reiche Lit.). Eliade sucht die Fragestellung persönlich-unpersönlich zu überwinden, indem er die M. als Merkmal der  Erscheinungsformen der Gottheit (»Hierophanien« sind »Kratophanien«) ontologisch auffaßt: die M. ist wirklich, wirksam und fruchtbar.

    RGG2 III, 1811 ff. (ältere Lit.) - ELIADE §§ 7 ff. - DERS., Puissance et Sacralité dans l'Hist. des Religions (ErJb 21, 1953, 11-44) - VAN DER LEEUW §§ 1 ff. - J. HAEKEL (s. o.).

                               † N. Söderblom (C.-M. Edsman)


II. Im Urchristentum

   Im Urchristentum bedeutet M. (exousia) zunächst die Freiheit zu bestimmen und zu verfügen, als ein von Menschen oder Gott zugebilligtes Recht (z. B. Röm 9, 21; 1Kor 7, 37; Apk 13, 5), dann die von Menschen oder Gott verliehene Befugnis und Autorität (z. B. Apg 9, 14; Joh 19, 10 f.; Mk 11, 27 ff.; Mt 28, 18; Apk 12, 10; 2, 26), seltener die kraft besonderer Stellung ausgeübte herrscherliche Gewalt (bes. im LkEv) oder auch den M.bereich (LkEv; Kol; Eph). In dem von Paulus übernommenen, durch Begriffe der römisch-hellenistischen Rechts- und Verwaltungspraxis stark mitbestimmten jüdischen Traditionsstück Röm 13, 1-7 sind exousiai (Singular gleichbedeutend) die vorfindlichen Justiz- und Verwaltungsbehörden, nicht der Staat an sich, auch nicht die Obrigkeit im umfassenden Sinn. Von Völkerengeln (im NT nicht belegt) oder dämonischen Gewalten (nach apokalyptischem und gnostischem Vorbild 1Kor 15, 24; Kol; Eph; 1Petr, jeweils in christologischen Stücken) ist in diesem auch in seiner theologischen Begründung »jedermann« geltenden und verständlichen, erst durch den Kontext eschatologisch interpretierten Text keine Rede. Synkretistischer Herkunft ist die Bedeutung von M. als auf göttlicher Begabung beruhendem Vermögen (vgl. synamis) und als daraus resultierendem Recht des Pneumatikers (z. B. Mk 1, 22; 1Kor 9, 4 ff.; 8, 9). 1Kor 11, 10 ist exousia wohl als vor Engeln schützendes M.mittel verstanden.

    A. STROBEL, zum Verständnis von Röm 13 (ZNW 47, 1956, 67 bis 93; Lit.) - BAUER, WB5; 550 ff. (Lit.) - E. KÄSEMANN, Röm 13, 1-7 in unserer Generation (ZThK 56, 1959, 316-376, bes. 351 ff.).
                                                 
                D. Georgi


III. Ethisch


   1. Übertragene M.

   2. Unmittelbare M.

   3. Theologisches Verständnis
   
1. Staatsmännern und Obrigkeitspersonen ist eine bestimmte, gesetzlich definierte öffentliche M. (Amtsgewalt) über andere Menschen übertragen, um das Leben der  Gesellschaft zu regulieren und um Personen oder Gruppen gegenseitig vor Übergriffen zu schützen. Im abendländischen Kulturkreis hat sich die Auffassung der M. als eines öffentlichen und politischen Phänomens in doppelter Hinsicht gewandelt: a) In der vordemokratischen Gesellschaft gehörte die M. allein in die Hände einer Mehrheit von Regierenden und nicht in die Hände eines einzelnen Untertanen. Es galt daher als etwas Verwerfliches, wenn eine einzelne Person im öffentlichen Leben eine Initiative ergriff, die außerhalb ihres Amtes oder Gewerbes lag. In der demokratischen Gesellschaft dagegen haben gemäß dem Gedanken der Volkssouveränität alle an der M. teil und sind somit mitverantwortlich dafür, wie die M. von den Regierenden gebraucht wird. Das bedeutet nicht, daß alle gleich große M. und  Verantwortung haben. Auf Grund des Volksvertretungssystems der demokratischen Verfassung ( Staatsformen) ist die M. und Verantwortung der Volksvertreter teils größer als die der Wähler, teils ist die Möglichkeit des einzelnen Bürgers, die  öffentliche Meinung zu beeinflussen, je nach Befähigung und Stellung verschieden. - b) Im Feudalstaat waren Besitz ( Eigentum) und Reichtum Privilegien, die zur Ausübung der öffentlichen und politischen M. notwendig waren. Nur wer als Obrigkeitsperson M. hatte, konnte sich daher, unter Ausnutzung seiner Privilegien, der Unterdrückung schuldig machen. Anders in der kapitalistischen Gesellschaft ( Kapitalismus): hier verleiht Reichtum M., und zwar eine rein private M. Der Industrialismus ( Industrie) ermöglichte Einzelpersonen lediglich infolge ihrer rein ökonomischen M. und ohne an der Staats-M. beteiligt zu sein, Mitbürger zu unterdrücken.
   
2. M. ist indessen nicht nur ein öffentliches oder politisches Phänomen, sondern wegen der Verflochtenheit der menschlichen Beziehungen ist jedes Verhältnis zwischen Menschen auf unmittelbare Weise ein M.verhältnis. Viele Bezirke unserer gegenseitigen Beziehungen können daher von Gesetz und Rechtsprechung nicht erfaßt werden und sollen dies auch nicht. Mißbrauch der M. kann nämlich nur dann gesetzlich erfaßt und zum Gegenstand der Rechtsverfolgung gemacht werden, wenn er objektiv konstatierbar ist. Doch wirkt sich der sachlich nicht konstatierbare, daher gesetzlich nicht erfaßbare und geschichtlich nicht verfolgbare M.-Mißbrauch nicht weniger zerstörerisch aus.
   
3. Theologisch verstanden gehört jede M. die es gibt und die Menschen aufeinander ausüben können, Gott. Sie ist dem Menschen verliehen, damit er mit ihrer Hilfe das Leben des anderen Menschen schütze, das ihm ausgeliefert ist. Die M. der Obrigkeit im Volke, die M. der Eltern über ihre Kinder usw. kann entweder im Gehorsam vor Gott und in seinem Namen ausgeübt werden, oder es ist eine M., die man sich angeeignet hat und nun so benutzt, als gehöre sie einem selber. Die M. ist daher in der Hand des Menschen durch die bestimmte und besondere Aufgabe begrenzt, um derentwillen er M. von Gott erhalten hat. Für die Obrigkeit etwa besteht sie u. a. darin, äußerliche Gerechtigkeit und Frieden, ohne die das Leben zugrunde gehen würde, zu bewahren. Daraus folgt, daß die Amtswalter der öffentlichen M. selber der Rechtsordnung unterstellt sind, um derentwillen ihnen die M. übertragen ist. Von Luther aus gesehen ist jede weltliche M. in ein kompliziertes M.gefüge eingebaut, um hemmungslose M.entfaltung zu verhindern. Die eine M. hält die andere in Schach. Die Ordnungen liegen für Luther nicht nebeneinander, sondern greifen ineinander über; so hat die M. der Obrigkeit ihren Ursprung in der der Eltern. - Die Folgerungen, die Luther und Calvin aus ihrem Verständnis vom Wesen der M. ziehen zu müssen meinten, wenn sie z. B. jedes  Widerstandsrecht abwiesen, hängen zusammen mit ihrer Akzeptierung der damals waltenden patriarchalischen Gesellschaftsauffassung und gelten infolgedessen nicht unter völlig anderen Gesellschaftsbedingungen, wie etwa den heutigen.
   Eine grundsätzlich irreligiöse und enthumanisierte Auffassung der M. findet sich bei  Machiavelli. Der Fürst ist der M.virtuose, der Krieg zum Handwerk hat und die Regeln des M.spieles kennt. Selbst für den Fürsten, der keinen Wert auf seinen Ruf legt und daher nicht davor zurückschreckt, sich auf ruchlose Weise M. anzueignen, stellt Machiavelli technische Regeln zur Erwerbung und Wahrung der M. auf. Das Volk interessiert ihn nicht, nur der Kampf zwischen denen, die um M. werben. Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, kann machtpolitisch opportun sein, aber es gehört für ihn nicht zum Amt des Fürsten. Überhaupt gibt es den Begriff »Amt« bei Machiavelli nicht, es geht nur um die M. um der M. willen.

    F. LAU, »Äußerliche Ordnung« u. »Weltlich Ding« in Luthers Theol., 1933 - G. RITTER, (M.staat u. Utopie, 1940) Die Dämonie der M., 19486 - DERS., Das sittliche Problem der M., Bern     1948 - P. TILLICH, Liebe, M., Gerechtigkeit, 1955 - K. E. LØGSTRUP, Die ethische Forderung, 1959, 30. 52 ff. 99 ff.

                                                           K. E. Løgstrup


IV. Macht und Herrschaft, soziologisch

   1. M. und Herrschaft als soziale Grundphänomene

   2. Typen und Formen der Herrschaft

   3. Soziale Funktionen von M. und Herrschaft
   
1. M. und Herrschaft sind die Grundkategorien jeder Analyse ganzer Gesellschaften und ihrer Zusammenhänge. In seiner Studie über den Gesellschaftsvertrag beklagt J. W. Gough, daß seit den griechischen Anfängen der Vertragsdiskussion zwei Dinge häufig vermischt worden seien: der eigentliche »Gesellschaftsvertrag«, durch den Menschen sich zu einer sozialen und politischen Einheit zusammenschließen, und der »Herrschaftsvertrag«, durch den sie sich einer Befehlsgewalt unterwerfen. Soziologisch gesehen ist diese Vermischung nicht zufällig:  Gesellschaft bedeutet immer schon die Errichtung eines Zwangsverbandes, in dem sich einige der Befehlsgewalt anderer unterwerfen. Jede Gesellschaft ist Herrschaftsverband.
   Hinsichtlich der Begriffe »M.«, »Herrschaft« und  »Autorität« berufen sich neuere Soziologen meist auf die in der Tat glücklichen Definitionen von Max  Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. I, § 16): »M. bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.« An späterer Stelle (a. a. O. 604) unterscheidet Weber weiter: »Einerseits die Herrschaft kraft Interessenkonstellation (insbesondere kraft monopolistischer Lage) und andererseits die Herrschaft kraft Autorität (Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht).« M. ist also ein sozial willkürliches Verhältnis zwischen Menschen, auch Menschengruppen; Herrschaft begründet dagegen ein in verläßlichen Erwartungen verfestigtes, institutionalisiertes Verhältnis. Der Werkmeister, der den ihm Unterstellten Arbeitsanweisungen gibt, übt Herrschaft aus; verlangt er dagegen erfolgreich, daß sie ihm sein Motorrad reparieren oder Bier holen, so übt er M. aus.
   Beide, M. und Herrschaft, bestehen offenkundig in vielen Sozialverhältnissen; doch ist Herrschaft als Befugnis zur M.ausübung das eigentlich strukturelle Phänomen. M. kann in der Regel als Überschreitung der Herrschaftsbefugnis verstanden werden. In Ergänzung und Explizierung der Weberschen Definition läßt sich sagen: a) Herrschaftsbeziehungen sind immer Beziehungen der Über- und Unterordnung. b) Wo Herrschaftsbeziehungen bestehen, wird vom Übergeordneten sozial erwartet, daß er das Verhalten des Untergeordneten durch Befehle und Anordnungen, Warnungen und Verbote kontrolliert. c) Diese Erwartungen knüpfen sich an soziale Positionen unabhängig vom Charakter ihrer individuellen Träger; sie sind institutionalisiert. d) Aus diesem Grunde ist Herrschaft immer begrenzt auf »angebbare Personen« und »bestimmte Inhalte«; sie ist im Gegensatz zur M. nie generalisierte Kontrolle über andere. e) Bei Nichtbefolgung von auf Herrschaft beruhenden Anordnungen hat der einzelne Sanktionen zu gewärtigen; Herrschaft ist stets verbindlich.
   In diesem Sinne sind alle sozialen Organisationen und Assoziationen »Herrschaftsverbände«: »Ein Verband soll insoweit, als seine Mitglieder als solche kraft geltender Ordnung Herrschaftsbeziehungen unterworfen sind, Herrschaftsverband heißen« (M. Weber, a. a. O. § 16). Doch ragen in modernen Gesellschaften zwei Herrschaftsverbände wegen ihres besonderen Gewichtes für das Ganze der Gesellschaft hervor: der  Staat mit seinem Monopol physischen Zwanges in einem Territorium, und der wirtschaftliche  Betrieb, bes. der Industriebetrieb. Für historische Gesellschaften ist diesen vor allem der »hierokratische Verband« der Kirche hinzuzufügen.
   
2. Immer wieder haben Ethnologen von einfacheren Gesellschaften berichtet, es fehle in diesen an verfestigten Herrschaftsbeziehungen. Neuerdings behaupten auch Soziologen, die moderne Gesellschaft kenne Herrschaft eigentlich nicht mehr, diese hätte vielmehr der »Regierung des Gesetzes« (K. Renner) bzw. der »Beherrschung der Verhältnisse« (A. Gehlen) Raum gegeben. Hier liegt offenkundig eine Verwechslung der Begriffe M. und Herrschaft vor. Es läßt sich zeigen, daß die Tendenz entwickelter Gesellschaften immer stärker auf eine Ersetzung von M.beziehungen, also uneingeschränkter persönlicher Unterordnung (»absoluter« politischer Regimes, aber auch etwa der Dienstleistungsberufe alten Typs), durch Herrschaftsbeziehungen, also vertraglich begrenzte Unterordnung, hinzielt. So ist der Staatsbürger typisch zwar Beherrschter, aber nicht mehr Ohnmächtiger. Doch wird durch solche Entwicklungen die Wirklichkeit der Herrschaft nicht berührt: Auch der Mitbestimmungsbetrieb und der demokratische Staat sind Herrschaftsverbände. Herrschaft ist in diesem Sinne keine »historische«, sondern eine systematische Kategorie; dem Wandel unterliegen allein ihre Formen und Inhalte.
   M. Weber hat eine Typologie der Herrschaft an Hand ihrer möglichen Legitimitätsgrundlagen, d. h. der sozial akzeptierten Begründungen ihres Rechtsanspruches, entwickelt. Er unterscheidet als reine Typen die »legale Herrschaft« aus »dem Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen«, die »traditionale Herrschaft« aus »dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen« und die »charismatische Herrschaft« aus »der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person« (a. a. O. Kap. III, § 2). Als Instrumente der Realanalyse bewähren diese Typen sich jedoch nur, wenn man ihre Mischung prinzipiell voraussetzt. Auch dann liegt in ihrer Unterscheidung nur ein Aspekt der Variabilität der Herrschaft in historischen Gesellschaften.
   Wesentliche Unterschiede von Herrschaftsformen ergeben sich aus der Zahl der in gegebenen Verbänden zur Ausübung von Herrschaft Befugten. Nicht immer ist es ein einzelner oder ein kleiner Kreis, der das Recht hat, Anordnungen zu geben und Gehorsam zu erwarten. Gerade für moderne Gesellschaften ist vielmehr die Arbeitsteilung der Herrschaft kennzeichnend: Herrschaftsfunktionen werden in Kompetenzen aufgesplittert und an Funktionsträger -  Beamte,  Angestellte - delegiert. So entsteht der Verwaltungsstab moderner Betriebe und Staaten, der teilhat an der Ausübung von Herrschaft, ohne ihr eigentlicher Träger zu sein. Damit wird es in entwickelten Gesellschaften schwierig, den Sitz der Herrschaft zu lokalisieren; es liegt nahe, mit D. Riesman von einer »amorphen Verteilung der M.« zu sprechen oder mit H. Schelsky anderen anonymen Kräften (»bürokratischen Großorganisationen«) die »eigentliche« Herrschaft zuzuschreiben. Solche Umschreibungen sind jedoch ungenau und nicht selten irreführend. Genauer ist es, davon auszugehen, daß der Verwaltungsstab eine Art Konstante in sich inhaltlich wandelnden Herrschaftsstrukturen moderner Staaten und Verbände ist, und dann zu fragen, welche sozialen Gruppen ( »Klassen«) den Bürokratien ihre Impulse geben: Von den Parteieliten totalitärer Staaten über die wirtschaftlichen Führungsgruppen kapitalistischer Gesellschaften bis zu den konkurrierenden Verbänden, »Lobbies« und »Veto-Gruppen« der nachkapitalistischen Welt eröffnen sich hier zahlreiche Möglichkeiten. - In die Tendenz der Ersetzung von M. durch Herrschaft gehört das demokratische System der Herrschaft auf Zeit, d. h. der regelmäßigen Bewährung der herrschenden Gruppen in allgemeinen Wahlen. Auch von diesem Aspekt her lassen sich Formen der Herrschaft unterscheiden, zu deren Bezeichnung man die alte Dreiteilung in Monarchie, Aristokratie, Demokratie verwenden mag ( Staatsformen).
   Die Rede von M. und Herrschaft und die Klassifizierung ihrer Formen muß für den Soziologen unbefriedigend bleiben, solange die Richtung ihrer Ausübung unbekannt ist. Neben der Chance ist vor allem der Inhalt der Anordnungen von Bedeutung, die kraft persönlicher M. oder verfestigter Herrschaft erteilt werden. Hier ist der Begriff der Herrschaft untrennbar von dem des Interesses: Herrschaft (wie auch M.) ist stets eine Chance, bestimmte Interessen (Ziele, Programme) zu verwirklichen. Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine Unterscheidung von Herrschaftsformen nach der sozialen Grundlage der involvierten Interessen wünschbar: Herrschaft auf Grund wirtschaftlicher (»Plutokratie«), religiöser (»Hierokratie«), militärischer, ausbildungsmäßiger (»Meritokratie«) und anderer Position. M. Weber und K. Renner haben Ansätze zu solchen Einteilungen geliefert.
   
3. Der Gegensatz von »Herrschaft« und  »Genossenschaft« (O. v. Gierke) ist eine der ältesten Antinomien des politischen Denkens. In der soziologischen Theorie findet dieser Gegensatz sich wieder; an ihm lassen sich die beiden Aspekte sozialer Strukturen und auch die beiden sozialen Funktionen von M. und Herrschaft deutlich machen.
   Auf der einen Seite muß das Herrschaftsgefüge einer Gesellschaft als ihr erhaltendes Rückgrat gelten. In den Herrschenden findet die Integration des sozialen Systems ihren Ausdruck; die Staatsregierung, der Unternehmensvorstand repräsentieren das Ganze. Herrschaft ist in diesem Sinne das Instrument, »um die Mittel der Gesellschaft für die Erreichung von Zielen zu mobilisieren, für die eine allgemeine 'öffentliche' Verpflichtung besteht oder bestehen könnte« (T. Parsons). Paradox formuliert: In der als »Genossenschaft« (oder »Gemeinschaft«) verstandenen Gesellschaft ist die Herrschaftsstruktur der institutionelle Ausdruck des allgemeinen Grundconsensus.
   Andererseits aber begründet Herrschaft den Zwangscharakter menschlicher Gesellschaften. Sie ist immer die Herrschaft einiger über andere und schafft daher (selbst in ihrer arbeitsgeteilten Form in modernen Gesellschaften) eine Kluft zwischen den Herrschenden und Beherrschten. Unter diesem Aspekt ist Herrschaft ein »Null-Summen-Begriff« (so T. Parsons über C. W. Mills' Begriff »power« in polemischer Absicht), d. h. ein Begriff der eine soziale Dichotomie zwischen »Oben« und »Unten« konstituiert. Von hier aus wird die Annahme möglich, daß die Herrschaftsstruktur von Verbänden und ganzen Gesellschaften die letzte Ursache aller sozialen Konflikte abgibt. Jeder nicht bloß individuell motivierte Konflikt in der Gesellschaft ist eine Auseinandersetzung um Herrschaft in dem doppelten Sinne eines durch die ungleiche Verteilung der Herrschaft hervorgerufenen und nach einer Neuverteilung der Herrschaft drängenden Streites. Weil Herrschaft immer zugleich nötig und unerträglich, legitim und illegitim ist, wird sie zum Stimulus der Geschichte. Diese geschichtsträchtige Funktion der Herrschaft wird bes. eindringlich an Hand des alten Problems von M. und Recht in der  Revolution. Hier tritt dem Recht, also der Herrschaft des ancien régime, der noch rechtlose M.anspruch der Revolutionäre gegenüber; der Moment der Revolution aber vermag den rechtlosen M.anspruch in rechtmäßige Herrschaft zu verwandeln. Das Modell läßt sich verallgemeinern. Auch die institutionalisierte Herrschaft ist immer prekär, immer in Gefahr, zur illegitimen M. zu werden - wie umgekehrt jeder M.anspruch in sich den Keim einer neuen Form legitimierter Herrschaft trägt. Durch diese ihre innere Dialektik begründen M. und Herrschaft menschliche Gesellschaft als wesentlich geschichtliche Gesellschaft.

    G. MOSCA, Elementi di Scienza Politica, (1896) 19474; dt.: Die herrschende Klasse, 1950 - R. MICHELS, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, (1911) 19252 - M. WEBER, Wirtschaft u. Gesellschaft (GdS III), (1922) 19564 - J. W. GOUGH, The Social Contract, (1936) 19572 - B. RUSSELL, Power, 1938; dt. 1947 - C. BRINKMANN, Soziologische Theorie der Revolution, 1948 - K. MANNHEIM, Freedom, Power and Democratic Planning, 1950 - D. RIESMAN, The Lonely Crowd, (1950) 19524; dt.: Die einsame Masse, 1956 - J. K. GALBRAITH, American Capitalism. The Concept of Countervailing Power, 1952; dt. 1956 - A. R. L. GURLAND (Hg.), Faktoren der M.bildung, 1952 - R. K. MERTON (Hg.), Reader in Bureaucracy, 1952 - K. RENNER, Mensch u. Gesellschaft, 1952 - V. PARETO, Allg. Soziologie (hg. v. E. BRINKMANN), 1955 - C. W. MILLS, The Power Elite, 1956 - R. DAHRENDORF, Soziale     Klassen u. Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, 1957; engl. 19592 - T. PARSONS, The Distribution of Power in American Society (World Politics X/1), 1957 - C. J. FRIEDRICH, Demokratie als Herrschafts- u. Lebensform, 1959 - HWSW VII, 77 ff. (A. GEHLEN) - G. SALOMON-DELATOUR, Polit. Soziologie, 1959.
                                                           R. Dahrendorf



[Macht, S. 22 ff.Digitale Bibliothek Band 12: Religion in Geschichte und Gegenwart, S. 20534 (vgl. RGG Bd. 4, S. 571 ff.) (c) J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)]




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