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Genetische Philosophie am Beispiel  - Whitehead



 Aufsätze 2 von Hans F. Geyer Alfred North Whitehead
Hirnereignisse und Denkereignisse
Quer durch die Philosophie
Philosophie - Ende? Anfang?


 Genetische Philosophie am Beispiel eines Philosophen:
Alfred North Whitehead



Von Hans F. Geyer, Zürich

In:

Whitehead und der Prozessbegriff / Whitehead and The Idea of Process

Beiträge zur Philosophie Alfred North Whiteheads auf dem Ersten Internationalen Whitehead-Symposion 1981

Proceedings of The First International Whitehead-Symposium 1981

herausgegeben von / edited by Harald Holz und Ernest Wolf-Gazo

Verlag Karl Alber Freiburg  /München

Beitrag Nr. 18, Seiten 240-246.





Von den äussern Lebensumständen Whiteheads ist nicht viel zu berichten. Sein Leben war sein Werk. In Anlehnung an das lateinische veni, vidi, vici (Ich kam, sah und siegte) könnte man von ihm sagen: Er kam, sah und dachte. Und „siegte" auch. Davon legt Zeugnis ab sein reiches Werk. Aber er wusste, dass es kein endgültiger „Sieg" ist, noch sein könnte. Der Glaube an das Ende, das Letzte, das Eschaton, an das „Absolute" Hegels und Marxens war ihm fremd. Er glaubte vielmehr an das Unabschliessbare, für immer Unendgültige, an das Werden, an den „Prozess", wie er sich ausdrückt, an die Herkunft und Abkunft des ganzen Kosmos aus kreativer Genesis. So hat Whitehead, wenn man so will, in ständig sich selbst überholender Genesis, in ständiger Besinnung auf seine Ursprünge und die Ursprünge der Philosophie, sich selbst hervorgebracht. Er dachte genetisch. Er lebte genetisch. Sein philosophisches Werk ist hervorgegangen aus seinem Fachstudium, der Mathematik, dessen Rahmen er sprengte. Der Keim des Logos seiner Philosophie, der logos spermaticos, ist zu suchen in dem grossen, zusammen mit Bertrand Russell verfassten Werk Principia Mathematica. Aus diesem Samen wuchs schliesslich der hohe, weit ausladende Baum seiner Philosophie.



Diese These ist, wie ich vermute, ziemlich neu. Ich wenigstens habe sie in der Sekundärliteratur nicht bestätigt gefunden. So ist einiges Misstrauen angebracht. Wie ist es möglich, dass, gewissermassen von der formalen Seite, nicht einmal von der Mathematik, sondern von der mathematischen Logik her, eine grosse Philosophie entscheidend beeinflusst wird? Wie ist die mathematische Genesis einer materialorientierten Philosophie möglich? Die Lösung des Rätsels ist wieder im genetischen Gedanken selbst zu suchen, der bei Whitehead eine wahrhaft abendländische Dimension annimmt. Whitehead malt, aus seiner Sicht, ein grosses Bild der europäischen Philosophie. Ein Freskogemälde mit viel Schwung und nicht ganz ohne deutende Willkür. Und da ist es nun sehr interessant zu beobachten, wie die formalen Gesichtspunkte sich mit den Materialen verbinden, wie mathematisch-logische Überlegungen eingehen in physikalische, chemische, biologische, physiologische, seelische, geistig-kulturelle. Wie oben gesagt: Der Baum, er wächst.



Und nun bitte ich Sie für einen Moment um Ihre besondere Aufmerksamkeit für einen etwas unkonventionellen Gedankengang. Es ist der Gedankengang von Whitehead, den er aber nicht in dieser Weise ausgedrückt hat. Ich denke, dass wir so die genetische Grundstruktur seiner Philosophie wie durch eine packende Momentaufnahme ins Bild bekommen. Sie wissen, wie eine mathematische Gleichung aussieht, z. B. a + b = c. Die Striche, welche die Gleichheit ausdrücken, drücken auch eine Beziehung zwischen der linken und der rechten Seite der Gleichung aus. Man könne auch sagen, ein „Werden", einen „Prozess", obwohl diese Begriffe im rein formalen Sinne der Mathematik eigentlich irreführend sind. Und noch anders könnten wir uns ausdrücken, wenn wir uns mit unseren Überlegungen in die Nähe der folgenden Formulierung wagen: Aus a plus b geht c hervor. Das ist ja auch das Grundprinzip der Principia Mathematica, das Prinzip nämlich der logischen Äquation, der logischen Gleichung, des logischen Werdens, der logischen Genesis.



Es gilt Mut zu fassen, den Mut zum Sprung, den Whitehead getan hat, nämlich den Mutsprung von der formal-mathematischen Adäquanz, der formal-mathematischen Relation zur realen Adäquanz im Kosmos. Natürlich handelt es sich zuerst nur um ein formales Schema. Denn die Gesetze der kosmischen Adäquanz sind ganz andere als diejenigen der mathematischen Adäquanz. Diese sind inhaltsleer; mit Kant zu reden, drücken sie nur aus die Bedingung der Möglichkeit von Geschehen überhaupt, jene aber sind inhaltserfüllt, sie meinen den Inhalt sämtlicher menschlicher theoretischer und praktischer Disziplinen, die Whitehead in die Kathedrale der Metaphysik seines „Prozesses" hineinstellt.



Da hinein möchte ich eine wichtige Anregung stellen, eine Anregung, die von meinem Freunde Walter Robert Corti stammt. Walter Robert Corti hat sich einmal, wenn ich mich richtig erinnere, ungefähr so geäussert: „Ich habe das Substantiv im Verdacht. Es führt als grammatikalisches Schema, ja als grammatikalische Verführung zu philosophischen und wissenschaftlichen Konstruktionen, die der Wirklichkeit Gewalt antun. Ich habe mehr Vertrauen in das Adjektiv und in das Verb."



Wie sollen wir diesen Aphorismus im Rahmen einer genetischen Philosophie verstehen? Nehmen wir als Beispiel den Satz: „Das Blatt ist grün." Das Misstrauen von Walter Robert Corti - und wir dürfen hinzufügen - von Whitehead richtet sich mit voller Wucht gegen das Substantiv (logisches Subjekt) „Blatt". Von ihm wird ausgesagt, dass es „grün" sei. Das hört sich erst einmal recht harmlos an. Aber so harmlos ist es eben nicht. Denn das Substantiv ist ein kleines Monstrum, es hat die Tendenz, das Adjektiv zu verschlingen. Und nicht nur das Adjektiv. Auch das Verb. Denn das Adjektiv übt eine Tätigkeit aus. Bei „grün" die Tätigkeit des „Grünens" etwa, so, wie wir im Frühling vom „Grünen" der Pflanzen sprechen. Aber wir können es noch einfacher ausdrücken mit dem Beispiel: „Der Mensch denkt." Das Verb steht hier in der gleichen Gefahr wie das Adjektiv.



Genauer: In welcher Gefahr? Da müssen wir, mit Hilfe von Whitehead, etwas weiter ausholen. Wir haben ja von seinem „Freskogemälde" der europäischen Philosophie gesprochen. Diese beginnt mit der griechischen. Ähnlich wie die deutsche eignet sich die griechische Sprache gut dafür, Verben zu substantivieren, Verben als Substantive zu verwenden. Man denke nur an das Verb „sein" und dessen Substantiv: „Das Sein". „Das Sein" wurde ja noch in letzter Zeit im eigentlichen und im übertragenen Sinne zum Haupt-Wort einer Philosophie: derjenigen von Heidegger. Eine Haupt-Wort-Philosophie ist auch die aristotelische. Die aristotelische Logik (das „Organon") sowie die aristotelische Metaphysik beruhen auf der Verbindung von Subjekt und Prädikat, Substanz und Attribut. Die aristotelische Logik und Metaphysik haben deshalb einen statischen Charakter. Die bestimmenden schwergewichtigen Mittelpunkte, die wie Statuen wirken, sind die Subjekte und Substanzen; die Leichtgewichte sind deren „Satelliten", nämlich die ausgesagten Prädikate und Attribute. Im Gegensatz dazu beruht die moderne mathematische Logik und insbesondere diejenige von Whitehead und Russell nicht auf statischen Mittelpunkten, sondern auf Beziehungen, auf Relationen, deren formaler Ausdruck, wie wir gesehen haben, die Gleichheitsstriche der mathematischlogischen Gleichungen, deren materialer Ausdruck im Kosmos aber die Naturgesetze sind. Diese nehmen übrigens in der Chemie auch die äussere Form von Gleichungen an. Whitehead weist nun nach, dass trotz des Triumphes der Naturwissenschaften die substantivische und substantielle Philosophie des Aristoteles sich in der Geschichte der Philosophie über das Mittelalter hinaus bis in die Neuzeit erhalten hat.



Nennen wir einige Beispiele für diese Entwicklung: Ausser der „Substanz" des Aristoteles die „Idee" Platons, die denkende und ausgedehnte Substanz Descartes' und Spinozas, die Monaden ohne Fenster des Leibniz, das „Ich der transzendentalen Apperzeption" Kants, den „Geist" Hegels. Für alle diese Substanzen, Subjekte und mächtigen Haupt-Wörter gilt, dass sie inmitten ihres „Hofstaates" von Prädikaten und Attributen souverän und unabhängig „residieren", aber auch, dass sie isoliert bleiben, keine Beziehung nach aussen haben. Um es mit einem politischen Gleichnis auszudrücken: Sie haben keine „Aussenpolitik". Sie sind „fensterlos" wie die Monaden von Leibniz.



Die Folgen? Ich möchte sie gern an einem Beispiel illustrieren. Es ist wieder die einfache Gleichung: a plus b = c. Setzen wir nun für die Variable c die mächtigen Hauptwörter, Substanzen, Subjekte ein, die wir oben erwähnt haben. Was ergibt sich? Wir können uns bemühen, wie wir wollen, die Gleichung lässt sich nicht vervollständigen. Wir finden aus der Situation der Substanz-Subjekt-Philosophie heraus in der Nachfolge des Aristoteles keine „Werte", die wir für a und für b einsetzen könnten. Was bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wert für c in keiner „Gesellschaft", in keiner Gemeinschaft steht mit anderen Werten. Es bedeutet, dass er „sich selbst setzt" (so wie Fichte von dem „sich selbst setzenden Ich" spricht). Es bedeutet, dass Ursprung, Herkunft, Abkunft des Wertes für c unbenannt und unbekannt bleiben. Es bedeutet, dass er nicht hervorgeht aus andern Werten, dass er nicht genetisch erklärt werden kann. Die linke Seite der Gleichung fällt aus. Damit ist auch die Gleichung hinfällig, mit ihr die Relation, welche die Genesis ausdrücken soll. Wir reden natürlich in einem Gleichnis, in einem mathematischen, aber Sie werden seinen materialen Hintergrund verstehen.



Wir haben bisher vom formalen Prinzip der Philosophie Whiteheads gesprochen. Gehen wir nun über zu seinen materialen Folgen. Der genetischkosmologische Zug in der Philosophie Whiteheads ist unübersehbar. Der Mensch Whiteheads steht in der Welt. Aber er steht in der Welt nicht als „Ich" wie bei Descartes, als „Geist" wie bei Hegel, als „Dasein" wie bei Heidegger, als „Fürsich" (pour soi) wie bei Sartre, er steht in der Welt als menschlicher Körper. Dieser Körper darf nicht nur biologisch, psychologisch und geistig verstanden, er muss auch „astronomisch" begriffen werden. Der Körper Whiteheads ist im eigentlichen Sinne ein „Weltkörper", der in der Welt steht wie die Welt in ihm. Mit der Welt verbindet ihn seine innere und äussere Genesis. Wo hält sich Whitehead auf in seinen Träumen, wo ist sein für die Bestimmung des menschlichen Körpers massgebender „geophilosophischer" Ort? Ich möchte sagen, mitten im Atlantik, irgendwo zwischen England und Amerika. Whitehead hat, als er nach Harvard übersiedelte, den Atlantik nicht nur physisch überquert, sondern auch geistig. Und er tut es immer wieder in seiner Philosophie. Whitehead ist ein transatlantischer Geist, ein Geist des Übergangs zwischen den Kontinenten. Er atmet die Luft der grössten irdischen Räume, die Luft der Meere, die auch Saint John Perse begeisterten und die er besungen hat. Ja, die Analogie zu Saint John Perse geht bis hin zur Poesie, zu jener Poesie, die Whitehead am besten versteht, die er zitiert und liebt. Sie hat eine innere Unendlichkeit, ein inneres Apeiron, sie ist une poesie marine, der Art nach eine Meerespoesie, auch wenn sie nicht vom Meere handelt. So zitiert Whitehead aus dem Gedicht „The Prelude" von Wordsworth eine Stelle, wo von der „unumgrenzten Erde Fläche" die Rede ist, die wie ein „Ozean" aufwogt (A. N. Whitehead: Wissenschaft und Moderne Welt, Zürich 1949, S. 109).



Wenn ich nun die transatlantische Philosophie Whiteheads vergleiche mit Philosophien kontinentaler Inspiration, etwa mit derjenigen von Heidegger und Sartre, so fällt mir der Ausspruch eines Franzosen über unsere kontinentale Kultur überhaupt ein: Ça sent l'enfermé. Jener leicht muffige Geruch ist gemeint, der einem lange nicht gelüfteten Kasten entweicht. Es fehlt eben der tragende Atem des Meeres, die verbindende Kommunikation nach innen und nach aussen, es fehlt das Nachinnentreten des Aussen, das Nachaussentreten des Innen, es fehlt die Genesis des Innen von aussen her und die Genesis des Aussen von innen her. Man nehme als Beispiele Begriffe wie das „Dasein" Heideggers und das „Fürsichsein" Sartres. Man nehme sie nicht nur. Man nehme sie auf die Zunge, schmecke sie. Unsere Zunge wird ein abgekürztes Urteil fällen, besser und treffender als Bände von Sekundärliteratur es tun könnten. Es sind Begriffe, die sich nicht „öffnen" lassen. Begriffe der Innenvertiefung, aber nicht der Aussenvertiefung. Begriffe der Innenmystik, aber nicht der Aussenmystik. Und dies, obwohl Heidegger und Sartre ihre Begriffe in ein „Mitsein" der Welt hineinstellen, dies, obwohl sie mit dem Substanzmythos des Ich brechen, der in der Erbfolge der Philosophie von Descartes bis in den deutschen Idealismus hinein vorherrscht. Die egologische Substanzmetaphysik wird zwar von Heidegger und Sartre verworfen, aber sie kommt zur Hintertür wieder herein. Da ist die abwehrende Geste. Gegen das Aussen. Gegen die Welt. Die abwehrende Geste Heideggers. Der Feind ist für ihn der „Betrieb", der das Dasein verfälscht, ins Unwesentliche zieht. Die abwehrende Geste Sartres. Der Feind ist für ihn: le regard de l'autre qui pèse sur le pour soi. Das Ich muss unter dem Auge des andern Menschen agieren. Das Auge des andern als Einschränkung der innerlich vorgestellten Freiheit, als Zensur. In beiden Fällen ein Grad innerer Vertiefung, der sich gegen den Einfluss von aussen wehrt, gegen die Genesis von aussen wehrt, die sich als Selbstursprung, als eigene, als souveräne Genesis vorstellt und an dieser Illusion eisern festhält. Und wenn sich diese Verschlossenheit vielleicht doch einmal öffnet, so riecht es leicht muffig. Ça sent l'enfermé. Die Angst, sich zu öffnen, die zum Kerker wird. Whitehead möchte sicherlich nicht, dass man seine Philosophie zum Knüppel macht, um andere Philosophien totzuschlagen. Diese Kritik soll keine Abwertung der Lehren Heideggers und Sartres bedeuten. Wohl aber den Hinweis auf eine Ergänzung. Die Ergänzung Whiteheads. Die Ergänzung der engen Tiefe durch die Weite, die kosmische, die nicht zu erlangen ist, wenn man den Menschen nur als Ich, Geist, Seele sieht, wenn man ihn nur in geisteswissenschaftlichen Kategorien erfasst und nicht auch in naturwissenschaftlichen, körperlichen.



Es ist merkwürdig, dass bisher kaum ein Erkenntnistheoretiker auf den Gedanken gekommen ist, dass es ein Organ gibt, ein Organ des menschlichen Körpers, das eine entscheidende Rolle für die Beziehung zur Aussenwelt spielt, nämlich die Oberfläche des menschlichen Körpers, die Haut. Hautnah ist uns das Universum. Aber auch hautfern. Hautnah, weil das Universum, insofern es Aussenwelt ist, gleichsam „vor der Türe der Haut" beginnt, hautfern aber, weil das „Jenseits der Haut" einen qualitativen Unterschied bedeutet, jenen qualitativen Unterschied, der eindeutig unser ganzes Leben bestimmt. Das Weltall zerfällt in zwei verschiedene Hälften, regiert von zwei je verschiedenen Ordnungen: das Universum „vor der Haut" (die leibliche Aussenwelt) und das Universum „hinter der Haut" (die leibliche Innenwelt). Den Grund dafür, dass die erkenntnistheoretische Bedeutung der menschlichen Haut bislang nicht erkannt wurde, hat Whitehead wohl richtig gesehen, wenn er von zwei historischen Irrtümern spricht: dem Irrtum der Verabsolutierung der Innenwelt, der Introspektion, und dem Irrtum der Verabsolutierung der Aussenwelt, dem Sensualismus. Zwischen diesen beiden Welten gibt es keinen Verkehr, keine genetische Beziehung. Der Grund dafür ist der folgende. Die Introspektion zieht die Aussenwelt in sich hinein und macht sie zu ihrem integrierenden Teil. Dasselbe tut der Sensualismus für die Innenwelt, der Sensualismus, für den die Begrifflichkeit weitgehend mit den gegebenen Sinnesdaten zusammenfällt. Genetisch sind beide Welten getrennt, die Welt der Introspektion und die Welt des Sensualismus. Kein Abkunftsverhältnis, kein Hervorgehen des Innen aus dem Aussen, des Aussen aus dem Innen, keine „Osmose" zwischen Aussen und Innen, obwohl doch gerade dieser Vorgang par excellence die menschliche Haut charakterisiert, und zwar sowohl im physischen und physiologischen, wie auch im seelischen und geistigen Sinn was Whitehead oft genug sehr deutlich macht. Die Introspektion ist ihrem „geistigen Einzugsgebiet" nach eine idealistische, der Sensualismus eine materialistische Richtung.



Zu Introspektion und Sensualismus gesellt sich noch ein dritter, von Whitehead abgelehnter Irrtum: der Dualismus. Auch er unterbricht die gleichsam „transatlantische Weite" des Stroms der Genesis von leiblichem Innen und leiblichem Aussen, zwischen der Welt hinter der Haut und der Welt vor der Haut, deren scheidendes Organ, eben die Haut, nur trennt, um nicht zu trennen, entsprechend ihrem osmotischen Prinzip, das, wie bereits erwähnt, nicht nur eine physische und physiologische, sondern auch eine seelische und geistige Tragweite hat. Der Dualismus vollendet in einem, was Introspektion und Sensualismus, Idealismus und Materialismus durch Ausdehnung ihres Geltungsbereichs tun. Er setzt zwei „kontinentale Blöcke" nebeneinander, ohne sie auseinander hervorgehen zu lassen. Was unsere genetischen Überlegungen anbelangt, so repräsentiert die Introspektion, also der Idealismus, den Selbstursprung, die Selbsthervorbringung des auch die Aussenwelt umfassenden innerlichen Prinzips, der Sensualismus aber, also der Materialismus, die Selbsthervorbringung des auch die Innenwelt umfassenden äusserlichen Prinzips. Der Dualismus aber setzt den Selbstursprung des Innen gegen den Selbstursprung des Aussen, so dass sich beide Prinzipien, beide Welten, ohne Vermittlung, ohne gegenseitige Genesis gegenüberstehen. Und noch zur Ergänzung unserer geophilosophischen Überlegungen: Es stehen sich Idealismus, Materialismus und Dualismus einerseits und das „maritime" Denken Whiteheads andererseits gegenüber, das kontinentale Element, das Element „Erde", das abschottend wirkende, das ausschliessende Prinzip des nicht Durchdringbaren, eindeutig Lokalisierbaren, dem Element „Wasser", dem Prinzip des Alldurchdrungenen und Allesdurchdringenden, des universell genetisch Offenen, des nicht und nie eindeutig Lokalisierbaren, weil in ihm alles mit allem verbunden ist. Da sind philosophische Urerlebnisse im Spiel, die wir als Einflüsse des kontinentalen und des maritimen Wesens, als Prinzipien des physischen und geistigen alten Griechenland feststellen können, erscheinend etwa im Gegensatz der Philosophie des Seins eines Parmenides und des Werdens eines Heraklit.



Summary*


This paper wants to show that in dealing with Whitehead's philosophy we must take a genetic perspective into account. Also, we haue to see Whitehead's development from the Principia Mathematica, and not act, as though Whitehead's organic philosophy appeared immanent at the time of his writing Process and Reality.



In Whitehead's thought we can study, in detail, how formal thinking, in terms of mathematical logic, enters into the realm of bio-physiological dimensions; in addition, the cultural aspects enter into the picture in terms of aesthetics. Generally speaking, entertaining Whitehead's grand view of the world means, to observe the encounter of the formal and material aspects in the world. It is Plato and Aristotle all over again -except on conditions specifically designed for the 20th century.



We want to emphasis, particularly, Whitehead's insistence that the Human Body is of utmost importance. We may also speak of the "geophilosophical location" of the body in the world. Our body, a "world body," concatenated with other bodies, enables us to communicate our "experience" of the world. Moreover, one aspect of our body, important for the development of an adequate epistemology, is our skin. It seems that the epistemological significance of our body's skin has not been duly considered. It is the skin which helps us to a kind of "osmotic epistemology" coming to terms with our "inner experiences" and outer realities.



In the last analysis it is the element "Water" as "Ocean," which constitutes the most fundamental understanding of Whitehead's genetic, or organic philosophy.



* Summarized by E. Wolf-Gazo with the approval of the respective author.






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